Das Jubiläum der ARD weckt Erinnerungen an (v. l.) „Soap – Trautes Heim“ im Westdeutschen Fernsehen, „WDR Computerclub“ auf West 3 und „Quarks“ im WDR Fernsehen. ABC, WDR, ARD alpha, WDR / Annika Fußwinkel / picture alliance / Zoonar, Collage SGE
Jerry Lewis erscheint als witzigster Mann des Universums
In meiner Erinnerung verschönerte das Westdeutsche Fernsehen meine Sommerferien durch Filmklassiker mit Jerry Lewis. Durch diesen Spaß lernte ich den Komiker und seine Grimassen in den 70er-Jahren näher als bisher kennen. Kurz vor dem Ende meiner Kindheit begeisterte mich Jerry Lewis etwa in „Der Ladenhüter“, als er auf einer simulierten Schreibmaschine tippte. Selbst nach heutigen Maßstäben empfehle ich „Der verrückte Professor“ – eine Parodie der Legende von „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“. Dank solcher Filme im Dritten Programm vom WDR erschien mir Jerry Lewis damals als der witzigste Mann des Universums.
Ende der 70er-Jahre gefielen mir die Abenteuer von Detektiv „Charlie Chan“ mit seinen chinesischen Wurzeln. Auch diese kuriose Filmreihe aus den 30er-Jahren bereicherte wohl die Schulferien oder die Weihnachtszeit – soweit mein Gedächtnis nicht trügt. Ich bewunderte den Verbrechensermittler aus Hawaii für seine tiefsinnigen Ratschläge. Der Hauptdarsteller Warner Oland oder Sidney Toler verstümmelte seine Weisheiten: Manchmal Maus wichtiger ist als ganze Elefant. Gedankenlos kicherte ich über die schrulligen Formulierungen. Dadurch funktionierte die rassistische List, Reaktionen auf Kosten der asiatischen Figur zu erzielen.
Mit verstörenden Konsequenzen holt WDR „Holocaust“ nach Deutschland
Andere Herausforderungen wurden erkannt und angenommen. Beispielsweise strengte sich der WDR 1979 bei einer amerikanischen Miniserie an: Gegen erhebliche Widerstände holte er „Holocaust“ nach Deutschland. Eine gewisse Rundfunkanstalt der ARD verhinderte die Ausstrahlung im Ersten. Unter Druck bündelte der WDR die Kräfte der Dritten Programme. Auf diese Weise schockierte das traurige Schicksal der jüdischen Familie Weiß die zahllosen Mitläufer und Nutznießer vom Nationalsozialismus. Der Vierteiler schaffte es, ihr jahrelanges Schweigen zu brechen. Beeindruckt vom Widerhall kippte der Bundestag die Verjährungsfrist für Mord und erleichterte somit die Strafverfolgung der Nazis. An solche Konsequenzen dachten Angehörige vermutlich nicht, als sie weinend im Studio anriefen und ihr angebliches Nichtwissen beklagten. Die erfundene Tragödie und die echten Geständnisse überwältigten mich, obwohl ich gleichzeitig vor unbequemen Erkenntnissen fliehen wollte.
Inga Helms (Meryl Streep) heiratet Karl Weiss (James Wood) in „Holocaust“. phoenix/WDR
Nordkette beeindruckt mit Rückblick „Vor 40 Jahren“
Nach dem Umzug in ein Eigenheim pflanzte mein Vater eine leistungsstarke Antenne aufs Dach. Vor dem Startschuss für das Kabel-und Satellitenfernsehen waren eigentlich nur Das Erste, das ZDF und das zugehörige Dritte Programm zu empfangen. Durch die technische Aufrüstung erreichten sogar sechs Sender unsere Familie seit Ende der 70er-Jahre – darunter DDR1 mitsamt Serien wie „Das Krankenhaus am Rande der Stadt“, aber das ist eine andere Geschichte. Das regionale Fenster vom NDR und seinen Partnern führte mich zu Serien, die ich im WWF verpasst hatte.
Vorerst beachtete ich selten Nord 3, das Dritte Programm aus dem nahen Niedersachsen. Indes beeindruckte mich diese Nordkette von NDR, Radio Bremen und Sender Freies Berlin seit 1980 mit „Vor 40 Jahren“: Dieser dokumentarische Rückblick präsentierte ein oder zwei Ausgaben einer Wochenschau aus unterschiedlichen Ländern. Anschließend ordnete ein Zeitzeuge oder Experte das historische Geschehen ein. Der ehemalige Bundeskanzler Willy Brandt erläuterte die deutsche Invasion Norwegens von 1940. „Spiegel“-Chef Rudolf Augstein erinnerte an die Schlacht im Kessel von Tscherkassy 1944. In der Schule stieß meine zeitgeschichtliche Neugier auf wenige Verständnis. Linksorientierte Freunde scheuten eben jeden Versuch, Originalaufnahmen mit Hitler und seinen Helfern aus dem Giftschrank zu holen. Ebenso wurde jede Art angeblicher Propaganda aus den USA verachtet. Weil Material aus der DDR und der Sowjetunion möglicherweise peinlich aussah, verleugneten die Klassenkämpfer den sozialistischen Nachlass. Wer diese Tabus kritisierte, machte sich verdächtig.
Werbeplakat zur Wochenschau „Der Augenzeuge“ Progress Film GmbH
Im Dritten Programm sparten WDR und NDR sowohl an ernsten als auch heiteren oder spannenden Serien. Heute sind zumindest Klassiker aus dem „Tatort“ und überraschende Wiederholungen wie „Beforeigners“ zu finden. Angesichts dieses Mangels schnappte ich 1982 nach einem US-Import, obwohl mich die Themen aus den klassischen Seifenopern befremdeten: „Soap – Trautes Heim“ sprengte sämtliche Erwartungen und setzte die Messlatte für abstruse TV-Geschichten höher. Eine Hausfrau stand unter Mordverdacht, ein katholischer Priester heiratete, Satan steckte in einem Neugeborenen, ein alter Major kämpfte nach wie vor im Weltkrieg, ein Butler quatschte vorlaut über seinen Arbeitgeber, ein schwuler Stiefsohn musste zwischen Anpassung und Geschlechtsumwandlung wählen, Außerirdische kidnappten seinen Bruder …: Sind Sie jetzt sehr durcheinander? Verwirrt?, lautete die entscheidende Frage dieser grotesken Serie mit der anschließenden Lüge: Nach dieser Folge werden Sie alles besser verstehen! Wie schade, dass die Dritten Programme lediglich die erste Staffel ankauften. Spaßbremsen begrüßten hingegen den Abschied von „Soap“.
Stocksteife Moderatoren und Darsteller präsentieren „Schulfernsehen“
In den 70er- und 80er-Jahren landeten gelangweilte Kinder und Jugendliche mitunter beim „Schulfernsehen“. In ihrer Freizeit konnten sie also stocksteife Moderatoren und Darsteller betrachten, die Unterrichtsstoff aufarbeiteten. Nicht nur bei Fremdsprachen wirkten die allzu bemühten Lektionen lächerlich. Das attraktive Medium Fernsehen sollte Inhalte verdeutlichen, wenn das traditionelle Bildungssystem versagte. Dessen ungeachtet setzten nur wenige Lehrer das Material ein. Immerhin folgte das „Schulfernsehen“ dem gesellschaftlichen Wandel, indem es fortschrittliche Themen zur Sozialkunde oder Arbeitslehre aufgriff. Mittlerweile sind die TV-Übertragungen mit multimedialen Elementen vernetzt worden. Nichtsdestotrotz hat die ARD fast das gesamte „Schulfernsehen“ von den Dritten Programmen nach ARD alpha ausgelagert. Das gegenwärtige WDR Fernsehen verzichtet auf die verstaubten Aktivitäten.
In den meisten Bundesländern verschwunden ist eine Variante für Erwachsene, die ihren Realschulabschluss oder ihr Fachabitur nachholten: In den 70er- und 80er-Jahren führten seltsame Zausel die Teilnehmer vom „Telekolleg“ durch Kurvendiskussionen (Mathe), Ungesättigte Kohlenwasserstoffe (Chemie) und US energy crisis (Englisch). Das „Telekolleg“ verblüffte mit absurden Methoden und Inszenierungen. Die wahren Bildungskünstler spielten hingegen mit der neuartigen Informationstechnologie. So leitete Wolfgang Back gemeinsam mit Wolfgang Rudolph den „WDR Computerclub“ von 1983 bis 2003. In dieser Welt existierten keine Frauen. Die leicht verrückten Typen berichteten über Umbrüche zwischen BTX, CB-Funk, Linux und Mikroprozessoren. Ich verlor regelmäßig den Faden, staunte jedoch über das Talent und den Einsatz dieser Kerle.
„Quarks“ verdrängt „Hobbythek“ und „Kopf um Kopf“
Wie seine Kollegen der Digitaltechnik huldigte Jean Pütz dem Prinzip Do it yourself. Im Westdeutschen Fernsehen der 70er- und 80er-Jahre rühmte er Wissenschaft für den Alltag: Der Elektriker, Nachrichtentechniker, Lehrer und Journalist moderierte die legendäre „Hobbythek“. Es ging zum Beispiel um Fotografie, Kosmetik zum Selbermachen und Rund um den Po – Gesunde Pflege von innen und außen. Diese Sendungen sorgten immer wieder für Gesprächsstoff. Jean Pütz förderte den jüngeren Mitarbeiter Ranga Yogeshwar, der später auf wissenschaftliche Unterhaltung baute und etwa die „Hobbythek“ kippte. Seine frischen Formate wie „Quarks“ haben die Zuschauerinnen und Zuschauer überzeugt. Trotzdem vermisse ich den verblichenen Glanz der ökologisch bewegten „Hobbythek“ und der streberhaften Spielshow „Kopf um Kopf“.