„Chucky“: Erfrischende Neuaufstellung der rüstigen Horror-Reihe – Review

Und ewig schlitzt die Mörderpuppe im Mix aus Teeniedrama und ironischem Retro-Horror

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 28.10.2021, 17:30 Uhr

Täuschend brav: Solange Chucky (Stimme: Brad Dourif) ein Buch in der Hand hat, kann er niemanden erdolchen. – Bild: SyFy/USA Network
Täuschend brav: Solange Chucky (Stimme: Brad Dourif) ein Buch in der Hand hat, kann er niemanden erdolchen.

Da die Wiederverwurstungsspirale des Retro-Zeitgeistes nun ernsthaft bei karottenhaarigem Killerspielzeug angekommen ist, gibt es berechtigten Grund für Skepsis: Wen sollte ein weiterer Aufguss der seit 1988 laufenden „Child’s Play“-Filmreihe um Chucky, die Mörderpuppe, noch in größere Vorfreude versetzen außer nischenbewusste Horror-Nerds fortgeschrittenen Semesters? Nun, schwer zu sagen. Umso überraschender aber, dass Chucky-Erfinder Don Mancini mit „Chucky“, dem ersten Serien-Spin-Off, auf nonchalante Weise Altbewährtes mit einem frischen Blickwinkel kombiniert.

Zunächst eine kurze Rückschau. Wer mit Chucky bestens vertraut ist, kann die folgenden Zeilen getrost überspringen. Nachgeborene oder Uneingeweihte müssen aber kurz auf den aktuellen Stand gebracht werden: „Chucky – Die Mörderpuppe“ (im Original: „Child’s Play“) war 1988 der erste Film über das titelgebende Mini-Monster, eine Puppe, in die infolge eines Voodoo-Rituals der Geist eines sadistischen Serienkillers gefahren war. Bis 1991 folgten zwei direkte Sequels über das metzelnde Plastikwesen, dann pausierte das Franchise. 1998 kehrte es mit deutlich veränderter Schlagseite zurück: „Chucky und seine Braut“ und „Chuckys Baby“ präsentierten sich plötzlich nicht mehr als klassische Schocker, sondern als Horrorkomödien mit albern-satirischem Unterton. Eng damit verbunden war die Mitwirkung – als Chuckys „Braut“ Tiffany – von Jennifer Tilly, die es sich nach ihrer Oscarnominierung für „Bullets over Broadway“ ein paar Jahre zuvor offenbar für immer im augenzwinkerenden Trash-Sektor gemütlich gemacht hatte und sich in „Chuckys Baby“ sogar selbst spielte. Augenzwinkernd, selbstreferentiell und, ja, auch trashig: Das waren die späteren Chucky-Filme ganz sicher, vor allem die wiederum nach längerer Pause nachgeschobenen Filme 6 („Curse of Chucky“) und 7 („Cult of Chucky“) aus den Zehnerjahren, die direkt für Heimmedien produziert wurden und sich sehr entschieden auf dem Kultfilm-Bonus ausruhten.

Irgendwie schien die Chucky-Fangemeinde immer gerade so groß geblieben zu sein, dass noch Nachschub produziert werden konnte: Keiner der Filme gilt als must-see oder gar als Klassiker des Horrorfilms, doch den Bedarf der Afiçionados deckten sie verlässlich ab – obgleich die Reihe mehrfach in Verruf geraten war, nachdem sich angeblich diverse Mörder der realen Welt von den Chucky-Filmen zu ihrem Tun inspirieren ließen. Zuletzt, 2019, griff MGM dann ziemlich daneben, als die Produktionsgesellschaft den allerersten Chucky-Film „rebootete“, sprich: letztlich neu drehte, mit Anpassungen an den Zeitgeist und neuen Darstellern, wieder fürs Kino und deutlich ernster im Tonfall. Das ging nicht gut. Vor allem, dass Puppe Chucky dabei nicht mehr von seinem Stammsprecher Brad Dourif gesprochen wurde, sondern von, huch, Mark Hamill, nahmen die Fans übel: Luke Skywalker als Killer-Toy? No way! Neue Fans konnten mit dieser geplanten Verjüngungskur sowieso nicht akquiriert werden: „Child’s Play“ floppte, ein Sequel zum Reboot ist bis dato nicht in Sicht.

Verhängnisvoller Flohmarktkauf: Chucky wechselt für zehn Dollar in den Besitz von Jake Wheeler (Zackary Arthur). SyFy/​USA Network

Dass Chucky-Urvater Don Mancini mit dem Reboot, dem ersten Chucky-Film, an dem er nicht beteiligt war, nicht sonderlich zufrieden gewesen sein kann, ist nicht schwer zu erahnen. Die achtteilige Serie, die er nun für die Kabelsender SyFy und USA Network produziert hat, ignoriert den jüngsten Film denn auch geflissentlich und schließt stattdessen direkt an die sieben „originalen“ Chucky-Teile an. Das tut sie nicht nur, indem die Puppe mal wieder in einen neuen Haushalt transferiert wird und das tun darf, wofür Fans sie lieben (absurde Morde begehen, gern mit Stichwerkzeugen), sondern auch, indem die Figurencontinuity aufrechterhalten wird: Neben Brad Dourif, der die Titelrolle wieder übernimmt und Chuckys patentiert obszöne Motztiraden und sarkastischen Oneliner ins Mikro krächzt, als wäre er nie weggewesen, wurde auch die Rückkehr von vier anderen wohlbekannten Darstellern des Franchise annonciert: Alex Vincent, der, seit er zarte sieben Jahre alt war, die Rolle des Andy Barclay spielt, des ersten Knaben, in dessen Obhut es Chucky verschlug; Christine Elise, die im zweiten Teil Kyle, Andys beste Freundin im Pflegeheim, spielte; Fiona Dourif (Brads Tochter), als Rollstuhlfahrerin Nica, die in „Cult of Chucky“ von Chucky besessen wurde; und eben die inzwischen 63-jährige Jennifer Tilly, deren Rückkehr als Tiffany besonders heiß erwartet wird. Diese Ankündigungen lassen vor allem ein gerüttelt Maß an Fanservice erwachsen: „Chucky“ drohte, so durften Pessimisten vermuten, kaum mehr zu sein als ein nostalgischer Nachschlag für Child’s-Play-Komplettisten und Freunde gut abgehangenen Retro-Horrors.

Doch Mancini, der die Serie entwickelte, mehrere Episoden schrieb und in der Pilotepisode auch Regie führte, überrascht mit einer ungeahnt frischen Herangehensweise. Bis auf Dourif, dessen markante Stimme bereits nach wenigen Minuten erstmals zu hören ist, ist von den anderen Franchise-Überlebenden in den ersten Episoden noch nichts zu sehen, stattdessen präsentiert sich die Serie als erfreulich verquerer Mix aus ernst aufgezogenem Teen-Drama und Old-School-Slasher-Horror. Drei Dinge sind daran bemerkenswert: erstens der Ernst, mit dem die jungen Darsteller ihre Rollen interpretieren, ganz so, als würden sie da nicht gerade in einem trashigen Szenario rund um eine sommersprossige Mörderpuppe auftreten; zweitens das Alter der Teenager, die mit 14 Jahren jünger sind als die üblichen Slasherfilm-Kids; drittens die relativ unbekümmert thematisierte Tatsache, dass die Hauptfigur schwul ist. Mancini, selbst homosexuell, war das wichtig. In Interviews betont er derzeit, dass gerade im Horrorgenre die Identifikationsangebote für queere Teenager rar gesät seien: Besonders queere Protagonisten gebe es so gut wie nie.

Teens in Trouble: Devon (Björgvin Arnarson), Jake mit Chucky, Junior (Teo Briones) und Lexy (Alyvia Alyn Lind) SyFy/​USA Network

So folgen wir also dem 14-jährigen Jake Wheeler (Zackary Arthur aus „Transparent“), der an der Junior High in seinem Städtchen Hackensack, New Jersey, als Sonderling gilt, und dies nicht etwa, weil er schwul wäre, sondern weil er als Nachwuchskünstler Skulpturen aus abgeschnittenen Puppenköpfen herstellt. Gleich in der ersten Szene der Pilotepisode findet er auf einem Flohmarkt ganz besonders geeignetes Rohmaterial: Chucky, den Jake für einen Zehner mitnimmt. Zu Hause aber lässt sich der Kopf seltsamerweise nicht abtrennen, die Familienkatze ist sofort argwöhnisch, und es dauert nicht lange bis zu einem ersten klassischen (und aus dem Originalfilm bekannten) Chucky-Moment: Jake entdeckt, dass die plappernde Puppe auch ohne Batterien funktioniert – also irgendwie beseelt ist. Bis zum ersten Opfer ist da nicht mehr weit hin.

Interessant ist die Familiensituation, die die Serie schildert. Anders als in den frühen Chucky-Filmen lebt Jake nicht alleine mit seiner Mutter, sondern zunächst noch mit seinem alleinerziehenden Vater (erwachsen geworden seit „Final Destination“: Devon Sawa), einem etwas eindimensional angelegten alkoholkranken Handwerker in Finanznöten, der für die Kunstambitionen und die sexuelle Orientierung seines Sohnes nichts übrig hat. Da lebt er gefährlich, solange sich Chucky in seinem Haushalt befindet, denn dieser handelt wie stets ungefragt tödlich an der Seite seines aktuellen Besitzers: „Ich bin kein Monster! Ich bin nicht homophob“, sagt die Puppe einmal, unter Verweis auf ihr genderfluides Kind, das Tiffany in „Chucky und seine Braut“ gebar und das den Namen Glen/​Glenda trug wie der Crossdresser in Ed Woods „Glen or Glenda“ aus den Fünfzigern. Mancini legt Wert auf die Feststellung, dass das Chucky-Universum immer schon queer angehaucht gewesen sei.

Jenseits des Mordens entspinnt sich derweil das Teen-Drama: Jake ist verknallt in seinen Mitschüler Devon (Björgvin Arnarson), der allerdings der beste Kumpel von Junior (Teo Briones) ist, Jakes hochnäsigem Cousin. Junior wiederum ist mit dem blonden Biest Lexy Cross (herrlich: Alyvia Alyn Lind aus „Daybreak“) zusammen, die Jake auf Instagram verhöhnt, aber gegen jede Kritik immun ist, schließlich ist ihre Mutter (Barbara Alyn Woods aus „One Tree Hill“) die Bürgermeisterin und ganz dicke mit der Schulleiterin (Jana Peck, „A Teacher“).

Mörderpuppe for life: Chucky SyFy/​USA Network

Die Intrigenlage ähnelt jener aus zig bekannten Teenagerfilmen und -serien, wird hier aber so engagiert durchgespielt, als mache man das zum ersten Mal. Alsbald findet sich Jake, dessen plappernder Chucky in bewährter Manier die Heucheleien der Kleinstadt entlarvt und von allen für Jakes Bauchrednerpuppe gehalten wird, in der Familie seines Cousins wieder – sehr zu dessen Missfallen. Onkel (ebenfalls von Devon Sawa gespielt) und Tante (Lexa Doig aus „Andromeda“) geben sich super–woke und tolerant, haben aber Geheimnisse. Chucky schreitet wiederholt zur blutigen Tat, und Jake, hinter dem bald Devons Polizistenmutter hinterherermittelt, dürfte sich schon bald in jenem Dilemma wiederfinden, in dem auch die früheren Chucky-Besitzer steckten: profitieren von dessen brutalen Taten – oder sein Treiben bekämpfen?

Zugestanden, nichts in „Chucky“ ist irgendwie revolutionär oder neu oder gar unerwartet subtil, und doch kann man angesichts dieser vor allem in den Tonfallwechseln kühnen Kombi aus Teenage-Angst-Drama und zynisch-albernem Slasher-Spektakel immer wieder das Grinsen schwer unterdrücken – selbst wenn man nie ein ausgewiesener Fan der „Child’s Play“-Reihe war. Wenn Chucky etwa während der Halloween-Nacht mit Lexys prinzesschenhafter kleiner Schwester brutale Videospiele zockt, wenn er vergeblich ein junges Liebespaar erdolchen will (woraufhin er vor Wut seine böse Nasenfalte noch krauser zieht als sonst) oder bei seinen Missetaten mal wieder garstige Kreativität walten lässt (es gibt einen unschönen Vorfall mit einer Spülmaschine), dann ist das klassischer Chucky-Kram für die Fans – die damit fürstlich bedient sein dürften. Verblüffend ist es aber, wie reibungslos das zumindest in den ersten Episoden zusammengeht mit dem ganzen Rest der Serie, in dem sich Zackary Arthur und die anderen Jungdarsteller quasi die Seele aus dem Leib spielen. Man darf gespannt sein, ob bzw. wie sich Jennifer Tilly und Co. in dieses sonderbare Szenario einfügen werden.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von „Chucky“.

Meine Wertung: 3,5/​5

Die Serie „Chucky“ wird seit Mitte Oktober 2021 in den USA bei SYFY und USA Network ausgestrahlt. Einen deutschen Ausstrahlungstermin gibt es noch nicht.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    @Chucky sieht irgendwie anders aus.. nicht schlecht aber irgenwie komisch ihn so zu sehen

    Wird eben auch langsam alt ;-)
    • am

      Also... wer sich Mark Hamill nicht als Stimme von Chucky vorstellen kann, nur weil er Luke Skywalker war, muss wohl unter einem Stein leben und nicht mitgekriegt haben, dass Mark Hamill in der Animationsserie von Batman den Joker und bei "Masters of the Universe" Skeletor gesprochen hat, also durchaus schon sehr überzeugend böse Rollen gesprochen hat. Ob man lieber Brad Dourif gehabt hätte, ist eine andere Sache.
      • (geb. 1979) am

        Chucky sieht irgendwie anders aus.. nicht schlecht aber irgenwie komisch ihn so zu sehen
        • am

          Charles Lee Ray is Back..Geil! Ich mochte die Filme  »zumindestens«  Teil 1-3 und

          Child's Play 2019 auf die Serie bin ich gespannt

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