„Arctic Circle“: Maximilian Brückner und Clemens Schick frösteln am Polarkreis – Review
„Der unsichtbare Tod“ droht in neuem ZDF-Nordic-Noir-Krimi
Rezension von Gregor Löcher – 16.02.2020, 17:24 Uhr
Am heutigen Sonntagabend startet im ZDF die neue Serie „Arctic Circle – Der unsichtbare Tod“ auf dem angestammten Krimi-Sendeplatz um 22:15 Uhr, auf dem vormals Krimis wie „Die Brücke“, „Der Pass“ oder „Inspector Barnaby“ gezeigt wurden. Bereits in der Vergangenheit wurden dort des Öfteren Produktionen des ZDF mit internationaler Beteiligung ausgestrahlt, so auch in diesem Fall: „Ivalo“ (so der Originaltitel) ist eine deutsch-finnische Koproduktion. Der Schauplatz ist der finnische Teil von Lappland, mit endlosen Landschaften aus Schnee und Eis. Besetzt vornehmlich mit finnischen, aber auch mit deutschen und russischen Schauspielern, mit Nebenschauplätzen in Helsinki und Amsterdam, scheint sich die Geschichte zunächst um Menschenhandel zu drehen. Rasch wird jedoch klar, dass die viel größere Bedrohung durch ein Virus ausgeht, das eine weltweite Pandemie auslösen könnte, wenn es aus der abgeschiedenen Gegend der kleinen Ortschaft Ivalo in die weite Welt getragen wird. Der Ausstrahlungstermin stand bereits fest, bevor die ersten Berichte vom Ausbrechen des Coronavirus in China Mitte Januar in den Medien auftauchten, insofern ist das Thema – ungeplant – ein ganz aktuelles.
Er ist schon einer, der Maximilian Brückner – nachdem er 2016 in der wohlwollend aufgenommenen deutsch-österreichischen Miniserie „Pregau“ die Hauptrolle hatte ergattern können, legte er im Folgejahr mit der Hauptrolle in „Hindafing“ noch einen drauf. Letzteres gilt als die deutsche bzw. bayerische Antwort auf Kritikerlieblinge wie „Braunschlag“ oder „Fargo“, weshalb 2019 dem Fernsehpublikum die Fortsetzung in Form einer zweiten Staffel präsentiert wurde, die natürlich auch wieder von Brückner angeführt wurde. Wenn sein Name nun in der Besetzungsliste einer internationalen Produktion auftaucht, ist das einerseits erfreulich, macht aber auch neugierig: Wer Brückner in seinen bisherigen, eher kauzigen Rollen kennt, mag sich fragen, wie das mit einer eher glatt wirkenden Krimiproduktion vom Typ Nordic Noir zusammenpasst.
Die Handlung beginnt in Lappland, wo die Polizistin Nina Kautsalo (Iina Kuustonen, „Nurses“) und ihr Kollege zu einem Haus in der Einöde geschickt werden, in dem laut Aussage eines anonymen Anrufers Schüsse gefallen sind. Was sie vorfinden, ist eine misshandelte junge Frau, die dort offensichtlich gefangen gehalten wurde. Diese liegt nun im Koma und trägt ein russischsprachiges Tattoo, weshalb bald auch russische Beamte auftauchen, um den Fall mit ihren finnischen Kollegen zusammen zu untersuchen, dessen Tatort in Grenznähe liegt. Als zwei weitere, bereits tote Frauen im Eis gefunden werden, und sich die Überlebende als Prostituierte entpuppt, scheint der Fall für die Ermittler klar: Menschenhandel.
Abrupt wird das Geschehen jedoch nach Helsinki verlegt, wo ein Experte für sexuell übertragbare Viren, Thomas Lorenz (Brückner), gerade in der Schulklasse seiner zwölfjährigen Tochter von seinem Beruf erzählt. Der Zuschauer muss nicht lange warten, bis sich der Kreis schließt und Thomas die Blutprobe der Komapatientin aus Lappland auf ein nicht zu identifizierendes Virus untersuchen soll. Er hält dieses für die Mutation eines vormals im Jemen ausgebrochenen Erregers, welcher dort bei schwangeren Frauen und deren Kindern schwere Schäden angerichtet hat. Da die Gesundheitsbehörde nur aufgrund eines Verdachts keine Panik auslösen will, wird Thomas selbst nach Ivalo geschickt, um die Verbreitung des sogenannten Jemenvirus zu untersuchen.
Die üblichen Mechanismen in mannigfaltigen Katastrophenfilmen und -serien werden auch in „Arctic Circle“ in Gang gesetzt: Die sympathischen Protagonisten richten all ihr Handeln darauf aus, den sich in Gefahr befindlichen Menschen zu helfen, werden aber dabei fortwährend von Regierung und Pharmaunternehmen gehindert, die ihre eigenen Interessen verfolgen – welche selbstredend nicht notwendigerweise mit denen der Bevölkerung vereinbar sind. Und so müssen Nina und Thomas nicht nur gegen einen mutmaßlichen Mörder und ein mörderisches Virus ankommen, sondern auch gegen ihre eigenen Vorgesetzten.
Wie üblich, bewegt sich das Geschehen natürlich nicht nur auf professioneller, sondern auch auf privater Ebene: Als Thomas bei einer Frau das Virus nachweisen kann, erfährt er, dass es sich dabei um Ninas Schwester Marita (Pihla Viitala, „Black Widows“) handelt, die in der Vergangenheit einen moralisch flexiblen Lebenswandel gepflegt hat und deshalb auch ein ambivalentes Verhältnis zu Nina und der gemeinsamen Mutter hat. Nina hat eine sechsjährige Tochter, die unbedingt ihren Vater kennenlernen möchte; besagter Erzeuger ist allerdings an seiner Vaterrolle nicht interessiert, was Nina zur Verzweiflung bringt. Auch bei Thomas läuft es nicht ganz rund: Seine Frau fühlt sich von ihm vernachlässigt, weil für ihn die Arbeit immer an erster Stelle steht. Das verschärft sich mit seinem neuen Fall natürlich noch. Und so dauert es nicht lange, bis sich zwischen den beiden emotional gestrandeten Nina und Thomas eine kleine Romanze anzubahnen scheint.
Als parallele Handlungsstränge dienen unter anderem die Suche nach dem Eigentümer des Hauses, in dem die Frauen gefunden wurden, und der als der mutmaßliche Mörder gilt; ein Wilder(er), der eine weitere junge Frau gefangen hält; sowie Clemens Schick („Unschuldig“) als undurchsichtiger Geschäftsmann, der in Amsterdam Wind von dem möglichen Virenausbruch bekommt und einen Mitarbeiter nach Ivalo schickt, um sich die Angelegenheit näher anzusehen.
Die Autoren haben sich viel vorgenommen, doch leider vermag das Potpourri zumindest auf den ersten Blick nicht vollständig zu überzeugen. Recht zerfasert wirken die verschiedenen Handlungsorte und -stränge; Nina ist abwechselnd damit beschäftigt, auf ihrem Motorschlitten durch die Weiten Lapplands zu fahren, um den flüchtigen Hauptverdächtigen zu finden, aber andererseits eben auch, Thomas dabei zu unterstützen, eine weltweite Pandemie zu verhindern. Somit steht die Geschichte auf zwei sehr ungleichen Beinen. Streckenweise erinnert die Thematik Virus im Eis an die erste Staffel der US-Produktion „Helix“ von 2014. Doch während Letztgenannte ausschließlich in einer Forschungsstation spielte, dreht sich „Artic Circle“ zumindest dem Anschein nach um die durchschnittlichen Bewohner einer Kleinstadt, die unerwartet in eine Angelegenheit großen Ausmaßes verwickelt werden. Jedoch vermag die emotionale Bindung des Zuschauers nur bei Nina und vielleicht noch Thomas zu gelingen – die anderen Charaktere bleiben weitgehend unzugängliche Stichwortgeber.
Es macht immer wieder Spaß, Brückner im Einsatz zu sehen – und Kuustonen vermag in ihrer Rolle als Nina ebenfalls zu überzeugen. Und doch will der Funke bei „Arctic Circle“ nicht so recht überzuspringen, vielleicht wegen der uneindeutigen Ausrichtung auf ein bestimmtes Genre – für Anhänger des Nordic Noir ist die Handlung vielleicht immer noch nicht düster genug, Krimifans vermissen möglicherweise den Whodunit-Faktor. Und wer wegen der Virus-Outbreak-Geschichte einschaltet, dem wird dieser Handlungsaspekt möglicherweise nicht konkret genug voranschreiten, um gespannt am Bildschirm kleben zu bleiben.
Was aber nicht bedeuten soll, dass gar nichts funktioniert: der Schauplatz in Schnee und Eis könnte vor allem Krimifans eine willkommene Abwechslung zu den deutschen Groß- und Kleinstädten des „Tatort“ sein. Die Chemie zwischen den beiden Hauptcharakteren stimmt, wenngleich man sich fragen kann, ob sie nicht wichtigere Baustellen in ihrem jeweiligen Leben haben, als sich gegenseitig schöne Augen zu machen. Die Inszenierung vom deutsch-finnischen Regisseur Hannu Salonen („Schuld“) ist solide-routiniert, vermag darüber hinaus aber keine in Erinnerung bleibenden Akzente zu setzen. Zuschauer, die aufgrund des Sendeplatzes (nur) einen Krimi erwarten, könnten überrascht werden – aber das ist nicht notwendigerweise ein schlechtes Zeichen.
Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten zwei Folgen der zehnteiligen Serie „Arctic Circle“.
Das ZDF zeigt „Arctic Circle“ als TV-Premiere ab dem 16. Februar immer sonntags um 22:15 Uhr in 90-minütigen Doppelfolgen. Parallel dazu wird die Serie in der ZDFmediathek in zehn 45-minütigen Episoden veröffentlicht.
Über den Autor
Gregor Löcher wurde in den späten 70er-Jahren in Nürnberg geboren und entdeckte seine Leidenschaft für Fernsehserien aller Art in den 80er-Jahren, dem Jahrzehnt der Primetime-Soaps wie dem Denver Clan und Falcon Crest, was ihn prägte. Seitdem sind Faibles für viele weitere Serien und Seriengenres hinzugekommen, namentlich das der Comedyserie. Seit 2008 ist er als Webentwickler für fernsehserien.de tätig und hat zum Glück nach wie vor die Zeit, sich die eine oder andere Serie anzusehen.
Lieblingsserien: UFOs, Die Brücke, Will & Grace