Penny Dreadful – Review

TV-Kritik zum Showtime-Horrordrama – von Gian-Philip Andreas

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 02.06.2014, 10:56 Uhr

Horror frei Haus: „Penny Dreadful“ vereint berühmte Romancharaktere.

Im ausgehenden 19. Jahrhundert bedienten die Penny Dreadfuls die Gelüste britischer Leser nach sensationalistischen Kurzerzählungen. Die Horror-Heftchen zu Penny-Preisen mischten Versatzstücke bekannter Romane mit urbanen Jack-the-Ripper-Mythen oder okkulten Gruselstories zu schnell verschlingbarer Schocker-Unterhaltung. Demselben Zweck dienen heute keine Heftchen mehr, sondern Fernsehserien wie „American Horror Story“ – und nun eben die neue Showtime-Produktion „Penny Dreadful“, die Serie zum Groschenheft.

John Logan hat sich das ausgedacht, einer der profiliertesten Drehbuchautoren Hollywoods, gefeiert für „Gladiator“, „The Aviator“ oder „Hugo Cabret“. Zuletzt schrieb er den Bond-Hit „Skyfall“, und dessen Regisseur Sam Mendes fungiert hier als Executive Producer. In Interviews bekennt Logan gerne seine große Vorliebe für literarische Monster und anderes Gothic-Novel-Personal, weswegen es ihm sicherlich gut zupass kam, dass er jetzt im Stil der alten Hefte ein veritables Häuflein dieser Nachtgestalten zusammenrühren konnte: Von Frankensteins Monster über den Dracula-Mythos bis hin zu Werwölfen und „weißen Frauen“ geht es einmal quer durch die düstere Seite der Fiktion – wobei an literarischen Anspielungen kein Mangel herrscht. Angesiedelt ist das alles im spätviktorianischen London kurz vor der vorletzten Jahrhundertwende, einem neblig-verregneten Moloch der tuberkulosekranken Prostituierten und Opiumhöhlen, in dem alles blaugrau zu sein scheint und die Ripper-Panik grassiert, in dem aber auch in edlen Gentlemen’s Clubs die koloniale Explorationslust wuchert und sich kauzige Forschernaturen den okkulten Künsten widmen.

Fünf Figuren schälen sich in der Pilotfolge als Protagonisten heraus: Erstens ist da der noble Afrikaforscher Sir Malcolm Murray (gespielt von Ex-Bond Timothy Dalton), der sich zu Beginn auf eine persönliche Mission begibt, denn seine Tochter Mina ist entführt worden. In seinem Herrenhaus und bei nächtlichen Exkursionen geht ihm ein schweigsamer Butler mit tribal genieteter Gesichtshaut zur Hand: Sembene (Danny Sapani). Begleitet werden sie von Vanessa Ives, einer bleichen, schönen Lady von unklarer Motivation: Ex-Bond-Girl Eva Green („Camelot“) spielt sie mit einer dunkel-aristokratischen Strenge, die man sonst nur der dreißig Jahre älteren Charlotte Rampling zugetraut hätte. Ives ist es auch, die den verkrachten Revolverhelden Ethan Chandler aus einer tourenden Wildwestshow loseist, um Malcoms Mission zu unterstützen. Ex-Teenie-Star Josh Hartnett („Pearl Harbor“) ist als strähniger Westentaschen-Buffalo-Bill, der zuhause in Amerika von der Justiz gesucht wird, kaum wiederzuerkennen – vielleicht liegt’s auch an seiner fusselbärtigen Minimalmimik. Schließlich ist da noch ein junger Arzt (Harry Treadaway aus „Cockneys vs. Zombies“) mit sehr guten Sezierfähigkeiten, der nach Dienstschluss in den eigenen Gemächern noch weiterschraubt. Am Ende der ersten Folge stellt er sich vor und bestätigt damit, was eh jeder Zuschauer ahnt: „Ich bin Victor Frankenstein.“ Sein Monster, frisch ins Leben gerufen, nimmt’s interessiert zur Kenntnis.

In der zweiten Episode treten sogar noch weitere Charaktere hinzu: Die Prostituierte Brona Croft etwa, die sich zu Ethans Love Interest entwickelt. „Doctor Who“-Reisegefährtin Billie Piper spielt sie mit irischem Zungenschlag. Brona bekommt es auch mit einem schönen Jüngling zu tun: Das ist Dorian Gray, der im Roman von Oscar Wilde bekanntlich seine Seele verkaufte, um trotz ausschweifenden Lebensstils nicht mehr altern zu müssen. Hier lässt sich Dorian Gray (gespielt vom amerikanischen Sänger Reeve Carney) in einer besonders unappetitlichen Szene von der schwindsüchtigen Brona bei einem Privat-Pornodreh mit ausgehustetem Blut bespucken.

Strebt nach ewiger Jugend: Reeve Carney als Dorian Gray.
Nein, zimperlich geht es hier nicht zu. Schon eingangs wird eine Frau brutal vom Nachttopf gerissen, und nach wenigen Minuten wird schon gepfählt, geballert, seziert und in verwesenden Eingeweiden gewühlt: Sensationalismus pur! Dem Hang zum Monster-Medley entspricht dabei auch die stilistische Gestaltung. Von allem ist was dabei: Steampunk mit seiner Faszination für Technik im Retro-Setting, Phantom-der-Oper-Camp im Stil der alten Hammer Studios und, ganz wichtig, der derzeit immer noch obligatorische „Twilight“-Fantasy-Look mit seinen Werwölfen und Vampiren. Dazu passend werden ausführlich Wordsworth und andere romantische Dichter zitiert.

Der spanische Regisseur Juan Antonio Bayona („Das Waisenhaus“) kriegt diese durchaus krude Mischung in den ersten beiden Episoden erstaunlich geschmeidig unter einen Hut: Wie er die versprengte Truppe zu einem ersten Shoot-Out in einen Blutsaugerkeller schickt, wie er während einer epischen Séance diverse lästerliche Dämonen in die gestrenge Vanessa fahren lässt, oder wie er ganz generell aus den üblichen Genre-Stereotypen (wabernder Nebel, lateinisches Gemurmel als akustischer Index für okkultes Unheil, Geister- und Traumgestalten) eine angemessen gruselige Atmosphäre heraufbeschwört, das funktioniert ganz gut und passt bestens zum metallic-blau schimmernden Vorspann, der mit Schlangen, Spinnen, Käfern, Fangzähnen, Blut, Skalpellen und Kruzifixen so ziemlich alles auffährt, was man aus einer Woche vertiefter Horrorheftleserei an Düsterem herausdestillieren könnte. Dazu zählen auch die skurrilen Nebenfiguren: Der geckenhafte Ägyptologe Lyle etwa (Simon Russell Beale) könnte, wie er da apokalyptische Totenbuch-Prophezeiungen aus den Tätowierungen eines Vampirs herausliest, glatt einem „Tim & Struppi“-Cartoon entsprungen sein.

Großes Drama aber gibt es auch – bislang vor allem in der Geschichte von Frankenstein und seinem Monster, das sich hier selbst den Namen „Proteus“ gibt, frei nach Shakespeares „Zwei Herren von Verona“. Die innige Erstbegegnung von Schöpfer und Geschöpf im Dunkel der Nacht ist eine schöne Variante der bekannten Geschichte. Dass das Monster schon nach wenigen Tagen die Identitätsfrage stellt, wirkt dagegen etwas überstürzt. Allerdings kommt es in diesem Subplot bereits im Cliffhanger der zweiten Folge zu einer radikalen Wendung – denn das eigentliche erste Monster Frankensteins (Rory Kinnear, „Skyfall“) tritt darin sehr blutig auf Plan. Es heißt „Caliban“, frei nach Shakespeares „Der Sturm“, und seine und Dr. Frankensteins Geschichte wird in der anschließenden Episode ausführlichst referiert. Alun Armstrong („New Tricks“) hat dabei einen köstlichen Auftritt als saufseliger Grand-Guignol-Theaterveteran, doch Brona Croft und Dorian Gray fliegen erst einmal wieder raus aus der Erzählung. Dramaturgisch ist also noch nicht ganz klar, wohin die Reise geht. Eine „Monster of the Week“-Routine scheint es nicht unbedingt zu geben, obwohl auch in Episode 3 wieder der (möglicherweise von Dracula entführten) Mina hinterhergeforscht wird – und sich Ethan Chandler als Wolfsflüsterer verdächtig macht.

Insgesamt dürften sich Gruselfans in diesem post-post-postmodernen Konglomerat aus verschiedensten Horrortopoi wohlfühlen. Verglichen mit der generischen Langeweile von „The Originals“ geht es hier recht ordentlich zur Sache, die Tricks sind meist sehenswert, und obwohl sich der Plot so zwanghaft okkultversessen wie eine alte Iron-Maiden-Platte gibt, hat er seine vergnügungssüchtigen Zuschauer doch ziemlich schnell am Haken – Langeweile kommt nicht auf.

Und doch gibt es ein großes, essenzielles Aber. Die Penny Dreadfuls des 19. Jahrhunderts nämlich waren Trash, Verbrauchsware für zwischendurch, weder kunstvoll produziert noch edel geschrieben, eher schnell vergessen als für die Ewigkeit. Die Serie aber ist all das gerade nicht: Das britische Qualitätsschauspiel ist ohne Fehl und der intertextuell informierte Plot clever konstruiert. Die Ausstattung legt großen Wert noch aufs letzte Statistenkostüm, jede Pfütze sieht aus wie frisch zurechtgewässert: So wird das versiffte Ripper-London zur polierten Designerschmutzkulisse, das Pfennigheft mutiert zum Hochglanzroman. Die meisten Zuschauer wird das wohl nicht jucken, doch eigentlich muss man das Mogelpackung nennen.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten drei Episoden von „Penny Dreadful“.

Meine Wertung: 3,5/​5

Gian-Philip Andreas
© Alle Bilder: Showtime

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

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