„Bodyguard“: Der britische Jack Bauer fesselt – Review

Richard Madden bei Netflix zwischen Herz und Intrigen

Bernd Krannich
Rezension von Bernd Krannich – 23.10.2018, 17:44 Uhr

„Bodyguard“: Personenschützer David Budd (Richard Madden) und Ministerin Julia Montague (Keeley Hawes) – Bild: BBC one
„Bodyguard“: Personenschützer David Budd (Richard Madden) und Ministerin Julia Montague (Keeley Hawes)

In den USA wurde infolge der Anschläge vom 11. September 2001 Jack Bauer eher zufällig zu dem Fernsehhelden, den die Nation in der Situation brauchte und der in den schlimmsten 24 Stunden seines Lebens ein undurchsichtiges Netz aus Geheimnissen und Intrigen durchschneiden muss. Für die BBC wurde in diesem Jahr die Serie „Bodyguard“ zum durchschlagenden Quotenerfolg. Der früh ausgeschiedene „Game of Thrones“-Star Richard Madden spielt den Personenschützer David Budd, der sich hier ebenfalls in einen Terrorplot verwickelt sieht. Dass er für dessen Aufklärung nur sechs Folgen Zeit hat, hält das Tempo der Serie meist angenehm hoch. Trotzdem versteht es das britische Format, im Protagonisten einen vielschichtigen (Anti-) Helden zu zeichnen.

Eigentlich hatte der Kriegsveteran David Budd nur mit seinen beiden kleinen Kindern seine Eltern besuchen wollen. Doch auf dem Rückweg im Zug fallen seinem geübten Auge als Mitglied der Personenschützer-Abteilung der Londoner Polizei Ungereimtheiten auf. Professionell und beherzt bringt er vom Personal in Erfahrung, dass es eine Bombendrohung gibt – und Budd kann die Puzzleteile zusammensetzen und weiß, wo der Selbstmordbomber sich versteckt hat. Erneut greift er beherzt ein – und wird zum Helden.

Schon der Einstieg in „Bodyguard“ macht bei allem aber klar, dass man hier einen ganz anderen Helden vor sich hat, als Jack Bauer: Denn Budd muss sich gegenüber dem Bomber auf seine Worte verlassen: Er muss versuchen, diesen von der Sinnlosigkeit zu überzeugen, das eigene Leben im Dienste von anderen zu geben, die sich eben nicht in Gefahr begeben. Auch ohne American-Style-Shootout wird hier die Spannung hoch gehalten – der für seine actionreichen Formate bekannte Serienschöpfer Jed Mercurio („Line of Duty“) lässt es sich aber nicht nehmen, später auch eine große Ballerei zu inszenieren, aber halt „very british“. Budd lässt mit seiner Argumentation tief blicken, zeigt sich als vom Einsatz desillusionierter Ex-Soldat, der seine Kameraden im Dienst einer fernen Regierung sterben sah und nun unter den psychischen Spätfolgen leidet. Später wird bekannt, dass er von der Mutter seiner Kinder, Vicky (Sophie Rundle, „Peaky Blinders – Gangs of Birmingham“) getrennt lebt und sie seine sich in übermäßigem Alkoholkonsum und Wutausbrüchen manifestierenden Probleme bei seinem Job zur Sprache bringen würde – wenn des nicht seinen Job gefährden würde.

Dadurch, dass sich Budd im bald berüchtigten „Anschlag vom 1. Oktober“ als Held ausgezeichnet hat, erhält er eine Beförderung. War er bisher vor allem für ausländische Gäste eingeteilt, wird er nun der Personenschützer für Home Secretary („Innenministerin“) Julia Montague (Keeley Hawes; „The Durrells“, zweite Staffel von „The Missing“).

Während die Zuschauer David Budd (Richard Madden) deutlich sehen, bleibt die Figur der Innenministerin Julia Montague (Keeley Hawes) mysteriös
Die steht allerdings für alles, was David verabscheut: Sie gehört zu den Politikern, die immer für Kriegseinsätze gestimmt hat, also gegen die von Budd verachteten Leute, die sich nicht selbst in Gefahr begeben wollen. Daneben wird man natürlich auch nicht zum Minister, wenn man nicht alle politischen Spiele mitspielt. So will Montague den vereitelten Anschlag nutzen, um härtere Gesetze durchzusetzen, die vor allem auf weitergehende Abhörbefugnisse für den Geheimdienst im Terrorkampf abzielen. Viele Bürger sehen darin eine Gefahr für ihre Freiheiten – das Gesetz Regulation of Investigatory Powers Act 2018 – RIPA 18 – wird in der Serie zum häufig genutzten Schlagwort.

Während sich David im beruflichen Umgang mit Montague zunächst professionell, gar übermäßig distanziert verhält, taut das Verhältnis der beiden doch auf – immerhin hatte David bei seiner heldenhaften Tat auch Sorge um seine im Zug befindlichen Kinder haben müssen, was die Tür zu persönlichen Gesprächen eröffnet. Als Montague für David daraufhin bürokratische Hindernisse aus dem Weg schafft, damit sein Sohn einen Platz an einer Schule mit besonderen Förderprogrammen besuchen kann, bricht das Eis. Und als David erstmalig seinen Job als Bodyguard ernsthaft im Dienste Montagues ausüben muss, entsteht schnell ein besonderes Vertrauensverhältnis – denn die Begleitumstände legen nahe, dass jemand vertrauliche, interne Informationen über den Tagesablauf der Ministerin weitergegeben hat – die klassische Problematik eines Maulwurfs.

Bei Montague herrscht auch kein Mangel an Feinden, die viel zu verlieren haben. Im Zuge ihrer härteren Gesetzgebung spielt die Ministerin ernsthaft mit dem Gedanken, den Kampf gegen Terrorbedrohungen im Inland dem Geheimdienst zu übertragen – sehr zum Missfallen der aktuell damit beauftragten Polizei unter Anne Sampson (Gina McKee, „Notting Hill“). Anscheinend steckt die Ministerin zudem mit dem Geheimdienst-Chef Stephen Hunter-Dunn (Stuart Bowman) unter einer Decke, von dem sie geheime Informationen erhält – aus Davids Sicht, um damit ihre politische Karriere zu fördern, eventuell gar den Premierminister zu stürzen und selber dessen Posten anzustreben …

Commander Anne Sampson (Gina McKee) ist alles andere als erfreut zu hören, dass der Anti-Terrorkampf durch Innenministerin Julia Montague (Keeley Hawes) ihrer Polizeidienststelle entzogen und dem Geheimdienst gegeben werden soll
So findet sich Davd Budd in einem Mehrfrontenkonflikt: Einerseits ist er der Beschützer der Ministerin, von der er nicht weiß, ob sie tief korrupt oder vertrauenswürdig ist – und selbst dann bliebe noch die Frage, ob ihr harter politischer Kurs der richtige ist. Seine Vorgesetzten bei der Polizei wollen, dass er seine Position dazu ausnutzt, um allzu enge Kontakte zwischen Ministerin und Geheimdienst auszuspionieren. Dazu kommen zahlreiche eigene Geheimnisse über seine Probleme und Eigenmächtigkeiten, die Budd mit sich herumträgt …

„Bodyguard“ lädt geradezu zum Vergleich mit „24“ ein: In beiden Serien wird ein Staatsbediensteter im Zusammenhang mit Terrorismus in die hohe Politik verstrickt. Deutlichster Unterschied ist, dass David Budd eben eher ein kleines Rädchen in der Polizei und Brite ist: Statt Jack Bauers „Damn it“ heißt es hier häufig „Yes, Ma’am“. Bauers Machismo und „um jeden Preis“-Verhalten wird hier ein Mann entgegengesetzt, der in klaren Stunden fühlt, dass er zwar einen ordentlichen Job macht, aber eben kein guter Vater ist, weil er sich durchbeißt statt sich psychische Hilfe zu holen. Daneben fällt auf, dass die Serie gleich drei bis vier machtvolle Frauen zeigt. Neben der erwähnten Ministerin und der Polizeichefin ist auch Budds direkte Vorgesetzte bei den Personenschützern eine Frau, Lorraine Craddoc (Pippa Haywood, „Requiem“). Dazu gesellen sich Budds Ehefrau, eine taffe Personenschützer-Kollegin und eine umsichtige und in den richtigen Momenten verständnisvolle Polizistin der Antiterror-Einheit.

Chief Superintendent Lorraine Craddock (Pippa Haywood) ist durchaus bewusst, dass mit Sergeant David Budd (Richard Madden, sitzend) nicht alles OK ist
Dass die Handlung weitgehend aus Sicht von David Budd gezeigt wird, ermöglicht es „Bodyguard“, durch Ungewissheit die Spannung hoch zu halten. So weiß Budd in Teilen nicht, was Montagues Absprachen und Beweggründe sind, kann aber manchmal über kleinere Lügen und Widersprüche stolpern und muss sich fragen, ob die Ministerin ihm zum Selbstschutz nicht die volle Wahrheit sagt, oder weil sie finstere Pläne zu vor ihm verbergen will.

Wie erwähnt, der Vergleich mit „24“ liegt nahe. Im Gegensatz zu der bahnbrechenden US-Serie mit ihren knapp 16 Stunden Laufzeit pro Staffel und Geschichte muss sich „Bodyguard“ mit knapp sechs Stunden bescheiden – und trotzdem Verschwörung, Action, falsche Fährten, leise Momente und auch ein bisschen Soap bringen. Nicht immer funktioniert das überzeugend, aber doch weitestgehend. Bisweilen überrascht das Pacing, manche Wendung sorgt für Kopfkratzen. Und an mindestens einer Stelle kommt Budd in einer Stresssituation von einem Ort zwischen zwei Szenen zum anderen, woraus jede andere Actionserie aus dem zurückgelegten Weg eine ganze Folge hätte machen können. Man mag es als Stilmittel sehen, dass Budd am Anfang der Serie noch recht stark nach Vorschrift vorgeht und im Verlauf der Serie immer eigenmächtiger wird, aber auch die Vielzahl der in nur sechs Stunden gepackten Wendungen macht das nötig.

Serien stehen und fallen mit ihrem Ende, das gilt umso mehr für Miniserien. Und hier liefert „Bodyguard“ hinreichend Aufklärung über das Geschehen. Und, wie gesagt, der Kenner von „24“ mag im Anschluss gerne darüber philosophieren, warum und wie sich die Abenteuer des David Budd sich von denen Jack Bauers unterscheiden und was das über den Wandel der Zeit und der Menschenbilder aussagt. Wer hingegen die bekannte US-Serie nicht kennt, kann sich immerhin auf einen unterhaltsamen, mitreißenden Verschwörungsthriller freuen, den man an einem Wochenende gierig wegbingen kann.

Dieser Text basiert auf Sichtung der kompletten sechsteiligen Staffel der Miniserie „Bodyguard“.

Meine Wertung: 4/​5

Bernd Krannich
© Alle Bilder: Netflix


„Bodyguard“ wurde für die BBC produziert. Netflix veröffentlicht die Serie am Mittwoch, 24. Oktober 2018, in Deutschland. Unklar ist, ob es eine zweite Staffel geben wird: Einerseits funktioniert die erste Staffel sehr gut als in sich abgeschlossene Miniserie. Andererseits war sie in Großbritannien ein durchschlagender Quotenerfolg.

Über den Autor

Bernd Krannich ist Jahrgang 1974 und erhielt die Liebe zu Fernsehserien quasi in die Wiege gelegt. Sein Vater war Fan früher Actionserien und technikbegeistert, Bernd verfiel den Serien spätestens mit Akte X, Das nächste Jahrhundert und Buffy. Mittlerweile verfolgt er das ganzes Serienspektrum von „The Americans“ über „Arrow“ bis „The Big Bang Theory“. Seit 2007 schreibt Bernd beruflich über vornehmlich amerikanische Fernsehserien, seit 2014 in der Newsredaktion von fernsehserien.de.

Lieblingsserien: Buffy – Im Bann der Dämonen, Frasier, Star Trek – Deep Space Nine

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1969) am

    Neben "Haus des Geldes" ist "bodyguard" die beste Serie des Jahre 2018. Die erste Serie, die ich mir unmittelbar ein zweites Mal angeschaut habe und mich immer noch gefesselt hat. Hoffentlich gibt es eine 2. Staffel, denn Jed Mecurio hat es drauf. Auch sein "Line of Duty" ist super.
    • am via tvforen.de

      Super spannende Serie.
      • am via tvforen.de

        Die Story war ja nicht schlecht, auch wenn die Auflösung etwas sehr schlicht war.

        Aber hätte man nicht einen Schauspieler finden können, der mehr als einen Gesichtsausdruck beherrscht? Und die deutsche Synchronisation für den Protagonisten scheint ein Sprachcomputer übernommen zu haben.

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