TV-Kritiken zur US-Season 2016/​17

US-Season 2016/​2017: Ein kurzer Blick auf die neuen US-Serien – von Bernd Krannich

Bernd Krannich
Bernd Krannich – 02.10.2016, 19:56 Uhr

„Designated Survivor“ABC

Worum es geht: Wie die meisten demokratischen Nationen haben auch die USA eine festgelegte Regierungsfolge, um stets feststellen zu können, wer aktuell der höchste Regierungsrepräsentant ist – auch und gerade bei katastrophalen Notlagen. In den USA gibt es zudem in Sonderfällen einen „Designated Survivor“: Bei Versammlungen der gesamten Regierungsspitze (insbesondere der jährlichen Ansprache des Präsidenten „Zur Lage der Nation“, die im Beisein aller gewählter Volksvertreter, Minister und Verfassungsrichter) wird seit dem Kalten Krieg ein nachrangiger Minister abgesondert, der im Fall etwa eines Atomschlags der UDSSR als neuer Präsident fungiert. Nach einem Bombenanschlag ist der ehemalige „Wohnungsbau-Minister“ nun überraschend zum Präsidenten geworden, wie die Anfangsszenen von „Designated Survivor“ erzählen.

Zeitsprung an den Morgen des Katastrophentags: Tom Kirkman ist seit drei Jahren Minister im US-Kabinett. Als Fachmann wurde er seinerzeit von einer Lehrposition angeworben, um dem United States Department of Housing and Urban Development vorzustehen. Zwar hat Kirkman zahlreiche sinnvolle Aktionen vorbereitet, doch nun wird ihm klar gemacht: Im Zuge der Wiederwahlkampagne des Präsidenten wird er demnächst seinen Job verlieren. Mehr noch: Damit der Präsident durch diese Kabinettsumbildung nicht das Gesicht verliert, wird Kirkmann nicht einfach „entlassen“, sondern „wegbefördert“, zum Vorsitzenden einer kleinen, internationalen Organisation im kanadischen Montreal gemacht (wodurch der Ex-Minister den Rang eines Botschafters erhalten würde). Wie ein braver Soldat ist Kirkman bereit, den Wunsch des Präsidenten zu schlucken. Auch wenn ihm persönlich das nichts bringt: Er ist kein Karriere-Politiker, würde wohl viel lieber wieder an eine Uni gehen. Weil seine Frau als Anwältin sich nach drei Jahren in Washington gute Karriere-Aussichten erarbeitet hat und er seinen beiden Kindern erst vor wenigen Jahren den Umzug zugemutet hat, will Kirkman sogar zum Pendler werden.

Doch dann kommt die Katastrophe dazwischen und Kirkman wird auf einen ganz anderen Posten zwangsversetzt. Der Großteil des Serienpiloten widmet sich in kleinen Szenen nun der Charakterisierung vor allem von Kirkmann. Der von der neuen Situation ver­ständ­li­cher­wei­se überwältigt, schließlich ist er auf die Verantwortungen keinesfalls vorbereitet. Die USA wurden massiv attackiert. Doch niemand weiß, von wem. Die Militärs wollen natürlich Stärke demonstrieren und sind auf der Suche nach jemandem, der sich „verdächtig“ macht. Da kommt ein verdächtiges, iranisches Seemanöver ihnen gerade recht, um ein Exempel zu statuieren. Kirkmans Wesen hingegen ist auf langsame Fortschritte, Kompromisse und gegenseitiges Vertrauen ausgerichtet.

Derweil muss noch Kirkmans auf abendlicher Tour befindlicher, ahnungsloser Sohn vom Secret Service eingesammelt werden, während seine kleine Tochter und seine Frau ebenfalls den Schock, die allgemeine Angst und die neue Lebenssituation bewältigen müssen: Die Familie des neuen Präsidenten wurde ins Weiße Haus gebracht.

In einem zweiten Handlungsstrang steht die FBI-Agentin Hannah Wells im Zentrum. Sie kennt sich mit Bombenanschlägen aus und schaltete sich in die Ermittlungen in den Trümmern des zerbomten Kapitols ein – sie hat dort vermutlich selbst jemanden verloren, der einstweilen noch vermisst wird. Dem Zuschauer bereitet sie darauf vor: Der Anschlag war sehr ungewöhnlich, weil terroristische Kreise vorher keine gesteigerte Aktivität zeigten. Und noch hat sich niemand bekannt: Das deutet darauf hin, dass der Angriff auf die USA noch nicht vorbei ist.

Stars: „24“-Star Kiefer Sutherland porträtiert den unfreiwilligen neuen US-Präsidenten. Seine Ehefrau Alex wird von Natascha McElhone („Nip/​Tuck“) gespielt. Kal Penn („Dr. House“) gehört als Redenschreiber des Präsidenten, Seth Wright zum Ensemble, Italia Ricci („Chasing Life“) spielt Kirkmans bisherige Stabschefin aus seinem Minister-Job. Nach „Stalker“ ist Maggie Q erneut in der Rolle einer Gesetzeshüterin zu sehen: FBI-Agentin Hannah Wells.

Kurzkritik: Der Pilotepisode von „Designated Survivor“ gelingt ein kraftvoller Einstieg. Danach wird zunächst durch einen Rückblick etwas das Tempo herausgenommen. Das funktioniert gut, um dem Zuschauer die „jedermann-Qualitäten“ von Kirkman zu verdeutlichen – auch wenn dabei vielleicht ein paar Klischees zuviel herausgekramt werden.: Er ist ein schlechter Koch, aber ein Vollblut-Famlilenmensch; engagiert, aber vielleicht nicht super organisiert und auch alles andere als technisch versiert, wie seine übergroße, vollgestopfte Aktentasche symbolisiert. Daneben ist er enorm loyal, wie seine Akzeptanz der politisch motivierten Unsinns-Versetzung nach Kanada zeigt.

Auch im weiteren Verlauf gibt sich Sutherland hier als der Anti-Jack-Bauer, ja sogar der Anti-Martin Bohm (seine „Touch“ Figur, immerhin ein findiger Journalist): In der ersten Stresssituation zieht sich Kirkman zum Kotzen aufs Klo zurück. Auch in weiteren Szenen wird er geradezu als der Anti-Politiker gezeigt, der sich eher um seine Aufgabe, seine Berufung im Dienst der Öffentlichkeit kümmert, als um den eigenen Vorteil. Ja, er nimmt sogar den eigenen Nachteil im Dienst der Sache an. Klar ist aber auch, dass Kirkman ein altes Sprichwort erfüllt: „Der Weg zur Hölle ist gepflastert mit guten Vorsätzen.“

Insgesamt bietet der Pilot zahlreiche Ansätze, die Lust auf mehr machen. Einerseits die Nebenhandlung um Magie Qs Figur. Daneben den klassischen Gegensatz zwischen einem eher sozial orientierten Präsidenten und einem kriegstreiberischen Leiter der Streitkräfte. Ein angedeutetes Geheimnis – eine Affäre wäre hier zu unpassend – mit seiner Stabschefin. Die beiden sehr unterschiedlichen Kinder: Das noch süße, kleine Mädchen mit einer sehr direkten, ehrlichen Art und den rebellierenden Teenager als Sohn. Der sympathische, ehrliche aber respektvoll distanzierte Redenschreiber, der dem Präsidenten in den ersten Stunden als unparteiischer Ratgeber beisteht und ihn auf die wichtige Dinge hinweist, die es zu bedenken gilt. Und dann noch das alte politische Problem in den auf ihre Direktwahlen für zahlreiche öffentliche Ämter so versessenen USA: Kirkman wurde nie gewählt, nicht einmal als Abgeordneter, geschweige denn als Präsident. Damit hat er zwar die „rechtliche“ Legitimation als Präsident, aber ihm fehlt die „moralische“. Das erlaubt es der militärischen Führung, seine Entscheidungen zu hinterfragen – zunächst nur im Verborgenen, aber sehr sicher bald auch offen.

Einziges Manko ist die recht kurze Handlungszeit, die sich binnen 24 Stunden abspielt. Dadurch bleibt einstweilen vieles noch unkonkret. Mit einem Zweiteiler könnten von den zahllosen angerissenen Themen und Fragen auch noch einige vertieft werden.

Meine Wertung: 4/​5

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