Talk, Urteile und Krawall – Das deutsche Nachmittagsprogramm im Wandel

War früher wirklich alles besser?

Glenn Riedmeier
Lukas Respondek
Glenn Riedmeier und Lukas Respondek – 05.07.2017, 15:05 Uhr (erstmals veröffentlicht am 19.06.2017)

Gerichtsshows

MG RTL D/​Sat.1/​Benedikt Müller/​Sat.1/​Stefan Menne

Auf den Talkshow-Boom folgte im fließenden Übergang der Gerichtsshow-Boom. Interessanterweise war in diesem Genre das ZDF Vorreiter, wo schon ab 1999 unter dem provokanten Titel „Streit um Drei“ die erste tägliche Gerichtsshow im heutigen Sinne zu sehen war. Bis 2003 wurden echte Streitfälle mit Schauspielern nachgestellt. Zunächst Eugen Menken und dann Guido Neumann fungierten als echte Richter, während Ekkehard Brandhoff als Moderator durch die Sendung führte.

Im gleichen Jahr zog dann Sat.1 nach und startete mit „Richterin Barbara Salesch“ die langlebigste Gerichtsshow, die bis 2012 im täglichen Nachmittagsprogramm in insgesamt 2356 Ausgaben ihre Urteile fällte. Anfangs war nichts gestellt: Die Fälle und die Klagenden waren echt, und die gefällten Urteile von Barbara Salesch rechtskräftig. Nach deutschem Recht durften allerdings keine Strafprozesse übertragen werden, weshalb nur über vergleichsweise harmlose Fälle debattiert wurde. In Erinnerung geblieben ist beispielsweise der legendäre „Maschendrahtzaun“-Fall, der von Stefan Raab in einen Nr. 1-Hit verwurstet wurde. Die Einschaltquoten blieben dennoch eher durchschnittlich. Sat.1 entschied sich deshalb für ein radikal neues Konzept: Im Oktober 2000 wurde die Show von 18 auf 15 Uhr verlegt, die Sendezeit auf eine Stunde verdoppelt, und vor allem: Ab sofort wurden fiktive strafrechtliche Fälle mit Laiendarstellern verhandelt. Mit den immer absurderen Geschichten und zum Fremdschämen schlechten Darbietungen ging das Konzept allerdings auf und die Marktanteile stiegen nun auf bis 30 Prozent an. 2002 wurde das Format gar mit dem „Deutschen Fernsehpreis“ als beste tägliche Sendung ausgezeichnet.

Der nun eingetretene Erfolg löste eine Gerichtsshow-Schwemme aus: RTL schickte „Das Jugendgericht“ (2001–2006), „Das Strafgericht“ (2002–2008) und „Das Familiengericht“ (2002–2007) auf Sendung. Sat.1 paarte „Richterin Barbara Salesch“ ab 2001 mit „Richter Alexander Hold“, der den Erfolg am Nachmittag fortsetzen konnte und ebenfalls bis 2012 auf Sendung blieb. Insgesamt 2038 Ausgaben wurden produziert. Bis heute werden Wiederholungen der Gerichtsshows auf RTLplus und Sat.1 Gold gezeigt – und bis heute glaubt eine erschreckend hohe Anzahl der Zuschauer, dass es sich um echte Gerichtsprozesse handelt.

Im Gegensatz zum Talkshow-Boom hielten sich die Sender ProSieben und Das Erste übrigens komplett aus diesem Genre raus und haben keine einzige Gerichtsshow ausprobiert.

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