TV-Kritiken zur US-Season 2016/​17

US-Season 2016/​2017: Ein kurzer Blick auf die neuen US-Serien – von Bernd Krannich

Bernd Krannich
Bernd Krannich – 02.10.2016, 19:56 Uhr

„Bull“CBS

Worum es geht: In den USA hat ein Angeklagter in schwerwiegenden Fällen das Recht, dass eine Jury aus „normalen Bürgern“ als Gruppe darüber entscheidet, ob die von der Anklage vorgebrachten Beweismittel auch trotz kritischer Fragen der Verteidigung „zweifellos“ zeigen, dass der Angeklagte die vorgeworfene Tat begangen hat. Dies haben die Amerikaner als Antwort auf die von ihnen abgeschüttelte Willkürherrschaft der britischen Krone so eingeführt. Mittlerweile hat das System der Normalbürger-Jury allerdings zahlreiche Schwächen offenbart. Insbesondere, dass häufig „Vorurteile“ und Äußerlichkeiten die Sichtweise der Juroren beeinflussen. Zwar versucht das Rechtssystem, die schlimmsten Auswüchse von „Vorurteilen“ bei der Jurorenauswahl zu unterbinden. Aber dem sind Grenzen gesetzt.

Im Serienpiloten zu „Bull“ ist es zu einem Mord gekommen. Der ungezügelte Sohn eines Tech-Millionärs steht im Verdacht, eine junge Frau während einer größeren Party auf einer Yacht ermordet und über Bord befördert zu haben. Nun wurde er verhaftet und macht seine Verteidigung durch rebellisches Verhalten nicht gerade einfacher. Die Pilotfolge zeigt die unterschiedlichen Herangehensweisen im Rechtssystem. Einerseits wurde ein sehr namhafter und auch durch die frühere Ausübung öffentlicher Ämter distinguierter Anwalt zur Verteidigung engagiert. Andererseits wurde die Firma des Psychologen Dr. Jason Bull engagiert, Trial Analysis Corp..

In der Firma werden unter Auswertung modernster technischer Mittel, nachgestellter Verfahrensverläufe, Facebook-Stalking der Juroren und ähnlichen Methoden der Informatiossamlungen sowie Anwendung von Psychologie Verfahrensstrategien entwickelt – Geld spielt keine Rolle.

Natürlich reibt sich der „klassische Anwalt“ mit Bull und seinem Team. Schließlich gewinnt der Psychologe jedoch das Vertrauen des die Rechnungen zahlenden Vaters – und darf mithilfe seiner Kenntnisse das Verfahren gewinnen. Und dabei noch diverse psychologische Wunden behandeln.

Die Stars: „Bull“ ist Michael Weatherly auf den Leib geschrieben, der seinen Durchbruch mit „Dark Angel“ hatte und zuletzt 13 Jahre beim Serienerfolg „Navy CIS“ vor der Kamera stand. Freddy Rodríguez aus „Six Feet Under“ und zuletzt „The Night Shift“ spielt Bulls Ex-Schwager, der als einziger Anwalt in der Firma tätig ist. Erwähnenswert ist noch Newcomerin Annabelle Attanasio, Tochter von Serien-Ko-Schöpfer Paul Attanasio („Dr. House“, „Homicide“), die Bulls Team als Hackerin unterstützt. Im Serienpiloten porträtiert darüber hinaus Frederick Weller („In Plain Sight – In der Schusslinie“) den Vater des jugendlichen Angeklagten.

Kurzkritik: Nur im Gesamteindruck gelingt es „Bull“, besser abzuschneiden als die üblichen CBS-Procedurals. Denn nachdem die Folge weitestgehend den dortigen Standards folgt, erhält die Episode ein Nachspiel, das Hoffnung auf mehr säht.

Die Auftaktfolge unterscheidet sich im wesentlichen nicht deutlich von anderen Serien, in denen ein außergewöhnlich begabter Fachmann als Protagonist im Zentrum steht: Dieser zeigt den Zuschauern in Szene um Szene, wie schlau und sinnvoll seine Weltsicht ist, während die anderen Figuren an veralteten Vorstellungen festhalten und zu Klischees verkommen. Bei „Bull“ besteht die Staffage etwa aus dem Star-Anwalt, der arrogant und sexistisch ist und sich alleine auf seine Berufserfahrung verlässt. Oder die Eltern der in den Todesfall verstrickten Teenager, wobei insbesondere auf Seitenhieben auf Superreiche und Kontrollfreaks nicht gespart wird, die ihren Kindern deutlichen psychische Probleme verpassen.

Da gibt es die Situationen, in denen Bulls Team klar die Gesetzte bricht – was man sich aber erlaubt, schließlich sind sie die „Guten“. Bull darf weitere Tiefe gewinnen, indem er mit dem jungen Verdächtigen menschlich und aufgeschlossen umgeht und somit enthüllt, dass dieser eigentlich kein Tatmotiv hat. Überhaupt darf Dr. Bull natürlich einen Unschuldigen verteidigen – er ist ja schließlich einer von den Guten.

Der Punkt, wo der Pilot anfängt, interessant zu werden, ist nach dem Ende des Verfahrens – und somit wenige Minuten vor dem Ende der Folge. Einerseits endet der Fall für Bull nicht mit dem Freispruch für seinen Klienten. Immerhin musste Bull durchschauen, was auf der Yacht wirklich geschah. Und nun nutzt er seinen Einfluss, um für Gerechtigkeit zu sorgen.

Daneben hatte sich Bull im Verlauf der Folge mit einer Jurorin ein unausgesprochenes „Fernduell“ geliefert: Sie war in seinen Augen der Klischeehafte „zwölfte Geschworene“, der alle anderen Geschworenen auf ihre Linie bringen würde, wenn sie denn von der Unschuld des Angeklagten überzeugt wäre. Dazu musste sich Bull mit ihr eingehend beschäftigen. Am Ende des Verfahrens strebt Bull daher ein Gespräch mit ihr an.

Ein Gespräch, bei dem überraschend offenbar wird, dass sie vermutet hat, dass er (der stets im Gerichtssaal saß) der Stratege hinter der Verteidigung war. Und bei dem offenbar wird, dass sie mitnichten eine einfache Marionettewar, die blind den Fäden folgte, an denen Bull hatte ziehen lassen. Sondern dass sie sich ihrer, aber auch seiner, Situation bewusst war, ihn durchschaut hat – ganz ohne Psychologie-Studium, einfach nur durch Menschenkenntnisse und weil sie in ihm Verhaltensmuster und Beweggründe erkannt hat, die auch sie durch ihre – tragischen – Lebenserfahrungen von sich selbst kennt. Und ein Gespräch, das ein bisschen hinter die Maske der Figur Bull blicken lässt.

Diese Szene zum Ende der Folge verleiht dem Serienpiloten einen Twist, der Hoffnung macht, dass „Bull“ sich zu mehr entwickeln kann, als ein routiniertes Procedural.

Meine Wertung: 3,5/​5

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