Goliath – Review

Packende Serie über Recht und Gerechtigkeit punktet mit exzellentem Cast – von Marcus Kirzynowski

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 19.10.2016, 17:30 Uhr

Trägt „Goliath“: Billy Bob Thornton als Billy McBride
Wirklich neu ist an „Goliath“, dem neuen Anwaltsdrama der Amazon Studios, nichts. Billy Bob Thornton spielt die Hauptrolle des heruntergekommenen Rechtsbeistands Billy McBride, eines Antihelden in der langen Tradition ähnlicher Figuren, wie sie etwa Paul Newman schon 1982 in Sidney Lumets Klassiker „Das Urteil“ überzeugend verkörpert hat. McBride war mal ein großes Tier in seinem Metier, Mitgründer einer angesehenen und wirtschaftlich florierenden Kanzlei, die inzwischen Filialen in aller Welt unterhält. Eine Fehlentscheidung hat jedoch dazu geführt, dass er erst zum Alkoholiker und dann aus seiner eigenen Firma geworfen wurde. Heute schlägt er sich mit kleinen Fällen durch, empfängt seine Mandanten in einer Bar und beschäftigt eine hauptberufliche Prostituierte als Assistentin (Tania Raymonde). Aber trotz des disparaten Erscheinungsbildes schlummert in McBride noch immer ein brillanter Anwalt, der zudem nichts von seinem starken Gerechtigkeitssinn eingebüßt hat.

Seine zweite Chance sieht er gekommen, als die Anwaltskollegin Patty (Nina Arianda), ebenfalls eher ein kleines Licht ihres Berufstandes, ihn um Hilfe bittet. Ihre Klientin will einen Waffenkonzern verklagen, den sie für den Tod ihres Bruders verantwortlich macht. Der starb während seiner Arbeit auf einem Boot, bisher wurde der Tod als Suizid abgetan. Rachel glaubt das jedoch nicht und denkt, ihr Bruder sei einem illegalen Waffentest des Großkonzerns zum Opfer gefallen. Juristisch vertreten wird dieser Big Player ausgerechnet von Billys ehemaliger Kanzlei Cooperman & McBride. Bei der arbeitet immer noch jemand mit diesem Namen, nämlich seine Exgattin Michelle (Maria Bello). Man sieht, schon die Ausgangssituation bietet genügend Potential für berufliche und familiäre Konflikte, auch wenn sie zunächst etwas zu konstruiert erscheint.

Die Serienschöpfer David E. Kelley und Jonathan Shapiro sind Veteranen des Anwaltsdramas. Von „L.A. Law“ über „Ally McBeal“ bis „Boston Legal“ waren sie – einzeln oder im Team – an fast allen Serien beteiligt, die in den vergangenen 30 Jahren im US-Fernsehen das Genre vorangetrieben haben. Mit dem Achtteiler „Goliath“ haben sie nun zum ersten Mal eine Serie für einen der neuen Streaminganbieter entwickelt, abseits der klassischen TV-Networks. Und man merkt ihnen die Freude an, endlich keine Rücksicht mehr auf absurde Vorschriften der Regulierungsbehörde und Bedenken von Senderverantwortlichen hinsichtlich der Familienfreundlichkeit ihrer Serien nehmen zu müssen. Kelley und Shapiro nutzen das voll aus, treiben es teilweise vielleicht etwas zu weit, was das Fluchen der Hauptfigur oder überraschende Sexszenen angeht. Andererseits wirkt das auch erfrischend auf den Zuschauer, der in diesem Genre jahrelang mit keuschen Anwälten, die ihre Worte wohl wählen, abgespeist worden ist.

Stark überzeichnet: William Hurt als Gegenspieler Donald Cooperman

Was die beiden Autoren aber vor allem gut können, ist komplexe juristische Sachverhalte so in Dialoge packen, dass trockene Themen spannend und dramatisch rüberkommen. Außerdem lieben sie unerwartete Wendungen. Da werden Figuren aus dem Nichts von Autos überfahren und der brillante Anwalt dreht den Fall immer dann zu Gunsten seiner Mandanten, wenn er schon völlig aussichtslos erscheint. Weniger gelungen ist die Charakterisierung des großen Gegenspielers: William Hurt, der nach dem SF-Drama „Humans“ anscheinend endgültig seine Liebe für TV-Serien entdeckt hat, spielt ihn so, wie man das bisher eigentlich nur aus Superhelden- und James-Bond-Filmen kannte. Donald Cooperman, Seniorpartner der Großkanzlei, residiert im Halbdunkel seines Dachpenthouses wie eine Mischung aus Two-Face (inklusive vernarbter Gesichtshälfte) und Blofeld, überwacht seine jungen und attraktiven Mitarbeiterinnen heimlich per Kameras, wenn er ihnen nicht gerade eindeutige sexuelle Angebote macht. Das ist einfach so over the top – man rechnet jeden Moment damit, dass er gleich noch eine weiße Katze krault -, dass es die Glaubwürdigkeit der Geschichte stört.

Ganz anders Billy Bob Thornton, der nach seiner Darstellung des eiskalten Killers in der ersten „Fargo“-Staffel erneut in einer modern erzählten Serie beweist, was für ein großartiger Schauspieler er ist. Seine Figur hätte leicht ins komplette Klischee kippen können, wenn ein weniger talentierter Kollege sie verkörpert hätte. Thornton gelingt jedoch die perfekte Balance zwischen sich selbst bemitleidendem Egozentriker und mitfühlendem Interessenvertreter seiner Mandanten. Spätestens, wenn er zum leidenschaftlichen Schlussplädoyer ansetzt, muss man sagen: Hier spielt ein ganz heißer Kandidat für die nächste Emmy-Verleihung. Letztlich geht es seinem McBride und den Autoren um genau das, was der Serientitel schon ankündigt: den klassischen Kampf von David gegen Goliath, eines einzelnen aufrechten Mannes, der vermeintlich keine Chance hat, gegen den millitärisch-industriellen Komplex, vertreten durch einen übermächtigen Konzern und eine Kanzlei, die Recht eher als gut geölten Apparat betreibt denn als individuelle Leistung von Menschen. Um den am unteren Ende der sozialen Skala angekommenen McBride bildet sich hingegen ein Team, das wie eine herrliche Parodie auf klassische Anwalts-/​Ermittlergespanne aus Serien wie „Matlock“ wirkt: eine Prostituierte als nebenberufliche Anwaltsgehilfin, eine weitere, extrem übergewichtige Assistentin, ein ebenso bulliger wie tumber Leibwächter. Die Sympathien der Zuschauer sind von Anfang an klar verteilt und spätestens, wenn die Gegenpartei am Ende der zweiten Folge ihre menschenverachtende Seite offenbart, ist es schwer, sich dem Sog dieses Kampfs für Gerechtigkeit zu entziehen.

Dazu tragen auch die anderen, vor allem die weiblichen Schauspieler bei: Maria Bello („Emergency Room“, „Prime Suspect“) überzeugt als Billys Exfrau und Partnerin von dessen ehemaliger Kanzlei, die entsprechend zwischen allen Stühlen sitzt. Auch Molly Parker („Deadwood“, „House of Cards“) sieht man als eiskalter Prozessgegnerin (die dann außerhalb des Gerichtssaals doch manchmal Gefühle zeigt) gerne zu. Die Neuentdeckung der Serie ist aber sicherlich Olivia Thirlby, die als unerfahrene junge Anwältin und Mauerblümchen in die Fänge ihres diabolischen Seniorchefs Cooperman gerät. Immer wieder lässt die graue Maus aber schon in den ersten Folgen durchblitzen, dass in ihr mehr steckt, als ihr unsicheres Auftreten vermuten lässt. Etwas zu schnell macht sie danach eine Wandlung um 180 Grad durch.

Insgesamt ist Amazon mit „Goliath“ eine packende Serie über den alten Konflikt zwischen Recht haben und Recht bekommen gelungen. Erzählerisch und inszenatorisch ordnet sie sich irgendwo auf der Skala zwischen seriöser, gesellschaftskritischer Qualitätsserie und mit trashigen Situationen gespickter Unterhaltungsserie ein – und steht damit ganz in der Tradition von Kelleys früheren Serien (erinnert sich noch jemand an den Fahrstuhltod in „L.A. Law“?). Wenn man bereit ist, über einige allzu vordergründige Klischees hinwegzusehen, wird man sich dieser Geschichte nur schwer entziehen können.

Dieser Text basiert auf Sichtung der achtteiligen ersten Staffel von „Goliath“.

Meine Wertung: 4/​5

Marcus Kirzynowski
© Alle Bilder: Amazon Studios

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

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