The Walking Dead – Review

von Michael Brandes

Rezension von Michael Brandes – 03.11.2010

  • Seite
Andrew Lincoln in „The Walking Dead“

Rick Grimes (Andrew Lincoln) ist auferstanden von den Toten. Lange Zeit lag der Polizist im Koma, nun wacht er in einem Krankenhaus in einem Vorort von Atlanta wieder auf. Er ist allein. Mühsam richtet er sich auf und schlurft auf wackeligen Beinen durch das verwüstete Gebäude. Fast sieht er dabei so aus wie eine jener Gestalten, denen er bald begegnen wird. Auf dem Flur liegt eine grausam verunstaltete Leiche. Hinter einer provisorisch verriegelten Tür hört er Geräusche, Hände strecken sich aus einem Türspalt. In großen, roten Buchstaben hat jemand auf die Tür gemalt: „Don’t open – Dead inside.“ Mit Hilfe von Streichholzflammen ertastet er sich ängstlich durch dunkle Gänge den Weg zum nächsten Notausgang. Er öffnet die Tür und steht im grellen Sonnenlicht, das auf einen Hinterhof scheint. Rick blickt auf Dutzende von Leichen, in weiße Tücher gehüllt. Er geht vorbei an den Toten und klettert einen kleinen Hügel hinauf. Der Blick wird frei auf weitere Leichen und Autowracks. Nirgends eine Menschenseele. Die Welt, die er kannte, existiert nicht mehr.

Für den US-Kabelsender AMC, Heimat von „Mad Men“ und „Breaking Bad“, hat sich das Zombie-Drama „The Walking Dead“ wegen des gewaltigen Medienechos schon vor der ersten Ausstrahlung zu einem Selbstläufer entwickelt. Lange Zeit hatte Robert Kirkman, der Autor der gleichnamigen Comicbuch-Reihe, die mittlerweile bei Band 75 angekommen ist, eine Kino-Version seiner endlosen Endzeit-Erzählung abgelehnt. Bewusst entschied er sich letztlich für eine TV-Adaption in Serienform, an der er als Co-Autor und ausführender Produzent beteiligt bleibt und gleichzeitig Sorge tragen kann, dass Comic und TV-Serie getrennte Existenzen führen. In Kirkmans Comic-Story hat ein geheimnisvolles Virus den Großteil der Menschen in Zombies verwandelt, die Jagd auf die wenigen Überlebenden machen. Kirkmans Thema ist dabei vor allem die Frage, wie sich eine Gesellschaft verhält, wenn sie eine existenzielle Bedrohung erlebt und die bisherige Ordnung auseinanderfällt. Bei Frank Darabont gelangte das Projekt in gute Hände: Der Autor, Produzent und Regisseur von „The Walking Dead“ ist vor allem dank seiner hochwertigen Stephen-King-Verfilmungen bekannt. Von ihm stammen „Die Verurteilten“, „The Green Mile“ und „Der Nebel“. Darabont ist zweifellos der richtige Mann, um einen effektgeladenen Horror-Stoff mit Charakteristiken des anspruchsvollen Dramas zu kreuzen. AMC brachte das Projekt zügig voran: Im August 2009 erwarb der Sender die Rechte an einer Serie, im März 2010 wurde die sechsteilige erste Staffel bestellt – ohne vorab einen Pilotfilm in Auftrag zu geben. Ab Juni wurde gedreht, die erste Episode wurde vergangene Woche im Rahmen des AMC-„FearFest“ an Halloween ausgestrahlt.

Die Zombies kommen!

Die Sehnsucht des Publikums nach einer Zombie-Serie war offenbar groß, was die für einen US-Kabelsender herausragend guten Einschaltquoten der ersten Folge belegen (fernsehserien.de berichtete). Bisher waren die Untoten in Fernsehserien kaum vertreten. Die Fernsehpräsenz beschränkt sich vor allem auf Lars von Triers Mini-Serie „Geister“, auf einige „Geschichten aus der Gruft“ und einzelne „Buffy – Im Bann der Dämonen“- und „Angel – Jäger der Finsternis“-Episoden. Hierzulande noch weitgehend unbekannt ist die britische Serie „Dead Set“ (2008), in der die Bewohner des „Big Brother“-Hauses von Zombies bedroht werden. In diesem Jahr entstand zudem die japanische Anime-Serie „Highschool of the Dead“. Kein Wunder also, dass sich Darabont, ohnehin ein Kino-Regisseur, in seiner TV-Inszenierung an den Leinwandauftritten der lebenden Toten orientiert. Der somnambule Mörder aus Robert Wienes Stummfilm-Klassiker „Das Cabinet des Dr. Caligari“ war 1919 bereits ein erster Vorläufer der taumelnden Kreaturen, die 1932 im Bela-Lugosi-Klassiker „White Zombie“ erstmals namentlich genannt werden. Nachdem die Existenz der Zombies lange Jahre mit Voodoo und Zauberei erklärt wurde, erhielt das Zombiegenre erst 1967 mit George A. Romeros „Night of the Living Dead“ jene gesellschaftskritische Komponente, die es über die Jahrzehnte geprägt hat. Nach der Splatterkomödie „Braindead“ (1992) verfiel das mittlerweile stark aufgebrauchte Genre allerdings in einen langen Schlaf, aus dem ihm erst zwei unterschiedliche Filme verhalfen, von denen „The Walking Dead“ stark geprägt wirkt.

Zack Snyder, der später „300“ und „Watchmen“ inszenierte, legte 2004 eine Art Neufassung von Romeros „Dawn of the Dead“ (deutscher Titel: „Zombie – Der Film“) vor, die abseits des damaligen Teenie-Grusel-Trends und diverser uninspirierter Remakes bekannter 70er-Jahre-Klassiker dem Genre wieder zu künstlerischer Qualität verhalf. Die in Romeros Original implizierte Konsumkritik blieb auch bei Snyder erhalten: Ein Dutzend Überlebender der Apokalypse verbarrikadiert sich in einem Einkaufszentrum, ohne Hoffnung auf Hilfe von außen. Instinkt und Gewohnheit ziehen die Zombies magisch in Richtung Shopping-Mall. Während die Zombies gegen die Türen schlagen, werden die Überlebenden im Supermarkt zusätzlich mit säuselnden Kaufhaus-Versionen von Songs wie „Don’t worry, be happy“ gepeinigt. Snyders neue Zombie-Generation ist robuster und koordinationsfähiger geworden, seine an John Carpenters „Assault“ erinnernde Inszenierung düster, bedrohlich, unter die Haut gehend. Herausragend der Prolog, der verdeutlicht, wie unmittelbar das Grauen in einer Reihenhaussiedlung seinen Anfang nimmt. Ein Jahr vor Snyder hatte bereits „Trainspotting“-Regisseur Danny Boyle das Zombie-Genre mit seinem im Digitalvideo-Look inszenierten „28 Days Later“ wiederbelebt. Hier hat Darabont unter anderem seine Auftaktszenerie „entliehen“: Bei Boyle war es der Fahrradkurier Jim, der sich nach wochenlangem Koma in einem verlassenen London wiederfindet, nachdem die Menschheit von einem Virus weitgehend ausgerottet worden ist. Wie im radikalen Sequel „28 Weeks Later“ von Juan Carlos Fresnadillo ist der Neuaufbau der gesellschaftlichen Ordnung dabei längst zum zentralen Thema des Zombiefilms geworden. Das US-Militär hat im zweiten Teil die Kontrolle übernommen und beginnt mit der Neubesiedlung Londons. Doch nachdem das Virus erneut ausbricht, wird der Wiederaufbau sofort über Bord geworfen. Die Amis schießen auf alles, was sich bewegt. Eine Präventivmaßnahme. So wie das Bürgerkriegsszenario immer mehr außer Kontrolle gerät, gilt das auch für die Demontage der Bilder: verwackelt, zerhackt, überbeleuchtet, geben sie dem Zuschauer kaum mehr Kontrolle über das Geschehen, das schließlich in völliger Dunkelheit nur noch vage durch ein Nachtsichtgerät zu erahnen ist.

weiter

weitere Meldungen