„Queen of Drags“: Von zehn Männern, die Frauenkleider anzogen, um Toleranz zu lehren – Review

Auf den Spuren von „RuPaul’s Drag Race“ beschreitet ProSieben eigene Wege

Gregor Löcher
Rezension von Gregor Löcher – 14.11.2019, 09:00 Uhr

Jury und Kandidatinnen von „Queen of Drags“ – Bild: ProSieben/Martin Ehleben
Jury und Kandidatinnen von „Queen of Drags“

Ab diesem Donnerstag (14. November) zeigt ProSieben die nächsten sechs Wochen zur Primetime das neue Reality-Format „Queen of Drags“. Nicht weniger als die beste Dragqueen soll in Deutschland gesucht und gefunden werden – und durch die im Vorfeld nicht unumstrittene Besetzung der Jury mit Heidi Klum kommt schnell die Frage auf, ob sich die Zuschauer auf eine Art „Germany’s Next Topdragqueen“ einstellen müssen, oder ob bei „Queen of Drags“ andere Akzente gesetzt werden – namentlich die vom Sender selbst auf die Fahnen geschriebene Aufklärung über Drag als Kunstform und das damit einhergehende Werben um Toleranz für Männer, die abweichend von gesellschaftlichen Normen Frauenkleider anziehen und sich darin präsentieren. Und wie unterhaltsam das Ganze letztendlich ist für das – hinsichtlich des prominenten Sendeplatzes definitiv anvisierte – Mainstreampublikum, das größtenteils bisher nicht allzu viele Berührungspunkte mit dem Themengebiet gehabt haben wird.

In „Queen of Drags“ wohnen zehn vorausgewählte Dragqueens zusammen in einem großen Haus und erhalten jede Woche die Aufgabe, eine Performance zu einem bestimmten Thema („Universum“, „Fairytale“) vorzubereiten. Es wird geprobt, einstudiert, gesungen, getanzt, frisiert und auftoupiert, dann folgt der Auftritt vor dem Publikum und einer vierköfigen Jury: Heidi Klum („Germany’s Next Topmodel“), Conchita (früher bekannt als „Conchita Wurst“, „ESC“-Gewinnerin für Österreich im Jahr 2014), Bill Kaulitz (Frontmann der Band Tokio Hotel, ehemaliger Juror bei „DSDS“), sowie dem jeweiligen Gastjuror der Woche – in der Auftaktfolge Olivia Jones („Dschungelcamp“-Teilnehmerin 2013). Die Juroren beurteilen die Auftritte dann nach verschiedenen Aspekten, und am Ende der Folge fliegt die Künstlerin mit der schlechtesten Gesamtwertung aus der Sendung – bis im Staffelfinale die Gewinnerin, die „Queen of Drags“, gekürt werden kann. Der Siegerin winken unter anderem ein Magazin-Cover-Shooting, eine Reise nach New York und 100.000 € Preisgeld.

Der rote Teppich
Zum offiziellen Screening in Berlin ließen sich die „QoD“-Mitwirkenden persönlich blicken. Den Anfang machte Conchita …
 … gefolgt von Yoncé Banks. Ihre erste Performance kam bei der Jury besonders gut an …
 … im Gegensatz zu der von Candy Crash. Bemängelt wurde die fehlende Mimik.
Vava Vilde kam wohl gerade von einem Auftritt im Berliner Friedrichstadt-Palast zum Screening.
Aria Adams erschien in blond …
 … und Samantha Gold ganz in rosa.
Teuflisch glamourös (und heimlicher Favorit der Redaktion): Bambi Mercury.
Ein etwas unglücklicher Start in der Auftaktsendung: Janisha Jones.
Hat die Sympathien auf ihrer Seite: Catherrine Leclery.
Na logo! Hayden Kryze.
Mit Boyfriend beim Screening: Katy Bähm.

Das Konzept erinnert zweifellos an das amerikanische Vorbild „RuPaul’s Drag Race“ (in Deutschland über Netflix streambar), welches in den USA bereits seit 2009 auf Sendung ist und sich nach wie vor großer Beliebtheit und Präsenz in den sozialen Medien erfreut (letztes Jahr kam man bei Twitter an „Miss Vanjie“ kaum vorbei). Auch dort müssen sich die teilnehmenden Dragqueens wöchentlich beweisen, um in der Sendung zu bleiben; Ziel ist aber nicht unbedingt eine Performance, sondern lediglich eine Präsentation der Aufmachung. Wer weiterkommt, entscheidet RuPaul allein – die anderen Juroren haben nur eine beratende Funktion. Der Unterschied zur deutschen Version liegt aber vor allem in der Adressierung der Zuschauer – denn während man sich beim Ansehen des Originals aufgrund der vielen Selbstreferenzen der Dragszene und des spezifischen Vokabulars schnell als Außenstehender fühlen kann („sashay away“, „shantay you stay“ – what?!), richten sich in der deutschen Variante Teilnehmer und Juroren in zwischengeschnittenen Interviewsequenzen explizit an das noch unwissende Fernsehpublikum, um Hintergründe der Travestie näher zu beleuchten. Hier wird der aufklärerische Charakter der Sendung deutlich, der ProSieben laut eigener Aussage ein empfindliches Anliegen ist. Was bewegt einen Mann dazu, sich Frauenkleider anzuziehen, und damit aufzutreten? Wie reagierte das Umfeld auf das „Outing“, wie steht es mit Unterstützung in der Familie und in der Partnerschaft?

Die hier aufgeworfenen Thematiken erinnern an den Auftakt des vor kurzem ebenfalls neu gestarteten „Prince Charming“, das sich gleichermaßen anschickt, einen Teilaspekt der LGBTQ+-Community zu beleuchten. Während aber die „ernsteren“ Themen in letztgenannter Sendung zugunsten von leichtbekleideten Tanzeinlagen auf einem Boot mit Prosecco möglichst kurz gehalten werden, um ja nicht zu viel Tiefgang zu riskieren, funktioniert die emotionale und persönliche Komponente der Protagonistinnen in „Queen of Drags“ überraschend gut und trifft oftmals direkt ins Herz. In Kontrast dazu wirken die kurzen „Zickenkrieg“-Einlagen, die bei so einem Format wahrscheinlich nicht fehlen dürfen, fast schon unnötig. Zum größten Krach kommt es wegen einer Handvoll Glitter – ein paar Klischees werden also dann doch bedient. Überwiegend scheint die Produktion aber die Message eines toleranten und respektvollen Umgangs miteinander verbreiten zu wollen. Das überrascht angesichts des sensiblen Themenbereichs nicht – zu groß ist die Gefahr, sich negativen Schlagzeilen auszusetzen, sollte der Eindruck entstehen, dass die Teilnehmerinnen „für die Quote“ der Lächerlichkeit preisgegeben werden.

Einen Vorgeschmack dessen erlebte man im Vorfeld vor allem aufgrund der Personalie Klum – LGBTQ+-Aktivisten bemängelten, dass sie keine Berührungspunkte mit der Dragkultur habe und daher in einer Jury nichts zu suchen habe, die die Performance von Dragqueens bewerten soll. Sieht man sich das Vorbild „Drag Race“ an, in dem die Dragqueen schlechthin, RuPaul, über ihre potentiellen Nachfolgerinnen urteilt, ist die Kritik an Klum nicht von der Hand zu weisen. Jedoch bedient sich auch die US-Variante zumindest als Gastjuroren an Prominenten wie zum Beispiel Miley Cyrus, die auf den ersten Blick auch nicht unbedingt etwas mit Travestie zu tun haben. Und wenn man ProSieben den aufklärerischen Aspekt abnimmt, den die Sendung haben soll, dann ist die Inklusion von Klum bestimmt nicht das schlechteste Mittel, um einen möglichst großen – zumindest potentiellen – Publikumskreis zu erreichen. Letztere gibt sich in der Sendung dann auch betont neugierig und „unerfahren“, und lässt sich von den Teilnehmerinnen dieses und jenes aus der Dragszene erklären – als Identifikationsfigur derjenigen Zuschauer, die abgeholt werden sollen. Mit Conchita gibt es auf der anderen Seite ein Jurymitglied, dem wohl niemand die Expertise im Dragbereich allgemein und als Botschafterin von Toleranz im Besonderen absprechen will – setzte ihr Sieg beim ESC 2014 doch ein eindrucksvolles Zeichen für sexuelle Vielfalt gegen die vorher in Russland eingeführte anti-homosexuelle Gesetzgebung. Damit einhergehend positiv fällt dann auch ins Gewicht, dass als Gastjurorin der ersten Sendung Olivia Jones als Deutschlands wohl bekannteste Dragqueen ausgewählt wurde. Ihre Bewertungen der Performances wirken am fundiertesten – und weniger um Korrektheit bemüht als die ihrer Kollegen: „Kitzler wie ’ne Bratwurst“. In dieser Hinsicht ist es schade, dass sie nicht als festes Jurymitglied engagiert wurde.

Die „QoD“-Jury wartet an einer Haltestelle in Berlin auf die Tram.

Über den Sinn des für Deutschland gewählten Titels „Queen of Drags“ kann man streiten. Man wollte die Sendung wohl nicht einfach „Dragqueens“ nennen, und Varianten à „Deutschland sucht die Superdragqueen“ waren wohl auch nicht drin – wenn man die in der Sendung genannte Definition „Dressed as (a) girl“ als Akronym von „Drag“ akzeptiert, hieße die Sendung also „Queen of dressed as girls“ – ahja. Weniger streitbar (sondern eindeutig daneben) ist das Plakat, mit dem ProSieben für die Sendung wirbt. Eine übergroße nach vorne gebückte Heidi Klum in Netzstrumpfhosen wird von ihrem Schwager Bill Kaulitz durch einen beherzten Griff ihres Oberschenkels am Umfallen gehindert, Conchitas Wallemähne verdeckt das ansonsten leidlich verhüllte Hinterteil – aus der Kategorie what were they thinking?! Abgesehen von der Sinnfreiheit des Motivs (welches im Netz für viel Häme gesorgt hat) hat es auch absolut nichts mit Travestie zu tun – hier überwog wohl abermals der Wunsch, mit Hilfe des Bekanntheitsgrades der Jurymitglieder die Zuschauer zum Einschalten zu bewegen (ohne dass diese notwendigerweise verstehen sollen, worum es geht).

Diese Unsicherheiten zeigen die Schwierigkeit der Gratwanderung, der sicherlich alle Beteiligten bei der Umsetzung des Projekts ausgesetzt waren. Das Aufbereiten eines relativen Nischenthemas für den Mainstream einerseits unter Beibehaltung dessen Authentizität andererseits, die Wahrung der finanziellen Interessen (eines Privatsenders) in Abgrenzung zum Vorwurf der kulturellen Aneignung – es wird nicht ganz ohne Kompromisse gegangen sein. Wer die erste Ausgabe von „Queen of Drags“ gesehen hat, wird aber vielleicht zu der Meinung kommen, dass die negative Presse im Vorfeld doch etwas voreilig war. Die Teilnehmerinnen halten ihr Narrativ weitgehend selbst in der Hand, sogar geweint wird eher mit als vor der Kamera – vorgeführt wird hier niemand.

Meine Wertung: 3,5/​5

© Alle Bilder vom Screening in Berlin: fernsehserien.de

„Queen of Drags“ ist eine Produktion der Redseven Entertainment GmbH und ab dem 14. November sechs Wochen lang donnerstags um 20:15 Uhr auf ProSieben zu sehen.

Über den Autor

Gregor Löcher wurde in den späten 70er-Jahren in Nürnberg geboren und entdeckte seine Leidenschaft für Fernsehserien aller Art in den 80er-Jahren, dem Jahrzehnt der Primetime-Soaps wie dem Denver Clan und Falcon Crest, was ihn prägte. Seitdem sind Faibles für viele weitere Serien und Seriengenres hinzugekommen, namentlich das der Comedyserie. Seit 2008 ist er als Webentwickler für fernsehserien.de tätig und hat zum Glück nach wie vor die Zeit, sich die eine oder andere Serie anzusehen.

Lieblingsserien: UFOs, Die Brücke, Will & Grace

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    Bei aller Toleranz und Akzeptanz ist mir persönlich das Getue der Protagonisten doch ein wenig zu dicke.Auch Frau Wurst gibt sich einfach zu tuntig.
    Das sich Frau Klum selbst in diesem Metier produzieren muss, na darüber braucht man schon garnicht mehr zu reden.
    • (geb. 1987) am

      "Do you realy want to hurt me"-Quark und öde hoch drei.
      Es wird suggeriert, dass ENDLICH einer mal gegen Hass und Hetze aufstehen und "den mit Steinen Beworfenen und Verspotteten" eine Stimme geben MUSS.
      Dabei sind Queerthemen in fast jeder zweiten Format vorhanden. Vom Tatort bis zu HBO Serien wird erwachsenenpädagogisch diktiert, was der Michel GEGFÄLLIGST für normal halten SOLL!
      Und wenn den Machern "die Sache" schnurzpiepegal ist, wird mit Schuldkult wenigstens Quote generiert.
      Aber was solls. Seit "Charlies Tante" und dem "Käfig voller Narren" haben einige Männer einen unheimlichen Spaß daran, sich als Frauen zu verkleiden und sich wie Vollidioten zu artikulieren...
      Im Westen nix Neues.
      • am

        was war das denn für ein Quatsch?? Meine Frau und ich haben uns auf einen schönen Abend mit guten Sängern gefreut und dann Das! Erst passiert 1,5 Stunden NIX und dann sehen wir völlig verdutzt eine Mini Playback Show für Erwachsene.
        Extrem tuckiges Verhalten von Tom Kaulitz und C. Wurst.

        weitere Meldungen