Marvel’s Agents of S.H.I.E.L.D. – Review

TV-Kritik zum Marvel-Actionspektakel – von Gian-Philip Andreas

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 21.10.2013, 13:25 Uhr

Die „Agents of S.H.I.E.L.D.“ aus dem Marvel-Universum stehen erstmals im Vordergrund.

Man muss kein hysterischer Marvel-Fan sein und manisch Superheldenfiguren sammeln, um mit einigem Staunen anerkennen zu können, wie konsequent sich der 1939 in New York gegründete Comic-Konzern in den letzten zehn Jahren als Entertainment-Marke (wieder-)etabliert hat. In manchen Wochen erweckt ein Blick auf die Kino-Startpläne heutzutage den Eindruck, Marvel sei inzwischen fürs halbe Programm verantwortlich.

Was dabei neben den „X-Men“ und dem neuerlichen „Spider-Man“-Reboot zuletzt für den größten Rummel sorgte, war der geradezu orchestrale Akt, mit dem Marvel in fünf einzelnen Superhelden-Filmen auf das erste gemeinsame „Avengers“-Kinoabenteuer zusteuerte und damit das sogenannte „Marvel Cinematic Universe“ festlegte. „Iron Man“, „Thor“ und „Captain America“ durften sich zunächst in jeweils eigenen Leinwandabenteuern austoben („Ant-Man“ kommt noch), ehe Joss Whedon antrat und die höchst unterschiedlichen Recken 2012 zusammenführte. Nicht nur beinharte Comic-Kenner hatten ihre Erwartungshaltung im Vorfeld in ungeahnte Höhen hinaufgeschraubt, auch die Whedon-Fangemeinde konnte kaum mehr stillsitzen, war ihr Idol doch nach den Kultserien „Firefly – Der Aufbruch der Serenity“, „Buffy – Im Bann der Dämonen“ und „Angel – Jäger der Finsternis“ endlich reif für ein ganz großes Kino-Opus. In den Jahren vor dem „Avengers“-Film war in den Einzelfilmen beharrlich auf diesen Höhepunkt hingeteast worden – mit mehreren Cameos von Nick Fury (Samuel L. Jackson) und Phil Coulson (Clark Gregg), zwei Agenten der friedenssichernden Spionageagentur S.H.I.E.L.D., die die Superhelden zur Kooperation bewegen will.

Inzwischen ist aus „The Avengers“ jener Hit geworden, als der er geplant war, auch wenn nicht das Über-Meisterwerk entstand, das viele erhofft hatten. Doch sowohl Marvel- als auch Whedon-Fans retteten sich umgehend in die nächste vorfreudige Euphorie, weil längst publik geworden war, dass Whedon (mit seinem Bruder Jed und dessen Frau Maurissa Tancharoen) die ebenfalls im Marvel Cinematic Universe angesiedelte ABC-Serie „The Agents of S.H.I.E.L.D.“ leiten wollte.

Wer sich die nun ansieht, macht zwei Glücksgriff-Feststellungen: Erstens war es eine ziemlich fantastische Entscheidung, vom Marvel-Superheldenkosmos diesmal vom Rand aus zu erzählen, nämlich von jenen Agenten her, die in den Kinofilmen nur peripher vorkommen. Auch wenn offen ist, ob Iron Man und Kollegen in einer der inzwischen von ABC georderten 22 Episoden vorbeischauen, wird die Existenz der Superhelden in der Serie stets mitgedacht und durch Anspielungen gezielt getriggert. Zweiter Glücksgriff ist Clark Gregg als Coulson: Mit seinem trockenen Humor und smarten Understatement war er ja schon in den Film-Cameos und in „The Avengers“ die heimliche Lieblingsfigur vieler Zuschauer, und es ist nur folgerichtig, dass er nach seinem vom Oberschuft Loki verursachten Ableben nun seine Auferstehung feiern darf. Angeblich hatte er den Angriff überlebt und danach eine Auszeit in Tahiti verbracht – glaubt er, zumindest.

Kevin Spacey-Typ Gregg ist als Coulson jedenfalls eine Freude, nicht nur, wenn er mit seiner roten Corvette namens Lola durch die Landschaft brettert – er ist ein Sympath, der bestens funktioniert als Hauptfigur dieses Sci-Fi-orientierten Ensembledramas, das „Star Trek“-Dramaturgien mit Comic-Fantasy, „Akte X“-Ermittlungen und „CSI“-Tüfteleien mixt. Soweit erkennbar nach den ersten Folgen, geht das Grundprinzip so: Die S.H.I.E.L.D.-Agenten müssen pro Episode einen Fall lösen. Mal müssen sie einen Mann mit ‚registrierter‘ Superbegabung von der Allgemeinheit fernhalten (Pilotfolge), mal eine rätselhafte Waffe aus einem Inka-Tempel bergen (zweite Folge), mal einen entführten Wissenschaftler befreien (Episode drei). Nur zaghaft kristallisieren sich Handlungsfäden heraus, die für übergreifendere Plot-Bögen relevant sein könnten.

Ming-Na Wen spielt Martial-Arts-Agentin Melinda May
Das Agententeam um Coulson herum ist fünfköpfig. Es gibt zwei grimmige Figuren, zwei für den Comic Relief, dazu einen Sonnenschein mit Abgründen. Erstere heißen Melinda May (Ming-Na Wen aus „Emergency Room“) und Grant Ward (Brett Dalton): May wird als S.H.I.E.L.D.-Legende aus der Versenkung zurückgeholt und fungiert fortan als Pilotin des schick-schwarzen Flugvehikels der Agenten, ‚Bus‘ genannt. Sie schweigt viel und beherrscht Martial Arts. Ward dagegen sieht schmuck aus, entwickelt jenseits seiner Grimmigkeit bisher jedoch nur wenig Profil. Bei den beiden „lustigen“, sagen wir lieber: lustig gemeinten, aber eher gewöhnungsbedürftigen Figuren handelt es sich um die Technik-Nerds Leo Fitz (Iain de Caestecker) und Jemma Simmons (Elizabeth Henstridge), er Ingenieur, sie Biochemikerin, er Ire, sie Britin, er linkisch, sie verpeilt. Meist quatschen sie wild durcheinander und lösen Probleme wie am Seziertisch herkömmlicher Forensik-Krimiserien. Mir persönlich gefiel Skye am besten, der abgründige Sonnenschein. Sie (Chloe Bennet, „Nashville“) wird erst zum Schluss der Pilotfolge ins Team gelockt, nachdem sie zuvor noch gejagt wird. Denn als Hackerin der IT-Aktivisten von ‚Rising Tide‘ unterstützt sie den tragischen Superhelden der ersten Episode (gespielt von J. August Richards aus „Angel“). Als Skye später im Team ist, entpuppt sich die beunruhigende Frage, ob sie als Doppelagentin weiter für ‚Rising Tide‘ arbeitet, als wesentlich interessanter als jene, ob sie womöglich Grant bezirzen kann. Skye ist natürlich eine absurde Figur: Eine 20-Jährige, die aussieht wie ein It-Girl aus dem Bling Ring soll uns als zahlenbesessene Hackerbraut verkauft werden. Aber, hey, wir haben es hier mit einem Comic zu tun, und Bennet macht ihre Sache erstaunlich gut: Sie trifft den richtigen Ton zwischen Powerbraut und vertrotteltem Fangirl.

Diese Team-Mischung wirkt anfangs noch etwas rumpelig: Auf jeden guten Gag kommt mindestens eine billige Psychologisierung. In Folge drei etwa muss Grant seine Dauergrimmigkeit mit dem prügelnden älteren Bruder begründen: och nö. Umso schöner daher, dass Whedon seine Serie an jeder Biegung lustvoll im Marvel-Universum andockt. Im Piloten gibt es direkt ein Wiedersehen mit Maria Hill, die, wie schon in „The Avengers“, von „How I Met Your Mother“-Star Cobie Smulders gespielt wird. Es kann gut sein, dass sie demnächst öfter vorbeischaut, wenn die Erfolgs-Sitcom ihr längst verdientes Ende gefunden haben wird. In Folge zwei hat Samuel L. Jackson einen seiner herrlich grantigen Auftritte als Augenklappen-Agent Nick Fury.

Beachtlich sind die Actionszenen: Auch wenn sie sich, verglichen mit den markerschütternden Zerstörungsorgien aus „The Avengers“ oder „Iron Man 3“, auf den ersten Blick wie ein Downsizing anfühlen, merkt man doch, dass Marvel sich hier nicht lumpen ließ: Die Kampfkunst-Prügeleien und Schusswechsel sind überdurchschnittlich gut choreografiert und klug montiert, außerdem werden sie geschickt durch Spezialeffekte ergänzt. Wenn dann in der dritten Folge Autos und Sattelschlepper von unsichtbaren Gravitationsfeldern in die Luft geschleudert werden oder Wissenschaftler Dr. Hall (Ian Hart) in einem pechschwarzen Schwerkraft-Schlick zappelt, sind das Mattscheiben-Augenweiden, die man so nicht alle Tage zu sehen kriegt.

Wenn die „Agents of S.H.I.E.L.D.“ also auf diesen Bahnen weitermachen, ist dauerhafter Erfolg wohl gewiss: Unterhaltsam ist das alles schließlich schon jetzt – trotz der bislang eher handelsüblichen Episodenplots und trotz der erwähnten Defizite in der Figurenzeichnung. Potenzial genug ist jedenfalls da. Neben den angerissenen Mystery-Themen in der episodenübergreifenden Handlung (Auf welcher Seite steht ‚Hacktivistin‘ Skye wirklich? Was sind die wahren Gründe dafür, dass Coulson noch lebt?) liegt der größte Reiz der Veranstaltung allerdings in der Frage, ob sich die kommenden Marvel-Kinofilme (im Anmarsch: „Thor 2“, „Captain America 2“) und die ABC-Serie gegenseitig beeinflussen werden. Eine derartige cross-mediale Parallelität als work in progress hat es in dieser Größenordnung schließlich noch nie gegeben.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten drei Folgen von „Agents of S.H.I.E.L.D.“.

Meine Wertung: 3,5/​5

Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: ABC

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

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