„Your Friends & Neighbors“: Juwelendieb aus Absturzangst – Review

Die satirische Dramedy mit Jon Hamm hat ihren Tonfall noch nicht so recht gefunden

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 10.04.2025, 20:17 Uhr

Der Smoking sitzt, der Blick verrät Sorgen: Wie kann Coop (Jon Hamm) seine Niederlagen verstecken? – Bild: AppleTV+
Der Smoking sitzt, der Blick verrät Sorgen: Wie kann Coop (Jon Hamm) seine Niederlagen verstecken?

Knapp zehn Jahre ist es her seit dem Ende von „Mad Men“ – seither war Jon Hamm nicht mehr als Hauptdarsteller einer Serie zu sehen. Nun hat er sich von AppleTV+ „Your Friends & Neighbors“ auf den Leib schneidern lassen: Neun Episoden lang spielt er einen Wall-Street-Broker, dessen private und berufliche Welt implodiert, woraufhin er zu illegalen Mitteln greift, um seinen luxuriösen Lifestyle halten zu können. Das ist mal dramatisch, mal satirisch – überzeugt aber nicht immer.

Ende der Nullerjahre, noch vor dem Auftritt der Streamingdienste auf dem Serienmarkt, hatte der US-Kabelsender AMC zwei Eigenproduktionen im Programm, die wie keine anderen aus jenen Jahren synonym stehen für das rund um tragische Antihelden herum gebaute Peak TV jener Jahre. In „Breaking Bad“ mutierte ein krebskranker Chemielehrer zum drogenkochenden Verbrecher, in „Mad Men“ durchschritt Jon Hamm als genialischer Werbeprofi die gesellschaftlichen Umbrüche der Sechzigerjahre – mit Streuverlusten im Privatleben. „Your Friends & Neighbors“ nun scheint beide Serien verschmelzen zu wollen: Hamm gibt wieder den sich nahezu unantastbar fühlenden, wohlhabenden Urban Professional von der US-Ostküste, der sich dann aber, als sein Leben an allen Ecken und Enden auseinanderfliegt, zum persönlichen Breaking Bad entscheidet – und zum Juwelendieb umschult.

Dass das nicht gutgehen kann, zeigt schon das Cold Open der Pilotfolge, von Serienschöpfer Jonathan Tropper („Banshee“, „Warrior“) höchstpersönlich inszeniert. Da erwacht Jon Hamms Figur, der New Yorker Hedgefonds-Manager Andrew Cooper, neben einer übel zugerichteten Leiche auf den Marmorfliesen eines edlen Herrenhauses, nur um danach desorientiert in den Swimmingpool zu stolpern. Wie er in diese Lage geraten konnte, dröselt die Serie dann im Einzelnen auf.

Der private Kollaps hat zu Serienbeginn schon stattgefunden: Ehefrau Mel, gespielt von Amanda Peet („Brockmire“, „Togetherness“), ertappte er vor nicht allzu vielen Monaten in flagranti beim Liebesspiel mit seinem besten Freund Nick (Mark Tallman, „State of Affairs“), einem ehemaligen NBA-Profi und jetzigen Gym-Betreiber sowie Erfinder luxuriöser Bluetooth-Toiletten. Der Ehebruch ist Anlass für einen bitteren Zeitraffermonolog über Coopers von Kreditaufnahmen und Überstunden geprägten Aufstieg vom Studenten in den Börsenbroker-Olymp und vom Ein-Zimmer-Apartment zur Luxusvilla, der dann, am Karrierezenit, jäh zerbarst. Andrew zog aus der Villa aus, nahm nur den Maserati mit, bei dem nun ständig der Kofferraum klemmt. Jetzt lebt er allein in einem gemieteten Haus, guckt abends „Umleitung“ und andere Schwarzweißkrimis im Fernsehen und versucht ansonsten so zu tun, als habe sich nicht groß etwas verändert. Abends gabelt er in Bars junge Frauen auf, indem er kokettierend davon spricht, er sei doch viel zu alt für sie, und an anderen Abenden tröstet er sich mit Nachbarin Sam (Olivia Munn aus „The Newsroom“), die selbst gerade in einer üblen Scheidung steckt und ihr Leben neu sortieren muss.

Ex-Gattin zwischen Limousinen: Mel (Amanda Peet) auf dem Weg zum Country Club Apple TV+

Die 17-jährige Tochter Tori (Isabel Marie Gravitt, „The Watcher“) will es als Tennis-Crack an die Elite-Uni Princeton schaffen, der 15-jährige Sohn Hunter (Donovan Colan, „Spooky Night“) kapselt sich mit Kopfhörern von der Umwelt ab und sagt nicht viel. Beide mögen den Vater nicht allzu sehr, kosten aber viel Geld. Und in dieser Situation platzt dann die zweite Bombe, diesmal die berufliche: „Coop“, wie er von Freunden und Kollegen genannt wird, wird gefeuert, im Whirlpool nach der Squash-Session, in der Mittagspause, direkt vom Chef, den Corbin Bernsen als besonders fieses Ekelpaket spielt. Der willkürliche Grund scheint zu sein, dass er einen One Night Stand mit einer untergebenen Mitarbeiterin hatte – die sich freilich gar nicht darüber beklagt hatte.

Egal: Coop ist raus, verliert alle Einlagen und hat ab sofort kein Einkommen mehr. Das ist schlecht unter lauter Freunden und Nachbarn, die vom Auto bis zur Armbanduhr nur Dinge zu besitzen scheinen, die 200.000 Dollar kosten. Der Titelsong der Serie von Hamilton Leithauser und Dominic Lewis lautet „The Joneses“ und umspielt die englische Wendung vom keeping up with the Joneses, also dem sozialen Wettbewerb, in puncto Lebensstandard nicht schlechter dastehen zu dürfen als die eigene Peer Group: Was soll die Nachbarsfamilie Jones denn nur denken? Genau an diesem Punkt kommt Coop dann auch auf die Idee, wie er seinen Lifestyle halten kann: indem er genau diese Nachbarn bestiehlt, ihnen bei (erstaunlich einfach durchführbaren) Einbrüchen all die Patek-Philippe-Uhren, Juwelen und Roy-Lichtenstein-Gemälde entwendet, deren Verlust sie ohnehin kaum bemerken, und sie dann bei zwielichtigen Pfandleihern in der Bronx zu Geld macht.

Damit sind die Bereiche abgesteckt, zwischen denen Tropper die Serie ihre Kreise ziehen lässt: das Drama des weißen, wohlhabenden Mannes, der sich durch amourösen und finanziellen Verlust gleichsam entmannt sieht; die Satire auf den konsumistischen Status-Irrsinn der Ostküsten-Eliten mit ihren Country Clubs und Luxus-Dinnerpartys im Kaschmir-Polo und Segeltuchschuh; schließlich der Krimi um das Breaking Bad eines Mannes, dessen bisheriger Job zumindest aus kapitalismuskritischer Perspektive als nicht weniger niederträchtig einzustufen war: den Reichtum der Reichen zu mehren, ohne Rücksicht auf Verluste bei anderen.

Singles über vierzig: Coop und Sam (Olivia Munn) haben eine Affäre – oder ist es sogar mehr? Apple TV+

Erfreulich wäre es, wenn diese drei Komponenten in den sieben Episoden, die die Presse zuvor sehen konnte, auch kontinuierlich zueinanderfinden würden. Was sie aber leider nicht tun. „Your Friends & Neighbors“ besteht aus zahlreichen tollen Beobachtungen und Details, einigen sehr starken Szenen und wird von sehenswerten Darstellerleistungen getragen – ohne je so richtig zu einem eigenen Tonfall zu finden.

Allein das Charakterdrama um den reichen Typen, der plötzlich nicht mehr reich ist (in Wirklichkeit aber wohl keine allzu große Mühe hätte, einen Lifestyle halten zu können, der das Niveau der allermeisten anderen immer noch locker überragt), hat nicht die Fallhöhe, die ihm von Zuschauerseite sonderlich viel Mitleid einbringen würde. Coop ist eine Figur, die einem bourgeoisiekritischen Spätneunzigerjahrefilm à la „American Beauty“ ebenso enthoben sein könnte wie einem Roman von John Updike oder Philip Roth; wenig an dieser Figur wirkt neu, nur Jon Hamms unbestrittener Charme hält sie über Wasser (und macht die lässliche Eitelkeit verträglich, dass der 54-Jährige in der Serie einen 47-Jährigen spielt).

Als Figur wäre Coop, so scheint es zumindest eingangs, besser für einen Film geeignet oder eine Miniserie. Doch Apple TV+ ist von „Your Friends & Neighbors“ so überzeugt, dass bereits direkt nach Drehschluss die zweite Staffel geordert wurde, was Anlass dazu gibt darüber nachzudenken, wohin hier die Reise gehen soll. Mit den (sowieso nicht auf Suspense hin inszenierten) Hauseinbrüchen bei den reichen Nachbarn ist schließlich keine Mehrzahl an Staffeln zu füllen, zumal schon jetzt mit Detective Lin (Sandrine Holt) eine Polizistin auf den Plan getreten ist, die definitiv nicht in die falsche Richtung ermittelt.

Ist es also der satirische Blick? Man würde es sich wünschen, denn tatsächlich steckt sehr viel Komisches in oder hinter dem Beziehungsreigen, der da in den ersten Episoden aufgefächert wird. Doch genau hier setzt Tropper viel zu oft aufs Offensichtliche. Coop erzählt die Geschehnisse als Ich-Erzähler aus dem Off mit Sarkasmus, Selbstironie und Meta-Kommentar, ständig werden da die „platten Metaphern“ aufgespießt, die sich uns Zuschauern aufdrängen – was letztlich auch nichts daran ändert, dass diese Metaphern eben tatsächlich platt sind. In den geschliffenen Dialogen steckt viel zu viel erklärende (Selbst-)Analyse, flankiert von kapitalismuskritischen Gassenhauern der Popmusik, von Arcade Fire bis Blur. Die andauernde ironische Selbstbespiegelung sorgt für eine Distanzierung des Publikums, die in puncto Figurenbindung nicht ideal ist. So toll Jon Hamm gerade auch in komischen Momenten spielen kann, so uneben wirkt hier der Sound.

Trockene Sprüche über versiegenden Geldfluss: Coop und sein Business Manager Barney (Hoon Lee) AppleTV+

Bleibt also doch das Charakterdrama. Dabei fällt auf, dass Tropper sehr daran gelegen ist, das Geschehen zwar an Coop „aufzuhängen“, eigentlich aber sehr viel mehr Geschichten zu erzählen, die sich teilweise auch als langfristig ergiebiger erweisen. Ex-Gattin Mel etwa, die mit Nick nicht das tollste Alternativ-Los gezogen hat, gewinnt (auch in Amanda Peets Spiel) immer mehr an Tiefe. Aus dem Fundus der diversen Freundespaare kristallisieren sich bald Coops „Business Manager“ Barney (Hoon Lee aus „Banshee“) und seine Gattin Grace (Eunice Bae) als das interessanteste heraus, und in der vierten Folge entert mit Haushälterin Elena (Aimee Carrero aus „The Consultant“), die unerwartet zu Coops Komplizin avanciert, die möglicherweise spannendste Figur der Serie den Bildschirm – auch weil sie die Perspektive einer entschieden Nicht-Reichen einbringt. Und dann kreuzt auch noch der derzeit unvermeidbare Isländer Ólafur Darri Ólafsson („Severance“, „Somebody Somewhere“) auf – als durchgeknallter Kunsthändler.

Von den weiteren familiären Hakenschlägen haben wir dabei noch gar nicht gesprochen, von Vater und Mutter Cooper und ihrer frösteln machenden Distanziertheit und von der psychisch kranken Schwester Ali, die in Coops Haus einzieht. Sehr schön wird sie in die Serie eingeführt, „Fake Plastic Trees“ von Radiohead singend vor dem Haus ihres Ex-Partners, wo dieser mit seiner neuen Familie wohnt. Auch danach macht Broadway-Schauspielerin und Sängerin Lena Hall („Snowpiercer“) die Figur zu einem emotionalen Nebenzentrum der Serie.

Irgendwo in diesem durch die Bank famos gespielten Figurengeflecht verbirgt sich gewiss der Mehrwert, der Apple TV+ dazu bewogen hat, langfristig auf diese Produktion zu setzen. Zugestanden: Unterhaltsam ist das alles schon jetzt. Allein das wirklich Originelle, das möglicherweise auch auf Jahre hinaus Tragfähige, das will sich (derzeit noch) nicht wirklich erkennen lassen.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten sieben (von neun) Episoden von „Your Friends & Neighbors“.

Meine Wertung: 3/​5

Die Serie „Your Friends & Neighbors“ wird ab dem 11. April 2025 weltweit bei Apple TV+ veröffentlicht. Neben der neunteiligen Auftaktstaffel wurde frühzeitig eine zweite Staffel bestellt.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kom­mu­ni­ka­tions­wis­sen­schaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1965) am

    Die Serie hast einen eigenen Charme und hat mich mit seinen zwei Folgen sehr gut unterhalten. Jon Hamm ist ein vielseitiger Schauspieler, der hier eine sympathische Rolle hat, genau wie Amanda Peet. Hoon Lee sehe ich auch immer wieder gern. 
    Was ich persönlich hier bei fernsehserien.de unschön finde, daß schon auf weitere Folgen gespoilert wird. Unnötig!!  Der Normal-AppleTV -User kann nur die ersten beiden Folgen schauen und nicht auf die ersten sieben Folgen.
    • am

      Erstmal schön, dass Hoon Lee erneut wieder zum Ensemble der neuen Serie von Jonathan Tropper gehört. Er hat für mich schon Banshee und Warrior bereichert. Da ich die beiden Serien von Tropper sehr mochte, habe ich hoffentlich nicht zu hohe Erwartungen an die neue Produktion.

      "Unterhaltsam ist das alles schon jetzt" ist schon mal ein guter Einstieg und wenn sich Jonathan Tropper treu bleibt, brauche ich nicht zwingend "das wirklich Originelle".

      weitere Meldungen

      Hol dir jetzt die fernsehserien.de App