„Dr. Death“: Crime-Drama nach wahren Begebenheiten garantiert Gänsehaut – Review

Größenwahnsinniger Neurochirurg tritt den Hippokratischen Eid mit Füßen

Rezension von Christopher Diekhaus – 19.08.2021, 16:14 Uhr (erstmals veröffentlicht am 30.07.2021)

Was führt der Neurochirurg Dr. Christopher Duntsch (Joshua Jackson) im Schilde? – Bild: Starzplay
Was führt der Neurochirurg Dr. Christopher Duntsch (Joshua Jackson) im Schilde?

Primum non nocere, secundum cavere, tertium sanare: Erstens nicht schaden, zweitens vorsichtig sein, drittens heilen – diese Gebote aus dem wegweisenden Arztgelöbnis des antiken Mediziners Hippokrates von Kos gehören noch heute zu den Grundsätzen der ärztlichen Ethik. Dass das Wohlergehen des Patienten immer im Vordergrund stehen sollte, ist eigentlich selbstverständlich. Die unglaubliche Geschichte des zu einer lebenslangen Freiheitsstrafe verurteilten Neurochirurgen Dr. Christopher Duntsch handelt allerdings von einem Teufel in Weiß, dessen Ego und Geltungssucht das Leben mehrerer Menschen zerstörten. Basierend auf dem Podcast „Dr. Death“, startete Mitte Juli 2021 beim US-amerikanischen Streaming-Dienst Peacock eine gleichnamige, acht Folgen umfassende Miniserie, in der Showrunner Patrick Macmanus („Marco Polo“) das verheerende Wirken Duntschs und den Kampf einiger Kollegen um Gerechtigkeit weniger reißerisch nachzeichnet, als es der plakative Titel vermuten lässt.

Wer sich mit Beschwerden in ärztliche Hände begibt, muss darauf vertrauen können, bestmöglich beraten und behandelt zu werden. Die menschliche Gesundheit ist ein hohes Gut und darf als solches nie zum Spielball persönlicher Ambitionen avancieren. Genau dies geschah jedoch im Fall des chronischen Ehrgeizlings Christopher Duntsch, dem Joshua Jackson („Little Fires Everywhere“) bereits in den ersten Momenten der Peacock-Produktion eine tief unter die Haut gehende Gefühlskälte verleiht. Während auf der Tonspur ein Stimmengewirr unterschiedlicher Patienten zu hören ist, die von ihren niederschmetternden Erfahrungen mit dem Neurochirurgen berichten, brennt sich der gleichgültig-abschätzige, direkt in die Kamera gerichtete Blick des plötzlich im Bild auftauchenden Mediziners ein. Haben wir es hier mit einem Psychopathen zu tun? Einem Mann, der keinerlei Empathie empfindet? Abwegig erscheinen diese Gedanken nicht.

Nach dem ungemütlichen Einstieg dreht „Dr. Death“ die Zeit ein wenig zurück und führt uns ohne Umschweife an den Punkt, an dem erste Zweifel an der Arbeit Duntschs aufkommen. Im Jahr 2012 nehmen im Dallas Medical Center die beiden Ärzte Dr. Robert Henderson (Alec Baldwin, „Will & Grace“) und Dr. Randall Kirby (Christian Slater, „Mr. Robot“) die Operationen ihres neuen Kollegen genauer unter die Lupe, weil mehrere größtenteils routinemäßige Eingriffe zu irreparablen Schädigungen oder vereinzelt sogar zum Tod von Patienten geführt haben. Besonders der Pfleger Josh Baker (Hubert Point-Du Jour, „The Good Lord Bird“) weiß Besorgniserregendes zu erzählen. Duntsch schien im Vorfeld genau zu wissen, was zu tun sei, machte während der OPs dann aber einen überforderten Eindruck. Henderson und Kirby bohren weiter und stehen schon bald vor der Frage, ob der Neurochirurg ein schlechter Arzt ist oder bewusst fahrlässig handelt.

Dr. Robert Henderson (Alec Baldwin, rechts) befragt den OP-Pfleger Josh Baker (Hunbert Point-Du Jour) wegen Duntsch. Starzplay

Die Miniserie geht in der ersten Folge gleich in medias res und zieht aus dem beunruhigenden Verdacht eine thrillerhafte Spannung. Allzu viel Platz für charakterliche Ausdifferenzierungen gibt es erst einmal nicht, auch wenn die narzisstische Ader der ins Zwielicht geratenden Hauptfigur schon früh aufblitzt. Beispielsweise während eines Vorgesprächs mit einer Frau namens Rose Keller (Marceline Hugot, „Ozark“), die sich unter Duntschs Messer legen wird. Er sei, so eröffnet er ihr und ihrem Ehemann Charlie (John Wojda, „Law & Order“), ein Arzt der Zukunft. Wenn etwas schiefläuft, sind andere Beteiligte Schuld. Und kritisches Nachhaken empfindet er stets als persönliche Kränkung. In seiner Darbietung transportiert Jackson vom Start weg das notwendige Maß an ärztlicher Autorität, mit der Duntsch unsichere Patienten beschwichtigen kann. Fast immer schwingt aber auch ein vorwurfsvoller, nicht sehr einfühlsamer Unterton mit. Nach dem Motto: Wie können Sie es wagen, die Entscheidung des Arztes eine Sekunde lang zu hinterfragen.

Dass der selbsternannte Prophet der Neurochirurgie keineswegs unfehlbar ist, sondern vielmehr eine seltsame Nachlässigkeit an den Tag legt, wird ebenfalls schon sehr früh deutlich. Eine an der Decke hängende Discokugel in seinem Büro ist zerbrochen. An seinem lädierten Wagen funktioniert nur ein Vorderlicht. Und sein OP-Hemd, das er offenbar nur selten wechselt, was Baker mit Erstaunen registriert, hat ein Loch. Professionalität sieht definitiv anders aus. In seiner grenzenlosen Selbstbesoffenheit sind dies für Duntsch jedoch bloß Lappalien, die nicht an seiner Genialität rütteln können.

Das Gefühl, dass mit dem Protagonisten etwas nicht stimmt, dass sein Leben ein gefährlicher Drahtseilakt ist, verfestigt sich bereits in der zweiten Episode, die das Konzept der Zeitsprünge aus dem ersten Kapitel fortführt. In den Blick nehmen die Macher nun das College-Leben des späteren Arztes, der in jungen Jahren von einer erfolgreichen Karriere als Footballspieler träumt. Auch auf diesem Feld glaubt er, zu Höherem berufen zu sein, nur hart genug trainieren zu müssen, um die Spitze zu erreichen. Dass es ihm in Wahrheit massiv an Talent fehlt, mag sich Duntsch zunächst nicht eingestehen.

Dr. Christopher Duntsch (Joshua Jackson) fühlt sich überlegen. Starzplay

Neben den Flashbacks, die die Persönlichkeit des Neurochirurgen ausmalen, wird das Vorgehen von Henderson und Kirby weiter beleuchtet. Das ungleiche Gespann, bei dem Alec Baldwin souverän den ruhigen, strategisch denkenden Part ausfüllt und Christian Slater die Rolle des ungestümen Temperamentbolzens für einige herrlich exzentrische Einlagen nutzt, will dem patientenschädigenden Kollegen das Handwerk legen, kämpft dabei aber permanent gegen Windmühlen an. Dass Duntsch lange unbehelligt sein Unwesen treiben kann, so zeigt es die Serie ab Folge vier, liegt nicht zuletzt an einem von Reputation und Gewinnen besessenen System. Die vorzeigbaren Referenzen des jungen Mediziners, seine großen Ideen zur Stammzellenforschung und sein selbstsicheres Auftreten imponieren vielen potenziellen Arbeitgebern, weshalb es ihm leicht fällt, Stellen zu wechseln, sobald es irgendwo brenzlig zu werden droht.

Duntschs krankhaftes Streben nach Ansehen, nach Geld und sein sich während der Arztausbildung steigernder Drogengenuss wecken Erinnerungen an den real existierenden Aktienhändler Jordan Belfort, dessen Ausschweifungen Martin Scorsese in der Börsensatire „The Wolf of Wall Street“ rekonstruiert. Anders als der mit Leonardo DiCaprio und Jonah Hill besetzte Film, der einer wilden, exzessiven Achterbahnfahrt gleicht, hält sich „Dr. Death“ stilistisch allerdings zurück. In den ersten vier für diese Kritik gesichteten Episoden fällt einzig die letzte mit einer imaginierte Passage und kleineren Ausschmückungen etwas aus dem Rahmen.

Formale Verrenkungen sind angesichts der erschütternden Geschichte und Jacksons den Größenwahn treffend einfangender Performance jedoch gar nicht erforderlich. Dass der Wechsel der Zeitebenen manchmal etwas beliebig wirkt, lässt sich recht gut verschmerzen, da die Zuschaueraufmerksamkeit immer wieder mit hochintensiven Szenen gebunden wird. In Erinnerung bleibt etwa ein Streit zwischen Duntsch und seiner vorübergehenden Lebensgefährtin Wendy Young (Molly Griggs, „Servant“), die sich entsetzt zeigt über seine abweisende Reaktion auf die Nachricht ihrer Schwangerschaft. Für eine Gänsehaut sorgen ferner Momente, in denen die Serie das Leid der falsch behandelten Patienten und ihrer Angehörigen greifbar macht. Schwer zu ertragen ist die Spannung auch während einigen Diskussionen im OP-Saal, bei denen man sich, die knackenden Geräusche der chirurgischen Arbeit sei Dank, fast wie in einem Horrorfilm vorkommt. Ein Arzt, dem die Zügel entgleiten, der die Hinweise des anwesenden Personals aber konsequent missachtet und an seiner angeblichen Brillanz festhält – so jemandem möchte man nun wirklich nicht hilflos auf dem Operationstisch ausgeliefert sein!

Der Text basiert auf der Sichtung der ersten vier von insgesamt acht Folgen der Miniserie „Dr. Death“.

Meine Wertung: 3,5/​5

Die Miniserie „Dr. Death“ wurde am 15. Juli 2021 auf dem US-amerikanischen Streaming-Dienst Peacock veröffentlicht. In Deutschland liegt die komplette achtteilige Staffel ab dem 19. August 2021 bei TVNOW bereit.

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