Als Kratzbürste war sie gefürchtet, als „Mutter der Nation“ geliebt: Inge Meysel, die sich selbst gar nicht als mütterlichen Typ sah. Nicht nur, dass sie kinderlos geblieben ist, auch ihre kämpferische Natur widerspricht eigentlich dem Nachkriegs-Mutterbild. Erst spät wurde die Schauspielerin öffentlich auch als streitbare Feministin wahrgenommen, die sich offen zu frühen lesbischen Erfahrungen bekannte. Politisch engagiert war Inge Meysel von Anfang an. Schon mit 15 hält sie bei den Jungdemokraten eine Rede gegen die Todesstrafe, 1978 ist sie mit Alice Schwarzer und anderen Klägerin im „Sexismus-Prozess“ gegen den „Stern“. Sie geht gegen den Abtreibungsparagraphen auf die Straße, setzt sich ein für den Kampf gegen Aids und für Sterbehilfe. Sie nimmt kein Blatt
vor den Mund, auch wenn sie dabei andere vor den Kopf stößt. Das sei eine Folge der Nazizeit, so hat sie es selbst erklärt. Inge Meysels Theaterkarriere hatte gerade begonnen, da kam das Berufsverbot. Denn nach den Rassegesetzen der Nazis war sie „Halbjüdin“. Viele Kollegen haben sich bereits 1933 geweigert, mit ihr zu spielen; ihren Lebenspartner, den Schauspieler Helmut Rudolph durfte sie nicht heiraten, musste sogar die gemeinsame Wohnung räumen. „Ich bin immer in Kampf- und Abwehrstellung, weil ich mit 23 wegen der Nazis nicht mehr arbeiten durfte. So habe ich eine Abwehr in mir hochgezüchtet, damit mich niemand mehr verletzen kann“, sagte sie einmal über sich. Ihr Vater, der jüdische Kaufmann Julius Meysel, wurde enteignet und überlebte die Nazizeit im Versteck. (Text: ARD)