„All of Us Are Dead“: Auf dem Schulkorridor grollen die Zombies – Review

Auf der koreanischen Welle wird weiter erfolgreich gesurft – diesmal mit blutiger Genreware

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 02.03.2022, 18:30 Uhr

Ausgelassene Stimmung in der Cafeteria: An der Hyosan High School zeigt das Virus Wirkung. – Bild: Netflix
Ausgelassene Stimmung in der Cafeteria: An der Hyosan High School zeigt das Virus Wirkung.

Der neueste koreanische Hit auf Netflix ist eine Zombieserie – oder besser: eine Serie über einen sich exponentiell ausbreitenden Virus, der Menschen zu Zombies macht. Das Interesse daran mag man wahlweise auf eine gesteigerte Angstlust angesichts real grassierender Pandemien zurückführen oder auf die nie versiegende Faszination des Postapokalyptischen in der Popkultur. Vor allem aber zeigt es eines: Südkorea weiß inzwischen auf ziemlich allen Entertainmentsektoren, welche Erfolgsknöpfe zu drücken sind.

Derzeit wird selbst in verstaubten Feuilletons leicht desorientiert zur Kenntnis genommen, was in den entsprechenden Jugend- oder Subkulturen längst eine Selbstverständlichkeit ist: Aus Südkorea kommt viel „heißer Scheiß“. Seit sich der asiatische Staat, nach Jahrzehnten des Krieges und der Armut, zum wirtschaftlich progressiven Tigerstaat entwickelt hat, ist spätestens in den Nullerjahren eine kulturelle Offensive in Gang gesetzt worden, die in Musik, Film und anderen Künsten Trends setzt und gezielt internationale Breitenwirkung sucht. K-Pop-Bands wie BTS oder Blackpink, „entwickelt“ und vermarktet von großen Entertainmentfirmen, stürmen auch bei uns die Charts und Teenagerzimmer, und dann war in der Filmbranche 2020 eine Sensation zu vermelden, als „Parasite“ von Bong Joon Ho nicht nur ein unerwarteter internationaler Hit, sondern auch noch mit vier Oscars ausgezeichnet wurde, darunter als „bester Film des Jahres“ – sehr zum Ärger des damaligen Präsidentendarstellers Donald Trump, der sogleich unamerikanische Umtriebe witterte. Der Film demonstrierte ziemlich gut, wofür die neue südkoreanische Pop-Ware häufig auch steht: für clevere Unterhaltung, die soziale Schieflagen in den Blick nimmt, Probleme also, von denen die ultra-kompetitiv ausgerichtete südkoreanische Gesellschaft alles andere als frei ist.

Pop made in South Korea ist plötzlich eine Marke, und natürlich setzt sich diese Erfolgswelle, die mit dem Namen „koreanische Welle“ (hallyu) direkt eine entsprechende Schublade zugewiesen bekam, auch auf anderen Kanälen fort – etwa im Bereich Serie. Der Streamingdienst Netflix hat sich dabei rasch als idealer Vertriebskanal erwiesen, und während viele Produktionen noch lange eher ein Nischendasein fristeten, schlug „Squid Game“ letztes Jahr so heftig ein wie zumindest auf Netflix nichts zuvor. In 94 Ländern wurde auf der Plattform keine Sendung öfter angeschaut als diese süchtig machende Thriller-Version simplifizierter Kapitalismuskritik, die man zunächst für eine überlange Folge von „Black Mirror“ halten konnte, ehe sie sich als etwas sehr Eigenständiges, Stilbildendes erwies.

Last Kids Standing: On-jo (Ji-hu Park), Cheong-san (Chan-young Yoon), Su-hyeok (Lomon) und Nam-ra (Yi-hyun Cho) kämpfen sich durch die Schule. Von Level zu Level.Netflix

Seit „Squid Game“ wartet die Welt (oder zumindest Netflix) auf „das nächste große Ding aus Korea“, und fast wäre „All of Us Are Dead“ das auch gewesen. Die Zugriffszahlen waren schon in der ersten Woche ähnlich hoch, obgleich sie an den letztjährigen Megahit nicht ganz heranreichten. Rezensionen muss man jetzt eigentlich gar nicht mehr nachreichen, da wohl alle, die sich für wahlweise Highschool- oder Zombieserien oder aber eben für das „nächste große Ding aus Korea“ interessieren, die zwölf mindestens einstündigen Episoden längst durchgebinget haben dürften (falls sie es bis zum Ende geschafft haben).

Dennoch ist die Serie durchaus interessant; nicht, weil es noch nicht genügend Zombieserien geben würde; auch nicht, weil es Zombieserien damit in den Mainstream geschafft hätten (das hat „The Walking Dead“ bekanntlich schon vor Jahren erledigt); und auch nicht, weil Zombies auf Netflix (wie in „Z Nation“), Zombies aus Südkorea („Train to Busan“) oder gar südkoreanische Zombies auf Netflix („Kingdom“) irgendwie etwas Neues wäre. Schließlich waren die Weltuntergangsszenarien und postapokalyptischen Entwürfe in den letzten Film- und Serienjahrgängen so allgegenwärtig, dass man sich bisweilen verwundert die Augen reibt angesichts der Tatsache, dass die Welt in Wirklichkeit ja noch steht. Noch.

Bemerkenswert an „All of Us Are Dead“ ist eher, dass man diese sehr aufwendig gemachte, zweifellos unterhaltsame und von lauter attraktiven Jungdarstellern bevölkerte Zombie-Highschoolserie aus einem völlig anderen Blickwinkel betrachtet, als dies noch vor Kurzem der Fall gewesen wäre. Die Macher um Hauptautor Seong-il Cheon und die beiden Regisseure J.Q. Lee und Kim Nam-Soo wären damit noch vor drei Jahren in der Nischenschublade gelandet, heute kommen sie damit vom Fleck weg auf Platz 1 der Netflix-Charts. Eine Serie mit aus nicht-asiatischer Sicht überwiegend unbekannter Besetzung wird zum internationalen „Hast Du schon gesehen?“-Hot-Topic, und das nicht nur, weil der Plot über einen grausigen Virus heute anders wahrgenommen wird als noch in den Zeiten vor Corona, sondern eben auch, weil die Produktion aus Südkorea stammt, wo die Messlatten jetzt um einiges höher liegen. Kein Wunder also, dass Hollywood, seit den Dreißigerjahren des letzten Jahrhunderts tonangebend in der Steuerung der globalen Träume, ins Grübeln kommt: Wann zuletzt kam denn aus der US-Traumfabrik das ganz heiße, originäre Ding, das nicht auf irgendwelchen Rowling-Romanen oder anderen anderweitig populär gewordenen Vorlagen basierte?

Cheong-san und On-jo wären das ideale Paar. Ob es eine Zombie-Apokalypse braucht, um sie zusammenzuführen? Netflix

„All of Us Are Dead“ jedenfalls gelingt die Synthese aus Zombieapokalypse-Genre und Highschoolserien-Standards rund um verzweifelte Verliebtheiten und fieses Mobbing erstaunlich gut. Schon in der Pilotepisode des Zwölfteilers, der auf dem von 2009 bis 2011 für den Konsum auf Smartphones produzierten Webtoon „Now at our School“ basiert, bricht die Hölle los, als eine idyllisch im Grünen gelegene Highschool zum Ground Zero der Virusepidemie wird: Infolge eines fatalen Experiments des undurchsichtigen Chemielehrers (Byeong-cheol Kim aus „Sisyphus“ und „Descendants of the Sun“) steckt sich eine Schülerin an einem infizierten Hamster an, daraufhin verbreitet sich der Virus in Windeseile im ganzen Gebäude. Um Aerosole geht es hier nicht, in guter alter Zombiemanier zählen in „All of Us Are Dead“ Bisse, Kratzer, Blutkontakt. Und das, was die Serie da mit Hunderten zurechtgeschminkter Komparsen veranstaltet, die schon bald blutdurstig die Korridore der Bildungsanstalt terrorisieren, muss sich weder in Sachen Trick- und Maskeneffekten noch in anderen inszenatorischen Disziplinen hinter „The Walking Dead“ und Konsorten verstecken: Das Sounddesign etwa, das mit sehr vielen unappetitlichen Matsch-, Knurps- und Knurrgeräuschen operiert, ist fast die halbe Miete, was den Horror- und Splatteraspekt der Serie betrifft. Immer wieder muss man an die schrecklich dynamischen Zombiehorden aus einschlägigen Videospielen wie „The Last of Us“ oder „Days Gone“ denken.

Daneben ist „All of Us Are Dead“ (Netflix-Einstufung: ab 16) auch eine Teenieserie, die allerdings nur schockresistenten Vertretern der Zielgruppe zu empfehlen ist. Die Kerngruppe, um die der Plot kreist, besteht aus On-jo (Ji-hu Park) und Cheong-san (Chan-Young Yoon aus „Still 17“), die seit Kindesbeinen gut befreundet sind und ein ideales Paar abgeben würden, wäre On-jo nicht auf den smarten und fitten Su-hyeok (gespielt von Model Lomon) fixiert, der überdies kühn gegen Zombiegruppen kämpfen kann. Es gibt noch eine strebsame Mitschülerin (Yi-Hyun Cho, „My Country: The New Age“, „Hospital Playlist“), eine eingangs überhebliche Schulschönheit (Lee Yoo-mi aus „Squid Game“), einen groben Typen (In-soo Yoo), der mit seiner Gang brutal mobbend gegen Mitschüler vorgeht, und diverse andere Abwandlungen hinlänglich bekannter Highschoolserien-Stereotypen. Subtil ist das alles sicher nicht, aber wirkungsvoll, weil diese Figuren dann, nach dem Ausbruch des Zombievirus, miteinander klarkommen und gemeinsam Wege finden müssen, aus der Schule entweder zu fliehen oder, bis dies möglich ist, zu versuchen, im belagerten Gebäude irgendwie zu überleben. Hilfe von außen ist, das merken die Jugendlichen und die wenigen verbliebenen Lehrkräfte schnell, auf kürzere Sicht nicht zu erwarten, wird das Schulgelände doch von den Behörden und dem Militär als Epizentrum der bald auch in die Umgebung ausstrahlenden Epidemie abgeriegelt und der Verdammnis preisgegeben.

Keine Zombieserie ohne Pfeilbeschuss! Dieser Devise bleibt natürlich auch „All of Us Are Dead“ treu. Netflix

Gedreht in Seoul und (für die Außenaufnahmen der in der fiktiven Stadt Hyosan gelegenen Schule) in Andong, erinnert die Dramaturgie der Serie spätestens ab der dritten oder vierten Episode an Videospiele: Von Raum zu Raum, von Level zu Level, müssen sich die zersplitterten Überlebendengrüppchen weiterkämpfen, dabei verschiedene Hindernisse und zusätzliche Gefahren überstehen, natürlich geht immer mal wieder einer von ihnen drauf. Relativ elegant (und sogar mit überraschend viel Dialogwitz) werden in den wenigen Ruhepausen dann die erwähnten Teenagerprobleme eingeflochten: Immer ist irgendwer in den jeweils Falschen verliebt, Eifersüchteleien prallen auf kurze Momente des möglichen Glücks, wobei sehr deutlich die Klassenunterschiede der südkoreanischen Gesellschaft in den Blick genommen werden. Auf Schüler aus prekären Verhältnissen wird herabgeblickt, Schwächere werden gnadenlos ausgegrenzt und gedemütigt.

Das sind (neben den effektiv beängstigenden Splattersequenzen) die stärksten Szenen in dieser Serie, die auf Dauer jedoch etwas redundant zu wirken beginnt. Die Episoden fallen immer länger als nötig aus, der Plot fühlt sich bald künstlich gestreckt an, gerade auch in den Szenen, die zwischendurch aus dem klaustrophobischen Schulsetting herausführen, mal in Flashbacks, mal für Seitenblicke auf externe Figuren. Polizist Jae-ik (Kyoo-hyung Lee, „Doctor John“, „Stranger“) oder On-jos Feuerwehrmann-Vater (Bae-soo Jeon, zombieerfahren seit dem Netflix-Film „#amLeben“) laufen in ihren rudimentären Handlungssträngen ziemlich neben dem Geschehen her. Dennoch sorgt die Serie für genügend Entertainment, um die Zielgruppen locker durch die mehr als zwölf Stunden Laufzeit zu tragen. Und selbst wenn das nicht klappen sollte: Das „nächste große Ding aus Korea“ kommt bestimmt. Wahrscheinlich schon bald.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten sechs Episoden von „All of Us Are Dead“.

Meine Wertung: 3,5/​5

Die erste Staffel der Serie „All of Us Are Dead“ wurde am 28. Januar weltweit bei Netflix veröffentlicht.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

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