Big School – Review

TV-Kritik zur BBC-Comedy von David Walliams – von Gian-Philip Andreas

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 16.09.2013, 11:59 Uhr

Mr Gunn (Philip Glenister) und Mr Church (David Walliams) buhlen um die Gunst von Miss Postern (Catherine Tate). Miss Baron (Frances de la Tour), die eiserne Lady von Greybridge School, wünscht sich weit weg.

Comedy im Schulmilieu? Die ist nicht neu, vor allem nicht, wenn sie aus England kommt. Letztes Jahr erst starteten die Lehrerklamotte „Bad Education“ (BBC 3) und die Eltern-vor-der-Grundschule-Serie „Gates“ (Sky Living); davor gab es schon die „Teachers“, und auch die „Inbetweeners“ trieben ihr fäkalsprachliches Unwesen meist zwischen Sport-Unterricht und Mathe-Hausaufgabe. Trotzdem ist das Interesse geweckt, wenn sich mit David Walliams jetzt einer der Großmeister der jüngeren Comedy-Historie Britanniens an diesem Thema versucht.

Der Mann, der zusammen mit Matt Lucas die Sketch-Comedys „Little Britain“ und „Come Fly with Me“ produzierte und inzwischen immer mal wieder Kinofilme beehrt (aktuell: „The Look of Love“), schrieb sich hier die Rolle eines, nun ja, schrägen Chemielehrers auf den Leib. Schräg in dem Sinne, dass dieser Mr. Church mit den Gepflogenheiten des sozialen Zusammenlebens weit weniger vertraut zu sein scheint als mit den blubbernden, schäumenden und verpuffenden Experimenten in seinem Unterricht, an denen er indes bedeutend größere Freude hat als seine dauergelangweilten Schüler.

„Big School“ ist ganz gut gestartet auf BBC One, ein Überhit aber zeichnet sich nicht ab. Das passt zu den eher lauwarmen Reaktionen der britischen Kritiker, aber auch zur soliden Machart dieser Single-Camera-Serie. In gemächlichem Tempo und ohne neumodische Montage-Mätzchen vom bald 70-jährigen Routinier Tony Dow inszeniert, zielen die Gags auf sehr englische Weise vor allem auf den Cringe-Faktor ab, grob gesagt also: auf die Fremdscham. Und die betrifft hier vor allem die Lehrer und nicht die Schüler, die eher eine untergeordnete Rolle spielen.

Die (auch jenseits von Walliams) namhafte Besetzung hat jedenfalls spürbare Freude an der satirischen Studienratverkörperung: Catherine Tate etwa, bekannt durch ihre eigene Sketchshow und prominente Parts in „Doctor Who“ und der US-Version von „The Office“, glänzt als obsessiv idealistische Französischlehrerin, die zwar selbst noch nie in Frankreich war, aber: „Es soll schön dort sein.“ Als kess berockter Kollegiumsneuling zieht diese Miss Postern vom ersten Tag an die Blicke nicht nur von Mr. Church, sondern auch von den meisten anderen (nicht nur) männlichen Kollegen auf sich. Dadurch ist schon in der Auftaktfolge ein wichtiger dramaturgischer Richtungsanzeiger etabliert: der gockelhafte Zweikampf zwischen Mr. Church und seiner Nemesis Mr. Gunn, dem Cockney-brabbelnden, unsäglich unflätig daherkommenden Sportlehrer, den Philip Glenister („Life on Mars“) herrlich dummdreist als Schinder im Ballonseidenanzug spielt. Frustrierend für Mr. Church: Der vulgäre Trillerpfeifen-Proll hat am Ende meist Oberwasser, sogar beim Buhlen um Miss Postern.

Neben diesem zentralen Trio gibt es noch den bedauernswerten Erdkundelehrer Barber (Steve Speirs): Der hat längst resigniert und wird, vielleicht gerade deshalb, immer wieder zum Gespött der Schüler und zum Objekt obszöner Wandillustrationen auf dem Schulklo. Oder Musiklehrer Martin (David Rigby), der sich für einen genialischen Beatnik hält, neben den Beatles und zwischen Oasis und Beady Eye nichts anderes gelten lässt, als Musiker allerdings größere Raffinessen sträflich vermissen lässt. Oder die lesbische Theaterkursleiterin Mrs. Klebb (Joanna Scanlan), die vor allem mit gesteigerter Neugier auffällt. Mr Hubble schließlich (James Greene), seniler Leiter der Naturwissenschaftsabteilung, hat das Greisenalter längst erreicht und verirrt sich regelmäßig in falsche Klassenzimmer.

Wissenschaftler aus Leidenschaft: Mr Church (David Walliams)
Über den Lehrern thront dann noch Miss Baron, die Rektorin, mit Gusto gespielt von der großen britischen Theaterschauspielerin Frances de la Tour (die zuletzt in den Harry-Potter-Filmen zu spätem Kinoruhm gelangte). Miss Baron sitzt meist mit unnachahmlich gelangweiltem Gesichtsausdruck in ihrem Büro und wartet darauf, wieder einen ihrer Untergebenen mit stoischen One-Linern abzufertigen: Miss Postern? Wer war das noch mal? Den bei Schülern konfiszierten Alkohol oder Haschisch bewahrt sie stets höchstpersönlich auf – vor allem für den Eigenbedarf. Alles an ihr ist Überdruss und Enttäuschung. Würde Evelyn Hamann noch leben: In einem deutschen Remake wäre das die Rolle für sie gewesen.

Gewiss, manche Gags in „Big School“ sind eher Schmunzler als Knaller, momentweise neigt die Komik gar zum Trutschigen und Gestrigen mit eher langem Bart. Dann aber bricht oft genug das genuin Britische durch, das ja immer auch das Seltsame, Aus-der-Spur-Gerutschte und Weirde meint. David Walliams selbst zum Beispiel, der hier mit beunruhigend ondulierter Lockenfrisur und im abgetragenen Sakko einen nicht mehr ganz so jungen Junggesellen gibt: Das erinnert an den von ihm gespielten, gruselig querflötenden Hotelbesitzer aus „Little Britain“ (Mr. Church spielt übrigens Oboe), aber eben auch an all jene herkömmlich-verschrobenen Chemielehrer aus unseren eigenen Erinnerungen – nur dass Church/​Walliams das Stereotyp mit seiner patentierten Pantoffelhelden-Queerness eben wunderschön ins Absonderliche kippen lässt.

So muss sich Mr. Church etwa von einem Klassenrabauken erklären lassen, wie man denn nun eigentlich mit Frauen umgeht und sich dann von einem Nachsitzer einen Facebook-Account anlegen lassen, nur um dann beim ersten Date (Castingshowgucken mit Miss Postern) ein völlig unpassendes, gigantomanisches Häppchen-Bufett aufzutischen. Im Unterricht assistiert ihm regelmäßig eine wuchtige Frau namens Pat, die niemals spricht, aber offenbar in ihn verliebt ist. Überhaupt: Chemielehrer! Wer kann einen solchen denn noch unbefangen als Held mit Periodensystem und Erlenmeyerkolben wahrnehmen, ohne zugleich an den bösesten ihrer Zunft zu denken, an den Meth-Koch Walter White? Ist seit „Breaking Bad“ nicht jedem Film- und Fernseh-Chemielehrer von Anfang an eine akute Ausrastgefahr eingeschrieben? Mal sehen, ob auch der so betont wie vergeblich um Korrektheit bemühte Mr. Church am Ende zu entgleisen droht – beim Werben um Miss Postern lässt er naturwissenschaftliche Ratio jedenfalls schon mal sträflich vermissen.

In den ersten Episoden kommt es in der Greybridge School unter anderem zu einem Talentwettbewerb, bei dem Mr. Church mit Mr. Gunn um den ersten Platz konkurriert, bevor dann doch der Musiklehrer mit einer Pathos-Nummer abräumt; außerdem kommt es zu einem Beschuldigungswettlauf, bei dem sich Gunn und Church gegenseitig als Junkies zu kompromittieren versuchen. Gunn hackt sich dazu gar in Churchs Facebook-Account ein und lädt in dessen Namen die Schülerschaft zur vermeintlichen Saufparty ein.

Solche wenig komplexen, aber durchaus liebevoll ausgedachten Storylines lassen immer wieder Platz für Brüller, wobei Rektorin Baron verlässlich die besten Pointen abbekommt. Freilich stellt sich da irgendwann ganz von selbst die Frage, wie lange „Big School“ damit durchkommen wird. Für sechs erste Folgen dürfte das reichen: Die Charaktere sind skurril genug, damit die Autoren um Walliams auch in den kommenden Episoden noch den einen oder anderen Fettnäpfchenparcours für sie bereitstellen können. Doch dann? Es ist nicht unproblematisch, dass die Charaktere jenseits besagter Skurrilität keine erkennbare Tiefe besitzen. Von den melancholischen Abgründen und tragischen Verstrickungen, die etwa Ricky Gervais’ Serien („The Office“, „Extras“„) so heraushoben, ist hier bislang noch kaum etwas zu spüren. Bleiben die Figuren auf Dauer nur Karikaturen, könnte trotz der tollen Darsteller das Interesse an ihnen rasch erlahmen. Dann wäre „Big School“ am Ende doch nur eine von vielen Schul-Comedies – und das wäre verschenkt. Denn bis jetzt macht sie Spaß.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten drei Folgen von „Big School“.

Meine Wertung: 3,5/​5

Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: BBC

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

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