„The Rain“: Packende Postapokalypse in erster Netflix-Serie aus Dänemark – Review

Junge Darsteller überzeugen im Katastrophendrama

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 03.05.2018, 17:30 Uhr

„The Rain“ – Bild: Netflix
„The Rain“

Am Anfang ist die Welt noch in Ordnung, die alltägliche Welt einer typischen Teenagerin. Simone (Alba August) trifft sich gerade mit ihren Mitschülern, für die sie ein gemeinsames Referat vorbereitet hat, und flirtet dabei zaghaft mit einem der Lernpartner. Dann stört ihr aufgeregter Vater Frederik (Lars Simonsen) die Szene und nur ein, zwei Stunden ist alles anders. Der Wissenschaftler erklärt seiner Tochter nur, dass sie sofort weg müssen, weil sie in höchster Gefahr seien. Gemeinsam mit dem Rest der Familie – Mutter Ellen (Iben Hjejle) und Simones kleinem Bruder Rasmus (Lucas Lynggaard Tønnesen) – flüchten sie im Auto aus der Stadt, während sich am Himmel bedrohliche Regenwolken zusammenziehen. Ihr Ziel ist ein Bunker im Wald, eingerichtet von Apollon, dem Unternehmen, für das der Vater arbeitet. Kurz nachdem sie ihn erreicht haben, beginnt der Regen zu fallen – und tötet jeden, der mit ihm in Berührung kommt, innerhalb von Minuten.

Nein, originell ist die erste dänische Eigenproduktion von Netflix sicher nicht. Die oben geschilderte Anfangssequenz von „The Rain“ wirkt sogar teilweise fast eins zu eins bei „Die Wolke“ abgekupfert, der deutschen Verfilmung von Gudrun Pausewangs gleichnamigem Jugendbuch-Bestseller. Daneben erinnert die Serie stark an andere postapokalyptische Filme und Serien wie „The Walking Dead“ und „28 Tage später“ mit einem Hauch von „The 100“. Wie bei letzterem stehen auch hier Teenager im Mittelpunkt der Handlung. Denn der Vater macht sich sofort wieder auf, um draußen zu helfen, die Katastrophe aufzuhalten und damit die Welt zu retten. Und auch die Mutter verschwindet schnell von der Bildfläche, taucht danach nur noch in Rückblenden auf (eine bemerkenswerte Entscheidung, dürfte Hjejle durch Filme wie „High Fidelity“ und ihre Serienhauptrolle in „Dicte“ doch das international bekannteste Ensemblemitglied sein). Übrig bleibt Simone, die jetzt alleine ihren Bruder beschützen muss.

Zwar bietet das Bunkerleben eine bequeme und sichere Existenz, aber auch die größten Vorräte gehen einmal zu Ende, wenn kein Nachschub kommt. Nach sechs Jahren, die im Zeitraffer abgehandelt werden, ist es soweit: Die Geschwister planen ihren Aufbruch. Doch vorher kommt ihnen eine andere Gruppe in die Quere: der Ex-Soldat Martin (Mikkel Boe Følsggard) und seine Begleiter. Der Anführer wirkt zunächst sehr bedrohlich, will Simone und Rasmus ohne Essen zurücklassen, entpuppt sich aber schon im Laufe der zweiten Folge als wesentlich ambivalentere Figur. Unter anderem durch Rückblenden, die sich nun Martins Erlebnissen an den ersten Tagen unmittelbar nach der Apokalypse widmen. Eine menschliche Entscheidung hatte damals tragische Folgen, was Martins Verhalten nachhaltig geprägt hat.

Das entvölkerte Kopenhagen in „The Rain“
In Episode drei kommt die Gruppe in Kopenhagen an und spätestens jetzt zeigt sich, wer die wahre Gefahr darstellt: Wie schon in „The Walking Dead“ kommt die größte Bedrohung nicht von außen (dort Zombies, hier Regen), sondern von den Resten der aufgelösten Gesellschaft selbst. Trifft man auf andere Überlebende, kann man nie sicher sein, ob die sich noch zivilisiert verhalten werden oder längst zu Raubtieren degeneriert sind, die für einen Happen Essen alles tun würden. Aber natürlich gibt es auch Hoffnung: Solidarität innerhalb der Gruppe junger Leute, romantische Anwandlungen gar – das Leben geht eben irgendwie doch immer weiter. Neben diesen dramatischen und sozialen Aspekten gibt es auch noch ein in den ersten Folgen allerdings nur angedeutetes Mystery-Element: Anscheinend ist Vater Frederik selbst nicht unschuldig am Ausbruch des durch Regen übertragenen Virus. Und Rasmus, der als kleiner Junge schon einmal schwer krank ums Überleben kämpfte, könnte der Schlüssel zur Rettung sein – auf welche Weise, bleibt noch unklar.

Was sich jetzt nach einem reichlich generischen Genremix anhören mag, funktioniert in der Praxis ziemlich gut. „The Rain“ will nie mehr sein als eine packende Unterhaltungsserie und das gelingt ihr auch. Die Actionszenen sind spannend inszeniert, die Konflikte und moralischen Dilemmata interessant; spätestens ab der Hälfte der Auftaktfolge möchte man immer wissen, wie es weitergeht. Einige kleinere und größere Logiklücken (trocknet der Regen in Kopenhagen eigentlich innerhalb von Sekunden?) trüben den Spaß nur unwesentlich. Handwerklich gibt es – wie von einer dänischen Produktion nicht anders zu erwarten – ohnehin nichts zu meckern: Die ganz jungen Schauspieler (Alba August könnte man hierzulande immerhin schon aus der ZDFneo-Serie „Countdown Copenhagen“ oder dem schwedischen „Jordskott“ kennen) überzeugen ebenso wie der schon etabliertere Mikkel Bos Følsgaard (der jüngere Bruder aus „Die Erbschaft“, aber auch im oscarnominierten Antikriegsfilm „Unter dem Sand – Das Versprechen der Freiheit“ zu sehen). Die Special Effects halten sich in Grenzen, aber Bildgestaltung und Inszenierung lassen keine Unterschiede zu einer US-Produktion erkennen. Schaut man nicht gerade die untertitelte Originalfassung, erinnern lediglich hin und wieder eingestreute dänische Popsongs an das Herkunftsland der Serie. „The Rain“ setzt damit den Weg fort, den Netflix auch bereits mit seiner deutschen Serie „Dark“ eingeschlagen hat: lokale Produktionen für ein internationales Publikum, die von Thema und Machart absolut anschlussfähig an die bekannten seriellen Erzählungen aus Hollywood sind.
Die Weggefährten in „The Rain“: Jessica Dinnage, Alba August, Lucas Lynggard Tønnesen, Mikkel Boe Følsgaard, Sonny Lindberg, Lukas Løkken und Angela Bundalovic
Bemerkenswert ist dabei erneut, dass Netflix nicht auf die typischen Genres setzt, die man von den jeweiligen Serienländern gewohnt ist. Nach der deutschen Sci-Fi-Mysteryserie „Dark“ nun also aus Dänemark kein Krimi und kein Scandi Noir, sondern postapokalyptisches Coming-of-Age-Drama mit Horrorelementen. Den Sog des wesentlich komplexeren und auch originelleren deutschen Vorgängers erreicht „The Rain“ zwar nicht, aber die Dänen beweisen einmal mehr, dass sie das Serienhandwerk einfach verstehen.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten drei Episoden der Serie „The Rain“.

Meine Wertung: 3,5/​5


Marcus Kirzynowski
© Alle Bilder: Netflix


Netflix veröffentlicht die Serie „The Rain“ am 4. Mai 2018 weltweit.

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

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