„Lupin“: Der Meisterdieb kehrt endlich zurück – Review

Der zweite Teil des Netflix-Erfolgskrimis macht umstandslos da weiter, wo im Januar aufgehört wurde

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 11.06.2021, 16:30 Uhr

Für ihn ist selbst die gesichertste Tür kein ernsthaftes Hindernis: Meisterdieb Assane Diop (Omar Sy). – Bild: Netflix
Für ihn ist selbst die gesichertste Tür kein ernsthaftes Hindernis: Meisterdieb Assane Diop (Omar Sy).

Es war einer der fiesesten Cliffhanger des bisherigen Serienjahres: Am Ende der ersten fünf Folgen von „Lupin“, die Netflix im Januar veröffentlichte, wurde der halbwüchsige Sohn des Rächers und Meisterdiebs Assane Diop gekidnappt, während der einzige Polizist, der clever genug war, Diop auf die Spur zu kommen, dem Gesuchten endlich gegenüberstand. Und dann? Fünf Monate peinigende Pause! Jetzt können die Fans endlich weiterschauen: Fünf neue, kaum weniger unterhaltsame Folgen des charmanten Hochglanzthrillers mit „Ziemlich beste Freunde“-Star Omar Sy stehen auf Netflix bereit, und sie knüpfen bruchlos dort an, wo im Januar Schluss war.

Angeblich, so ließ es Netflix zumindest verlauten, mauserte sich die französische Produktion Anfang des Jahres zur meistabgerufenen nicht-englischsprachigen Serie des Streamingdienstes. Kein Wunder, dass nicht nur die fünf nächsten Episoden möglichst schnell hinterhergeschoben werden sollten, sondern dass auch weitere Folgen bereits in Auftrag gegeben wurden. Angesichts der Kürze der Blöcke von jeweils fünf mal 45 Minuten spricht der Streamer auch nicht von Staffeln, sondern von „Teilen“.

Mit dem ersten Teil war den Autoren George Kay („Criminal“, „Stag“) und François Uzan ein ideales Gegenstück zu dem gelungen, was die BBC eine Dekade zuvor mit „Sherlock“ hinbekommen hatte: eine ikonische Detektivfigur als elegantes Entertainment in die Jetztzeit zu verpflanzen. Allerdings mit einem cleveren Twist. Denn wo „Sherlock“ die britische Ermittlerlegende konsequent in die Moderne hievte, versteht sich „Lupin“ dezidiert nicht als Verfilmung der zwischen 1905 und 1935 erschienenen Arsène-Lupin-Romane und -Erzählungen von Maurice Leblanc, sondern als Hommage an diese. „Lupin“ kreist um einen genialen Dieb mit Migrationshintergrund, der sich durch Leblancs Lupin-Bücher dazu inspirieren lässt, eine private Tragödie zu rächen. Der in Frankreich nahezu jedem Kind bekannte Lupin ist kein Detektiv wie Sherlock Holmes, sondern ein Gentlemandieb mit Monokel, Frack und Zylinder – der allerdings immer wieder in Kriminalfällen ermittelt und der Polizei unter die Arme greift. Dieser Kniff, den Dieb zum Detektiv zu machen, wenn auch zunächst in eigener Sache, hat „Lupin“ von Anfang an zu einem wunderbar doppelbödigen Vergnügen gemacht.

Der Lupin der Serie heißt also nicht Lupin, sondern Assane Diop, und er trägt auch keinen Zylinder, sondern Air-Jordan-Sneaker. Als Kind des Senegalesen Babakar kam er (was mit der Mutter geschah, blieb bislang unbeleuchtet) einst nach Paris. Nach dem Suizid des Vaters (Fargass Assandé), der ihm die Liebe zu Lupin vererbte, wuchs er in einem Waisenhaus auf. Babakar hatte sich 1995 erhängt, nachdem er fälschlich beschuldigt worden war, seinem Arbeitgeber, dem steinreichen Medienmogul Hubert Pellegrini (Hervé Pierre), ein millionenteures Collier gestohlen zu haben.

25 Jahre später ist aus Assane ein kriminelles Mastermind geworden: ein lässiger Gentleman-Ganove in schicken Trenchcoats, der im „Ocean’s Eleven“-Stil gewiefte Einbrüche plant und durchführt, tumbe Komplizen in die Falle laufen lässt, Bösewichtern über die Dächer von Paris entwischt, alle für sein Metier entscheidenden Techniken von der Handschellen- und Autoknackerei bis zum kraftvollen Zuschlagen (aber nur im  Notfall) beherrscht und für seine Heists und Täuschungsmanöver gerne in die abenteuerlichsten Verkleidungen und Masken schlüpft. Kurzum: Assane Diop ist ein bisschen so etwas wie ein Magier, seinen Gegnern immer mehrere Schritte voraus und selbst in improvisationsbedürftigen Notlagen immer Herr der Lage.

Verzweifelt in der Normandie: Claire (Ludivine Sagnier) sucht ihren entführten Sohn. Netflix

Die Drehbücher sowie die Inszenierung durch Actionprofi Louis Leterrier („Der unglaubliche Hulk“, „Der Spion und sein Bruder“) und Marcela Said („Los Perros“) ließen sich im ersten Teil denn auch voll auf diese Zaubereien ein. Kennzeichnend vor allem für die ersten paar Episoden der Serie ist das Nebeneinander verschiedener Szenen, die eigentlich hintereinander ablaufen, ehe sie nach spannungsfördernden Parallelmontagen einen Punkt erreichen, an dem Assanes Tricks triumphal aufgedeckt werden. Dieses etwas taschenspielerhafte Prinzip funktioniert eingangs prächtig, wird dann aber zum Glück rechtzeitig dezent zurückgeschraubt, bevor es sich totlaufen kann – nur um jetzt, in der ersten neuen Episode, in alter Frische zurückzukehren.

Als Quasi-Magier und Lupin-Nacheiferer Assane war Omar Sy von Anfang eine Idealbesetzung. Nicht nur, weil Sy bekanntermaßen über ein Charisma verfügt, das selbst die Mauern von Hochsicherheitsgefängnissen zerbröseln lassen kann; und auch nicht nur, weil Sy längst internationale Starpower besitzt. Nein, durch ihn wurde die Arsène-Lupin-Figur auch geschickt diversifiziert: Der allfällige Rassismus, mal in der gönnerhaften, mal in der rundheraus feindseligen Variante, dem Assane seit seiner Kindheit immer wieder begegnete, steht zwar nicht im Mittelpunkt der Serie, er klingt aber immer wieder am Rande an – und fällt so umso mehr auf. Assane macht sich die Tatsache, dass People of Color (nicht nur) in Paris gerne übersehen und damit unterschätzt werden, bei seinen Coups im Gegenzug gewieft zunutze.

Assane mit seinen treuen Gefährten: Juwelier Ben (Antoine Gouy) und Hund J’Accuse. Netflix

Folgende Kernpunkte des ersten Teils seien noch kurz in Erinnerung gerufen: Um sich an Hubert Pellegrini zu rächen, den und dessen Frau Anne (Nicole Garcia, „Mein Onkel aus Amerika“) Assane für den Tod seines Vaters verantwortlich macht, stiehlt er das wieder aufgetauchte Collier aus dem Louvre; Ben Ferel (Antoine Gouy aus „Frankreich gegen den Rest der Welt“), ein Freund aus Jugendtagen, steht ihm als Juwelier helfend und mittricksend zur Seite; der korrupte Polizeichef Dumont (Vincent Garanger) weiß, das Assane der Dieb ist, doch Assane hat ihn in der Hand; während Captain Laugier (Vincent Londez, „Into the Night“, „Public Enemy“) und Lieutenant Belkacem (Shirine Boutella) von der Pariser Polizei frustriert im Trüben fischen, kommt der von ihnen belächelte Kollege Guedira (Soufiane Guerrab, „Lieber leben“) dem Meisterdieb auf die Schliche – natürlich nur, weil er ein ebenso großer Fan der Lupin-Stories ist wie dieser.

Gegen Ende des ersten Teils wurde schließlich auch Assanes private Situation immer wichtiger. Von seiner großen Liebe Claire (Ludivine Sagnier aus „Swimming Pool“), die er im Waisenhaus kennenlernte, lebt er getrennt; einziges Bindeglied ist der 14-jährige Sohn Raoul (Etan Simon), der bei Claire lebt und dem er die Lupin-Liebe weitergibt. So ganz zerrissen scheint das Band der Liebe zwischen Claire und Assane allerdings noch nicht zu sein – nicht schwer zu ahnen, worauf das hinauslaufen wird.

Während von Beginn an regelmäßig in Assanes Jugend zurückgeblendet wird, wird schließlich auch die Zeit der ersten Ehekrise beleuchtet, und bei einem Ausflug zu einem Lupin-Festival in Maurice Leblancs Heimtstadt Étretat, einen Küstenort in der Normandie, kommt es in der fünften Folge, die die Spannungsschraube heftig anzieht, zur Entführung des Sohnes durch einen Schergen Pellegrinis. Was daraus wird, darf hier nicht verraten werden. Erstaunt (bis entsetzt) werden viele allerdings über das Finale der vom neuen Regisseur Ludovic Bernard fast westernhaft inszenierten neuen Auftaktfolge sein. Dabei wird ein Schockpotenzial genutzt, das man aus dem ersten Teil noch gar nicht kannte und das einen Tonwechsel weg vom kauzigen Caper-Krimi zur bitteren Rachetragödie zumindest antäuscht. Den filmischen Mitteln darf man allerdings in „Lupin“ ebenso wenig trauen wie dem trickreichen Protagonisten, weshalb schon in der zweiten neuen Folge wieder das bekannte Programm ansteht: mit herrlich albernen, fast Toni-Erdmann-artigen Verkleidungen, Perspektivverschiebungen und Verfolgungsjagden. Die Rückblenden enthüllen nun Assanes erste Schritte als Dieb, und auch das Rassismusthema wird, beiläufig wie bislang, weiter behandelt.

Die schiefe Fliege zeigt’s an: Raubtierkapitalist Pellegrini (Hervé Pierre) verliert die Contenance. Netflix

Zudem deutet sich an, dass Claire und Ben in den neuen Episoden mehr zu tun bekommen werden als zuvor, und auch Pellegrinis undurchsichtiger Tochter Juliette (Clotilde Hesme, „Chansons d’amour“), die seit ihrer Jugend in Assane verliebt ist, fällt offenbar eine größere Rolle zu. Potenziell sehr interessant ist außerdem das zeitweise Zusammenarbeiten von Assane mit Guedira, dem Lupin-Fan auf der anderen Seite des Gesetzes. Ob sich da eine Art Ermittlerduo nach Buddy-Movie-Manier anbahnt, bleibt abzuwarten – die gemeinsamen Szenen von Guerrab und Sy jedenfalls sprechen sehr dafür, dass das funktionieren könnte.

Zugestanden, dramaturgischen Fact-Checkern und Logikpuristen dürfte, wie schon im ersten Teil, hie und da die Düse gehen, und auch manche Grobheiten in der Figurenzeichnung machen klar, dass es in „Lupin“ nicht unbedingt subtil zugeht: Der französische Theaterstar Hervé Pierre etwa macht zwar darstellerisch, mit Wallehaar und Schurken-Gehstock, viel Freude als untersetzter Patriarch Pellegrini – einen eindimensionaleren Bösewicht hat man allerdings lange nicht mehr gesehen. Und wie schon im ersten Teil, in dem man den Autoren neben anderen Fragwürdigkeiten Assanes Mission-Impossible-mäßige Ein- und Hinausschleicherei aus einem Gefängnis abkaufen musste, ist der Plot auch in den neuen Folgen mit nicht wenigen Unwahrscheinlichkeiten gespickt. Doch sei’s drum: „Lupin“ will gar kein hochgestochener Qualitätskrimi mit realistischem Anspruch sein, sondern lustvolles, modern gestyltes, in der Anlage aber auch auf angenehme Weise altmodisches Entertainment, das (bis auf wenige Momente) für die ganze Familie geeignet ist. Jederzeit auf Kurs gehalten wird das Ganze von einer allzeit sympathisch gespielten Hauptfigur, die noch über die gröbsten Unplausibilitäten jederzeit frech hinweggrinst – und mit der am Ruder man sich problemlos weitere Einsätze vorstellen kann.

Dieser Text basiert auf der Sichtung des kompletten ersten Teils sowie der ersten beiden Episoden des zweiten Teils von „Lupin“.

Meine Wertung: 4,5/​5

Der zweite Teil von „Lupin“ ist seit dem heutigen Freitag (11. Juni 2021) weltweit bei Netflix abrufbar.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1967) am

    Null Bedürfnis dazu.
    • (geb. 1974) am

      Macht einfach Spaß in jeder Hinsicht, auch musikalisch!
      Habe gestern direkt losgelegt

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