„Let the Right One In“: Serienfassung der Vampirgeschichte hat weniger Biss als Originalfim – Review

Demián Bichir überzeugt als Vater des Vampirmädchens in Showtime-Adaption

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 17.10.2022, 18:30 Uhr

Demián Bichir als Mark Kane – Bild: Showtime
Demián Bichir als Mark Kane

Es gibt Stoffe, die einfach nicht tot zu kriegen sind. So der schwedische Roman „Låt den rätte komma in“ um das Vampirkind Elly von John Ajvide Lindqvist, der nun bereits zum dritten Mal verfilmt wurde. Nach dem schwedischen Arthouse-Kinoerfolg „So finster die Nacht“ von 2008, gab es zwei Jahre später noch eine US-Version mit dem Titel „Let me in“. Und nach langen Jahren der Entwicklung folgt nun also die TV-Serienfassung beim US-Bezahlsender Showtime, die wieder originalgetreu „Let the Right One In“ heißt. Aber zu Vampiren passt es ja, dass ihre Geschichten unsterblich sind (so ist die Serienfassung des „Interview with the Vampire“ auch gerade erst gestartet).

Serienschöpfer Andrew Hinderaker verlegt die Handlung von Schweden nach New York, wohin Mark Kane (Demián Bichir, „The Bridge – America“) zu Beginn nach Jahren der Odyssee zurückkehrt. Er bezieht ein Apartment in einem anonym anmutenden Wohnblock, gemeinsam mit seiner (scheinbar) zwölfjährigen Tochter Eleanor (Madison Taylor Baez), die er allerdings in einem großen Metallkoffer transportiert. Denn Elly wurde vor zehn Jahren zu einem Vampir und darf deshalb natürlich keinem Sonnenlicht ausgesetzt werden. Auch sonst versucht Mark, sie von der Außenwelt abzuschirmen, soll doch niemand Verdacht schöpfen.

Aber Elly hat ihren eigenen starken Willen und freundet sich schnell mit dem Nachbarsjungen Isaiah (Ian Foreman) an, einem nerdigen Außenseiter, der in der Schule gemobbt wird. Isaiahs Mutter Naomi (Anika Noni Rose) freut sich zwar, dass ihr Sohn endlich eine Freundin gefunden hat, ist aber dennoch misstrauisch gegenüber den seltsamen neuen Nachbarn. Das ist wohl auch berufsbedingt, arbeitet sie doch als Mordermittlerin bei der Polizei.

Ungleiche Freunde: Elly (Madison Taylor Baez) und Isaiah (Ian Foreman) Showtime

Das kann wiederum Ellys Vater Mark gar nicht recht sein, muss der doch für stetigen Nachschub an frischem Menschenblut sorgen, um seine geliebte Tochter am „Leben“ zu erhalten. Gleichzeitig sucht er nach einer Heilung für Elly, vor allem nach dem Mann, der sie damals gebissen hat. Denn der Vampirismus scheint in dieser Fassung der Geschichte eher eine Art Virus zu sein. So stoßen Mark und Elly in der New Yorker Unterwelt auf einen Mann, der sich wie ein Vampir verhält, aber weder Fangzähne noch eine Bisswunde aufweist.

Die Serienversion übernimmt grob die Kernhandlung des Romans respektive der bekannten Verfilmung von 2008, also die anrührende Geschichte des einsamen Vampirmädchens, das sich mit einem „gleichaltrigen“ menschlichen Außenseiter anfreundet. Dabei gibt es aber einige einschneidende Änderungen: Dass das Setting von der schwedischen Vorstadt ins quirlige New York verlegt wurde, schadet zwar der Atmosphäre, war bei einer US-Serie aber zu erwarten. Isaiah ist ein Afro-Amerikaner – geschenkt, da für die Handlung irreleveant.

Tochter und Vater Kane: Elly und Mark (Demián Bichir) Showtime

Dass dessen Mutter nun allerdings zur Mordermittlerin mutiert ist, wirkt schon befremdlicher – ohne kommt anscheinend heutzutage keine Fernsehserie mehr aus. Die wichtigste Veränderung ist aber wohl, dass Elly diesmal tatsächlich mit ihrem echten Vater zusammenlebt, nicht mit einem menschlichen Helfer, der bloß von allen für ihren Vater gehalten wird, wie im Film. Das gibt Demián Bichir Gelegenheit für starke Momente der Verzweiflung, wenn er hin- und hergerissen ist zwischen der Liebe für seine Tochter und Ekel und Abscheu über ihr und sein eigenes Verhalten zur Stillung ihres Blutdurstes.

Der Haupthandlung um Elly, ihren Vater und den kleinen Isaiah stellt die Serie eine seltsam unverbunden wirkende Parallelhandlung entgegen. In der geht es um einen todkranken Wissenschaftler (Željko Ivanek, „Damages – Im Netz der Macht“), der seit Jahren verzweifelt versucht, ein Heilmittel für seinen Sohn Peter (Jacob Buster) zu entwickeln, der sich ebenfalls mit dem Vampirvirus infiziert hat. Diese Parallelebene, in der gleich in der zweiten Folge auch noch als Versuchstiere benutzte Vampiraffen in mäßiger CGI-Animation auftauchen, wirkt etwas aufgesetzt und ziellos. Aber klar, für eine Serie, die bestenfalls über mehrere Staffeln laufen soll, braucht man mehr Stoff als für einen zweistündigen Kinofilm.

Zwei Zimmer, Küche, Zweitbad ohne Fenster als Kinderzimmer: Elly und Mark in ihrer neuen Wohnung.Showtime

Die nach wie vor anrührende Geschichte über die beiden ungleichen Kinder kommt dadurch aber leider zeitlich etwas zu kurz. Sie findet ihren ersten Höhepunkt in Episode 2 bei einer Talentshow in Isaiahs Schule, bei der Elly den Auftritt ihres neuen Freundes als Magier rettet. Solche Momente würde man gerne öfter sehen und dafür auf den ganzen Virus-Mörder-Kripo-Plot gerne verzichten. Die NachwuchsdarstellerInnen Foreman und Baez machen ihre Sache toll, wobei das Vampirmädchen eine leicht androgyne Ausstrahlung hat. Mal abwarten, ob das noch wie im Film eine Rolle spielen wird.

Der routinierte Serienregisseur Seith Mann („The Wire“, „Grey’s Anatomy“) hat die ersten Episoden handwerlich perfekt inszeniert, erreicht aber leider an keiner Stelle die atmosphärische Intensität, die dem Schweden Thomas Anderson gelang. Der Tonfall wechselt teilweise zu abrupt zwischen stillem Familiendrama, konventionellem Thriller und Horror mit schockierenden Splattereffekten. Insgesamt ist das alles durchaus unterhaltsam und interessant. Dass es diese weitere filmische Version in Serienform nun aber wirklich gebraucht hätte, können die Auftaktepisoden leider noch nicht belegen. Aber mit TV-Sendern ist es eben in einer Hinsicht wie mit Vampiren: Sie brauchen immer neuen Stoff – oder halt den immer gleichen.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von „Let the Right One In“.

Meine Wertung: 4/​5

Die achtteilige erste Staffel wird in den USA seit dem 9. Oktober sonntags auf Showtime ausgestrahlt. Ein deutscher Abnehmer ist noch nicht bekannt.

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am via tvforen.de

    "So finster die Nacht" ist einer dieser seltenen Glücksfälle (wie auch "Die Dämonischen"), deren erste beiden Verfilmungen bereits derart grandios sind, daß alles was hinter kommt, angesichts solch hoher Meßlatten im Direktvergleich eigentlich nur noch scheitern kann. "Weniger Biß als das Original" ist hier also wenig aussagekräftig; das Produkt kann trotzdem sehr gut sein.
    • am

      Ich hatte damals zufällig beide Filme an einem Halloween ausgeliehen ohne zu wissen dass sie "zusammen gehören". Die schwedische Version fand ich dabei besser. Ansonsten erschreckend ähnlich. Teils wie eine 1:1 Kopie mit anderen Schauspielern wenn ich mich recht entsinne. Echt der Wahnsinn.

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