Staffel 2, Folge 1

  • 7. Arsch hoch, Deutschland!

    Staffel 2, Folge 1
    Die „Rabiat“-Reportage „Arsch hoch, Deutschland!“ zeigt ein Sittengemälde der Abgehängten und Unzufriedenen in Zeiten der Vollbeschäftigung. Egal, ob in Ost oder West, sieht das Bild ähnlich aus: Die Armut nimmt zu, trotz sinkender Arbeitslosigkeit. Wer arm ist, ergibt sich, in manchen Familien über Generationen hinweg. Warum eigentlich, fragt „Rabiat“-Autorin Anne Thiele sich, die Protagonisten und die Zuschauer. Berlin Marzahn, 5:30 Uhr am Neujahrsmorgen. Kerstin Brandt sammelt das, was vom Rausch der Nacht liegen geblieben ist.
    „Hier, 15 Cent!“ Drei Stunden später hat die 30-jährige Berlinerin eine Ausbeute von vier Euro Pfand. „Das Geld liegt auf der Straße!“ Kerstin ist Mutter von zwei Kindern, sie geht sechs Stunden am Tag arbeiten, fünf Tage die Woche. Dennoch muss sie mit Hartz IV aufstocken. Als arm empfindet sich Kerstin trotzdem nicht. Auch wenn sie es per Definition ist. Kerstin schöpft alle Möglichkeiten aus, die der Staat ihr bietet. „Was mir zusteht, krieg ich. Man muss nur wissen, wie.
    Viele wissen das nicht.“ Durch ihren Job hat Kerstin 200 Euro mehr raus, als durch den Hartz-IV-Satz von aktuell 423 Euro. „Ein Anreiz, Arbeiten zu gehen, ist das eigentlich nicht. Aber ohne fällt mir die Decke auf den Kopf.“ Aktuell sind ca. 1,2 Mio. Erwerbstätige wie Kerstin zusätzlich zu ihrem Einkommen auf Hartz IV angewiesen. Ca. weitere zwei Millionen haben Anspruch darauf, ohne es zu beziehen. Jeder Sechste lebt in Deutschland in relativer Armut. Andere haben Angst vorm Abstieg oder leben seit Jahren in prekären Verhältnissen.
    Trotz Sozialstaat und Vollbeschäftigung. In einem Land, das seit Jahren wirtschaftlich boomt und zu den reichsten Ländern Europas gehört. Selbst dran schuld? Wer nur richtig will, der kriegt einen Job? Jürgen Weber kann bei der Frage, warum er jahrelang keinen Job gefunden hat, nur noch müde lächeln. „Irgendwas war immer: Alter, Gesundheitszustand, überqualifiziert, unterqualifiziert, Nase nicht gepasst.“ Faul sei er in der Zeit nicht gewesen. „Ich war arbeitssuchend, nicht arbeitslos.“ Der Lebenslauf des 59-Jährigen ist fünf Seiten lang.
    Von einer Maßnahme in die nächste. Umschulung hier, Ein-Euro-Job da. Bis vor einem Jahr. Da konnte sich Weber eine Weiterbildung erstreiten. Über 30 Mal hat er schon gegen das Amt geklagt. Ob gegen Sanktionen oder
    für mehr Geld. Heute hat er einen Security-Job, bewacht im nächtlichen Schichtdienst das Potsdamer Schloss. Der Traumjob sei das nicht. Eher die Einsicht in die Notwendigkeit. Dann seien zumindest noch ein paar Euro mehr Rente drin und endlich wieder ein Sozialleben.
    „Man vereinsamt ja zu Hause. Wo soll man auch hin ohne Geld? Mein letzter Kinobesuch, da ist die Titanic gesunken.“ Lasse Petersdotter könnte es ähnlich gehen. Seine Mutter ist eine alleinerziehende Altenpflegerin mit drei Kindern, der Vater Hartz-IV-Empfänger. Doch der 29-Jährige ist heute Abgeordneter im Schleswig-Holsteinischen Landtag. Wie er es geschafft hat? „In der siebten Klasse sagte eine Lehrerin zu mir: ‚Lasse, Du wirst später hier die Fenster putzen.‘ Ich dachte nur: Jetzt erst recht! Dir zeig‘ ich’s. Ich war respektlos und zornig.“ Thomas Kornetzki hat eine kleine Baufirma in der Nähe von Hamburg und sucht händeringend Personal und Nachwuchs.
    2013 hat er den letzten Auszubildenden eingestellt. Seitdem bewerben sich jedes Jahr gerade mal eine Handvoll Schulabgänger auf seinen ausgeschriebenen Ausbildungsplatz. „Zu meiner Zeit hatten wir zwei 30er Klassen im Handwerk. Jetzt sind es gerade mal fünf Leute im ganzen Landkreis.“ Woran das liegt? Zu wenig Gehalt, zu viel Arbeit.
    Keiner wolle mehr körperlich arbeiten, bei Wind und Wetter. „Wenn ich heute meinen Kindern erzähle, sie sollen mal draußen spielen, nimmt mein Sohn seinen Laptop mit auf die Terrasse.“ Abi machen und studieren gehen – das würde heute von den jungen Leuten erwartet. Und: Geld fließe in die Industrie, nicht in mittelständische Unternehmen. „Was die Politik nicht auf dem Zettel hat: Wir kriegen immer mehr Häuptlinge und keiner Indianer mehr.“ „Rabiat“-Reporterin Anne Thiele begibt sich auf eine Reise durch Deutschland, die sie auch zu den Menschen in die Plattenbauten von Jena und Umgebung führt – zurück an den Ort, an dem die Autorin aufwuchs.
    Sie trifft Lasse Petersdotter in seiner Heimatstadt Kiel und im Berliner Bundestag, sammelt mit Kerstin Brandt am Neujahrsmorgen Flaschen und besucht Jürgen Weber in seiner Potsdamer Plattenbauwohnung, in der er seit 43 Jahren zur Miete wohnt. Die „Rabiat“-Reportage „Arsch hoch, Deutschland!“ geht auf Reisen zu denen, die übersehen werden, die sich abgehängt fühlen, wütend sind oder resignieren. Sie sucht nach Menschen, die nicht arbeiten wollen, und denen, die keinen Job finden. (Text: ARD)
    Deutsche TV-PremiereMo 13.05.2019Das ErsteDeutsche Online-PremiereSo 12.05.2019YouTube
    deutsche Erstausstrahlung ursprünglich für den 20.05.2019 angekündigt

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Sendetermine

Di 23.07.2019
23:45–00:30
23:45–
Di 14.05.2019
04:45–05:30
04:45–
Mo 13.05.2019
22:45–23:30
22:45–
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