„Ironheart“: Tony Stark wäre stolz auf diese Nachwuchsingeneurin – Review

14. MCU-Serie bei Disney+ lädt Altes und Neues zur Chicago-Party mit dunklem Unterton

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 25.06.2025, 05:00 Uhr

Das Gesichtsteil in der Hand: Riri Williams (Dominique Thorne) schraubt sich den Ironheart-Anzug selbst zusammen. – Bild: Disney+
Das Gesichtsteil in der Hand: Riri Williams (Dominique Thorne) schraubt sich den Ironheart-Anzug selbst zusammen.

Das Marvel Cinematic Universe (MCU) macht den Deckel drauf auf seine fünfte Phase. An deren Ende wird den Fans eine ziemlich freudige Überraschung serviert: „Ironheart“ stellt die gleichnamige Comicfigur, die im Kinofilm „Black Panther 2: Wakanda Forever“ schon den Sidekick spielen durfte, ins Zentrum, wagt eine unerwartete Rückbindung an den Anfang des Franchises und macht nebenher hoffentlich die Hauptdarstellerin zum Star: Dominique Thorne spielt in der Titelrolle nuanciert die ganze Gefühlspalette durch. Und Sacha Baron Cohen macht auch mit.

Im Juli wird mit der Eingemeindung der „Fantastic Four“ ins MCU mal wieder ein neues Kapitel aufgeblättert: Das trotz diverser Flops in letzter Zeit unverwüstliche Comicverfilmungsfranchise geht in seine nächste Phase. Den Kehraus der aktuellen besorgt nun aber erst einmal „Ironheart“, sechs Episoden über eine Figur, die in den Marvel-Comics seit 2016 in Erscheinung tritt und nicht nur ihres Namens wegen als Variante des Franchise-Begründers Iron Man bezeichnet werden kann – nur eben weiblich, jung, of color und alles andere als reich.

Wer den zweiten „Black Panther“-Film gesehen hat, kennt die Figur bereits: Riri Williams ist eine begnadete Tech-Studentin, Erfinderin von düsentriebschem Format und Schöpferin eines Kampfanzugs, der Tony Starks Iron-Man-Suit in den Schatten stellen soll. Im Film stand sie Black Panther gegen den Unterwasserkönig Namor bei und hinterließ Eindruck: Drei Jahre später ließ Marvel-Zampano Kevin Feige nun also einen Sechsteiler um die Figur entstehen, geschrieben von der sonst als Lyrikerin und Dramatikerin wirkenden Autorin Chinaka Hodge. Es ist der typische Move von Marvel, Leute ans kreative Ruder zu setzen, die mit Blockbusterkram sonst wenig am Hut haben. Nicht immer geht das auf, hier überwiegend schon.

Die Serie setzt nach den Geschehnissen des Films ein, dessen Regisseur Ryan Coogler hier als Executive Producer mitverantwortlich zeichnet. In einer längeren Montage geht es einmal quer durchs hochambitionierte und genialische Schaffen der am renommierten MIT eingeschriebenen Studentin Riri, die ihr Abenteuer in Wakanda nüchtern als „Auslandspraktikum“ bezeichnet. Allerdings steckt sie in Geldnöten, weil sie die Bestandteile und Metalle für den von ihr geplanten Super-Anzug nicht bezahlen kann. Als auffliegt, dass sie gegen Geld für weniger begabte Studenten die Prüfungsaufgaben erledigt, wird sie exmatrikuliert.

Die Genie-Studentin und ihr Magnum opus: Riri mit dem „Ironheart“-SuitDisney+

Für die Serie ist das fantastisch, denn nun fliegt Riri in ihrem Anzugprototypen einmal quer von Massachusetts in ihre Heimatstadt – und „Ironheart“ wird zu einer entschiedenen Chicago-Serie. Die drittgrößte Stadt der USA spielt hier eine fast so große Rolle, wie sie es in „The Bear“ tut; keine geringe Leistung, wenn man bedenkt, dass überwiegend im Bundesstaat Georgia gedreht wurde. Doch die Außenszenen in der South Side von Chicago, sommerliche Kamera-Spaziergänge durch die migrantisch geprägten Stadtteile ebenso wie Drohnenflüge über die Wolkenkratzer am Ufer des Lake Michigan sorgen dafür, dass „Ironheart“ einen echten Sinn für den Handlungsort entwickelt, wie es wahrlich nicht in jeder MCU-Produktion zu besichtigen ist. Riri und ihr Love Interest Xavier (Matthew Elam) gehen zwischendurch sogar mal zu einem Gig des Chicagoer Rappers Saba. Kurzum, es fühlt sich in dieser Serie jederzeit so an, als würde es um tatsächliche Menschen in einem glaubwürdig gezeichneten großstädtischen Umfeld gehen (in dem das Wirken der Avengers & Co. aber natürlich ebenso zur Wirklichkeit gehören wie Magie und Übersinnliches). Diese „urbane“ Erdung ist nicht nur wichtig, um dem kulturellen Kontext der Schwarzen und Latinos gerecht zu werden, die in „Ironheart“ fast das komplette Kernpersonal stellen, sondern auch, um ein glaubwürdiges Fundament aufzubauen, auf dem diese Figuren dann in einen Marvel-typisch hochgerüsteten Plot geschleudert werden können.

Riri muss wieder bei ihrer Mutter Ronnie (Anji White) einziehen. Weil sie trotzdem nicht aufhören will, ihren Anzug weiterzuentwickeln, muss sie nun auf anderen Wegen an Geld kommen. Sie landet schließlich in der Verbrecherbande eines gewissen Parker Robbins, den Musical-Star Anthony Ramos („In the Heights“) mit Milchbärtchen und Langhaarfrisur so aussehen lässt wie einen Crossover-Grungerocker aus den frühen Neunzigern. Rage against the machine, das passt, hat es seine Straßenbande mit ihren Sabotage-Coups doch vor allem auf steinreiche Unternehmer abgesehen, die mit Autotunnelsystemen für Wohlhabende und proprietärer Landwirtschaft vor allem sich selbst in die Tasche wirtschaften, der Stadtgesellschaft aber nichts zurückgeben. Ganz so Robin-Hood-mäßig, wie sich das anhört, ist Robbins freilich nicht unterwegs; in den späteren Episoden wird ihm ein etwas ausgelutschter Background-Plot angedichtet, der sich um den Unternehmer Arthur (Paul Calderon aus „Bosch“) dreht und zweifellos das Schwächste ist, was sich diese Serie plotmäßig leistet. Bis es aber so weit ist, geht es erst einmal um drei zentrale Handlungslinien:

Die erste betrifft Robbins’ Gang. Die besteht aus lauter recht eindimensionalen, aber prägnant gezeichneten Profis, allesamt Misfits aus dem diversen Spektrum: die pyromanische Bombenlegerin Clown (Sonia Denis), die prügelnden „Blutsschwestern“ Roz (Shakira Barrera aus „Glow“) und Jeri (Zoe Terakes, „Ellie & Abbie“), die nonbinäre Hacker*in Slug („Drag-Race“-Star Shea Coulée), Tech-Spezi Rampage (Comedian Eric André), den Riri ersetzen soll, und Messerspezialist Cousin John (Manny Montana, „Good Girls“), den mit Riri ein von gegenseitigem Misstrauen geprägtes Verhältnis verbindet. Als der Heist beim Agrar-Entrepreneur schiefläuft, organisieren sich die Allianzen neu.

Bandenchef und magischer Kapuzenträger: Was plant Parker Robbins (Anthony Ramos) alias The Hood? Disney+

Robbins, von Ramos eingangs fast komödiantisch angelegt, entpuppt sich rasch als eigentlicher Antagonist der sechs Folgen: The Hood. Den kapuzenbewehrten Rächer befähigt sein magisches Cape dazu, sich unsichtbar machen oder Pistolenkugellaufbahnen umlenken zu können. Riri muss widerwillig gegen ihr wissenschaftlich-technologisches Weltbild anarbeiten und schließlich die Hilfe zauberkundiger Hexen (!) einholen, um sich ihm zu widersetzen.

Zweitens geht es um Riri selbst, um ihre Person und die traumatischen Erlebnisse, die sie hinter sich hat. Vor einiger Zeit nämlich, noch vor ihrem Abenteuer in Wakanda, starben ihr Stiefvater und ihre beste Freundin Natalie bei einem Drive-By-Shooting. Als Natalie dann eines Tages wieder vor Riri steht, kann die es kaum glauben, aber es ist wirklich so: In Form einer Künstlichen Intelligenz materialisiert sich Natalie (oder vielmehr N.A.T.A.L.I.E., was für „Neuro-Autonomous Technical Assistant and Laboratory Intelligence Entity“ steht) als hologrammatische Erscheinung in der realen Lebenswelt. Sie sieht so aus wie Natalie, redet wie Natalie und hat auch dieselben Marotten, wird also auch weiterhin von Lyric Ross („This Is Us“) gespielt. Später entspinnt sich an ihr, die Riri als KI-Figur fortan begleitet und auch aktiv eingreifen kann, ein interessanter Diskurs über die Nachbildung Verstorbener durch AI-Technologie: Mutter Ronnie fragt Riri, ob sie nicht auch eine neue Version ihres Partners Gary entwerfen könne, während Xavier, Natalies Bruder, erzürnt die Löschung der AI verlangt. Ganz am Ende des Sechsteilers wird die Frage, wie Riri selbst zur Wiederkehr des Vergangenen steht, sehr konkret ins Zentrum gerückt.

Auf der dritten Erzählebene geht es um Riris technische Fortschritte bei der Fortentwicklung ihres Anzugs, mithin also um ihre Ironheart-Werdung. Auf diesem Weg stolpert sie einem vermeintlichen Tech-Schwarzhändler namens Joe über den Weg, der sich nach einigen Plot-Umdrehungen als jemand ganz anderes entpuppen wird. Als wer genau, das wollen wir hier nicht verraten, gelobt sei aber Darsteller Alden Ehrenreich, bekannt als jüngerer Han Solo im Star-Wars-Franchise, der sehr viel Freude bereitet als traniger Vorstadt-Loser mit Geheimlabor unterm Getreidesilo, den das Schicksal am Ende auf einen neuen Pfad befördert. Seine wahre Identität verknüpft die Serie explizit mit dem allerersten MCU-Film, „Iron Man“ von 2008, dessen Star Robert Downey Jr. neulich im Frühstücksfernsehen des Disney-eigenen Senders ABC werbewirksam verkündete: „Iron Man loves Ironheart!“

In der Vorstadt abgestellt: Joe (Alden Ehrenreich) ist schicksalhaft mit Iron Man verbunden. Disney+

So erinnern hier also nicht nur diverse Inszenierungsstandards (das frontal gefilmte Gesicht der im Kampfanzug steckenden Schauspieler) an den Klassiker, sondern auch diverse Plot-Elemente und Riris Tony-Stark-mäßige Mischung aus scharfzüngigen Sarkasmen und einem gewissen Hang zur Hybris. Riri Williams ist keine strahlende Heldin, sondern eine komplexe junge Frau mit fataler Neigung zum krummen Weg. In der dritten Episode wird sie eine Ego-Entscheidung treffen, die sie in einen moralischen Dunkelgraubereich stößt, aus dem sie bis ins ambivalente Finale nicht mehr herausfinden wird bzw. will. Der Tonfall der Miniserie ändert sich spürbar, und wie Dominique Thorne diese Facetten herausarbeitet, ist äußerst sehenswert.

Zugegeben, nicht alles läuft rund in „Ironheart“, die Melange aus Heist Movie, Coming-of-Age-Story, Sci-Fi-Action, magischer Fantasy und Stadtporträt ist manchmal zu sehr Flickwerk, um vollends zu überzeugen. Und doch wirken diese stark gespielten, mitunter sehr witzigen, teilweise überraschend spannenden und mit einigen tatsächlich unerwarteten Twists gespickten Episoden so lebendig und unterhaltsam wie zuletzt nicht allzu viel im MCU – bis hin zur Mid-Credit-Scene ganz am Schluss, die in die Phase Sechs hineinwirken könnte und eine zweite Staffel zumindest möglich macht.

Zu diesem Zeitpunkt ist dann auch Sacha Baron Cohen bereits aufgetreten, in der Rolle einer Marvel-Figur, deren Identität wir dezent verschweigen. Man muss lange auf den „Borat“-Star warten, aber dieses Warten lohnt sich. Die beiden langen Dialogszenen nämlich, die er hat, zunächst mit Hood, dann mit Ironheart, als jovialer Dealmaker in einer Chicagoer Billigpizzeria: Sie sind von ausgesuchter Perfidie.

Dieser Text basiert auf der Sichtung aller sechs Episoden von „Ironheart“.

Meine Wertung: 3,5/​5

Die sechsteilige Serie „Ironheart“ wird bei Disney+ in Deutschland mit zwei Veröffentlichungsblöcken am 25. Juni und 2. Juli jeweils morgens um 3:01 Uhr und mit jeweils drei Episoden veröffentlicht.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kom­mu­ni­ka­tions­wis­sen­schaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

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