„Der Sommer, als ich schön wurde“: Die Verlockungen der Fisher-Boys – Review

Angemessen seichte Teenie-Romanze nach den Bestsellern von Jenny Han

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 16.06.2022, 18:39 Uhr

Meistens am Strand: Belly (Lola Tung) und ihre große Liebe Conrad (Christopher Briney) – Bild: Amazon Prime Video
Meistens am Strand: Belly (Lola Tung) und ihre große Liebe Conrad (Christopher Briney)

Kreischalarm! Die Zeiten sind hart genug, da braucht es steten Nachschub an Schmachtmaterial. Die erfolgreiche Young-Adult-Autorin Jenny Han, deren „To All The Boys“-Trilogie bereits in Form dreier Netflix-Filme (von 2018, 2020 und 2021) für leuchtende Teenie-Augen sorgte, probiert es diesmal mit der Langform: Ihre „Summer“-Buchtrilogie soll staffelweise auf Prime Video anlanden. Bevor jetzt die erste Staffel von „Der Sommer, als ich schön wurde“ startet, wurde die zweite bereits bestätigt. Die Fans wird’s freuen. Möglicherweise aber wirklich nur die.

Cousins Beach ist kein realer Ort. Das sonnige Strandidyll mit den mondänen Villen in Ozeannähe erinnert vage an die Hamptons auf Long Island oder andere US-amerikanische Reichen-Rückzugsareale wie Cape Cod vor der Küste von Massachusetts. Gedreht wurde allerdings ein paar Hundert Meilen weiter südlich, an der Atlantikküste von North Carolina. Vielleicht verströmt der Hauptschauplatz dieser Serie auch deswegen fast so etwas wie einen dezenten Südstaatencharme: Das prachtvolle weiße Sommerhaus, die blonde Southern Belle, die es bewohnt, die Sonne, der Strand, die Debütantinnenbälle.

Die Zeit in Cousins Beach, im Strandhaus von Susannah Fisher (Rachel Blanchard, „You Me Her“, „Open House“) ist für die knapp 16-jährige Belly Conklin (Lola Tung) das Highlight jeden Jahres: Von Kindheitstagen an hat die Protagonistin (und Off-Erzählerin) der Serie jedes Jahr mit ihrer Familie die Sommerferien dort verbracht. Und die Sommerferien dauern in den USA bekanntlich drei Monate, nicht läppische sechs Wochen wie bei uns. Eine eigene Kultur, eigene Rituale haben sich um diese Ferien herausgebildet: Als Teenager jobbt man in dieser Zeit und macht einschneidende Erfahrungen, über die es bereits zahllose Bücher, Filme, Serien gibt. Aber jede Generation macht diese Erfahrungen wieder, weshalb jede Generation neue Erzählungen darüber braucht – mit jeweils aktueller Popmusik.

Hat keine Brille und keine Zahnspange mehr: Belly, zu Beginn des Sommers Amazon Prime Video

So rauscht also Belly mit ihrem Bruder Steven (Sean Kaufman) und ihrer Mutter Laurel (Jackie Chung) anfangs, beschallt von Kim Petras’ Empowerment-Pop, ein weiteres Mal dem ersehnten Sommerdomizil entgegen, doch wie Buch- und Serientitel bereits verraten und Belly bereits im Kinderzimmer ihrer besten Freundin diskutierte, wird diesmal alles anders sein als zuvor. Es ist der Sommer, in dem Belly erstmals über sekundäre Geschlechtsmerkmale verfügt und nicht mehr als kleines, bebrilltes, zahnspangentragendes Mädchen wahrgenommen wird, sondern als sichtlich „erblühender“ (diese Vokabel gibt es tatsächlich zu hören) Teenager. Diese Veränderung betrifft vor allem die beiden adonishaften Söhne von Hausherrin Susannah: Conrad (Christopher Briney) und Jeremiah (Gavin Casalegno) sehen aus, als hätte ein antiker Bildhauer ihre Idealkörper zurechtgemeißelt, weshalb sie von den Produzenten der Serie offenbar auch dazu verpflichtet wurden, meist nur in Shorts durch die Gegend zu springen.

Jeremiah ist der Sonnyboy, ein ewiger Sonnenschein, der als Aushilfsbademeister im ortsansässigen Country Club die Damen bezirzt, Conrad in diesem Sommer unüblich verschlossen, fast James-Dean-mäßig in sich gekehrt, ein Kiffer, der seine vielversprechende Footballer-Karriere abgebrochen hat: In ihn ist Belly laut eigener Auskunft verliebt, seit sie zwölf ist, ohne dass dies jemals zur Sprache gekommen wäre. Doch in diesem Sommer ist es anders. Die seit Kindertagen eingeschliffenen Spaß- und Streich-Routinen zwischen den Jugendlichen zünden nicht mehr. Liegt es tatsächlich daran, dass Belly jetzt, da sie „schön“ geworden ist, als Objekt wirklicher Liebe infrage kommen könnte?

Die Vorstellung wahrer Schönheit ist in Produktionen wie dieser hier selbstverständlich nur ohne Brille, Zahnspange und überschüssige Pfunde denkbar. In diesem Punkt verhalten sich die meisten Young-Adult-Serien und -Bücher ähnlich reaktionär wie Castingshows à la „Germany’s Next Topmodel“, in denen Kandidatinnen zuverlässlich noch der letzte Rest an Individualität ausgetrieben wird, um sie in eine vermeintliche Idealnorm einzupressen. Vom hässlichen Entlein bis zum schönsten Schwan ist es da meist nur zwei Kontaktlinsen und eine harte Dauerdiät entfernt. Zum Glück verfügt Newcomerin Lola Tung aber über ausreichend Charme, um Belly trotzdem halbwegs interessant gestalten zu können. Die etwa 12- bis 18-jährige, vorwiegend weibliche Zielgruppe dürfte damit gut an die Hand genommen sein.

Buddys seit Kindertagen: Jeremiah (Gavin Casalegno, l.) und Steven (Sean Kaufman) Amazon Prime Video

Während sich am Horizont also das problembehaftete Liebesdreieck zwischen Belly, Conrad und Jeremiah aufstellt, werden die Beziehungen der Figuren nach und nach weiter ausgespinselt: Schriftstellerin Laurel lebt von Bellys Vater geschieden und hat darüber ein nicht besonders erfolgreiches Buch geschrieben, Vater John (Colin Ferguson aus „Haven“ und „Cedar Cove“) sieht man bislang nur kurz in Rückblenden. Wirtschaftlich geht es den Conklins nicht ansatzweise so gut wie den Fishers, auch wenn die ihr materielles Glück, die weiße Villa und den Infinity Pool, teuer erkauft zu haben scheinen: Vater Adam (Tom Everett Scott; „I’m Sorry“, „Gregs Tagebuch – Böse Falle!“) arbeitet in der Hochfinanz und ist ständig auf Achse, und wer die Bücher kennt, weiß, dass sich in der nicht allzu weiten Ferne Tragödien abzeichnen, von denen in den ersten Episoden freilich nichts zu ahnen ist – mal abgesehen von Conrads Düsterstimmung.

Erzählerisch geht es eingangs vor allem darum, ob Belly nun am Strand mit den anderen Teenagern feiern darf oder nicht, und ob der süße Cam, der gerade ein Praktikum als Meeresbiologe macht und täglich mit dem Boot rausfährt, für sie tatsächlich eine romantische Alternative zu Conrad darstellt, oder ob sie ihnen nur benutzt, um die Fisher-Brüder eifersüchtig zu machen. Im Autokino gucken sie „Sabrina“ und halten Händchen – mehr passiert erst einmal nicht. (Notiere: Nur in Young-Adult-Produktionen regiert das märchenhafte Ideal, dass heutige Teenager im Kino Audrey-Hepburn-Filme aus den Fünfzigern und Mütter beim Fernsehabend Hollywood-Filme aus den Dreißigern gucken.)

Während Laurel im bärtigen Bestsellerautor Cleveland (Alfredo Narciso) ein potenzielles Love Interest findet, meldet sich Belly, halb aus Trotz, tatsächlich beim lokalen Debütantinnenball an, bei dem pubertierende Mädchen „in die Gesellschaft eingeführt“ werden sollen. Was so klingt, als sei man versehentlich zwei Jahrhunderte in die Vergangenheit gereist oder als habe man versehentlich „Bridgerton“ eingeschaltet, hat in diesen Kreisen Tradition, auch wenn sich „Der Sommer, als ich schön wurde“ hier ganz entschieden um Diversity bemüht. Im Zirkel der Debütantinnen finden sich People of color ebenso wie offen lesbische oder asiatisch lesbare Mädchen, neben Belly auch Shayla (Minnie Mills), in die sich Steven verliebt. Cam darf den Debütantinnenzirkus sogleich als „vom Patriarchat durchdrungen“ bespötteln, aber eigentlich geht es dabei, erklärt Susannah, nur um Charity, und College-Punkte mache man damit auch. Na dann! Zur Belohnung darf Belly mit Laurel und Susannah ein entsprechend jungfräuliches (und teures) weißes Kostüm einkaufen, in einer Shopping-Montage, die aussieht, als sei sie aus einer Neunzigerjahre-Romcom herübergemorpht worden.

Beste Freundinnen – doch Laurel (Jackie Chung, l.) und Susannah (Rachel Blanchard) leben in verschiedenen Welten. Amazon Prime Video

Mit einiger Selbstverständlichkeit reihen Autorin Jenny Han, die die Serienumsetzung höchstselbst verantwortet, und Regisseur Jesse Peretz („Juliet, Naked“, „Girls“) also die üblichen Standards der Teenagerromanze aneinander, was ihnen und dem unverbrauchten Cast, das darf man freimütig gestehen, recht unterhaltsam gelingt. Allenfalls die etwas gezwungen wirkende Kumpelei zwischen den Fisher-Brüdern und den Conklin-Geschwistern funkt mitunter dazwischen. Am Tiefgang deutlich ambitionierterer Coming-of-Age-Produktionen der letzten Jahre, von „Euphoria“ bis „The Wilds“, von „We Are Who We Are“ bis „Sex Education“ oder „The End of the F***ing World“, kratzen zumindest die ersten Episoden nicht einmal im Ansatz, aber mutmaßlich würde das auch nur stören in dieser vorwiegend in metaphorischen Pastellfarben gehaltenen Backfischbeglückungsstory, in der es primär um die Fragen geht: Kriegt Belly Conrad oder nicht? Wer gibt ihr den ersten Kuss, der nicht beim Flaschendrehen erzwungen wurde? Zur Erörterung dieser Themen orgelt meist ein generischer Soundtrack, wie man ihn eher aus Reality-Formaten kennt, zum Glück wird er häufig unterbrochen von alten wie neuen Popsongs von Olivia Rodrigo bis Blackpink. Selbst dazu, an geneigter Stelle den zwei Jahrzehnte alten Hit „Teenage Dirtbag“ einzuspielen, sind sich die Produzenten nicht zu schade, ein Hauch Nullerjahre-Teenieklamotte weht dann durch die Szene.

In Kenntnis dieser Limitierungen kann man der Serie die Kompetenz, genau das vorzulegen, was von ihr erwartet wird, kaum absprechen. Die Zielgruppe, vor allem Fans der „To All The Boys“-Romane und der bereits 2009 bis 2011 erschienenen „Summer“-Trilogie, wird nach diesen sieben Episoden vermutlich kaum abwarten können, wie es mit den Fishers und Conklins in der nächsten Staffel weitergeht. Der Rest steht vermutlich leicht verwundert daneben.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von „Der Sommer, als ich schön wurde“.

Meine Wertung: 3,5/​5

Die siebenteilige Auftaktstaffel von „Der Sommer, als ich schön wurde“ wird bei Prime Video in Deutschland am 17. Juni veröffentlicht.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    Eher würde ich mir Gabeln in die Augen stechen.

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