Welcome to the Eighties Folge 1: Postpunk und Neue Deutsche Welle
Folge 1
1. Postpunk und Neue Deutsche Welle
Folge 1 (50 Min.)
Paradox der Historie: Gerade der Slogan „No Future“ initiiert die sozial und ästhetisch wirkungsmächtigste Bewegung der 80er. Punk ist der Auslöser, und das, was sich in den frühen 80ern entfaltet, ist in den späten 70ern schon angelegt: Die alten Rocktraditionen sind vom Tisch, was jetzt kommt, ist neu! Ende der 70er Jahre entsteht in Amerika, England und Deutschland nahezu zeitgleich eine neue, unerhörte Musik. Inspiriert vom „Do it yourself“-Gedanken des Punk trauen sich weltweit immer mehr junge Leute, mit Musik und Klängen authentisch und frei von allen Tabus zu experimentieren: Geniale Dilettanten sind die Stars der Stunde. Die Spannbreite ist extrem vielfältig: Vom Noise-Rock der New Yorker No Wave-Bewegung (Sonic Youth, Lydia Lunch und andere) über die Geburt von Ska und 2Tone in England (The Specials und andere) bis zu den Anfängen der Neuen Deutschen Welle in Deutschland wird ausprobiert, was die Vorstellungskraft und die neuen, musikalischen Mittel vom Casio bis zum C64 erlauben. Die soziale Wirklichkeit hält weltweit Einzug in die Popmusik: Der wirtschaftliche Niedergang Englands spiegelt sich unter anderem in den Texten der Ska-Bands wieder. Die Specials besingen die „Ghost-Towns“ des wirtschaftlich schwer angeschlagenen englischen Nordens; The Clash thematisieren in „Guns of Brixton“ die Rassenunruhen der späten 70er in Süd-London. Erklärter Feind sind – insbesondere in Deutschland – die Hippies und Ökos. Gegen die Fusselbärtigkeit und Räucherstäbchenkultur der Spätsiebziger setzten viele Postpunks auf extreme Coolness, Neon und Künstlichkeit. „Zurück zum Beton“ hieß einer der neuen Slogans, „Eiszeit“ ein früher Song von „Ideal“. Weg von sozialdemokratischer Rockförderung, hinein in den Tabubruch: Was provoziert, ist erlaubt, sei’s
„Der Mussolini“ von D.A.F. oder das fernab aller Sinnstiftung zum bloßen Mitsingen animierende „DaDaDa“ von Trio. Man bedient sich bei Schlager und Kinderlied und will einfach noch mal ganz neu anfangen inmitten von Endzeitstimmung der drohenden, atomaren Apokalypse. Die New Waver waren dabei inhaltlich den politischen Ideen der Hippieära näher, als sie selbst es wahrscheinlich wahrnahmen. Während Punk sich noch weitgehend an bestehende Strukturen hielt – alle wichtigen Punkalben erschienen bei großen Plattenfirmen -, machte sich die nächste Generation daran, neue, unabhängige Strukturen aufzustellen. „Indie-Labels“ entstehen allerorten: In England – „Mute“ Gründer Daniel Miller zum Beispiel entdeckt 1980 Depeche Mode und DAF – genau wie in Deutschland. Hier heißen die Labels „ZickZack“ oder „Attatak“. Weg von der großen Utopie, hin zur konkreten Projektarbeit, so das Motto der Zeit. Bands wie Scritti Politti und die Einstürzenden Neubauten wohnen in den frühen 80ern in besetzten Häusern. Sie sehen es nicht ein, „Miethaien“ das Geld in den Rachen zu stopfen und sanieren selbst. Sie wandeln das, was sie erleben, in Musik um: Der Sound der Häuserschlachten in Berlin findet sich auf vielen frühen Tracks der Neubauten wieder. Und plötzlich geht es überall ganz schnell: Der neue Pop stürmt die Charts, von Fehlfarben bis Trio, von Extrabreit bis Ideal – sie alle haben einen Nerv getroffen, finden sich in Fernsehshows und Radio-Hitlisten. Doch die Neue Deutsche Welle verebbt genauso schnell, wie sie entstanden ist. Von Fräulein Menke bis Hubert Kah, von der Spider Murphy Gang bis Nena – jeder, der ein Mikro halten kann, macht plötzlich irgendwie lustige moderne Musik mit deutschen Texten. Der große Ausverkauf beginnt – der Kommerz siegt über seine Kritiker. Zumindest in Deutschland. In England hingegen wirkt der New Wave fort … (Text: arte)