„Liberame – Nach dem Sturm“: ZDF-Flüchtlingsdrama versinkt in schlechten Dialogen und Wendungen – Review

Friedrich Mücke kann Miniserie über cultural clash nicht retten

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 29.07.2022, 17:00 Uhr

Die Besetzung von „Liberame – Nach dem Sturm“ – Bild: ZDF/Aaron Foster
Die Besetzung von „Liberame – Nach dem Sturm“

Manchmal kann es schon zu einer schicksalhaften Begegnung kommen, wenn man in einer deutschen Großstadt in ein Taxi steigt. Denn in unserer globalisierten Welt ist alles irgendwie miteinander verbunden. Diese Erfahrung muss der Hamburger Werftbesitzer Jan Garbe (Friedrich Mücke, „Funeral for a Dog“) machen, auch wenn er den Taxifahrer zunächst nicht erkennt. Der ihn aber sehr wohl, war es doch Jan mit seinem Segelboot, der Ismail (Mohamed Achour) vor ein paar Jahren auf dem Mittelmeer begegnete, kurz bevor er selbst und seine Familie mit ihrem Flüchtlingsboot kenterten.

Zwei Welten, die sich normalerweise nicht berühren, die aber zufällig aufeinander prallen: arabische und afrikanische Flüchtende, die auf überfüllten Booten verzweifelt versuchen, Europa zu erreichen, und deutsche Wohlstandstouristen, die auf dem gleichen Mittelmeer ihren Urlaub verbringen. Das ist die Ausgangssituation der sechsteiligen ZDF-Miniserie „Liberame – Nach dem Sturm“ von Astrid Ströher und Marco Wiersch, inszeniert von Adolfo J. Kolmerer („Sløborn“). Ganz neu ist das Thema nicht, wurde dieser cultural clash doch auch schon in anderen Miniserien wie „Eden“ oder – wenn auch mit Schauplatz Australien – „Stateless“ zum handlungstreibenden Element. Und auch „Liberame“ ist eine Adaption einer australischen Vorlage: „Ein sicherer Hafen“ lief hierzulande auf arte. Nachdem die sogenannte Flüchtlingskrise von 2015 schon einige Jahre zurückliegt (und die Berichterstattung über das anhaltende Sterben auf dem Mittelmeer längst von den aktuellen Fluchtbewegungen aus der Ukraine verdrängt wurde), hat sich nun also auch das ZDF des Themas in fiktionalisierter Form angenommen.

Auf zwei Zeitebenen, die parallel erzählt werden, enthüllt sich nach und nach das Ausmaß der Tragödie auf offener See: Das Boot mit Ismail und Dutzenden anderer Flüchtender ist mit Motorschaden liegengeblieben, als Jan, seine Ehefrau Caro (Johanna Wokalek, „Die Macht der Kränkung“), seine Schwester Fiona (Natalia Belitski), deren Freund Daniel (Marc Benjamin) und die gemeinsame Freundin Helene (Ina Weisse) auf ihrem Segeltörn vorbeikommen. Nach einigen internen Diskussionen entscheiden sich die Deutschen, das andere Boot in Schlepptau zu nehmen. Doch das Wetter kippt, ein Sturm zieht auf. Am Morgen sind die Flüchtenden verschwunden, das Abschlepptau gerissen. Von Ismails Familie hören die Garbes erst wieder nach der Begegnung im Hamburger Taxi. Erst jetzt erfahren die damaligen Helfer, dass das Boot im Sturm kenterte und neben anderen Passagieren auch Ismails kleine Tochter dabei ihr Leben verlor.

Ein aus den Nachrichten bekanntes Bild: Ein Motorboot voller flüchtender Menschen auf dem Mittelmeer ZDF /​ Aaron Foster

Obwohl die Sabias inzwischen gut Deutsch sprechen (Ismails Gattin Zahra bereitet sich sogar gerade auf ihre Anerkennungsprüfung als Ärztin vor), herrscht beim gemeinsamen Brunch beider Familien im Haus der Garbes betretenes Schweigen. Schließlich bricht es aus Zahra (Kenda Hmeidan) heraus: Sie macht die Deutschen für den Tod ihrer Tochter verantwortlich, das Tau sei damals nicht einfach „gerissen“, sondern absichtlich durchgetrennt worden. Ein mehr oder weniger plausibles Motiv dafür hätte jede(r) von Jans Crew gehabt: Einige waren von Anfang an dagegen, die Flüchtenden abzuschleppen, außerdem hätten sie sich der Beihilfe zur illegalen Einwanderung schuldig gemacht. Aber vielleicht war es auch gar keiner der Deutschen, sondern Ismails Bruder Bilal (Tariq Al-Saies)? Wegen des Sturms hatte Jan nämlich den Kurs Richtug Libyen geändert und Bilal wusste von den katastrophalen Zuständen in den dortigen Flüchtlingslagern. Hat er etwa selbst die Leben seiner Angehörigen riskiert, um doch noch das gelobte Europa erreichen zu können?

Das sind alles spannende Fragen, aus denen man eine ebenso fesselnde wie gesellschaftlich relevante Handlung entwickeln könnte. In „Liberame“ erstickt diese aber meistens schon im Ansatz – oder säuft, um im Bild zu bleiben, in seichten Dialogen und soapartigen Wendungen ab. Statt sich auf die moralisch höchst interessante Ausgangssituation zu konzentrieren – was damals passiert ist und wie alle Betroffenen heute damit umgehen -, werden immer wieder die kaputten Beziehungen der deutschen Paare in den Mittelpunkt gerückt. Natürlich muss jede(r) seine(n) PartnerIn mindestens einmal betrogen haben, sonst denken die durchschnittlichen ZDF-ZuschauerInnen wahrscheinlich, sie wären beim falschen Sender. Die eingebauten Wendungen sind dabei ebenso überflüssig wie vorhersehbar.

Die entscheidende Frage: Wer ist der Mann mit dem Messer? ZDF /​ Aaron Foster

Wenn etwa Fiona ihrem Ex-Lover Daniel, der sie damals nach dem Segeltörn sitzen gelassen hat, einen Umschlag mit Fotos in die Hand drückt, ist jedem erfahrenen Seriengucker schon klar, dass auch ein Ultraschallbild dabei sein muss. Wenn dann noch zu schwülstiger Musik der schlecht inszenierte Versöhnungssex beginnt, möchte man sich nur noch mit der Hand vor die Stirn schlagen. Das ist nun wirklich Serienfernsehen wie aus den 1980er Jahren.

Bei der Darstellung der Geflüchteten hat man sich zwar bemüht, allzu stereotype Vorstellungen zu vermeiden, richtig rund wirkt aber trotzdem nichts. Mutter Zahra spricht nach wenigen Jahren perfektes akzentfreies Deutsch, während ihr Gatte Ismail einen starken Akzent hat. Wenn Akono (Emmanuel Ajayi), ein Mitflüchtling aus Afrika, englische Wörter in deutsche Sätze einbaut, muss natürlich gleich der ganze Satz untertitelt werden, weil der ZDF-Redakteur den Zuschauenden nicht zutraut, ihn auch so verstehen zu können. Wie viel selbstverständlicher doch US-Serien multikulturellen Alltag abbilden …

Hamburger Hafen, Segelboot, Sonnenschein: Da war die Welt der Garbes noch in Ordnung. ZDF /​ Aaron Foster

Die SchaupielerInnen mühen sich redlich, dem überkonstruierten Drehbuch etwas Authentizität abzuringen (mit Ausnahme von Johanna Wokalek, die die komplette Serie mit einem Gesichtsausdruck bestreitet, irgendwas zwischen Besorgnis und Genervtheit). Viel zu spielen gibt es aber etwa für Friedrich Mücke – neben Ken Duken die Standardbesetzung für anständige Durchschnittsmänner in deutschen Prestigeserien – nicht. Das diffenrenzierteste Spiel gelingt bezeichnenderweise keinem der etablierten „Stars“, sondern Mina-Giselle Rüffer als 15-jähriger Tochter Elly Garbe. Die als Nora aus der großartigen (ebenfalls vom ZDF produzierten) Webserie „Druck“ bekannte Nachwuchsschauspielerin hat allerdings auch die interessanteste Rolle: Als Teenagerin darf sie gegen die ganze Verlogenheit ihrer Eltern aufbegehren und zaghafte Bande zu Said (Shadi Eck), dem gleichaltrigen Sohn der Sabias, knüpfen.

Das wäre dann vielleicht auch die interessantere Idee für eine wirklich zeitgemäße Serie gewesen: wie sich Bio-Deutsche und Geflüchtete im Alltag begegnen, ohne dass sie gleich schicksalhaft miteinander verbunden sein müssen.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten vier Episoden der Miniserie.

Meine Wertung: 3/​5

Die komplette Miniserie steht ab Samstag, den 30. Juli um 10:00 Uhr in der ZDFmediathek zum Abruf bereit. Im linearen ZDF-Programm ist sie am Montag, den 5. September und am Mittwoch, den 7. September jeweils ab 20:15 Uhr mit drei Folgen am Stück zu sehen.

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    Das Thema könnte Stoff für EINEN spannenden Film geben. Keine 6 Folgen. Kein wirres hin- und herspringen zwischen verschiedenen Zeitebenen mit viel überflüssigen Szenen. War gespannt auf die Serie, habe nach 40 Minuten gefrustet abgeschaltet.
    • (geb. 1967) am

      Mittlerweile hasse ich Filme und Serien, die andauernd Rückblicke haben! Genauso dieser unsägliche, fast schon starke Trend zu Zeitschleifen Serien und Filmen!! So ätzend!
  • (geb. 1967) am

    Hatte schon nach nicht mal 2 Folgen die Naser voll! Es erinnert mich stark an den sooo genialen deutschen Film mit Susanne Wolf8 der war allerdings gfenial!!!) da ist Sie allerdings alleine auf einem Segel Törn und trifft dann auf ein Flüchtlings Bott, da weiß auch Sie dann nicht, was Sie machen soll!
    • am

      Was ist denn so unrealistisch daran, dass in einer Beziehung/Ehe die eine Person schneller Deutsch lernt als die andere? Sprachtalent ist ja nicht gleichmäßig verteilt.

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