Agent Carter – Review

Retro-Serie mit der richtigen Portion Biss – Von Gian-Philip Andreas

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 02.02.2015, 13:03 Uhr


Peggy Carter (Hayley Atwell) hat sich viel mit Männern herumzuschlagen – Freund wie Feind


Der erste „Captain America“-Kinofilm „The First Avenger“ bewies, dass sich das Prinzip Nostalgie ganz wunderbar verträgt mit dem Hollywood der 2010er Jahre, das sich bekanntlich fast nur noch darauf konzentriert, Sequels und Prequels zu Comic-Verfilmungen zu produzieren. Die im Genre sonst übliche technikverliebte Sci-Fi/​Fantasy („Thor“, „Iron Man“ und der Rest von Marvels „Avengers“) und Spandex-Action (von Bat- bis Spiderman) bekam im während des Zweiten Weltkriegs spielenden „First Avenger“ einen willkommenen Retro-Touch verpasst – obgleich die Effekte natürlich trotzdem den „State of the Art“ demonstrierten.

Nachdem der zweite „Captain America“-Kinofilm letztes Jahr wieder in der Jetztzeit spielte (in der Captain America aus dem Kälteschlaf geholt wird), reist Marvel Television mit „Agent Carter“, seiner neuen, achtteiligen Miniserie für ABC, nun direkt wieder ein paar Jahrzehnte zurück durch das hauseigene „Marvel Cinematic Universe“ (MCU), um im Nachkriegsjahr 1946 nahtlos an das Ende des ersten Kinofilms anzuknüpfen: Captain America gilt zu diesem Zeitpunkt als verstorben (sein Opfertod aus dem Film wird eingangs erneut gezeigt), seine britische Kollaborateurin und Geliebte Agent Peggy Carter (Hayley Atwell) ist trauernd zurückgeblieben. Mittlerweile ist sie bei der „Strategic Science Reserve“ angestellt – und damit Protagonistin der Serie. Womit sie zur ersten Titelheldin einer Marvel-Produktion wird – was ja auch mal Zeit wurde.

Erdacht hat sich die Serie das Autoren-Duo der beiden Kinofilme, Christopher Markus und Stephen McFeely. Mit „Agent Carter“ stopfen sie das Midseason-Loch der zweiten Staffel von „Agents of S.H.I.E.L.D.“, was, den ersten beiden Episoden nach zu urteilen, ein größeres Vergnügen als die Hauptserie werden dürfte. Und zwar nicht nur für eingefleischte Marvel-Fans (die schon durch einen viertelstündigen „Agent Carter“-Kurzfilm aus der „One-Shot“-Reihe auf die Serie vorbereitet worden sind), sondern auch für weniger Comic-affine Filmfreunde, die die liebevolle Rekonstruktion der Ästhetik von Genres wie Film Noir und Abenteuerkomödie zu schätzen wissen werden.

Mit Louis D’Esposito, dem Macher des Kurzfilms, sowie Joseph Russo, der „The Winter Soldier“ drehte, haben Markus und McFeely für die einleitenden Episoden klugerweise Regisseure verpflichtet, die sich mit der Materie bestens auskennen. Kamerachef Gabriel Beristain sorgt im Zusammenspiel mit Maske und Kostüm obendrein für einen Look, der den Filmen der „Schwarzen Serie“ aus den 1940er und 1950er Jahren verblüffend perfekt nachempfunden ist: Ein weicher Schimmer liegt auf den Bildern, die mit scharfen Kontrasten ebenso viel gleißendes Licht wie finstere Schatten auf die moralischen Uneindeutigkeiten der Nachkriegszeit werfen. Nicht das Reenactment eines historisch korrekten Zeitbilds ? la „Mad Men“ war hier das Ziel, sondern das Spiel mit bekannten Ästhetiken der Filmgeschichte, die Reproduktion künstlicher Settings.

In der Pilotepisode findet Peggy Carter ihre Aufgabe für die kommenden acht Folgen (im Erfolgsfall sind weitere Staffeln geplant): Peggys Kriegsgefährte Howard Stark, bekannt aus dem ersten „Captain America“-Film und wieder von Dominic Cooper gespielt, ist untergetaucht. Der steinreiche Wissenschaftler und Unternehmer sowie künftige Vater von „Iron Man“ Tony Stark steht im Verdacht, eine tödliche Waffe an den Feind verkauft zu haben. Stark arrangiert ein klandestines Treffen mit Peggy, beteuert seine Unschuld und bittet sie, Beweise zu finden, die ihn rehabilitieren können. Als Assistenten stellt er ihr, bevor er wieder verschwindet, seinen treuen Butler Edwin Jarvis (James D’Arcy, derzeit auch in der zweiten „Broadchurch“-Staffel dabei) an die Seite. Das führt zu prägnanten Szenenduetten: Cooper und Atwell wirken wie Wiedergänger von Clark Gable und Lauren Bacall aus einem alten Spy Movie, wohingegen die Dialoge zwischen der forschen Carter und dem trockenen Jarvis einer klassischen Screwball-Comedy entsprungen zu sein scheinen. Das funktioniert bestens – obwohl oder gerade weil sich Atwell und D’Arcy im feinsten British English beharken.

Kellnerin Angie Martinelli (Lyndsy Fonseca)
Dramaturgisch steht die Hatz auf die Bösen, die in jeder Folge zu ein bis zwei herausgehobenen Actionszenen führt, zwar klar im Vordergrund, doch der sozio-historische Hintergrund der Geschichte ist den Machern ebenso wichtig – vor allem die Rolle der Frauen im Nachkriegs-Amerika, die sich nach der Rückkehr der Männer in überwunden geglaubte Rollenbilder zurückgedrängt sahen: Peggy Carter wird bei der S. S. R. (der Vorgänger-Organisation von S. H. I. E. L. D.) trotz Agentenstatus eher wie eine Sekretärin behandelt. Dem paternalistischen Chef Roger Dooley (Shea Whigham, „Boardwalk Empire“) und den Macho-Kollegen Jack Thompson (Chad Michael Murray, „One Tree Hill“) und Ray Krzeminski (Kyle Bornheimer, „Worst Week“) steht als Kontrastfigur der kriegsversehrte Agent Daniel Sousa (Enver Gjokaj) entgegen – ein smarter Typ, der als Carters Love Interest ins Spiel gebracht wird. Auch am Beispiel der Kellnerin Angie Martinelli (Lyndsy Fonseca, „Nikita“), die eigentlich Schauspielerin werden möchte, sich vorerst aber im Diner von großkotzigen Kunden bepöbeln lassen muss, wird das Thema durchgespielt. Peggy freundet sich mit Angie an und lässt sich schließlich dazu überreden, wie diese ins „Griffith Hotel“ zu ziehen, ein Frauenwohnheim, in dem Meagen Fay („Mama wird’s schon richten“) als bärbeißige Concierge sowie Bridget Regan („Legend of the Seeker – Das Schwert der Wahrheit“) als verdächtig provinznudelige Provinznudel den Cast komplettieren.

Daneben bietet die in kleine Einzelplots aufgesplittete Verschwörungsgeschichte genügend Raum für solide Krimi-Spannung, augenzwinkernde Indiana-Jones-Action und jede Menge Travestien. So donnert sich die brünette Peggy vampmäßig auf, wenn sie in der Pilotfolge als blonde Femme Fatale in einen Jazzclub einschwebt, in dem angeblich die Formel für einen neuartigen Sprengstoff verkauft werden soll. Sie kommt ans Ziel, weil in der Schönen niemand eine Gefahr wittert: Das Unterschätztwerden, das ihr im Job so oft begegnet, macht sie sich hier gezielt zunutze. In der zweiten Episode gibt sie sich als bebrillte Lkw-Kontrolleurin mit dem Charme einer Knastwächterin aus, um einen Truck voller Sprengstoff zu finden. Hayley Atwell beweist in diesen Slapstick-Szenen große Lust am Spiel mit den Klischees, ohne dass dies je im bloßen Sketchshow-Geblödel enden würde. Den spaßigen Momenten setzt Atwell übrigens mühelos melodramatischere entgegen: Ihre darstellerische Bandbreite ist erfreulich groß.

Natürlich geht der Hauptplot – das deutet sich schnell an – nicht unbedingt ganz neue Wege. Das ist alles Standard-Comicware um Finsterlinge, Sündenböcke, Mad Scientists, ruchlose Konzerne und eine quasi-kommunistische Geheimorganisation („Leviathan“), doch der Twist, dass Agent Carter für Stark gleichsam zur Doppelagentin werden muss, ist eine clevere Prämisse. Die Actionszenen (meist Prügeleien Carters mit diversen Schergen) sind bestens choreografiert ohne auszuufern, und auch ein wenig Mystery gibt es: So suggeriert der Cliffhanger der Pilotepisode, dass Jarvis und Stark mit der Titelheldin möglicherweise ganz andere Dinge vorhaben.

Mit „Agent Carter“ wird das Marvel-Rad sicher nicht neu erfunden, doch glänzt die Miniserie mit einer liebevoll nostalgischen Selbstironie. Ein gutes Beispiel dafür ist die „Captain American Radio Show“, die in der Nachkriegszeit des Marvel Cinematic Universe die Abenteuer des (vermeintlich) verstorbenen Superhelden auf grobschlächtige Weise in naive Heldenszenen mit schlechten Dialogen übersetzte und die Frauenrollen dabei konsequent auf Dummchenniveau degradierte: „Agent Carter“ stellt die Produktion einer solchen, live gesendeten Show nach, samt pathetischer Sprecher und gelangweilt dreinblickender Effektemacher. Und im bislang schönsten Moment der Serie schneidet Regisseur Russo das Wirken dieser Effektemacher (dumpfe Schläge gegen Schinken und Gemüse!) in einer Parallelmontage gegen eine derbe Prügelszene der Titelheldin: Das ist nicht nur feministische Action der handfesten Sorte, sondern vor allem: reinster Comic. Biff! Bang! Pow!

Meine Wertung: 4/​5

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beide Episoden von „Agent Carter“.


Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: Marvel Studios

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

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