„Hacks“: Weiblich, witzig, Vegas – Review

Kongeniale Dramedy mit Jean Smart startet endlich in Deutschland

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 14.09.2022, 12:30 Uhr

Grandezza und Skepsis: Deborah Vance (Jean Smart, l.) und Gag-Autorin Ava (Hannah Einbinder) auf Tour – Bild: HBO/RTL+
Grandezza und Skepsis: Deborah Vance (Jean Smart, l.) und Gag-Autorin Ava (Hannah Einbinder) auf Tour

Manchmal dauert es etwas, bis die wirklich guten Sachen ihren Weg zu uns finden – umso freudiger der Moment, wenn es endlich so weit ist. Die vielfach preisgekrönte Dramedy „Hacks“ hat nach zwei Staffeln endlich den Sprung von HBO Max nach Deutschland geschafft: Via RTL+ lässt sich nun immerhin die erste Staffel streamen. Die 30-minütigen Episoden über die komplizierte Zusammenarbeit einer in die Jahre gekommenen Stand-Up-Comedienne in Las Vegas und einer vierzig Jahre jüngeren Comedy-Autorin aus Los Angeles gehören fraglos zum Besten, was in diesem Genre zuletzt zu sehen war. Jean Smart hat für ihre Rolle soeben den Emmy als beste Hauptdarstellerin in einer Comedyserie gewonnen – zum zweiten Mal in Folge.

Deborah Vance (Jean Smart) is not amused: Jahrzehntelang galt sie unangefochten als Konstante im Entertainment-Kosmos der Wüstenglitzermetropole Las Vegas, im Palmetto Casino von Marty Ghilain (Christopher MacDonald) witzelte die Stand-Up-Legende stets vor vollen Häusern. Treue Fans kamen immer wieder. Doch jetzt will Marty ihr die Wochenend-Termine wegnehmen. Da müsse mal was Jüngeres, Zeitgemäßeres hin, meint er. Empört ruft Deborah ihren Agenten Jimmy LuSaque (Paul W. Downs) in Los Angeles an, und der hat eine Idee: Eine andere Klientin von ihm, die TV-Comedyautorin Ava Daniels (Hannah Einbinder), Mitte zwanzig, könne doch für frischen Input sorgen. Diesen Vorschlag unterbreitet Jimmy freilich nicht ohne Hintergedanken: Ava nämlich ist wegen eines unbedachten Tweets in Ungnade gefallen (also: in einen Shitstorm geraten) und hat ihren letzten Schreibjob verloren. Er schickt Ava also, mehr oder weniger gegen beider Willen, in Deborahs fürstliches Anwesen in Vegas. Das erste Treffen verläuft, sagen wir mal, ausbaufähig.

„Hacks“ ist spätestens von dort an – trotz brillanter Besetzung in allen Nebenparts – im Prinzip eine Two-Women-Show: Deborah und Ava, das sind die Legende und der Newcomer, die Baby-Boomer-Veteranin mit Bühnen-Routine und der Digital-Native-Jungspund an der Schwelle vom Millennial zur Generation Z. Gespielt werden sie von der unvergleichlichen Jean Smart und der bislang noch kaum bekannten Hannah Einbinder, die man sich von nun an definitiv wird merken müssen.

Autopanne in der Wüste! Ava muss die Karre hüten. HBO/​RTL+

Jean Smart, der frühere Theater- und „Sugarbaker’s“-Star, heute 71, hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten als Spezialistin für prägnante Nebenrollen mit faszinierender Bandbreite etabliert, als Präsidentengattin in „24“, als Gangster-Matriarchin Floyd Gerhardt in der zweiten Staffel von „Fargo“ und als Psychotherapeutin in „Legion“, schließlich als FBI-Agentin in „Watchmen“ und Kate Winslets Mutter in „Mare of Easttown“. Doch Deborah Vance in „Hacks“ ist noch einmal eine andere Nummer: Mühelos switcht sie hin und her zwischen ihrer mal lasziven, mal selbstironischen, mal trockenhumorigen Bühnenpersona und der zwischen kühler Professionalität, sarkastischer Herablassung und eisiger Verbitterung schwankenden Privatperson. Die narzisstische Kränkung, die die Absetzung ihrer Bühnenshows für sie bedeutet, ist mit den Händen zu greifen.

Hannah Einbinder muss als Ava Daniels allerdings genauso gut sein, damit „Hacks“ funktionieren kann und sich keine darstellerische Unwucht herausbilden kann – es ist ein großes Glück, dass die junge Comedienne, die vor der Serie nur einen Fernsehauftritt in der „Late Show with Stephen Colbert“ hinter sich hatte, dem erfahrenen Star Paroli bieten kann. Avas Antritt bei Deborah endet im Fiasko, doch die Renitenz der jungen Frau, die entsetzt wieder abhaut aus der Las-Vegas-Villa, beeindruckt die Veteranin. Ava darf als Gagschreiberin bei ihr anfangen.

Auch wenn das natürlich der Beginn einer langen, komplexen Freundschaft ist (die noch lange nicht Freundschaft genannt werden kann und sowieso ständig am seidenen Faden hängt): Der Weg dahin ist steinig, der Parcours der Demütigungen, auf den Deborah die neue Assistentin schickt, lang. Ava muss erst, zu Archivarbeiten verdonnert, auf alte Aufnahmen einer jahrzehntealten, ziemlich genialen, aber nie gesendeten Late-Night-Show-Pilotsendung stoßen, damit ihr Interesse an Deborah überhaupt erst entstehen kann: Deborah wäre, hätte man die Show damals produziert, die erste weibliche Late-Night-Talkerin gewesen. Doch so kam es nie.

Auf der Bühne eine Legende – die in die Jahre kommt: Deborah Vance HBO/​RTL+

Wenn es so etwas wie eine Erzählrichtung gibt in der ersten Staffel von „Hacks“, dann ist es die neue Show, zu der Ava Deborah überreden will, eine Show nicht als übliche Abfolge von trockenen Gags, sondern auf ihrer eigenen Biografie aufbauend, eine Show, die davon erzählt, welche Hindernisse Frauen in der Comedy-, aber auch in der Entertainment-Szene überwinden mussten und immer noch müssen. In der achten Episode der ersten Staffel – sie ist so etwas wie die Schlüsselepisode – testen die beiden das neue Material in einem kleineren Comedyclub aus, in dem auch Deborah zu Beginn ihrer Stand-Up-Karriere Stammgast war. Als Ava erfährt, dass dessen früherer Besitzer für sexistische Ausfälle und Übergriffe berüchtigt war und alle – auch Deborah – das tolerierten, kann sie es kaum glauben; beispielhaft zeigt sich hier der Generationenunterschied: Die Generation Z ist nicht mehr bereit, sich toxisches Verhalten von Männern einfach so bieten zu lassen, auch nicht um der Karriere willen. Um Ava zu zeigen, dass sie das versteht, kanzelt Deborah den jetzigen Besitzer der Bar wegen seiner anzüglichen Witzchen auf der Bühne ab.

Obgleich „Hacks“ dieses Thema mit aller Entschiedenheit anpackt (und in der zweiten Staffel noch weiter differenziert), greifen die Macher um die Autorinnen Lucia Aniello und Jen Statsky sowie den (als Jimmy mitwirkenden) Schauspieler Paul W. Downs niemals zu didaktischen Mitteln. Wie schon in ihrer Serie „Broad City“ (auch sie eine der besten Comedys der letzten Dekade), aber weniger auf Chaos gebürstet, sind ihre Protagonistinnen alles andere als makellose Heldinnen, im Gegenteil. Deborahs autoritärer Gestus wirkt ein ums andere Mal einschüchternd und toxisch, Ava hingegen hat sich auf Twitter selbst zur Zielscheibe politisch korrekter Moralwächter gemacht und tritt mit routinierter Zuverlässigkeit in alle verfügbaren Fettnäpfe. In einer der witzigsten Sequenzen der ersten Staffel versucht sie eine versehentlich per Audio-Message abgeschickte Kündigung vom Handy der Show-Legende zu löschen, die gerade nach einer Schönheits-OP sediert im Luxus-Spital liegt. Weil Deborahs Augen geschwollen sind, erkennt das Smartphone sie nicht – weshalb Ava ihre Wachsfigur bei Madame Tussaud’s zu Rate zieht. Was albern klingt, wächst sich, mit Sinn für Timing inszeniert, zur ganz großen Komödienkunst aus.

The Odd Couple: Künstleragent Jimmy (Paul W. Downs) mit Sekretärin Kayla (Megan Stalter) HBO/​RTL+

„Hacks“ platziert die Figuren immer wieder in Szenen, die bewundernswert zielsicher zwischen kolossal witzig (und zwar die ganze Bandbreite von feinsinniger Ironie über temporeiche Dialogscharmützel bis hin zum genial choreografierten Slapstick) und aufrichtig rührend changieren. Es geht auch um die Familienzusammenhänge beider Frauen, um Deborahs frisch verstorbenen Ex-Mann, dessen Haus sie dereinst angeblich angezündet haben soll (eine Lüge, die sie zu Avas Ärger bereitwillig mitspielt) und um ihre erwachsene Tochter DJ (Kaitlin Olson aus „It’s Always Sunny in Philadelphia“), die ihrem ziellosen Dasein als It-Girl durch das Designen von Schmuck entkommen will, den ihre Mutter aber, immerhin Gastgeberin einer eigenen Shoppingkanal-Sendung, nicht promoten möchte. Die bisexuelle Ava hat derweil mit ihren in der Provinz lebenden Eltern ebenso zu tun wie mit ihrer in Los Angeles gebliebenen Exfreundin Ruby, möglichen neuen Love Interests (ein Lebensmüder führt zu einer besonders grotesken Sequenz) und vor allem mit neuen Jobangeboten, die sie verlockend weit weg von Deborah führen könnten. Eine unbedachte E-Mail bildet am Ende der ersten Staffel die Brücke zur zweiten Staffel (die Las Vegas zugunsten einer On-Tour-Dramaturgie verlässt) und damit mittelbar zu einem harten Geständnis in einem Diner, der bisher intensivsten Sequenz der Serie.

Die Nebenfiguren sind ebenfalls stark, allen voran Carl Clemons-Hopkins als Marcus, Deborahs Berater und COO ihrer Firma. Er verliebt sich in den attraktiven Wasserinspekteur Wilson (Johnny Sibilly, „Queer as Folk“) und scheitert an seinen eigenen Bindungsproblemen. Paul W. Downs’ Porträt des ewig untergebutterten Künstleragenten Jimmy ist fantastisch, erst recht, als ihm die ebenso unbekümmert-daueroptimistische wie wuchtbrummige Tochter (herrlich: Megan Stalter) des Chefs als Sekretärin zugewiesen wird. „Agents of S.H.I.E.L.D.“-Pilotin Ming-Na Wen gastiert (kurz und lustig) als Jimmys beinharte Konkurrentin.

Braucht stahlharte Nerven: Deborahs Manager Marcus (Carl Clemons-Hopkins) HBO/​RTL+

Doch so amüsant und auf den Punkt all diese komödiantisch versierten Darsteller auch spielen mögen – „Hacks“ ist und bleibt vor allem die Show von Smart und Einbinder. Von Episode zu Episode ihren An- und Abstoßungsbewegungen zu folgen: Das macht den Reiz der Serie aus. In der zweiten Staffel (eine dritte wurde schon bestellt) geht ihr Zusammenspiel bisweilen an die Nieren, nur um dann wieder Momente aufrichtiger Zärtlichkeit zuzulassen – und dann wieder kindlich-albernen Witz. Sicher schadet es nicht, wenn das Publikum ein gewisses Grundinteresse an der Entertainment-Branche und an Comedy als Kunstform mitbringt (und, in geringerem Ausmaß, auch am surreal-künstlichen Mikrokosmos Las Vegas), aber unbedingt erforderlich ist das nicht, um größtes Vergnügen an dieser Serie haben zu können. Deborah und Ava stoßen auch ganz aus sich selbst heraus auf Interesse, dafür sind sie einfach zu gut geschrieben und gespielt.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Staffeln von „Hacks“.

Meine Wertung: 4,5/​5

Die komplette erste Staffel von „Hacks“ wird am 15. September beim Streamingdienst RTL+ veröffentlicht.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

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