2022, Folge 389–404
Einsatz in der Todeszone – Mit deutschen Kampfschwimmern in Afrika
Folge 389 (45 Min.)„Gretel“ ist Kampfschwimmer, seinen richtigen Namen wird man nie erfahren. Auch sein Gesicht wird nie ganz zu sehen sein. Er ist 30 Jahre alt, ein zurückhaltender, ungewöhnlich wacher Mann. Dass er BWL studiert hat, glaubt man sofort. Er kann aber auch anders. Er kann lautlos töten, aus Flugzeugen springen, aus U-Booten tauchen, er kann in allen Klimazonen kämpfen, Gegner ausspähen, Wunden verarzten. All das hat er in einer extrem harten Ausbildung gelernt, die im Jahr nur fünf bis sechs Soldaten überstehen. Nun wird es ernst. Er geht in den Einsatz nach Niger.
Seit 2016 schwappt eine Welle von Terroroangriffen von Mali über die kaum befestigte Grenze ins bitterarme Niger. Milizen des IS, von al-Qaida und Boko Haram überfallen fast täglich nigrische Dörfer und massakrieren die Zivilbevölkerung. Dazu ist Niger der Transitstaat auf der Fluchtroute aus dem südlichen Afrika an die Mittelmeerküste. Die Armee ist schwach und kann Menschenhändlern, Drogenschmugglern und Terroristen wenig entgegensetzen. „Gretel“ und sein Trupp von Kampfschwimmern sollen jetzt helfen. Bei Tillia, in der brüllenden Hitze etwa 70 Kilometer östlich der Grenze zu Mali, haben die Kampfschwimmer ihr Lager aufgeschlagen.
Hier bilden sie seit 2018 im Rahmen der EU-Trainingsmission Gazelle nigrische Spezialkräfte aus. Ziel ist, das krisengeschüttelte Land zu stabilisieren. In der deutschen Politik gibt es derweil Zweifel an den Einsätzen in Mali und Niger. Denn die Lage verschlimmert sich immer weiter. Ein Filmteam hat die Kampfschwimmer über ein ganzes Jahr von der Vorbereitung bis in den Einsatz begleitet. Noch nie haben die Kampfschwimmer eine solche Nähe zugelassen. (Text: NDR)Deutsche TV-Premiere Mo. 23.05.2022 NDR Deutsche Streaming-Premiere Sa. 21.05.2022 ARD Mediathek Schöne, tote Ostsee – Das Dorschsterben und die Folgen
Folge 390 (45 Min.)Jahrzehntelang hat die Wissenschaft davor gewarnt, jetzt ist es so weit: Die Dorschbestände der Ostsee sind zusammengebrochen. Der Verlust dieser Fischart bedeutet für viele Betriebe und Menschen ein wirtschaftliches Desaster. „45 Min“ zeigt die Ursachen dieser Katastrophe, beschreibt die Lage der Betroffenen und fragt nach Lösungen für die Zukunft der Küste. Kapitän André Hamann hat sein Leben lang Dorsche in der Ostsee gefischt, so wie sein Vater und Großvater vor ihm. Jetzt steht er im Steuerhaus seines Stahlkutters „Westbank“ und fährt das modern ausgerüstete 20-Meter-Schiff zum Verschrotten Richtung Dänemark.
„Ohne Dorsch können wir nichts verdienen. Für andere Fischarten wie Flundern gibt es nicht genug Geld. Damit könnten wir nicht mal unseren Treibstoff bezahlen!“ Die „Westbank“ war einer der letzten großen Schleppnetzkutter der Ostsee. Und Kapitän Hamann hat keine Ahnung, was aus ihm mit Mitte 40 werden soll. „Was wir gerade erleben, ist historisch“, sagt Dr. Uwe Krumme vom Thünen-Institut für Ostseefischerei. „Die Bestände waren jahrzehntelang stark überfischt.
Schlechte und gute Jahre gab es zwar schon früher. Aber jetzt kommt, wie es aussieht, noch der Klimawandel dazu. Das Wasser wird zu warm. Und die Dorsche bleiben weg.“ In der Haifischbar auf Fehmarn sitzen die Fischer, Gastwirte und Kapitäne des Hafens von Burgstaaken zusammen und haben eine ganz andere Erklärung: „Es gibt hier doch kaum mehr Kutter und Fischer, die Fangquoten werden seit Jahren drastisch gesenkt!“, sagt einer der Männer. „Aber die Kormorane und die Kegelrobben, die werden ständig mehr und fressen jeden Tag tonnenweise Fisch! Und von der Politik werden die auch noch geschützt!“ Die „45 Min“-Reportage beschreibt in eindrucksvollen Bildern die dramatische Lage an der deutschen Ostseeküste zwischen Lübeck und Rügen.
Und sie gibt seltene Einblicke in das Leben der betroffenen Menschen, die sehr offen Stellung beziehen. Dabei fragt Autor Carsten Rau, selbst Angler, auch nach der eigenen Verantwortung für das Verschwinden der Dorsche. Hierdurch verlieren viele nicht nur ihr Einkommen, sondern auch ihre Identität als Menschen der Küste. (Text: NDR)Deutsche TV-Premiere Mo. 20.06.2022 NDR Deutsche TV-Premiere ursprünglich angekündigt für den 23.05.2022Geheimsache Wurst: Was essen wir da?
Folge 391 (45 Min.)Die Deutschen essen einfach gern Wurst: Mortadella, Salami, Lyoner, pro Tag sind es pro Person durchschnittlich 80 Gramm Wurst, etwa vier Scheiben. Wurst ist ein Massenprodukt: Noch nie war sie so günstig. Beim Discounter kosten 200 Gramm Geflügelmortadella gerade einmal knapp 1,30 Euro, vor der Inflation und dem Ukraine-Krieg waren es sogar nur 90 Cent. „45 Min“ fragt: Wie gut kann eine so günstige Wurst eigentlich sein? Expert*innen befürchten schon länger, Billigwurst werde oft gepanscht, minderwertige Fleischreste dabei verarbeitet und durch Wasser mit Zusatzstoffen schnittfest gemacht, um Gewicht in die Wurst zu bekommen. Eine flächendeckende Überwachung der Betriebe und Untersuchung der Produkte ist für die oft unterbesetzten staatlichen Kontrollbehörden kaum möglich.
Stichproben von Produkten sind zu selten, um herauszubekommen, was Betriebe tatsächlich in Wurst einarbeiten. Und auch von außen sieht man zu wenig: Deklarierungen auf den Verpackungen sind wenig transparent. „45 Min“-Autor Julian Prahl untersucht in seiner Dokumentation, wie Wurst gemacht wird und welche möglicherweise auch bedenklichen Inhaltsstoffe in die Wurst gelangen. Seine Ergebnisse: überraschend. Dabei ist Wurst im Grunde genommen ein einfaches Produkt, das wenig Zutaten bräuchte. Biometzger meinen: Je günstiger eine Wurst ist, desto weniger Qualität steckt drin, desto mehr muss „nachgeholfen“ werden mit Zusatzstoffen, Gewürzen oder Farbstoffen.
Stimmt das? Und wie sieht es bei den immer beliebter werdenden Veggie-Alternativen aus? Verbraucherschützer*innen bemängeln: zwar helfen Wurstersatzprodukte gegen zu viel Fleischkonsum, oft sind aber umstrittene Zusatzstoffe und meist zu viel Salz enthalten. Transparenz? Fehlanzeige. Bliebe alles wie es jetzt ist, sprechen Expert*innen weiter von Wurst als „grauem Geheimnis“. Doch vielleicht ändern sich demnächst wesentliche Punkte in der Deklaration? „45 Min“ macht sich auf Spurensuche innerhalb der „Geheimsache Wurst“. (Text: NDR)Deutsche TV-Premiere Mo. 27.06.2022 NDR Wem gehört die Küste?
Folge 392 (45 Min.)Sommer, Sonne, Strand und Meer, das alles findet sich direkt vor der eigenen Haustür. Immer mehr Menschen begeistern sich für die deutsche Küste, die Zahl der Urlaubsreisenden an Nord- und Ostsee steigt seit Jahren. Nach dem Einbruch während Corona zeichnet sich in diesem Sommer wieder eine sehr gute Buchungslage in den Badeorten ab. Die Tourismusbranche und die lokale Wirtschaft profitieren. Doch zunehmend ist das Wort Overtourism zu hören, Übertourismus. Für viele Küstenbewohnerinnen und – bewohner, aber auch für manche Urlauberinnen und Urlauber ist das Maß voll.
Sie befürchten eine „Versyltung“ ihrer Heimat. „Wenn ich an Stränden bin, die nicht so bekannt waren noch vor ein paar Jahren, sind die gerappelt voll. Dann fahre ich in meine Wohnung. Und ja, bin dann leider da“, sagt eine junge Frau aus der Schleiregion, die ohne Balkon oder Garten wohnt. Eine Immobilienmaklerin im Ort berichtet dem NDR: „Es wird gar nicht mehr verhandelt, die Nachfrage ist so groß.“
Immer höhere Immobilienpreise, Verdrängung durch steigende Urlauberzahlen, aber auch Streit um Strandgebühren oder neue Hotelbauten, die NDR Dokumentation zeigt, wie an vielen Stellen um den richtigen Umgang mit dem Tourismus gerungen wird.
Beispiel Kühlungsborn, traditionsreiches Ostseebad an der Mecklenburger Bucht. Die Stadt hat mehr als doppelt so viele Gästebetten wie Einwohner*innen und beherbergt jedes Jahr etwa 450.000 Urlauber*innen. Nun soll ein weiteres 120-Betten-Haus direkt an der Promenade entstehen. Zwei Immobilienunternehmer haben zugesagt, die angrenzende denkmalgeschützte Villa zu sanieren, das Hotelprojekt soll zur Querfinanzierung dienen. Die Pläne spalten den Ort. Die NDR Reporterinnen Lea Eichhorn und Isabel Lerch fragen Lokalpolitikerinnen und – politiker und treffen die beiden Investoren. Wie viel Tourismus braucht, wie viel verträgt ein Ort?
Auch in der Natur hinterlassen Urlauber*innen ihre Spuren. Im Naturschutzgebiet Schleimündung in Schleswig-Holstein versuchen die Verantwortlichen, Besucherströme und intaktes Ökosystem in Einklang zu bringen. So sind Vogelschützer im Einsatz, um die Menschen für den Lebensraum der Tiere zu sensibilisieren, was offensichtlich nötig ist. Wie viel Tourismus verträgt die Natur?
Eine Dokumentation mit eindrucksvollen Filmaufnahmen über den spannungsgeladenen Boom an den deutschen Küsten. (Text: NDR)Deutsche TV-Premiere Mo. 15.08.2022 NDR Deutsche Streaming-Premiere Di. 09.08.2022 ARD Mediathek Voll, voller, Ostsee – das überrannte Naturparadies
Folge 393 (45 Min.)Die Ostsee mit ihren Sandstränden, Inseln, Nationalparks und den meisten Sonnenstunden Deutschlands wird immer beliebter. Über sieben Millionen Menschen sind 2020 an die Ostsee gereist, 97 Prozent von ihnen sind Deutsche. Auch im zweiten Coronajahr laufen die Vorbereitungen für die Sommersaison auf Hochtouren: digitale Strandampeln, Warnschilder mit Hygieneregeln, Zählsysteme, gesperrte Zufahrtsstraßen sollen Massenaufläufe an den Stränden vermeiden. Die Ranger im Nationalpark Jasmund auf der Insel Rügen verzweifeln an den Menschenmassen. „Der letzte Sommer war die Hölle“, sagt Ingolf Stodian, der Leiter des Nationalparks, zu dem auch die berühmten Kreidefelsen gehören. „Nach Ende des Lockdowns hatte uns eine Touristenwelle erfasst, wie wir sie noch nie erlebt haben.“
Immer häufiger ist von „Versyltung“ der Ostseeorte die Rede: Fast jede frei werdende Immobilie wird in ein Ferienhaus umgewandelt, Verkaufspreise und Mieten haben sich in den letzten Jahren in Timmendorf, Scharbeutz und anderen Urlaubsorten verdreifacht. Wer hier eine neue Wohnung sucht, hat ein Problem.
Auf der größten deutschen Insel Rügen leben zwar 80 Prozent der Einheimischen vom Tourismus, aber den Immobilienboom verfolgen sie mit Sorge. Eine ausländische Investorengruppe will die schmale Halbinsel Bug mit einem 680 Millionen Euro teuren Ferienprojekt bebauen. Im verschlafenen Ort Promoisel soll ein Hotel für 50 Millionen Euro entstehen, auf der Halbinsel Pütnitz will die niederländische Kette Center Parcs eine riesige Ferienanlage bauen. Was bleibt von der schönen Ostseelandschaft, wenn immer mehr davon neuen Touristenunterkünften geopfert wird?
Die Ostsee ist für viele Menschen ein Natur- und Urlaubsparadies. Aber wie lange noch? (Text: NDR)Deutsche TV-Premiere Mo. 29.08.2022 NDR Deutsche Streaming-Premiere Fr. 26.08.2022 ARD Mediathek Das schmutzige Geschäft mit der Schönheit
Folge 394 (45 Min.)In der Schönheitsindustrie gehören sogenannte Heil- oder Schmucksteine seit Jahren fest zum Sortiment: Jade für mehr Mut, Amethyst für bessere Konzentration, Rosenquarz für die Liebe und eine straffere Haut. Die Unternehmen der Schönheitsindustrie werben etwa für ihre Produkte aus Rosenquarz mit deren Natürlichkeit. Sie würden der Kundschaft helfen, sich vom stressigen Alltag zu erholen und sich wieder mit der Natur zu verbinden. Doch das, wovon man sich in Europa neben Schönheit auch eine gewisse Erdverbundenheit verspricht, kommt in seinen Abbaugebieten ganz und gar nicht glamourös daher. Die Reporterinnen Nadja Mitzkat und Zita Zengerling machen sich auf die Suche: von der europäischen Schönheitsindustrie, die die Steine vertreibt, über deren Zwischenhändler in Asien bis in die Abbaugebiete. (Text: NDR)Deutsche TV-Premiere Mo. 19.09.2022 NDR Deutsche TV-Premiere ursprünglich angekündigt für den 05.09.2022, dann für den 12.09.2022Sind unsere Dörfer noch zu retten?
Folge 395 (45 Min.)Jeder Mensch in Deutschland hat das Recht auf gleichwertige Lebensverhältnisse, so interpretieren Experten das Grundgesetz. Das Problem: An einer haltbaren Definition, was gleichwertig überhaupt bedeutet, ist die Politik bisher gescheitert. Stattdessen ist sie vielmehr jahrelang der Spirale aus Abwanderung, schwacher Wirtschaftskraft und weiterer Abwanderung hinterhergerannt und hat versucht, die Zahlen durch Verwaltungs- und Gemeindereformen schönzurechnen, kritisiert Felix Rösel vom ifo Institut Dresden. Jetzt gibt es in Deutschland Landkreise, die größer als das Saarland sind, bei denen man bis zum nächsten Amt mehrere Stunden fährt.
Die Folge: Die Einwohnerinnen und Einwohner werden entmündigt, haben keine Entscheidungsgewalt. Dort, wo Kreise oder Gemeinden fusionieren, sinkt das Engagement der Bürgerinnen und Bürger, es sinkt die Wahlbeteiligung. Und es profitieren Populisten. Die Zahlen sind düster: 15.000 Kilometer Bahngleise wurden in den letzten 70 Jahren deutschlandweit stillgelegt, seit 1990 hat sich die Zahl der Supermärkte halbiert. Im ähnlichen Zeitraum haben allein in Sachsen knapp 40 Prozent der Grundschulen auf dem Land geschlossen.
Bis 2035 werden deutschlandweit etwa 11.000 Hausärzte fehlen, die meisten von ihnen auf dem Land. Lohnt es sich, alle Dörfer zu erhalten? „Einen echten Paradigmenwechsel. Einen neuen Politikansatz, den es so seit der Wiedervereinigung nicht gab“, nannte „Heimatminister“ Horst Seehofer Anfang des Jahres den Zwischenbericht der extra eingerichteten Kommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“, die Fachwelt spricht dagegen von einem schwachen Rettungsversuch, der weit unter den Möglichkeiten bleibt. Denn was bringen unzählige neue Fördertöpfe, wenn diese nur den eh gut dastehenden Kommunen helfen und Bürokratie jedes Engagement im Keim erstickt? Schließlich werden schon jetzt in Mecklenburg-Vorpommern gerade einmal 21 Prozent der möglichen Fördergelder abgeholt, während es in Baden-Württemberg 83 Prozent sind.
Und über allem schwebt die Frage: Lohnt es sich, rein wirtschaftlich und ökologisch betrachtet, tatsächlich, alle Dörfer zu erhalten? Und sollte Daseinsvorsorge nicht besser komplett neu gedacht werden? Die Dokumentation begibt sich deutschlandweit auf die Suche nach einer Antwort. (Text: NDR)Deutsche TV-Premiere Mo. 26.09.2022 NDR Sieben Jahre Deutschland – Mein Versuch eine „Alman“ zu werden
Folge 396 (45 Min.)Sieben Jahre ist es her, dass Mayss Shehawi nach Deutschland gekommen ist. Das war 2015. Für sie führte der Weg vom Libanon über das Mittelmeer und über die Balkanroute. Schließlich endete er in einer Flüchtlingsunterkunft in Finsterwalde. Heute lebt die 30-Jährige in Hamburg, ist Journalistin beim NDR und hat es geschafft. Geschafft, sich ein selbstbestimmtes Leben in der Fremde aufzubauen, die Sprache zu lernen. Bald wird sie deutsche Staatsbürgerin sein. Auf den ersten Blick eine Erfolgsgeschichte gelungener Integration. Aber was ist in diesen sieben Jahren passiert? Was bedeutet es, anzukommen in einem Land, in dem alles neu und überfordernd ist? Wenn rassistische Begegnungen alltäglich werden? Und was bedeutet Integration überhaupt? 2015 flohen 162.510 Syrer*innen vor Krieg und Diktatur nach Deutschland und stellten hier einen Asylantrag.
Viele von ihnen könnten bald Deutsche sein. Zumindest auf dem Papier. Wie ihre Integration gelungen ist, darüber wird immer wieder diskutiert. Wer dabei wenig zu Wort kommt, sind die Menschen, um die es geht. In dem Film reisen die Autorinnen Alexandra Bidian und Mayss Shehawi mit der Bahn durchs sommerliche Deutschland. Sie besuchen die Etappen auf Mayss Shehawis Weg, suchen immer wieder das Gespräch mit Syrer*innen und Deutschen und reflektieren, was gut und was schiefgelaufen ist.
Dabei treffen sie: Joudy, die mit 13 plötzlich in einer Schulklasse in Hann. Münden saß. Als einzige Geflüchtete, ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Allein mit ihren Erinnerungen an einen Krieg, von dem die anderen in ihrer Klasse nichts wussten. Heute lebt sie in Berlin, studiert, hat den deutschen Pass und sucht ihren Weg zwischen den beiden Kulturen. Tareq, der in Bochum kurz nach seiner Ankunft eine Demo organisierte, um auf die Zustände in den Unterkünften aufmerksam zu machen.
2021 wollte er dann als erster Geflüchteter für den Bundestag kandidieren, zog seine Bewerbung aber zurück, weil der Druck, der Hass, der ihm entgegenschlug, zu viel wurden. Aber er gibt nicht auf, ist weiter politisch aktiv und möchte die Perspektive geflüchteter Menschen hörbar machen. Kauthar, die als eine der ersten Geflüchteten eine Ausbildung im Saarland beginnt und sie auch trotz der sprachlichen Hürden bewältigt. Die sich jetzt nichts mehr wünscht, als einen deutschen Pass zu haben, um zu wählen, um endlich Sicherheit zu haben und dazuzugehören. Eine Suche nach Antworten nach sieben Jahren des Zusammenlebens. (Text: NDR)Deutsche TV-Premiere Mo. 10.10.2022 NDR Kampf um Riesenpötte – Wohin steuert Hamburgs Hafen?
Folge 397 (45 Min.)Hamburg sollte Anfang des Jahrtausends zum Hafen Nummer eins in Europa werden. Die Umschlagszahlen stiegen enorm. Es schien, als könne der Hamburger Hafen die Konkurrenz in Rotterdam und Antwerpen überflügeln und vielleicht sogar abhängen. Für die neuen Märkte in Osteuropa war Hamburg günstiger gelegen als die Westhäfen. Aber die geografische Lage des Hamburger Hafens brachte und bringt auch Nachteile mit sich. Er liegt 120 Kilometer weit im Binnenland und kann nur über die Fahrt auf der Unterelbe erreicht werden. Und bei immer größer werdenden Schiffen wird das zum Problem. Mit einer Länge von 250 auf 400 Meter, einer Breite von 40 auf 60 Meter und einer Ladekapazität von 8000 auf 24.000 Container sind sie in den letzten Jahren gewachsen.
Für diese Riesenpötte ist das Revier der Unterelbe zu eng. „Die großen Schiffe sind Gift für den Hamburger Hafen“, sagt der Schiffbau- und Verkehrsexperte Ulrich Malchow im Interview mit „45 Min“. Mit der neunten Elbvertiefung hat sich der Hamburger Senat mit Unterstützung der Bundesregierung im Jahr 2012 entschieden, in den Wettlauf mit den wachsenden Schiffsgrößen einzusteigen. Langwierige juristische Klagen gegen den Eingriff in den Fluss, die überwiegend naturschutzrechtlich begründet wurden, wehrte der Stadtstaat erfolgreich ab.
Zwischen 2019 und 2021 wurde die Elbe vertieft und verbreitert. Anfang 2022 erfolgte die Freigabe der neuen Maximaltiefgänge von 14,50 Metern bei Flut und 13,50 Metern tideunabhängig. Hat die Elbvertiefung den erhofften Effekt gebracht? Wie hoch sind die Kosten, wie hoch ist der Nutzen? Wie leicht können die heute größten Schiffe den Hamburger Hafen erreichen? Wie aufwendig ist es, die neue Tiefe und die neue Breite der Unterelbe zu halten? Wie steht der Hamburger Hafen heute da im Wettbewerb mit den konkurrierenden Standorten? Diesen Fragen geht dieser Film von Stefan Buchen nach.
Der NDR Autor sprach mit Reedern und Fischern, mit dem Präsidenten der Bundesverwaltung Wasserstraßen und Schifffahrt und Experten für internationalen Seeverkehr und Weltwirtschaft und nicht zuletzt mit den heute verantwortlichen Politikern. Der Film folgt der Spur der einflussreichen Reeder, der Container, der Flussbagger und nicht zuletzt des Schlicks, der immer wieder in die Elbe zurückkehrt und Fahrrinne und Hafenbecken verstopft. Es ist ein Film über hanseatische Ambitionen, natürliche Grenzen des Wachstums und die Rückkehr der Geografie. (Text: NDR)Deutsche TV-Premiere Mo. 17.10.2022 NDR Die Macht der Superreichen – Wie Millionäre Einfluss nehmen
Folge 398 (45 Min.)Stefanie Bremer stammt aus einer reichen Familie und möchte höher besteuert werden. Gemeinsam mit 50 Millionär*innen engagiert sie sich in der Initiative „tax me now“.Bild: NDR/Filme & Consorten/Ingo MendeIn Kiel ist ein Streit ums Holstein-Stadion entbrannt. Fußballmäzen Gerhard Lütje, Gründer der CITTI Handelsgesellschaft, denkt groß. Zu groß vielleicht, denn er will das Stadion modernisieren und es gleichzeitig zum autogerechten Businesscenter machen. Mitten in einem Wohngebiet. Kritikerinnen und Kritiker finden das wenig nachhaltig. Aber sie finden kein Gehör, klagen sie. Oberbürgermeister Ulf Kämpfer (SPD) der Landeshauptstadt Kiel sitzt mit chronisch klammer Stadtkasse zwischen allen Stühlen und muss verhandeln, ohne den Geldgeber zu vergraulen.
In seinem Luxushotel an der Hamburger Alster trifft das Filmteam den Multimilliardär Klaus-Michael Kühne, einen der drei reichsten Männer Deutschlands. Der 85-Jährige spendet großzügig: Er unterstützt den HSV, betreibt eine Hochschule in der Hamburger Hafencity, will eine Oper bauen, sponsort die Elbphilharmonie. Steuern zahlt Kühne hierzulande nicht. Den Wohnsitz hatte bereits sein Vater in die Schweiz verlegt. „Es ist ja bekannt, dass der Staat nicht richtig wirtschaften kann“, findet Kühne und glaubt, dass er sein Geld besser selbst verteilen kann.
Dienen die Interessen von Großspendern stets dem Gemeinwohl? Nein, sagt die Tochter einer reichen Familie, die sich bei der Initiative taxmenow engagiert: Rund 50 Millionärinnen und Millionäre fordern, endlich gerecht besteuert zu werden. „Ich finde es kritisch, wenn wir uns in einer Demokratie davon abhängig machen, dass eine Einzelperson für die gute Sache Geld gibt.“ Und die Abhängigkeit wächst: 1999 gab es 8000 Stiftungen, heute sind es 24.000. Was heißt das für die Demokratie, wenn ein Einzelner eine ganze Stadt verändert? Heilbronn gedeiht zum Bildungsstandort dank Dieter Schwarz, Lidl-Gründer und zweitreichster Mann Deutschlands.
Der „König von Heilbronn“ beschenkt die Stadt via Stiftung mit einem gigantischen Bildungscampus. Der Oberbürgermeister und viele Einwohnerinnen und Einwohner Heilbronns sind ihrem Mäzen unendlich dankbar. Aber wie transparent ist sein Engagement? „45 Min“ geht zusammen mit der NGO FragDenStaat dem Vorwurf nach, der Milliardär habe zu viel Einfluss auf die Geschicke der Stadt.
Lübeck macht es anders. Die Hansestadt ist gesegnet mit 122 Stiftungen. Eine hat der Erbe Michael Haukohl gegründet. Er fördert Lübecker Schulen in engem Schulterschluss mit der Stadt. Die Stiftungen können oft schneller agieren, zum Beispiel bei der Anschaffung von Tablets in der Coronakrise. Dass die Stiftungsgelder im Lübecker Stadthaushalt schon fest eingepreist sind, stimmt Michael Haukohl allerdings nachdenklich. NDR Reporterin Gesine Enwaldt recherchiert für „45 Min“ in der Welt der Superreichen und hinterfragt deren Einfluss auf klamme Kommunen. (Text: NDR)Deutsche TV-Premiere Mo. 24.10.2022 NDR Die Krise der Mittelschicht: Viel Arbeit, wenig Geld
Folge 399 (45 Min.)Die Preise steigen dramatisch, die Inflation frisst das Geld auf. Wer bisher gerade so mit seinem Einkommen auskam, ist statistisch gesehen jetzt schon zweieinhalb Tage vor Monatsende pleite. Dabei steht die kalte Jahreszeit mit hohen Heizkosten noch bevor. Das trifft selbst die Mittelschicht hart. Die Generation nach den Babyboomern ist die erste nach dem Zweiten Weltkrieg, die ihre Eltern mehrheitlich nicht wirtschaftlich übertreffen wird. Laut einer aktuellen Studie der OECD schrumpft die Mittelschicht in Deutschland besonders stark. Vor allem der untere Rand ist abstiegsgefährdet.
Auch das Leben von Menschen, die sich selbst fest zur Mitte zählen, gerät ins Wanken. Wie das von Claudia. Sie ist studierte Lehrerin und bringt erwachsenen Schülerinnen und Schülern Deutsch bei, das Fundament für eine erfolgreiche Integration. Doch obwohl ihre Arbeit einen großen Wert für die Gesellschaft hat, fühlt sich Claudias Leben zunehmend prekär an. Sie arbeitet ca. 60 Stunden die Woche und landet trotzdem am Ende des Monats bei Null. So wie Claudia geht es vielen Menschen aus der Mitte: Verkaufspersonal, Postzustellkräften, Erzieherinnen und Erzieher, Menschen, die den Laden doch angeblich „am Laufen halten“.
Wie ist es zu erklären, dass jahrelang die Wirtschaft wächst, der Wohlstand aber nicht in der Breite ankommt? Wieso fehlt es so vielen in der Mittelschicht an Sicherheit und Rücklagen? Wie wirkt sich das auf den Zusammenhalt in der Gesellschaft aus? Das eigene Haus im Grünen, ein Auto vor der Tür, Urlaubsreisen, eine sichere Rente, ein gutes und ein abgesichertes Leben. Diese Lebensträume sind fest in der Mittelschicht verankert, doch trotz Ausbildung und harter Arbeit lassen sie sich nicht mehr so einfach umsetzen.
Das war nicht immer so: Früher konnte es auch ein einfacher Angestellter zu kleinem Wohlstand bringen und sich oft sogar ein Eigenheim leisten. Die Journalistinnen Julia Friedrichs und Caroline Rollinger treffen für ihren Film drei Menschen, die außergewöhnlich offen über ihre finanzielle Situation sprechen. Wie viel Geld kommt rein, wie viel Geld geht für was raus? Und was bleibt am Ende übrig? Der Film stellt auch die Frage nach der politischen Verantwortung.
Schließlich war die SPD seit Beginn der 1980er-Jahre 20 Jahre lang an der Regierung beteiligt. Eine Partei, die sich immer als Schutzmacht der „kleinen Leute“ verstanden hat. Philippa Sigl-Glöckner, die in Oxford studiert, bei der Weltbank gearbeitet und die Regierung von Liberia beraten hat, ist 32, Mitglied in der SPD, Finanzexpertin und überzeugt davon, dass man all diese Entwicklungen nicht fatalistisch hinnehmen müsse. „Wir sind keine Geiseln der Verhältnisse“, sagt sie. Deshalb hat sie mit anderen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern den Thinktank „Dezernat Zukunft“ gegründet.
Das Ziel: Instrumente für eine Wirtschafts- und Finanzpolitik zu erdenken, die messbar wieder allen dient. Julia Friedrichs hat mehrere Bücher zu sozialen Themen veröffentlicht. Darunter zuletzt „Wir Erben. Was Geld mit Menschen macht“ und „Working Class“. Für ihre Arbeit erhielt sie zahlreiche Auszeichnungen, u.a. den Dr. Georg Schreiber-Medienpreis sowie den Grimme-Preis. Caroline Rollinger ist Fernsehautorin für Dokumentationen und Reportagen u.a. für Das Erste und den NDR. (Text: NDR)Deutsche TV-Premiere Mo. 07.11.2022 NDR Deutsche Streaming-Premiere Fr. 04.11.2022 ARD Mediathek Schmutziges Kupfer – Die dunkle Seite der Energiewende
Folge 400 (45 Min.)Eine spannende Recherche über Kupfer, einem der wichtigsten Rohstoffe für erneuerbare Energien.
Die Energiewende war vielleicht noch nie wichtiger als heute. Windenergie und Solarpower sind entscheidend für die Zukunft. Der vielleicht wichtigste Rohstoff für diese Schlüsseltechnologien ist das Metall Kupfer. Seit Jahren steigt der Preis für Kupfer in noch nie dagewesene Höhen. Minen und Produzenten machen weltweit Milliardengewinne.
Doch wo und unter welchen Umständen wird Kupfer abgebaut? Welche Folgen hat der Abbau für die Umwelt? Ein Team des NDR stößt auf eine ökologische Katastrophe.
Der Hamburger Konzern Aurubis ist der größte Kupferproduzent Europas. Mehr als 350 Millionen Euro Gewinn machte Aurubis 2020/21 mit dem Edelmetall. Trotz Coronapandemie verbuchte die Firma so das beste Ergebnis der Firmengeschichte. Über eine Million Tonnen Kupfer werden von rund 7000 Beschäftigten weltweit produziert. Das Erz für seine Schmelzöfen bezieht Aurubis direkt aus den Abbauländern. Chile ist einer der großen Lieferanten. Doch der Abbau dort verursacht immenses Leid. Aurubis verweist auf hohe Standards in ihren Lieferketten und einen Verhaltenskodex, den alle Geschäftspartner befolgen müssten.
Das NDR Team recherchiert in Chile, einem Land mit riesigen Kupfervorkommen. Ganz im Norden in der Provinz Chuquicamata befindet sich der größte Kupferbergbau der Welt. Er liegt in der Atacama-Wüste, einem der trockensten Orte der Erde. In gigantischem Ausmaß wird hier der Boden aufgerissen, um das wertvolle Metall zu gewinnen. Obwohl es hier kaum regnet, verschlingt die Grube Unmengen an Wasser, um das Kupfer zu gewinnen. Eine ökologische Katastrophe. Die Dörfer der Menschen, die in der Umgebung leben, werden schlicht ausgetrocknet und der Rest des Wassers mit Schwermetallen kontaminiert. Das schreckliche Ergebnis ist eine Krebsrate, die fünf bis sechsmal höher ist als sonst im Land.
Da die Kupferpreise so sehr steigen, wird nun überlegt, auch in Deutschland wieder Kupfer abzubauen. In der Lausitz werden große Vorkommen vermutet. Die geschätzten 130 Millionen Tonnen sollen in den nächsten Jahrzehnten gewonnen werden. Doch kann man Kupfer überhaupt umweltfreundlich abbauen?
Der Schlüssel dazu liegt vielleicht in Kanada. Das Land um die Kupferminen von Ontario galt in den 1970er-Jahren als das am meisten vergiftete Gebiet in ganz Nordamerika. Die Flüsse und Seen waren praktisch tot und die einstigen Wälder glichen einer Mondlandschaft. Mit viel Aufwand und moderner Technologien ist es den Kanadiern gelungen, die Landschaft zu heilen, neue Wälder zu schaffen und die Gewässer wieder von Schwermetallen zu befreien. Noch immer wird hier Kupfer gefördert, mittlerweile jedoch so umweltfreundlich wie es geht. Das NDR Team dokumentiert diese enorme Wandelung.
Es scheint also möglich, Kupfer auch „sauber“ abzubauen. Warum aber wird das nur so selten getan? (Text: NDR)Deutsche TV-Premiere Mo. 14.11.2022 NDR Deutsche Streaming-Premiere Fr. 11.11.2022 ARD Mediathek Deutsche TV-Premiere ursprünglich angekündigt für den 26.09.2022Gesetzliche Betreuung: Schutzlos ausgeliefert?
Folge 401 (45 Min.)Eine lebensnahe Reportage über das schwierige Thema „gesetzliche Betreuer“. „Ihr seid doch alle Betrüger“, ist das Erste, was Harald Rohde zu hören bekommt, wenn er von seinem Beruf erzählt. Rohde ist gesetzlicher Betreuer, das heißt, er regelt das Leben von Menschen, die sich nicht mehr selbst um alles kümmern können. Sein Beruf ist mit Vorurteilen belastet. Viele Menschen haben Angst, einem vom Gericht bestellten Betreuer schutzlos ausgeliefert zu sein. Tatsächlich gibt es immer wieder Fälle von Missbrauch und Betrug. 1,3 Millionen Menschen stehen derzeit unter gesetzlicher Betreuung, das sind doppelt so viele wie noch vor 25 Jahren.
Die Klienten von Berufsbetreuer Harald Rohde sind alte, demente Menschen, aber auch junge Menschen mit psychischen Erkrankungen. In den meisten Fällen kümmert sich Harald Rohde um die finanziellen Belange, alle geschäftlichen Verträge und die Gesundheitspflege. Er hat Zugriff auf die Konten seiner Klientinnen und Klienten, kann bestimmen, wo sie wohnen und erhält all ihre Post. „Man kann über viele Sachen verfügen und entscheiden. Ich finde es nachvollziehbar, dass Menschen misstrauisch sind“, sagt Rohde.
Oft gebe es aber auch Vorurteile: „Was man immer wieder hört, ist die Geschichte von dem Betreuer, der die alte Dame ins Heim steckt und dann die Wohnung ausräumt. Ein absoluter Klassiker.“ Vorurteil oder bittere Realität? Peter Wimmer ist genau das passiert. Der 59-Jährige kam nach einer Operation in eine Kurzzeitpflege. Ihm wurde ein rechtlicher Betreuer zur Seite gestellt. Dieser kündigte Wimmers Wohnung und ließ sie ausräumen. Doch Peter Wimmer wurde wieder gesund und erkämpfte, dass die Betreuung aufgehoben wird.
Nun steht er auf der Straße. Statt einer 94-Quadratmeter-Wohnung erwartet ihn eine Obdachlosenunterkunft. „Ich will mein altes Leben wieder“, sagt er. „Es gibt Menschen, die diesen Beruf nicht ausüben sollten. Das ist nur etwas für Menschen, die schon einige Jahre in einem sozialen Beruf gearbeitet haben“, sagt Betreuer Rohde. Er und verschiedene Betreuerverbände kritisieren, dass von den Behörden keine besonderen Vorkenntnisse eingefordert werden, um diesen Beruf ausüben zu können. Doch die Betreuerinnen und Betreuer haben zu Unrecht einen schlechten Ruf, findet Rohde.
Er lässt die NDR Autorinnen Kira Gantner und Simone Horst an seinem Arbeitsalltag teilhaben. Ständig klingelt das Telefon, ständig möchte jemand etwas von ihm, egal zu welcher Tageszeit, auch im Urlaub. 40 bis 60 Betreuungen muss ein hauptberuflicher Betreuer annehmen, um über die Runden zu kommen. Für den Einzelnen bleibt oft wenig Zeit. Gleichzeitig haben viele Betreute hohe Erwartungen an ihren Betreuer, der oft die einzige Person ist, der sie unterstützt. Gerichte, die die Arbeit der Betreuer kontrollieren sollen, scheinen mit der Aufgabe überfordert.
Sie können nicht jedem Fall persönlich nachgehen, sondern müssen den jährlichen Berichten Glauben schenken. So erzählt der Film auch den Fall einer Frau, die versucht, die Betreuung ihrer Tante zu übernehmen, die von ihrer gesetzlichen Betreuerin in einem weit entfernt liegenden Pflegeheim untergebracht wurde. Alle Bemühungen, die Betreuung selbst zu übernehmen, scheitern. Für Anfang 2023 hat das Bundesjustizministerium eine Reform des Betreuungsgesetzes auf den Weg gebracht. Wird sie die Probleme lösen? Was sagt der Bundesjustizminister dazu? (Text: NDR)Deutsche TV-Premiere Mo. 21.11.2022 NDR Deutsche Streaming-Premiere Sa. 19.11.2022 ARD Mediathek Wohnen – bald unbezahlbar?
Folge 402 (45 Min.)Die Angst vor dem Winter geht um. Viele Menschen befürchten, dass sie die Kosten für Wohnung, Heizung und Strom nicht mehr tragen können. Mieten auf Rekordniveau, hohe Inflation, explodierte Energiepreise, diese Mischung birgt sozialen Sprengstoff. Und die Kaltmieten steigen weiter. Das Analysehaus empirica hat deutschlandweit Angebotsmieten für Wohnungen von 60 bis 80 Quadratmetern ausgewertet und auch in Norddeutschland enorme Preissprünge festgestellt. Im zweiten Quartal 2022 kletterten die Mieten im Vergleich zum Vorjahr beispielsweise in Rostock um knapp 19 Prozent, in Neumünster um rund 13 Prozent.
Dabei galten schon vor dem Ukrainekrieg und dem Energiepreisboom mehr als ein Viertel aller Mieter als überbelastet, weil sie mehr als 40 Prozent ihres Haushaltseinkommens für Wohnkosten ausgeben müssen. Aber längst treffen Preisdruck und Wohnungsnot auch Menschen aus der Mittelschicht mit gutem Einkommen, zum Beispiel Familie Prehm aus Hamburg. Das Reihenhaus, in dem die Prehms mit vier Kindern leben, wurde wegen Eigenbedarfs gekündigt. Sie suchen schon seit Monaten nach einer neuen Bleibe, bisher vergeblich.
Obwohl sie 2500 Euro Warmmiete zahlen können und schon viele Objekte besichtigt haben. „Mal wurden andere Bewerber vorgezogen, mal überstiegen die Heizkosten in älteren Objekten unser Budget“, beschreibt Niklas Prehm die Misere. Zudem bestehen immer mehr Vermieter auf Indexmieten, die an die Inflation, also die allgemeine Preissteigerung, gekoppelt sind. „Als Mieter wird man damit doppelt bestraft. Erst steigen die Lebenshaltungskosten und dann die Miete entsprechend“, sagt Prehm. Auch den Bau oder Kauf eines Eigenheims können sich viele Menschen nun nicht mehr leisten.
Die Zeiten billiger Bauzinsen sind vorbei. Wer über wenig Eigenkapital verfügt, muss für Kredite weitaus höhere Abzahlungen leisten als noch vor einem Jahr. Das gilt auch für den Kauf eines Altbaus, wobei Eigentümer zudem gesetzlich verpflichtet sind, betagte Heizungsanlagen zu ersetzen sowie ungedämmte Leitungen und Gebäudeteile zu sanieren. Hinzu kommt: Kanthölzer, Dachlatten, Baustahl, Dämmstoffe, Ziegel, alles hat sich verteuert. Laut Statistischem Bundesamt sind die Baukosten im Mai dieses Jahres im Vergleich zum Vorjahr um 17,6 Prozent gestiegen.
Die höchste Teuerungsrate bei Baupreisen seit 1970. Und niemand kann sagen, wie sich die Preise weiterentwickeln. Wohnungsverbände klagen, dass sich Baukosten nicht mehr kalkulieren lassen. Deutschlandweit stellen Unternehmen geplante Bauvorhaben zurück. Ulrich Schmitt produziert im niedersächsischen Einbeck seit 25 Jahren Häuser in Holzrahmenbauweise. Für Durchschnittsfamilien, wie er sagt. Dieses Jahr wird seine Firma Holz & Lehm nur noch ein einziges Haus liefern, es sind keine weiteren bestellt.
„Das gab es noch nie“, sagt Schmitt. Er schätzt, dass seine Kunden für ein Einfamilienhaus mittlerweile 100.000 bis 150.000 Euro mehr bezahlen müssten als noch vor einem Jahr. Deshalb wundert es ihn nicht, dass Interessenten abspringen. Die NDR Dokumentation geht der Frage nach: Wie gehen Wohnungsunternehmen, Mieter und Eigenheimbesitzer mit den Herausforderungen durch Energiekrise und Klimaschutzziele um? Was tut die Bundesministerin für Wohnen, Stadtentwicklung und Bauwesen, um Wohnen wieder bezahlbar zu machen? Sie will die Wohnungsnot mit einer Neubauoffensive bekämpfen: 400.000 Wohnungen, davon 100.000 Sozialwohnungen, sollen pro Jahr entstehen.
Aber ist das realistisch? Wie kann angesichts der Fülle von Problemen der Preisdruck beim Wohnen gemildert werden? Vielleicht hilft ein Blick in die Niederlande. Dort wird in hohem Maße mit industriell vorgefertigten Elementen und weniger hohen Standards gebaut. Die Politik flankiert das serielle Bauen mit einer Digitalisierungsoffensive und schnelleren Genehmigungsverfahren. Ein Vorbild für Deutschland? (Text: NDR)Deutsche TV-Premiere Mo. 28.11.2022 NDR Deutsche Streaming-Premiere Fr. 25.11.2022 ARD Mediathek Deutsche TV-Premiere ursprünglich angekündigt für den 14.11.2022Das Jahrhundert-Projekt – Wie entsorgen wir verstrahlte Atommeiler?
Folge 403 (45 Min.)Den endgültigen Atomausstieg hat Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zwar höchstpersönlich um einige Monate verschoben. Aber eine große Anzahl an Kernkraftwerken ist in Deutschland schon abgeschaltet und im Rückbau begriffen. Nach grober Schätzung des BUND (Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland) fallen dadurch mehr als eine Million Tonnen schwachradioaktive Reste an, Rohrleitungen, Dämmstoffe, verbauter Beton. Wo und wie soll das alles entsorgt werden? Sicherheit hat im Kernkraftwerk Brunsbüttel absolute Priorität, denn hier lauert Gefahr. Unsichtbar, auch nicht zu riechen: radioaktive Strahlung.
Die Fachleute, die am langsamen Rückbau des AKWs arbeiten, wissen: Beim Strahlenschutz ist ein Gramm Hirn wichtiger als eine Tonne Blei. Während heiße politische Debatten über die Zukunft der Atomkraft laufen, wird in Brunsbüttel mit jeder abgebauten Rohrleitung der Ausstieg mehr zur Realität. Doch es gibt ein Problem: Das Abbruchmaterial stapelt sich auf dem Gelände, es droht ein Abbaustopp. Keine Deponie in Schleswig-Holstein will die Reststoffe freiwillig aufnehmen, obwohl sie offiziell gar nicht mehr als radioaktiv gelten.
Insgesamt sind 32 deutsche Reaktoren bereits stillgelegt und weitgehend im Rückbau begriffen. Wohin mit den vom BUND geschätzten mehr als eine Million Tonnen nur noch schwach strahlender Reste der Atomruinen, den Rohrleitungen, den Dämmstoffen und dem verbauten Beton? Kritiker befürchten: Die Atomindustrie hat die billigste Methode durchgesetzt, um sich ihrer Abrissabfälle zu entledigen. Mit dem Segen der Behörden lagert sie leicht verstrahlten Bauschutt auf Deponien ab und gibt Metalle an Recyclingbetriebe zur Wiederverwertung. Die Gegner fragen: Kann das richtig sein? Kritisiert wird die sogenannte Freigabe: Mit hohem Aufwand werden in den Atomkraftwerken Oberflächen gefräst, mit Sand und Wasserdruck abgestrahlt, um das Material so weit wie möglich von strahlenden Teilchen zu befreien.
Gelingt es den Unternehmen, die statistische Strahlenbelastung unter den Richtwert von zehn Mikrosievert pro Person und Kalenderjahr zu senken, kann der Schutt dann durch die Atomaufsichtsbehörde amtlich freigegeben werden. Zehn Mikrosievert sind tatsächlich nicht viel, allein ein Flug in die USA schlägt durch die Höhenstrahlung mit ca.
60 Mikrosievert zu Buche. Doch Kritiker befürchten eine Verteilung von radioaktiven Substanzen über ganz Deutschland. Denn wird der Strahlenrichtwert eingehalten, kann AKW-Bauschutt überall neu eingesetzt werden. Auch für die neue Terrasse. Die NDR Dokumentation bietet außergewöhnliche Einblicke in den extrem aufwendigen Prozess des Rückbaus. Autor Tim Boehme befragt Fachkräfte, Wissenschaftler und begleitet Kritiker der sogenannten Freigabe. Und er schaut, wie das Nachbarland Frankreich ganz anders mit der Herausforderung des Abbaus der Atomkraftwerke umgeht. (Text: NDR)Deutsche TV-Premiere Mo. 05.12.2022 NDR Heizen ohne Öl und Gas: Welche Alternativen gibt es?
Folge 404 (45 Min.)Jeder muss heizen und möchte dabei nicht arm werden, derzeit ein echtes Problem. Schon im Winter 2021/2022 sind die Heizkosten explodiert. Bis zu 80 Prozent mehr mussten Verbraucherinnen und Verbraucher für Gas und Öl bezahlen. Der Krieg in der Ukraine hält weiterhin an, die Inflation sorgt für zusätzlichen Druck. Die Menschen in Deutschland sind auf der Suche nach kostengünstigeren Alternativen. Gleichzeitig rückt der Klimaschutz immer mehr ins Bewusstsein. Doch einen einheitlichen Kurs in der Politik gibt es nicht, das lässt die Menschen ratlos zurück. Ab 2026 ist die Installation reiner Ölheizungen in Deutschland verboten.
Bereits ab 2024 soll jede neu eingebaute Heizung zu 65 Prozent mit erneuerbaren Energien betrieben werden. Wie sollen diese Ziele erreicht werden? Nur keine Panik, wiegeln die Politikerinnen und Politiker der Ampelkoalition ab und haben die Lösung sozusagen schon in der Pipeline: Künftig sollen pro Jahr 500.000 neue Wärmepumpen verbaut und gefördert werden. Jedoch sorgt die Idee bei Experten, Verbrauchern und in der Industrie für eine Mischung aus Heiterkeit, Wut und Unverständnis. Die Handwerksverbände mahnen: Das wird nicht geschafft werden können.
Und viele Haus- und Wohnungsbesitzer fürchten Investitionen, die ihnen über den Kopf wachsen könnten. Kostengünstig und klimafreundlich: Wie gelingt die Wärmewende? Eine verlässliche, einheitliche Strategie scheint es jedenfalls bisher nicht zu geben. Das Umweltbundesamt rät beispielsweise von Pelletheizungen ab: nicht nachhaltig, eher klimaschädlich. Gleichzeitig rät das Bundeswirtschaftsministerium unter Minister Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) weiterhin zum Heizen mit Holz. Außerdem schaffen kurzfristige Änderungen bei Fördermitteln vom Bund für alternative Heizsysteme weitere Frustration und Unsicherheit.
Klar ist schon jetzt: Die eine Lösung fürs Heizen für alle Gebäudetypen gibt es nicht. Die „45 Min“-Dokumentation enttarnt ein Heizchaos beim Klimaschutz, ordnet ein, welche Technik wem am ehesten nützt, begleitet Verbraucher und Handwerker in Norddeutschland in einen Dschungel aus Vorgaben und Regularien und zeigt Kommunen, die bei der Wärmegewinnung längst erfolgreich eigene Wege gehen. Wie wird künftig geheizt werden: mit Wärmepumpe, Fernwärme, Pellets oder erneuerbaren Energien? Oder gibt es doch noch eine Zukunft für Öl und Gas? (Text: NDR)Deutsche TV-Premiere Mo. 12.12.2022 NDR Deutsche Streaming-Premiere Fr. 09.12.2022 ARD Mediathek
zurückweiter
Füge NDR Story kostenlos zu deinen Serien hinzu und verpasse keine Neuigkeit mehr.
Alle Neuigkeiten zu NDR Story und weiteren Serien deiner Liste findest du in deinem persönlichen Feed.
TV Wunschliste informiert dich kostenlos, wenn NDR Story online als Stream verfügbar ist oder im Fernsehen läuft.Erinnerungs-Service per
E-Mail