TV-Kritiken zur US-Season 2016/​17

US-Season 2016/​2017: Ein kurzer Blick auf die neuen US-Serien – von Bernd Krannich

Bernd Krannich
Bernd Krannich – 02.10.2016, 19:56 Uhr

„Notorious“ABC

Worum es geht: Die soapige Welt der Reichen und Schönen steht im Fokus von „Notorious“, das beim US-Sender ABC zwischen „Grey’s Anatomy“ und „How to Get Away with Murder“ läuft: Es geht um Drama, Affären und Tod. Basierend auf realen Vorbildern stehen in der Serie Fernsehmagazin-Produzentin Julia George und Staranwalt Jake Gregorian im Zentrum. Zum beiderseitigen Vorteil inszenieren sie die News in der von Julia produzierten Live-Talk-Show. Dazu sind die beiden zu einem seltenen Einverständnis gekommen: Sie lügen sich nicht an.

Sexy geht es in die Serie zu, wobei die Zuschauer Julia und ihren Verlobten bei einem Büro-Quickie begleiten dürfen. Auch in den folgenden Anfangsszenen hat Julia immer alles und alle fest im Griff, meistert die stressige Produktion ihres Formats mit routinierter und unerschütterlicher Leichtigkeit. Egal, ob sie nun die freigeistige Moderatorin Louise Herrick aus einem Schäferstündchen holen muss oder der Senderchef ihr seinen Sohn als „Praktikanten“ aufs Auge drückt. Auch Jake hat sie scheinbar im Griff, als sie ihn aufs Glatteis führen lässt: Ohne sein Wissen steckt einer seiner prominenten Klienten wegen einer vermeintlichen Fahrerflucht-Fahrt in Schwierigkeiten, während er zu einem anderen Thema im Studio zu Gast ist. Schnell erfährt der Zuschauer allerdings: Alles abgekartet, Jake konnte seinen Spin des Problems platzieren und Zweifel an der vermeintlichen Schuld sähen. Und die Zuschauer haben keine Ahnung, wie inszeniert das alles war.

Es entspannt sich ein Mystery-Hin-und-Her um die Frage, wer den nun das Auto zum Zeitpunkt des Unfalls fuhr – Jakes Klient ist ein Multimilionär mit einer Autosammlung, der mit den elektronischen Schlüsseln zu dem Fahrzeug sehr freigiebig war.

Derweil dürfen sich die Nebenfiguren der Serie vorstellen: Jake betreibt seien Kanzlei zusammen mit seinem (etwas weniger fähigen) jüngeren Bruder Bradley, daneben gehört eine ehrgeizige junge Anwältin zum Team. Julia hat auf ihre lebenslustige Chefin/​Moderatorin aufzupassen, während Ex-Callgirl Megan in Julias Diensten alle möglichen Informations-Kanäle anzuzapfen weiß. Auch der bereits erwähnte Praktikant Ryan kann sich als ehrgeizig und nützlich erweisen. Darüber hinaus wissen sowohl Jake als auch Julia die Polizei mit Gefälligkeiten für sich einzuspannen. Deutlich wird auch, dass beide kaum Skrupel haben. Jake, wenn es darum geht, andere (ziemlich sicher unschuldige) Personen als mögliche Täter in Spiel zu bringen, Julia wenn es darum geht, Menschen vor laufender Kamera bloß zu stellen und ihnen den schlimmsten Tag ihres Lebens zu bereiten.

Für Jake hat dieser Fahrerflucht-Fall zudem eine persönliche Komponente: Einst war die Frau seines Klienten seine große Liebe. Auch Julias Privatleben wird kompliziert als sie erfährt, dass ihr Verlobter sie betrogen hat.

Der Fahrerflucht-Fall endet zunächst mit einem überraschenden Tatverdächtigen, der bald darauf ermordet wird. Diese Geschichte wird sich also wohl durch die ganze Staffel ziehen.

Die Stars: Piper Perabo hat mit „Notorious“ ihr Nachfolgeprojekt zu „Covert Affairs“ angetreten. Jake-Darsteller Daniel Sunjata war zuletzt bei „Graceland“ zu sehen, davor bei „Grey’s Anatomy“ und als Feuerwehrmann bei „Rescue Me“. Sein Bruder Bradley wird von J. August Richards („Angel – Jäger der Finsternis“) gespielt. Aimee Teegarden („Friday Night Lights“) ist als junge Anwältin Ella Benjamin dabei.

Kurzkritik: „Notorious“ wurde für den Donnerstagabend bei ABC geschneidert. Im Zentrum steht mit Julia eine starke Frauenfigur, die von den Herausforderungen der Berufswelt kaum zu schocken ist. Immer einen kessen Spruch auf den Lippen und improvisationsfreudig, durch fast nichts aus der Ruhe zu bringen. Dazu ist sie augenscheinlich großzügig, schanzt einer „einfachen Polizistin“ (vollkommen legale) Extraeinnahmen zu, honoriert Leistungen und hat kein Problem, eine ehemalige Sex-Arbeiterin zu beschäftigen. Aber im Liebesleben klappt es nicht. „Notorious“ schiebt hier recht einseitig dem Mann die Schuld zu.

Jake ist da schon ein bisschen weniger heroisch – während Julia „die Wahrheit an sich“ verteidigen kann, muss er schließlich mit Halbwahrheiten umgehen. Allerdings wird auch Jake für einen Anwalt als recht ehrlich dargestellt – sind Anwälte vor allem ihrem Klienten und dem Rechtssystem verpflichtet und weniger moralischen Vorstellungen oder der Wahrheit, darf er im Serienpiloten einen Unschuldigen verteidigen.

Letztendlich hat „Notorious“ das Problem, dass der Serienpilot zu klischeehaft und überproduziert ist. Julia ist zu gut in ihrer Arbeit, löst alle Probleme mit spielerischer Eleganz – hier wird keine Zeit darauf verwendet, die Figur realistisch darzustellen, Bezugspunkte für die Zuschauerinnen herzustellen. Auch der Fall bringt keine emotionale Tiefe. Vielleicht wäre es besser gewesen, den Fahrerflucht-Unfall intensiver darzustellen. Das „tragische Opfer“ ist für die Zuschauer einfach ein kurz eingeblendetes Bild, der Zuschauer hat keinen Bezug zu ihm.

Eher abschreckend ist, dass beide Protagonisten im Zweifelsfall über Leichen zu gehen bereit sind: So setzt Julia ihren Verlobten verständlicherweise an die Luft, nachdem sein Betrug auffliegt. Sie droht ihm aber auch damit, dass sie seine Karriere „irgendwann“, wenn er sich etwas besondere aufgebaut hätte, mit ihren Infos zu Fall bringen werde – es soll wie ein Damoklesschwert über ihm hängen. Und schließlich scheint sie sogar so weit gesunken, sein Leben beiläufig zu torpedieren, nachdem wegen eines verschollenen Studiogastes gerade kein andere Thema für die Sendung vorbereitet ist. Rache ist Blutwurst. Aber die Heldin der (Network-)Serie sollten doch wenigstens etwas Moral beweisen.

Meine Wertung: 2/​5

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