TV-Kritik: „Herz sucht Liebe“: Wenn aus dem Herzblatt der Herzbube wird

Coole Sprüche, Susis Stimme und die Trennwand sind zurück

Glenn Riedmeier
Rezension von Glenn Riedmeier – 19.10.2016, 21:54 Uhr

„Herz sucht Liebe“: Thomas Ohrner und Susi Müller – Bild: Sat.1 Gold/Willi Weber
„Herz sucht Liebe“: Thomas Ohrner und Susi Müller

Das deutsche Fernsehen befindet sich aktuell im Retro-Fieber. Am Montag erst gingen bei RTLplus die Neuauflagen von „Ruck Zuck“ (fernsehserien.de berichtete) und „Glücksrad“ an den Start (fernsehserien.de berichtete). Nun zog der Spartenkanal Sat.1 Gold nach und holte nach elfjähriger Pause das „Herzblatt“ zurück auf die Mattscheibe. Aus rechtlichen Gründen darf der Originaltitel (ähnlich wie bei „Dalli Dalli“ bzw. „Das ist Spitze!“) nicht verwendet werden. Deshalb erfolgt das Comeback unter dem neuen Namen „Herz sucht Liebe“. Der Schriftzug und die Herzgrafik im neuen Logo erinnern allerdings stark an das Original. In den kommenden Wochen suchen immer mittwochs um 20:15 Uhr alleinstehende Singles nach einem passenden Partner. Im Gegensatz zum halbstündigen Original-„Herzblatt“ dauert die Neuauflage (ohne Werbung) rund 45 Minuten.

Das Format basiert auf der amerikanischen Show „The Dating Game“, wurde in Deutschland erstmals 1987 gezeigt und bis 1993 von Rudi Carrell präsentiert. Auf ihn folgten in den kommenden Jahren Rainhard Fendrich, Hera Lind, Christian Clerici, Pierre Geisensetter, Jörg Pilawa und Alexander Mazza, der die letzte Phase der Show bis 2005 moderierte – dann jedoch nicht mehr im Ersten, sondern im Bayerischen Fernsehen. Als Moderator der Neuauflage fungiert nun Thomas Ohrner.

Thomas Ohrner Sat.1 Gold/​Willi Weber


In der Flirtshow stellt ein Single drei potentiellen Partnern des anderen Geschlechts, die gemeinsam auf Barhockern auf der anderen Seite einer Trennwand sitzen, Fragen zum Thema Dating und Beziehung. Anschließend entscheidet er oder sie sich auf der Grundlage der Antworten für einen Kandidaten. Als Preis winkt dem Siegerpaar künftig ein romantisches Dinner, wo sie sich besser kennenlernen dürfen. Vorbei die Zeiten, als das Pärchen im legendären „Herzblatt“-Hubschrauber eine gemeinsame Reise antreten durfte.

Thomas Ohrner, dem Ende der 1970er Jahre mit der Serie „Timm Thaler“ der Durchbruch gelang, bleibt blass und lässt seinen Schwiegersohn-Charme vermissen, den er in früheren Shows wie „Dingsda“ und „Lass Dich überraschen“ an den Tag legte. Gold wert ist hingegen Susi Müller, die erotische Stimme aus dem Off, die die Antworten der Kandidaten wie früher humorvoll zusammenfasst und ein wichtiges Bindeglied zwischen dem Original und der Neuauflage darstellt.

Insgesamt kommt „Herz sucht Liebe“ jedoch aus mehreren Gründen bemüht und wenig sympathisch rüber. Die in der Vergangenheit schon mehrfach abgewandelte „Herzblatt“-Titelmusik ist durch eine nervige neue Dudel-Melodie ersetzt worden und das berühmte Kommando „Hier ist Ihr Herzblatt“ vor der Enthüllung des gewählten Partners wurde – wohl auch aus rechtlichen Gründen – leicht in „Hier ist Ihr Herzbube“ bzw. „Ihre Herzdame“ umgewandelt. Ähnlich wie die RTLplus-Gameshows wurde auch „Herz sucht Liebe“ in einem äußerst klein gehaltenen Studio vor einem überschaubaren Publikum aufgezeichnet. Eine angenehme Atmosphäre will dadurch nicht aufkommen. Der Ton klingt zudem erschreckend dumpf – offenbar stammt das Soundequipment noch aus den 1990ern. Immerhin ist die Studiokulisse an das „Herzblatt“ angelehnt.

Thomas Ohrner mit Kandidatin Marita Sat.1 Gold/​Willi Weber


Positiv hervorzuheben ist die Auswahl der Kandidaten. Denn während die großen TV-Sender dem Jugend- und Zielgruppenwahn verfallen sind und man in dortigen Datingshows kaum Kandidaten findet, die älter als 30 Jahre sind, hat Sat.1 Gold keine Berührungsängste mit etwas älteren Singles. So werben zunächst der 37-jährige Berater Dennis, der 40-jährige IT-Berater Jürgen und der 42-jährige Bankkaufmann Sven um die Gunst der 38-jährigen Augenoptikerin Marita. In der zweiten Runde muss sich der 48-jährige Schweißfachmann Ahmet mit Elvis-Locke zwischen der 34-jährigen Key-Account-Managerin Marjana, der 38-jährigen Verwaltungsangestellten Sabine und der 48-jährigen Bürokauffrau Andrea entscheiden. Es ist unglaublich wohltuend, mal keine aufgedrehten, hemmungslosen Kandidaten à la „Der Bachelor“ ertragen zu müssen, sondern man tatsächlich „normale Menschen aus dem Volk“ zu Gesicht bekommt. „Big Brother“-Macher hergehört: Genau solche Kandidaten wollen die meisten Zuschauer sehen.

Kandidat Ahmet Sat.1 Gold/​Willi Weber


Das Spielprinzip ist altbekannt. Auf Fragen wie „Ich habe etwas gekocht, das dir überhaupt nicht schmeckt. Wie reagierst du?“ oder „Ich gehe gerne auf Faschingspartys. In welcher Verkleidung würden wir beide dort hingehen?“ müssen die Kandidaten hinter der Trennwand möglichst originelle Antworten geben à la „Ich bin ehrlich und sage dir, dass ich hoffe, dass du mit anderen Qualitäten punkten kannst“ oder „Kennst du den Film 50 Shades of Grey …?“. Und genau wie früher wirken die überraschend schlagfertigen Antworten nicht wirklich spontan, sondern vorgegeben. Es ist also davon auszugehen, dass sie den Kandidaten erneut von professionellen Autoren in den Mund gelegt wurden und von ihnen auswendig gelernt wurden – so wie es sich nach einigen Jahren bei „Herzblatt“ herausstellte. Durch die längere Sendezeit wurden die beiden Spiel-Durchgänge um verzichtbare Sonderrunden ergänzt. So sollen die drei Frauen sich selbst als Comichelden auf eine Leinwand malen, während die drei männlichen Singles ihr (kaum vorhandenes) Talent beim A-cappella-Singen unter Beweis stellen müssen, was unweigerlich zu Fremdschäm-Momenten führt.

Der durchaus begrüßenswerte Ansatz, die in den 1990er Jahren äußerst populäre „Mutter aller Datingshows“ neu aufzulegen, wurde leider nicht ausreichend liebevoll umgesetzt. Die Neuauflage wirkt sehr kostengünstig und auf Sparflamme gekocht. Wer „Herzblatt“ schon früher etwas abgewinnen konnte, der wird an „Herz sucht Liebe“ vermutlich halbwegs seinen Spaß haben. Ein wirklich überzeugendes Comeback sieht allerdings anders aus.

Über den Autor

Glenn Riedmeier ist Jahrgang ’85 und gehört zu der Generation, die in ihrer Kindheit am Wochenende früh aufgestanden ist, um stundenlang die Cartoonblöcke der Privatsender zu gucken. „Bim Bam Bino“, „Vampy“ und der „Li-La-Launebär“ waren ständige Begleiter zwischen den „Schlümpfen“, „Familie Feuerstein“ und „Bugs Bunny“. Die Leidenschaft für animierte Serien ist bis heute erhalten geblieben, zusätzlich begeistert er sich für Gameshows wie z.B. „Ruck Zuck“ oder „Kaum zu glauben!“. Auch für Realityshows wie den Klassiker „Big Brother“ hat er eine Ader, doch am meisten schlägt sein Herz für Comedyformate wie „Die Harald Schmidt Show“ und „PussyTerror TV“, hält diesbezüglich aber auch die Augen in Österreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten offen. Im Serienbereich begeistern ihn Sitcomklassiker wie „Eine schrecklich nette Familie“ und „Roseanne“, aber auch schräge Mysteryserien wie „Twin Peaks“ und „Orphan Black“. Seit Anfang 2013 ist er bei fernsehserien.de vorrangig für den nationalen Bereich zuständig und schreibt News und TV-Kritiken, führt Interviews und veröffentlicht Specials.

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