Das Beste aus dem Serienjahr 2021: Marcus’ Highlights

Fünf bemerkenswerte Neustarts und Miniserien und eine späte Entdeckung

Marcus Kirzynowski
Marcus Kirzynowski – 28.12.2021, 17:30 Uhr (erstmals veröffentlicht am 17.12.2021)

„Mr. Corman“ – Bild: Apple TV+
„Mr. Corman“

Auch 2021 war leider wieder alles andere als ein normales (Serien-)Jahr. Auch wenn die Produktionsfirmen inzwischen gelernt haben, unter Pandemiebedingungen zu drehen, kam es weiterhin zu Verzögerungen und Verschiebungen, lange angekündigte Staffeln einiger liebgewonnener Serien sind auch im zweiten Corona-Jahr noch nicht angelaufen. Während die meisten in der Gegenwart spielenden Serien das Virus auf der Handlungsebene einfach ignorieren – wodurch man manchmal das Gefühl hat, erst recht Paralleluniversen zuzuschauen -, bauen andere Serienmacher Lockdowns und Hygieneregeln geschickt in ihre Geschichten ein.

Gleichzeitig sorgten die realen Lockdowns und Aufrufe zum Social Distancing dafür, dass das Serienstreaming anderen Freizeitbeschäftigungen noch stärker den Rang ablief, als es durch die fortschreitende Digitalisierung eh schon der Fall war. Unter den neuen Playern in diesem Geschäft, die Netflix und Amazon Prime Konkurrenz machen, konnten quantitativ vor allem Disney+ und qualitativ Apple TV+ reüssieren. Von letzterem Anbieter finden sich zumindest in meiner Liste gleich zwei der interessantesten neuen Serien des Jahres. Aber auch die guten alten öffentlich-rechtlichen Sender sind gut vertreten, wenn auch nicht mit Eigenproduktionen.

Bei einem Terroranschlag auf ein Kopenhagener Restaurant kommen 19 Menschen ums Leben. Nicht die Suche nach den Tätern, sondern die Verarbeitung des Traumas durch die Überlebenden und Angehörigen steht im Mittelpunkt der dänischen Miniserie „Wenn die Stille einkehrt“, die sich arte sicherte. Zunächst erleben wir die Tage vor dem unfassbaren Ereignis aus der Sicht ganz verschiedener BürgerInnen. Nach dem Anschlag verändert sich das Leben für alle, die von ihm betroffen sind. Mit einem einfühlsamen Panorama der dänischen Gesellschaft vom einfachen Rentner bis zur Justizministerin zeigt die Serie die persönlichen, aber auch die politischen Folgen eines unbegreiflichen Verbrechens jenseits der üblichen sensationsheischenden Nachrichtenbilder.DR/​arte
Die britische Miniserie „Years and Years“ stammt zwar schon von 2019, erlebte ihre deutsche Free-TV-Pemiere aber erst Anfang 2021 bei ZDFneo. Im Zeitraffer von nur sechs Episoden entwirft Autor Russell T Davies 15 Jahre einer dystopischen Entwicklung Großbritanniens bis ins Jahr 2034. Ausgelöst durch den Wahlsieg einer rechtspopulistischen Politikerin (gespielt von Emma Thompson) stürzt das Land zunehmend ins Chaos; soziale Segregation, Flüchtlingsbewegungen und die fortschreitende Digitalisierung verändern das Leben der Durchschnittsfamilie Lyons. Mit Spannung, Intelligenz und auch Witz erzählt Davies von sich ins Extreme steigernden Entwicklungen, die in unserer heutigen Gesellschaft schon angelegt sind. Nur, dass Silvester 2020/​21 nicht mit großen Partys an der Themse gefeiert werden würde, konnte er noch nicht vorhersehen.BBC
Mit der norwegischen HBO-Europe-Serie „Beforeigners“ nahm das Erste in diesem Jahr endlich einmal eine sehr originelle Krimiserie ins Programm. Zwar gibt es auch hier mal wieder einen Whodunnit und ein ungleiches Ermittlerduo, die bilden aber nur den Aufhänger für eine geniale Gesellschaftsparabel. Denn das Oslo, das hier gezeigt wird, hat sich durch eine Welle von Zeitflüchtlingen völlig verändert, die aus der Steinzeit, der Wikingerzeit und dem frühen 19. Jahrhundert stammen und ihre kulturellen Gepflogenheiten beibehalten haben. Dieses Szenario funktioniert als Satire auf zeitgenössische Trends ebenso gut wie als Auseinandersetzung mit den „Flüchtlingskrisen“ und Migrationsdebatten unserer Zeit.ARD
Mit Isaac Asimovs berühmter Romantrilogie aus den 40er und 50er Jahren hat Apples „Foundation“ weniger zu tun, als man zunächst denken mag. Sehr frei bedienten sich die Serienmacher um David S. Goyer einiger Motive und Namen der Bücher und kombinierten diese mit eigenen Ideen neu zu einem groß angelegten Science-Fiction-Epos. Zentral ist wie in der Vorlage der Wissenschaftler Hari Seldon (Jared Harris) und dessen Konzept der Psychohistorik, mit der er menschliche Geschichte vorhersagen kann. So berechnet er den sicheren Untergang des Galaktischen Imperiums, was ihm den Zorn des gottgleichen Klonkaisers (Lee Pace) einbringt. Mit einer Gruppe Vertrauter gründet er auf einem kargen Randplaneten die Foundation, die das Wissen der Galaxis bewahren soll. Schicksal oder Selbstbestimmung? Das ist die große Frage in dieser vielschichtigen Serie, die mit grandiosen Bildern und einem ebenso verwirrenden wie vielschichtigen Weltenbau aufwartet.Apple TV+
Josh Corman ist Lehrer an einer öffentlichen Schule in Los Angeles, er unterrichtet eine fünfte Klasse. Das macht er durchaus gerne und mit Leidenschaft, kann aber nicht umhin, seinen verpassten Karrierechancen hinterherzutrauern, war er doch ursprünglich auf dem Weg, Berufsmusiker zu werden. Joseph Gordon-Levitt, der auch als kreativer Kopf hinter der Serie steht, spielt diesen „Mr. Corman“, einen unauffälligen Mann in der Mitte seines Lebens, der seine großen Träume hinter sich hat und mit allerlei Angststörungen und Neurosen kämpft (wobei Corona nicht gerade hilft). Dass einen das beim Zusehen nicht (nur) deprimiert, liegt am grenzenlosen Einfallsreichtum, mit dem sich die Serie in fast jeder Folge neu erfindet: Da wechseln sich kammerspielartige Zweipersonenstücke mit vor liebevollen Dekors und verrückten Ideen überbordenden Episoden ab. Und wenn Josh urplötzlich auf einem nächtlichen Parkplatz – in seiner Fantasie – mit seiner Mutter (Debra Winger) in ein musicalartiges Duett ausbricht, muss man diese Serie einfach lieben.Apple TV+
Eine echte, wenn auch etwas späte Entdeckung war für mich in diesem Jahr die bereits 2018 gestartete Webserie „Druck“. Vom ZDF für das junge Netzwerk funk in Auftrag gegeben, erzählt sie authentisch vom Alltag Berliner AbiturientInnen. In jeder Staffel steht ein anderes Mitglied einer Clique im Mittelpunkt, wobei ab Staffel 5 eine jüngere Generation den Stab übernimmt. Neben den durchweg überzeugenden NachwuchsschauspielerInnen überzeugt die YouTube-Serie vor allem durch die Selbstverständlichkeit, mit der sie ethnische, religiöse und sexuelle Vielfalt als selbstverständlich und bejahend einbaut. Ähnlich wie im britischen Genreklassiker „Skins – Hautnah“ akzeptieren die SchülerInnen hier jeden und jede, egal ob sie nun homo-, bisexuell, transgender oder nonbinär sind. Auch ich, der ich keiner erkennbaren Minderheit angehöre, hätte mir als Schüler eine Jugendserie gewünscht, die ein so positives Menschenbild vermittelt, wo es einfach okay ist, dass ein Junge sich die Fingernägel lackiert und mit einer Mädchengruppe Tanzen trainiert. Dazu kommen eine originelle Inszenierung und ein treffender Popsoundtrack. Bantry Bay Productions/​ZDF/​funk

In einer lockeren Reihe blicken die Serienkritiker von fernsehserien.de zum Jahresende auf die Formate, die sie in den vergangenen zwölf Monaten gesehen haben. Das können neue Serien sein, aber auch neu entdeckte.

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

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