Graceland – Review

TV-Kritik zum Crime-Drama von USA Network – von Gian-Philip Andreas

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 07.07.2013, 17:32 Uhr

Model-WG oder „Big Brother“-Bewohner? Nein, das sind Undercover-Ermittler vom „Graceland“-Strandhaus.
Eine Serie über „Graceland“, Elvis Presleys weißgetünchten Wohnsitz in Memphis, Tennessee? Wird hier nach „Nashville“ einer weiteren Musikstadt gehuldigt? Große Enttäuschung, liebe Musikfreunde! „Graceland“ ist bloß ein weiterer Undercover-Cop-Thriller, nur der Titel bezieht sich tatsächlich auf ein Haus: Es steht am Strand von Los Angeles, verfügt über imposanten Meerblick und beherbergt eine Gruppe bestens aussehender Undercover-Ermittler von drei verschiedenen Polizeidiensten – vom FBI, vom DEA (der Drogenvollzugsbehörde) und von der Grenz- und Zollbehörde.

Für den US-Kabelsender USA angekurbelt hat die Serie der Autor und Produzent Jeff Eastin, Schöpfer der Crime-Dramedy „White Collar“. Was genau er mit „Graceland“ im Sinn hatte, welches Neuland er damit betreten wollte (falls überhaupt), das will sich indes nicht erschließen: An den Krimifällen, herkömmlichen Procedurals in der Unterwelt von L. A., kann es jedenfalls nicht liegen. Vielleicht war ein erwachseneres Update von „21 Jump Street“ geplant, mit ebenso schmucken Darstellern als verdeckten Ermittlern, nur eben nicht mehr an der Highschool? Dafür spräche die technisch durchaus ambitionierte Umsetzung: Die Montage zum Beispiel ist hervorragend, ebenso rhythmisch-musikalisch wie geschmeidig, und auch die Kamera vermag dem abgenudelten Spielort Los Angeles farbenfrohe, oft ungeahnte Perspektiven abzugewinnen. Schade deshalb, dass die Figuren dagegen so blass wirken.

Dreh- und Angelfigur der Serie ist ein Grünschnabel. Mike Warren (Aaron Tveit, „Gossip Girl“) hat soeben als (was sonst?) Klassenbester die Ausbildung an der elitären FBI-Akademie in Quantico, Virginia, absolviert. Seine Hoffnung, sofort nach Washington versetzt zu werden, um dort zügig in der Hierarchie aufzusteigen, bleibt unerfüllt: Stattdessen muss er in besagtes Graceland-Penthouse am Pazifik einziehen, als Ersatz für einen just aufgeflogenen DEA-Kollegen (den, nur im einstündigen Pilotfilm, das „Rectify“-Ekel Clayne Crawford spielt).

Und seine den Main Cast stellenden Mitbewohner sind ihm zunächst nicht grün. Der Zollbehörden-Cop Jakes (Brandon Jay McLaren, „The Killing“) gefällt sich als griesgrämiger Rastafari; Johnny (Manny Montana) vom FBI ist ein stets penetrant gut gelaunter Latino, der ohne Unterlass im „Yo-Bro-Wassup“-Stil plappert, und Charlie, ebenfalls vom FBI, bringt das verruchte Element in die Cop-WG ein: Darstellerin Vanessa Ferlito („CSI: New York“) lehnt sich oft lasziv ans Mobiliar und lässt Schmollmund und Silberblick wirken. DEA-Kollegin Lauren bleibt in der Pilotepisode so blass, dass die Autoren sie schon in der dritten Episode mir nichts, dir nichts herausgeschrieben haben. Parallel wird dafür Agentin Paige (Serinda Swan, „Breakout Kings“), eingeführt, über die es wenig zu berichten gibt. Dann ist da noch Paul Briggs! Er ist das angeblich dunkle Geheimnis der Serie und fungiert in Graceland als Mentor von Mike. Wie die Kollegen mehrfach ehrfurchtsvoll betonen, ist Briggs eine Legende des Bureau, ein mit allen Wassern gewaschener Undercover-Haudegen und sowieso ein Vorbild … Daniel Sunjata, der kaum reifer wirkt als ‚Rookie‘ Mike, spielt diesen Tausendsassa mit einer schwer erträglichen, schmierlappig vor sich hergetragenen Dauer-Coolness.

Fürwahr, eine sympathische Riege ist das nicht. Und das ist für die Serie ein Problem: Denn was geht den Zuschauer die Beziehungsdynamik von Figuren an, deren gemeinsames Merkmal ihre zusammengecastete Model-Schönheit ist, die sie beim halbnackten Durchschreiten einer bemerkenswert geschmacklos mit allerlei Luxus-Dekoramsch zugerümpelten Strandvilla spazierenführen? Figuren, die sich in akribisch auf relaxt getexteten Spanglish-Dialogen abgestandene Neckereien an den Kopf werfen? Deren Relaxtheit auch dadurch bebildert wird, dass sie in jeder Folge mehrmals beim kumpeligen Flaschbiertrinken abgelichtet werden – ohne dass dies ihren fettfreien Sixpack-Silhouetten je etwas anhaben könnte? Vielleicht greift der Gewöhnungseffekt, aber: Warm wird man mit dieser Mixtur aus Model-WG und Big-Brother-Strandcontainer so schnell jedenfalls nicht.

Rookie Mike (Aaron Tveit, l.) beschattet den Kollegen und Mitbewohner Paul (Daniel Sunjata).
Problematisch ist aber auch die Hauptfigur. Mike Warren steht morgens in aller Herrgottsfrühe auf, trainiert artig mit dem Hand-Expander und hört nach dem Vollwertfrühstück beim Strandlauf seinen Spanischkursus auf dem iPod. Was für ein Langweiler! Was würden Don Draper, Walter White oder gar Dr. House dazu sagen? Der ausnehmend attraktive Aaron Tveit bewältigt den reizlosen Part mit luftiger Dressman-Smartness akzeptabel und bleibt doch unter lauter seichten Figuren die seichteste: Schlimmer als ihre Lasterlosigkeit ist der streberhafte Ehrgeiz der Figur. In den ersten Folgen wird er von Mentor Paul zu mehreren lebensgefährlichen Undercover-Aktionen (völlig wurscht, worum es sich dabei im Einzelnen handelt) mitgenommen, begeht dort jeweils einen scheinbar letalen Fehler, nur um diesen dann mit einer kühnen Trickserei ins erfolgreiche Gegenteil zu verkehren – und in der Gunst des Älteren emporzusteigen. Das wäre in seiner Vorhersehbarkeit unendlich öde, wenn die Autoren an den Schluss des Pilotfilms nicht so etwas wie eine Enthüllung gesetzt hätten – mit der wir hier den Aspekten etwas näherkommen, die aus „Graceland“ dann doch noch eine wenigstens rudimentär interessante Crime-Serie machen.

Mike nämlich ist von seinem Academy-Chef (Courtney B. Vance, als Spion nur echt mit Lederhandschuhen) auf Paul Briggs angesetzt worden, dem die FBI-Führungsetage offenbar misstraut. Mike soll also seinen WG-Kumpanen, Quasi-Vorgesetzten und Bald-schon-Buddy ausspionieren. Damit ist ein übergeordneter Handlungsbogen entworfen, der der zu Beginn schlaffen Figurendynamik nur dienlich sein kann. Mit diesem Twist, der so neu natürlich nicht ist, wird auch das eigentliche Thema dieses Undercover-Krimis deutlich: Es geht natürlich, wie auch in Genre-Hits der Marke „Donnie Brasco“ oder „Der Einsatz“ (beide mit Al Pacino), ums Vormachen, So-Tun-Als-Ob, ums Schauspielen. Die Agenten finden sich stets in Situationen wieder, in denen sie mit zurechtgelogenen Fake-Biografien agieren müssen, mal einen Dealer spielen, mal einen Süchtigen, mal einen Disco-Lover, und einmal sogar einen Schauspieler (wir sind schließlich in L. A.). Die Kernkompetenz des verdeckten Ermittlers ist nun einmal die Verstellung, und so mag der künftige Reiz dieser Serie im Ausmaß der fliegenden Identitätswechsel bestehen. Die Tatsache, dass Mike sich gleichsam als Undercover-Undercover-Agent auch vor den Kollegen verstellt, er als Schauspieler mithin auch das Schauspielen spielt, erhöht den Reiz noch: Diese Art Matrjoschka-Dramaturgie, die aus jeder Deckung eine weitere hervorzaubert, ist das Pfund, mit dem das ganze Genre wuchert.

Allerdings hapert es zu Beginn an der Glaubwürdigkeit. Die Schwerverbrecher, allesamt mit heftigem Akzent das R rrrrollende Latinos, Koreaner und Russen, nehmen Jungspund Mike nämlich hoffnungslos naiv jeden Part ab. Wie toll der Junge das macht, müssen die Kollegen stets mit Sätzen wie „You played your part like Brando, man!“ bekräftigen, damit auch hirntote Zuschauer begreifen, was für ein dolles Ding da gerade gedreht wurde – auch wenn’s gar nicht so doll war. Spätestens wenn Silberblick-Charlie mit provinzbühnendicker Augenringschminke als Fake-Junkie vom verdeckten Drogeneinsatz heimkehrt, kommt peinliche Fremdschäm-Atmosphäre auf, und selbst der wohlmeinendste Betrachter denkt dann sehnsuchtsvoll an „Breaking Bad“ und die Mutter aller Meth-Head-Folgen zurück („Peekaboo“, S02E06). Kurzum: Wenn „Graceland“ auch im weiteren Verlauf in derart albernen Bahnen verläuft, gibt’s wohl kein Full House im Schnüfflerloft.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten drei Episoden von „Graceland“.

Meine Wertung: 2,5/​5

Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: USA Network

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

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