„Sharp Objects“: Amy Adams brilliert in düster-schwermütiger Bestselleradaption – Review

HBOs Southern-Gothic-Miniserie schlägt enorm langsames Tempo an

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 23.07.2018, 17:30 Uhr

Reporterin Camille Preaker (Amy Adams) kehrt in die Trostlosigkeit ihrer Heimatstadt zurück – Bild: HBO
Reporterin Camille Preaker (Amy Adams) kehrt in die Trostlosigkeit ihrer Heimatstadt zurück

Wind Gap, Missouri, ist eine jener typischen Kleinstädte im amerikanischen Mittleren Westen, wie man sie aus unzähligen US-Filmen und -Serien kennt: Selbst mitten am hellichten Tage ist die von stattlichen ehemaligen Herrenhäusern und weniger schmucken kleinen Läden gesäumte Hauptstraße menschenleer – wobei man nicht recht weiß, ob das an der drückenden Hitze des Hochsommers liegt oder mehr am wirtschaftlichen Niedergang der Region. Der die Einwohner aber nicht davon abhält, vor fast jedem Haus die US-Flagge zu hissen, wobei es für Ausländer schwer nachzuvollziehen ist, auf was sich dieser Stolz eigentlich bezieht. Die deprimierende Atmosphäre des Orts tropft fast aus den Bildern der Kameramänner Yves Bélanger („Brooklyn – Eine Liebe zwischen zwei Welten“) und Ronald Plante. Man versteht jedenfalls intuitiv, dass nur ungern hierhin zurückkehrt, wer es einmal geschafft hat, wegzukommen.

Genau dazu, zur Rückkehr in ihre Heimatstadt, ist die junge Journalistin Camille Preaker (Amy Adams) in der HBO-Miniserie „Sharp Objects“ auf Wunsch ihres Chefredakteurs gezwungen. Sie arbeitet für eine Zeitung in St. Louis und hat seit Kurzem einen Aufenthalt in einer psychiatrischen Klinik hinter sich. In Wind Gap ist gerade zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit ein junges Mädchen verschwunden, nachdem das erste ermordet aufgefunden wurde – und Camilles Chef hält das für eine gute Gelegenheit für sie, durch Recherchen auf vertrautem Gebiet wieder auf die Füße zu kommen. Camille selbst sieht das freilich anders, beugt sich aber widerwillig. Nach ihrer Ankunft wird schnell klar, warum sie so zögerte: Ihre Mutter Adora (Patricia Clarkson, „Six Feet Under“) ist eine verblichene Südstaatendiva vom Typ Blanche DuBois aus „Endstation Sehnsucht“, die überbesorgt Camilles jugendliche Halbschwester Amma (Eliza Scanlen) betüdelt und den traumatischen Riss in der Familiengeschichte eisern beschweigt: den frühen Tod von Camilles anderer Schwester, den erstere als Teenagerin hautnah miterlebt hat. Die Atmosphäre in ihrem Elternhaus, in dem neben Mutter und Halbschwester auch noch der schweigsame Stiefvater Alan (Henry Czerny, „Revenge“) lebt, ist noch erdrückender als die im Rest der Stadt.

Camilles Mutter Adora (Patricia Clarkson) in „Sharp Objects“

Eine Feel-Good-Serie ist „Sharp Objects“ wirklich nicht, eher das Gegenteil. Schleppend langsam bewegt sich die Reporterin durch ihren Geburtsort, immer mit einem Schnapsfläschchen in Griffweite, da auch sie das Trauma aus ihrer Jugend nie überwunden hat. Genauso langsam ist auch das Erzähltempo der Adaption des Debütromans von Bestsellerautorin Gillian Flynn (deutscher Titel: „Cry Baby – Scharfe Schnitte“). Das ist für eine HBO-Serie nichts Ungewöhnliches, aber verglichen mit diesem Schneckentempo war etwa die erste Staffel von „True Detective“ fast eine Actionserie. Entsprechend ist Amy Adams’ Reporterin ein Gegenentwurf zu ihrer Rolle der toughen Lois Lane in den DC-Filmen von Zack Snyder (beginnend mit „Man of Steel“): Journalistischer Ehrgeiz fehlt Camille fast völlig, Neugier im Grunde auch, wegen ihrer Alkoholsucht muss sie sich zudem jedesmal körperlich überwinden, überhaupt irgendwelche Recherchen anzustellen, statt einfach an der nächsten Bar zu versacken. Wie Adams das spielt, den Ekel über diese Welt, aus der Camille selbst stammt, und über die Heuchelei der Menschen dort, ihre Lethargie immer wieder durchbrochen von kurzen Momenten des Widerstands – das ist schon ziemlich toll.

Die Verbrechen selbst bleiben zumindest während der beiden Auftaktfolgen im Hintergrund. Sie geben zwar die Stimmung vor und schweben als allgegenwärtige Bedrohung über dem Städtchen, in dem kein Elternteil sich mehr traut, seine Kinder alleine nach draußen zu lassen. Aber ein Whodunnit im eigentlichen Sinn mit Verdächtigen und Spurensuche wird nur in Ansätzen erzählt. Dafür ist dann eher der aus Kansas City angereiste Detective Willis (Chris Messina, „The Mindy Project“) zuständig, der nicht davor zurückschreckt, auch mal an einem Schweinekopf vom Metzger im Motelzimmer nachzuvollziehen, wie schwer es ist, einem Opfer per Hand die Zähne zu ziehen. Wichtiger ist die schrittweise Enthüllung der Ereignisse, die damals zum Tod von Camilles Schwester geführt haben. Dazu gibt es aber nur ganz kurze Flashbacks. Man muss also sehr viel Geduld mitbringen, wenn man bis zur Auflösung der Rätsel durchhalten will, die es wahrscheinlich erst nach acht Stunden gibt.

Der aus Kansas City angereiste Detective Willis (Chris Messina)
Diese Grundsatzentscheidung, den Roman nicht als Kinofilm zu adaptieren wie Gillian Flynns wohl bekanntestes Buch „Gone Girl“, ist vielleicht die Crux des Ganzen. Muss man wirklich einen Roman, bei dem Atmosphäre wichtiger zu sein scheint als Handlung, als so lange Miniserie verfilmen? David Finchers knapp 2 1/​2-stündiger Kinofilm mit Ben Affleck war jedenfalls wesentlich kurzweiliger. Dabei schafft es die von Showrunnerin Marti Noxon („Dietland“) geschriebene Auftaktepisode mit ihrer Überlänge von gut einer Stunde durchaus noch, das Interesse an der Geschichte und vor allem den Figuren zu wecken. Trotz der schwermütigen Stimmung möchte man danach dringend wissen, wie es weitergeht. Dieser Drang legt sich im Laufe der noch langsameren zweiten Folge, die Flynn selbst verfasst hat, aber zunehmend. Vielleicht liegt das auch an der Inszenierung des mit „Dallas Buyers Club“ und der HBO-Miniserie „Big Little Lies“ zum Starregisseur aufgestiegenen Jean-Marc Vallée. Der hätte nach Aussagen von Noxon am liebsten noch stärker über Bilder erzählt und Dialoge weggelassen. Zum Glück konnten sich in diesem Punkt die ProduzentInnen durchsetzen, sonst wäre es eher eine noch quälendere Angelegenheit geworden.

Was bleibt, ist eine Miniserie, in der sich mit Amy Adams ein weiterer Kinostar zu Recht auf die Nominierungslisten der wichtigsten TV-Preise gespielt haben dürfte, der aber trotz aller handwerklichen Qualitäten etwas Entscheidendes fehlt: ein packender Ansatz, der sie von den zahlreichen vorhergegangenen düster-schwermütigen Southern-Gothic-Storys abhebt.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten beiden Episoden der Miniserie „Sharp Objects“.

Meine Wertung: 3,5/​5


Marcus Kirzynowski
© Alle Bilder: HBO


Die achtteilige Miniserie „Sharp Objects“ feiert aktuell ihre Weltpremiere bei HBO. Parallel sind die Folgen im englischen Originalton bei den Digitalangeboten von Sky in Deutschland abrufbar. Die Fernsehpremiere bei Sky Atlantic HD erfolgt ab dem 30. August.

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

Kommentare zu dieser Newsmeldung

    weitere Meldungen