„Lovecraft Country“: Schockierendes Rassismusdrama verschwindet in Splatter-Blockbuster – Review

Aufwändiges ‚period piece‘ nach Motiven des Kultautors wirkt unausgegoren

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 16.08.2020, 18:28 Uhr

„Lovecraft Country“ – Bild: HBO. All Rights Reserved.
„Lovecraft Country“

Es beginnt mit einer Sequenz wie aus einem B-Picture der 1950er Jahre: Ein afro-amerikanischer Soldat sitzt im Schützengraben fest, während feindliche Bomber ihre tödliche Last abwerfen. Als er aus der Deckung kommt, sieht man, dass die Angreifer in fliegenden Untertassen sitzen, und bald taucht ein gewaltiges Monster auf. Das Setting ist nicht etwa einer der Weltkriege, sondern der Mars, und das Ganze stammt aus dem Pulp-Klassiker „John Carter vom Mars“, den der Science-Fiction-Fan Atticus „Tic“ Black (Jonathan Majors) auf einer Fahrt im Überlandbus liest.

Damit sind wir in der Gegenwart der Serienhandlung von „Lovecraft Country“ angekommen, in den USA der 50er Jahre, und nach dem fulminanten, Special-Effects-gespickten Auftakt entfaltet sich nun zunächst eine realistisch anmutende Geschichte. Und das auf für den Premiumsender HBO typische, langsame Weise. Der ebenfalls afro-amerikanische Ex-Soldat Atticus kehrt aus seinem Korea-Einsatz nach Chicago zurück, wo seine Familie lebt. Bereits auf der Fahrt durchs ländliche Amerika werden wir Zeugen der Begleiterscheinungen der damals vorherrschenden Rassentrennung wie getrennter Sitzreihen für Schwarze und Weiße. Die Southside von Chicago ist hingegen ein sogenanntes Schwarzenviertel, in dem die afrikanischstämmigen Einwohner weitgehend unter sich sind. Mit großer Ausstattung schwelgt Regisseur Yann Demange („Dead Set“) in der lebendigen Atmosphäre eines Sommers in der Großstadt inklusive spontaner Tanzpartys auf der Straße und aufgedrehter Hydranten.

Doch die Idylle hält nicht lange an, denn Tics Vater ist spurlos verschwunden. Sein letzter Brief deutet zumindest darauf hin, dass er sich in einem Ort namens Ardham aufhalten könnte (vielleicht auch Arkham wie der Verlag seines Lieblingsbuchs von Horrorautor H.P. Lovecraft, dazu ist seine Handschrift zu undeutlich). Gemeinsam mit seinem Onkel George (Courtney B. Vance, „The People vs O.J. Simpson“) und der attraktiven Letitia „Leti“ Dandridge (Jurnee Smollett) begibt er sich auf die Reise quer durchs Land, um seinen Vater in dem Örtchen zu suchen, das kaum auf der Landkarte zu finden ist. Doch die Drei müssen bald hautnah erleben, dass es für alleinreisende Schwarze im Mittleren Westen leider nicht so ungefährlich ist wie in einer Metropole an der Ostküste. Was den Helden zunächst an Gewalt seitens der weißen Bevölkerung widerfährt, ist aus heutiger Sicht unglaublich, dürfte aber weitgehend der historischen Realität entsprechen. Aus der einen Stadt werden sie vom aufgebrachten Mob inklusive der Feuerwehr unter Gewehrschusshagel verjagt, in einem anderen Landkreis von einem rassistischen Sheriff tyrannisiert. Nachdem sie nur knapp ihre Haut retten konnten, aber wieder einem Mob in die Hände fallen, kippt die Handlung unerwartet in eine gänzlich andere Richtung.

Sucht seinen Vater: Atticus Freeman (Jonathan Majors). HBO

Haben wir zwei Drittel der Laufzeit der Pilotfolge ein realistisch wirkendes Rassismusdrama in der Optik eines period piece gesehen, befinden wir uns urplötzlich in einem Splatterhorror-Film mit vampirartigen Monstern (die sich animationstechnisch so bewegen wie der „Hulk“ in Ang Lees Filmversion von 2003). Der Bruch von einem Genre zum anderen ist so hart, wie man es seit „From Dusk Till Dawn“ nicht mehr gesehen hat. Am Ende kommen die Helden tatsächlich noch in Ardham an und dort wird dann in Folge 2 alles noch viel schräger. Bis dahin haben wir eine Auftaktepisode gesehen, die trotz Überlänge von fast 70 Minuten extrem vollgestopft wirkt. Trotzdem sind gerade die Rassismusdrama-Teile der Geschichte ebenso spannend wie schockierend inszeniert. Davon ist in der zweiten Folge allerdings kaum noch etwas zu sehen. Stattdessen tischt uns Drehbuchautorin und Showrunnerin Misha Green („Underground“) hier ein Mystery-Horror-Mischmasch mit Geheimlogen und halluzinatorischen Albträumen auf, das unglaublich wirr wirkt – von Subtilität keine Spur mehr.

Wurde durch HBO und die Rolle als Omar Little in „The Wire“ bekannt: Michael Kenneth Williams. HBO

Einer der Executive Producers der Serie neben Green und J.J. Abrams ist Jordan Peele, der mit Filmen wie „Get Out“ und „Wir“ bekannt wurde, die ebenfalls bereits das Thema Rassismus mit Horrorsettings verbanden. Das ist wohl auch der Anspruch seiner Serienidee, was hier allerdings nur mäßig funktioniert. Eher wird der gefährliche Rassismus relativiert, wenn sich schließlich die „echten“ Monster als doch noch gefährlicher herausstellen als die „menschlichen“. In gewisser Weise ist das Konzept auch symptomatisch für die Entwicklung von HBO: In früheren Zeiten hätte der Sender das aktuell mal wieder extrem virulente Thema vielleicht einfach als realistische Dramaserie wie „The Wire“ umgesetzt, nach dem unfassbaren Erfolg von „Game of Thrones“ setzt der Branchenprimus aber verstärkt auf Fantasy- und ähnliche Genrestoffe. Von „Nacht der lebenden Toten“ bis „The Walking Dead“ werden viele Einflüsse deutlich – auch jenseits von H.P. Lovecraft, dessen düsteren Erzählungen natürlich viele Motive entnommen sind. In Folge 2 artet das Ganze aber schon in ziemlichen Humbug aus.

Was schade ist, hat die Serie doch überzeugende SchauspielerInnen – neben Majors, Vance und Smollett ist vor allem noch Michael Kenneth Williams (Omar Little in „The Wire“) zu nennen, der Atticus’ Vater verkörpert – und hohe Schauwerte. Alles sieht extrem teuer aus, ist dann aber letztlich auch inhaltlich doch mehr Blockbusterkino als die Art anspruchsvollen seriellen Erzählens, für die die Marke HBO eigentlich steht.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden der Serie „Lovecraft Country“.

Meine Wertung: 3/​5

Die zunächst zehnteilige Serie „Lovecraft Country“ wird ab heute (16. August 2020) bei HBO ausgestrahlt und steht dann auch immer im Originalton bei Sky Ticket, Sky Go und Sky Q zum Abruf bereit. Die lineare Ausstrahlung bei Sky Atlantic (inklusive deutscher Synchronfassung) erfolgt ab dem 13. November 2020.

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    Ich kann einfach nicht nachvollziehen wie man eine Kritik über eine Serie veröffentlichen kann wenn man gerademal 2 von 10 Folgen gesehen hat. Diese Serie ist nicht einfach ein Rassismusdrama und sie verkommt auch nicht zu einem Splatter Blockbuster. Sie ist für mich nach bisher 7 gesehenen Folgen eine gelungene Mischung aus Drama Horror, Fantasy und Abenteuer die auf ihre ganz eigene Art unvorhersehbar, dadurch immer spannend ist und so nie langweilig wird. Ich hoffe das bleibt so und es wäre toll wenn noch weitere Staffeln folgen würden.
    • am

      ich freu mich eigentlich drauf und warte ab bis es dann komplett bei Sky zu sehen ist."Omar Little" (Michael K. WIlliams) ist immer ein Muss seit "The Wire" !
      • am

        "(...) wenn sich schließlich die "echten" Monster als doch noch gefährlicher herausstellen als die "menschlichen"."

        Gut. Ich freue mich schon darauf, endlich mal wieder echten Horror zu sehen, in dem die Monster auch Monster sind und keine Metaphern. Leider scheinen sich die meisten Horrorfilmer dieser Tage für das Genre zu schämen und drehen lieber Dramen über Trauerbewältigung und Geisteskrankheiten, in die halbherzig ein paar übernatürliche Elemente eingefügt werden, damit man am Ende die Kritiker mit pseudointellektuellen "Aber am Ende waren die Menschen gefährlicher!" Botschaften begeistern kann.

        Ich möchte nicht behaupten, dass Horror und Sozialkritik nicht zusammengehören, aber leider gibt es zu wenige George Romeros heutzutage.

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