„Damnation“: Ruppiger Zwist zwischen Priester und Cowboy in kommender Netflix-Serie – Review

Klassenkämpferischer Spätwestern wirkt übereifrig, erfreut aber mit Komplexität und tollem Ensemble

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 04.12.2017, 12:00 Uhr

Krawallmacher Creeley Turner (Logan Marshall-Green) und Priester Seth Davenport (Killian Scott) in „Damnation“ – Bild: USA Network
Krawallmacher Creeley Turner (Logan Marshall-Green) und Priester Seth Davenport (Killian Scott) in „Damnation“

Wenn sich das Qualitätsserienwesen in seiner Retro-Seligkeit zur Abwechslung mal noch weiter zurückwagt als in die jüngst häufig aufgesuchten Sixties, Seventies und Eighties, dann darf man getrost aufmerken. In die depressionstrüben frühen Dreißigerjahre des letzten Jahrhunderts hatten uns zuletzt die zwei HBO-Staffeln „Carnivàle“ entführt, und das ist zwölf Jahre her. Außerdem spielt „Damnation“-Autor Tony Tost („Longmire“) nicht mit Fantasy-Motiven. Er nimmt es mit seiner im ländlichen US-Bundesstaat Iowa angesiedelten Story mit den Fakten viel genauer: Der im Grunde äußert konventionell angelegte Zwist zweier harter Kerle, um den die Serie kreist, wird an einer Vielzahl historisch überprüfbarer Fakten und Begebenheiten festgemacht. Die Streiks und Gruppierungen, von denen da die Rede ist, hat es wirklich gegeben. Und die Wallace-Stevens-Gedichte, die Tost (selbst Lyriker im Zweitberuf) in die Dialoge einflicht, waren damals zeitgenössische Distinktionsmerkmal der gebildeten Stände.

Den Hintergrund der zehn für das Kabel-Network USA produzierten Episoden gibt ein solcher, den Realitäten der Uamerikanischen Provinz im Jahr 1931 abgetrotzter Streik ab: Auf dem Land rund um das Städtchen Holden weigern sich die Farmer schon seit einiger Zeit, ihre Produkte noch zu Markte zu tragen, seit die Händler von raffgierigen Bankern angewiesen werden, die Preise so niedrig zu halten, dass die Bauern davon nicht mehr existieren können. Der Plan: Die Banker wollen deren Land. Den revolutionären Anheizer der Farer spielt ausgerechnet der neue Pfarrer: Seth Davenport (mit Thirties-Undercut: Killian Scott, „Good Vibrations“) verwandelt seine Sonntagspredigten in feurige Klassenkampfreden, die das heilige Kirchenschiff mit unflätigem F-Wort-Vokabular fluten und Jesus Christus als ersten Sozialrevoluzzer verklären. Gleich zu Beginn nagelt Davenport Thesen an Telefonmasten, am Ende der Pilotfolge nagelt er dann noch ganz andere Dinge an ganz andere Orte.

Als Kontrastfigur zu diesem kommunistischen Geistlichen wird Cowboy Creeley Turner etabliert (Logan Marshall-Green, „Prometheus“, „Deckname Quarry“), ein Handlanger des Kapitals. Der springt unter der Plane eines Lkws hervor, als die Streikenden einen Kollegen stoppen wollen, der sich vom Banker Calvin Rumple (Dan Donohue, „The Last Tycoon“) hat verlocken lassen, seine Milch ausnahmsweise zum doppelten Preis verkaufen zu dürfen. Turner erschießt den Chef der Streikenden und verkauft es zynisch als „Notwehr“. Kein netter Mann, dieser Turner, der sich bald darauf im örtlichen Bordell einmietet: Für eine Wochenpauschale bestellt er sich die schwarze Hure Bessie Louvin (stark: Chasten Harmon) aufs Zimmer, denn sie erweist sich als die Einzige im Etablissement, die der Kulturtechnik des Lesens mächtig ist. Nicht unwichtig, wenn man Intrigen plant. Dass es diese beiden Männer miteinander zu tun bekommen werden, ist rasch klar; wie sehr Seth und Creeley durch eine gemeinsame Vergangenheit aneinandergekettet sind, spätestens am Ende der ersten Folge. Beim bloßen Duell zwischen Gut und Böse belässt es Tony Tost aber zum Glück nicht – im Gegenteil, bald schon ist nicht mehr klar, mit welchem der beiden Männer man eigentlich mitfiebern sollte. Ist Creeley Turner wirklich nur Schurke, Seth Davenport wirklich ein Gottesmann mit sozialem Gewissen?

Priester-Gemahlin Amelia (Sarah Jones) unterstützt dessen Werk auf mehr als eine Art

Zugestanden, das Konzept moralischer Graubereiche und abgründiger Antihelden ist in Film und Serie wahrlich nicht neu, und so ist es keine Überraschung, dass Davenport sehr bald ins Zwielicht gerückt wird. Überhaupt ist Tost fast etwas arg beflissen, so ziemlich jeder (männlichen) Figur einen doppelten Boden einzuziehen. Dass Davenport ein echter Pfarrer ist, darf nicht nur deshalb rasch angezweifelt werden, weil er äußerst geschickt mit der Pistole umgeht und diese auch zu nutzen versteht, wenn mal wieder die rassistischen Frömmler der Black Legion das Feuer auf seine Gemeinde eröffnen. Nein, schon zu Beginn ergeht sich Seth – der Ire Scott lässt ihn mit Kragen und Priestergewand wie eine jüngere Ausgabe von Aidan Gillens „Littlefinger“ in „Game of Thrones“ aussehen – in mehrdeutig-sarkastischen Anspielungen seiner angeblichen Profession gegenüber. Eine junge Streunerin versorgt er mit gestohlenen Eiern und Gratis-Businesstips („Stiehl keine Eier, stiehl lieber die Henne – Ökonomie für Anfänger!“), und spätestens, als er mit tödlichen Maßnahmen gegen nächtliche Eindringlinge vorgeht, wird klar: Der Priesterstand ist wohl nur Tarnung für Seth.

Unruhestifter Creeley Turner (Logan Marshall-Green) und seine „Vorleserin“ Bessie (Chasten Harmon)
Dieser Verdacht erhärtet sich, als mit Connie Nunn (Melinda Page Hamilton) eine weitere Protagonistin eingeführt wird: Sie sorgt als Streikbrecherin im entfernten Harlan, Kentucky, für Tumulte, weil sie streikende Bergmänner gegen die ihnen vom Sheriff vor die Nase gesetzten Ersatzarbeiter aufbringt. Zudem verfolgt sie (als Agentin der „William J. Burns International Detective Agency“) eine eigene Agenda: Sie ist hinter Seth her, der, behauptet sie, einst ihren Ehemann meuchelte. In Episode zwei demonstriert indes Connie selbst, dass sie in derlei Dingen wenig zimperlich ist. Es kann nicht lange dauern, bis sie in Holden, Iowa, aufschlägt.

Neben der schlauen Prostituierten Bessie und der sarkastischen Agentin/​Killerin Connie schält sich noch eine dritte starke Frau aus dem Depressions-Panorama heraus: Seths Frau Amelia, patent gespielt von Sarah Jones („Alcatraz“), die sich öffentlich als brav backende Pfarrersgattin geriert, heimlich aber unter männlichem Pseudonym kommunistische Pamphlete verfasst. Inwieweit sie sich über Seths Identität im Klaren ist (und umgekehrt), bleibt zunächst unklar. Taktisch klug bringt sie (als frühe Kämpferin gegen Fake News) den Reporter und Hobby-Schriftsteller DL Sullivan (Joe Adler, „The Mentalist“) auf neue Ideen: Ob er es denn nicht ändern könne, dass die Lokalzeitung, mit Banker Rumple verbandelt, aus Prinzip nicht über die Streikenden berichtet? Doch auch Sullivans plötzliches Engagement bleibt betont zwiespältig: Nutzt er seine neue Quelle Amelia nur, um Material für seinen Roman zu finden?

Nimmt das Gesetz in eigene Hände: Sheriff Don Berryman (Christopher Heyerdahl)
Bleibt noch Sheriff Don Berryman. Der kantschädelige Gesetzeshüter, gespielt von Christopher Heyerdahl („Hell on Wheels“, „Tin Star“), erweist sich als nicht minder dubiose Gestalt. Einerseits um Recht und Ordnung und seine Wiederwahl bemüht, mischt er andererseits im illegalen Gewerbe der Prohibitionsumgehung mit: Er leitet ein „Speakeasy“ und scheut nicht davor zurück, seine Konkurrenz zu foltern. Obendrein wird nach kurzer Zeit schon eine ungeahnte Verwandtschaftsbeziehung enthüllt: An überraschenden Wendungen herrscht in „Damnation“ kein Mangel. Fast wirken sie bemüht.

Das komplexe, durchweg stark besetzte Figurentableau kann jedenfalls nicht ganz darüber hinwegtäuschen, dass vieles ein wenig angestrengt daherkommt – fast wie eine Geschichtsstunde. Dieser leichten Drögheit gegenüber steht eine sehr beeindruckende Optik: Die ersten beiden Episoden inszenierte Adam Kane, im Hauptberuf ein versierter Kameramann. Seine schwelgerischen Aufnahmen des Mittleren Westens (gedoubelt vom kanadischen Alberta) folgen den klassischen Kadrierungen des Westerns. Überhaupt ist „Deadwood“ ein passender Referenzrahmen für „Damnation“, zumindest was die staubig-misanthropische Mischung aus Film Noir und Spätwestern betrifft – auch wenn wir es nicht mehr mit dem South Dakota im 19. Jahrhundert, sondern mit dem Iowa von 1931 zu tun haben, in einer Zeit also, die schon Autos und Telefone kannte.

Doch „Damnation“ ist politischer, und der Aktualitätsbezug ist unverkennbar. Die Parallelen zum heutigen Amerika mit seiner stetig sich vergrößerenden Kluft zwischen Ärmsten und Superreichen werden deutlich, bisweilen überdeutlich herausgearbeitet – etwa bei einem Treffen von Rumple mit dem reichen Industriellen Eggers Hyde (Gabriel Mann aus „Revenge“) in einem feinen Restaurant. Der Magnat möchte die Farm-Arbeit von Maschinen ersetzen lassen, hat es vor allem auf das Land der Bauern abgesehen und spricht verächtlich von „ungewaschenen ruralen Massen“. Angesichts dieser schmierigen Figur fällt es nicht schwer, die Frage zu beantworten, die Natalie Merchant am Ende der zweiten Episode singend aus dem Off stellt: Auf welcher Seite stehst du? Seth Davenport, der falsche Priester, deutet an, dass der Kampf soeben erst begonnen hat. Man darf das getrost als Kommentar auf die USA nach den Präsidentschaftswahlen 2016 lesen und den Titel doppeldeutig verstehen: „it’s a damned nation“.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von „Damnation“.

Meine Wertung: 3,5/​5


Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: USA Network

Die zehnteilige erste Staffel der Serie „Damnation“ wird aktuell beim amerikanischen Kabelsender USA Network ausgestrahlt. Die Verwertungsrechte für Deutschland hat sich der Streamig-Dienst Netflix gesichert, ein Veröffentlichungsdatum wurde hier noch nicht verkündet.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

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