2016/2017, Folge 125–134

  • 30 Min.
    Für die nächste Ausgabe von „Druckfrisch“ reist Denis Scheck nach Los Angeles. Dort lebt zurzeit der viel diskutierte deutsche Erfolgsautor Christian Kracht, dessen neuer Roman „Die Toten“ die ereignisreichen Jahre der Weimarer Republik auferstehen lässt – und mit ihnen die Filmkultur, die damals als kulturelle Revolution weltweit erblühte. Im Mittelpunkt: Der Schweizer Filmregisseur Emil Nägeli, der mit seinen Plänen für einen Horrorfilm zwischen Berlin, Tokio und Hollywood agiert. Vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges begegnet er Menschen, die in der seinerzeit boomenden Filmbranche einen Namen haben: in Hollywood Charly Chaplin, in Berlin dem deutschen Leinwandstar Heinz Rühmann und Alfred Hugenberg, dem ersten wirklichen Medienmogul.
    „Noch nie hat er die Geisteskrankheit und den Größenwahn der Deutschen so anschaulich serviert bekommen“, konstatiert der Protagonist des Romans. „Die Toten“ von Christian Kracht ist eine lustvoll komponierte Groteske über eine Branche, die – „Kino ist Krieg“ – in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit dem Aufkommen des Tonfilms an gnadenloser Selbstüberschätzung leidet. Von Los Angeles reist Denis Scheck weiter nach Missoula. Dort, in den Bergen Montanas, entstehen die meistgelesenen Krimis der USA. Auch in Deutschland landete der vielfach ausgezeichnete Krimiautor James Lee Burke mit „Regengötter“ (2014) ganz oben auf den Bestsellerlisten. Einige seiner rund 40 Bücher wurden verfilmt.
    Burkes immer wiederkehrende Hauptfiguren, Detektiv Dave Robicheaux, Anwalt Billy Bob Holland oder Sheriff Hackberry Holland, sind das Alter Ego ihres Schöpfers: vom Leben und dem Alkohol gezeichnete Männer mit einem hohem moralischen Anspruch, immer auf der Seite der Gerechtigkeit und der Entrechteten. In „Sturm über New Orleans“ (2015) beklagte Burke das Versagen der Bush-Regierung bei der Nothilfe für die Bevölkerung nach dem verheerenden Sturm Katrina im August 2005. Jetzt gerade neu in den Buchhandlungen: „Fremdes Land“ und demnächst, kurz vor James Lee Burkes 80. Geburtstag, wird der Roman „Vater und Sohn“ erscheinen. Denis Schecks persönliche Empfehlung in diesem Sommer: „Gestatten, Jack Vance!“ und „Der azurne Planet“ von Jack Vance.
    Dieser Autor ist wegen seiner unerschöpflichen Phantasie und seines extrem trockenen Humors einer von Schecks Lieblingsautoren im Bereich Fantasy und Science Fiction. Am 28. August wäre er 100 Jahre alt geworden. Im Eintrag der deutschen Wikipedia wird Jack Vance als „Erfinder des intergalaktischen Heimatromans“ gewürdigt. Denis Scheck: „Wenn das keine treffende Bezeichnung für das ist, was ich gern lese, weiß ich’s auch nicht.“ Und wie immer der verlässlich kritische Kommentar Schecks zur aktuellen „Spiegel“-Bestsellerliste ( diesmal: Belletristik). (Text: ARD)
    Deutsche TV-PremiereSo 28.08.2016Das Erste
  • 30 Min.
    Navid Kermani: „ Sozusagen Paris“ (Hanser Verlag)
    Über die Liebe als Kunstwerk, sexuell-spirituelle Wellness durch Tantra und die Abnutzungserscheinungen einer Dauerpartnerschaft – Navid Kermani erzählt von der Wiederbegegnung mit einem Jugendschwarm. Der gemeinsam verbrachte Abend wird zu einer Reflektion über die Liebe schlechthin: vom anfänglich heißen Begehren über die Desillusionierung durch die Konfrontation mit dem Alltäglichen bis hin zu den gegenseitig zugefügten Verletzungen, die schmerzende Wunden hinterlassen. Navid Kermani hat ein raffiniertes Buch über das Gefühlschaos im Liebes- und Leidenstaumel geschrieben und ganz nebenbei gelingt ihm ein Parforceritt durch die Liebesdramen der Literaturgeschichte.
    Katja Lange-Müller: „Drehtür“ (Kiepenheuer und Witsch)
    Zentraler Schauplatz des Romans ist eine Flughafendrehtür – ein Sinnbild für das Karussell des Lebens. Hier zieht die Krankenschwester Asta Arnold eine traurige Bilanz ihres Daseins und dem Leser stellt sich die Frage: Was verbirgt sich wirklich hinter dem sogenannten Helfersyndrom? Katja Lange-Müller komponiert aus den melancholischen Erinnerungen ihrer Romanfigur eine Reihe lose miteinander verbundene Kurzgeschichten. Sie künden – mal humorvoll, mal voller Traurigkeit – von den Abscheulichkeiten des Lebens: von Gewalttaten gegen Frauen in Indien, dem Mobbing in einem Krankenhaus in Nicaragua und von der eisig erkaltenden Liebe an einem heißen Strand in Tunesien.
    Denis Schecks persönliche Empfehlung: Joost Zwagerman „Duell“ (Weidle Verlag)
    Anlässlich des Ehrengasts Niederlande und Flandern auf der Frankfurter Buchmesse empfiehlt Denis Scheck eine spritzige Novelle über Alte Meister, den modernen Kunstbetrieb und deren Profiteure. Denis Scheck: „Eine Schule des Sehens und eine grandiose Meditation über Handwerk, Originalität und Genie.“ Und wie immer: Der unbestechlich schonungslose Blick Denis Schecks auf die Spiegel-Bestseller-Liste, diesmal ‚Sachbuch‘. (Text: ARD)
    Deutsche TV-PremiereSo 25.09.2016Das Erste
  • 30 Min.
    Cynthia D’Aprix Sweeney: „Das Nest“ (Klett-Cotta): Die Geschwister Melody, Jack, Bea und Leo haben Geldsorgen. Ansonsten haben die Geschwister nicht mehr viel gemeinsam. Jeder mit sich selbst beschäftigt, leben sie ihre festgefahrenen Leben so gut es die finanziellen Aussichten zulassen. Doch die trüben Konjunkturdaten, ja die Finanzkrise bringt ihre Familie einigermaßen in Aufruhr. Sie hoffen auf ihr gemeinsames Erbe, auf „Das Nest“. Aber ihre Mutter entscheidet sich anders. Cynthia D’Aprix Sweeneys viel gelobte und wunderbare Familiensaga wandelt zwischen Komödie und Tragödie und ist ein genaues Gesellschaftsporträt postkapitalistischer Tage.Denis Scheck hat Cynthia D’Aprix Sweeney in Los Angeles getroffen. Cynthia D’Aprix Sweeney hat in New York als PR-Beraterin gearbeitet, bevor sie zum Schreiben kam.
    Sie lebt mit Mann und Kindern in Los Angeles. „Das Nest“ ist ihr erster Roman und wurde auf Anhieb ein Nr. 1 Bestseller in den USA und in Kanada. Christoph Ransmayr: „Cox oder Der Lauf der Zeit“ (S. Fischer): Der englische Uhrmacher Alister Cox hat den Auftrag, für den Kaiser von China eine nie dagewesene Uhr anzufertigen. Einen Uhrmacher Cox gab es wirklich, doch der war nie in China. Christoph Ransmayr aber lässt seinen Uhrmacher nach China reisen. Der mächtigste Mann der Welt, Qiánlóng, Kaiser von China, lädt den Uhrmacher an seinen Hof. Der Meister aus London soll in der Verbotenen Stadt Uhren bauen, an denen die unterschiedlichen Geschwindigkeiten der Zeiten – des Glücks, der Kindheit, der Liebe, aber auch von Krankheit und Sterben – abzulesen sind.
    Schließlich verlangt Qiánlóng, der gemäß einem seiner zahllosen Titel auch alleiniger Herr über die Zeit ist, eine Uhr zur Messung der Ewigkeit. Denis Scheck hat Christoph Ransmayr in Wien getroffen. Christoph Ransmayr wurde 1954 in Wels/​Oberösterreich geboren und lebt nach Jahren in Irland und auf Reisen wieder in Wien. Belletristik in der Kritik: Selbstredend wird sich Denis Scheck mit der Belletristik auf der Spiegel-Bestsellerliste befassen und seine ganz persönliche Autoren-Empfehlung abgeben, diesmal: Martin Mosebach. (Text: ARD)
    Deutsche TV-PremiereSo 30.10.2016Das Erste
  • 30 Min.
    Raoul Schrott: Erste Erde. Epos: Am Anfang war das Wort. Noch nie wurde das so aufregend, anschaulich, ja zwingend belegt wie in diesem Epos. Raoul Schrott entfaltet die Geschichte der Erde, des ganzen Universums vom Anfang bis zum Auftauchen des ersten Menschen. Er schreibt von Zeiten, die niemand gesehen hat, erschafft die Welt also noch einmal ganz neu, nur mit Sprache, mit reiner, funkelnder Poesie: ein Unterfangen, so riesengroß, vollkommen unmöglich und komplett verrückt, dass es nur gelingen kann.
    Für sein Projekt, wissenschaftliche Erkenntnisse literarisch umzusetzen, ist Schrott zu gewaltigen Spiegelteleskopen in der chilenischen Atacamawüste gereist, in die kanadische Tundra, nach Australien und zu Ausgrabungen frühester Hominiden in Ostafrika: auf der Suche nach den Menschen und Geschichten, die unser Wissen über die Welt und ihr Werden erzählen können. Andrea Wulf: Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur: Alexander von Humboldt begriff die Natur als eine globale Kraft mit einander entsprechenden Klimazonen auf verschiedenen Kontinenten. Das war vor 200 Jahren ein radikales Konzept, und noch heute prägt es unser Verständnis der Ökosysteme. Andrea Wulf, die jahrelang auf den Spuren Humboldts recherchiert hat, schildert das Leben dieses großen Entdeckers nicht nur als Reise-, sondern als Erkenntnisgeschichte.
    So werden seine Forschungen und Ideen lebendig erfahrbar. Und so verstehen ihre Leser einen der großen, einflussreichen Wissenschaftler, Denker und Kosmopoliten, der unseren Blick auf die Welt für alle Zeiten verändert hat: durch die Erfindung der Natur. Außerdem, wie immer, Denis Schecks Kommentar zu den Büchern auf der aktuellen „Spiegel“-Bestsellerliste (diesmal: Sachbuch) und eine ganz persönliche Empfehlung: Donald Ray Pollocks „Die himmlische Tafel“. (Text: ARD)
    Deutsche TV-PremiereSo 20.11.2016Das Erste
  • 30 Min.
    Nigel Slater: Ein Jahr lang gut essen: Es gibt viele gute Köche, aber nicht viele, die so gut über ihr Metier schreiben können. Nigel Slater, Food-Kolumnist für den „Observer“ und vielfach ausgezeichneter Buchautor, hat sich auch nach fünf Jahrzehnten Praxis die Neugier und den Appetit erhalten. In seinem aktuellen Buch aus der Reihe der „Kitchen Diaries“ empfiehlt er ein Gericht für jeden Tag des Jahres, darunter Klassiker, einfache und anspruchsvollere Mahlzeiten. Kochen, meint Slater, sollte wieder ein fester Bestandteil unseres Alltags werden: „Wir sind nicht sehr lange auf dieser Welt. Da sollten wir uns zumindest etwas Gutes zu essen machen.“
    John E. Woods: Arno Schmidt. Bottom’s Dream: Aus „Zettel’s Traum“ wird „Bottom’s Dream“: Niklaus Zettel ist der deutsche Name für den Weber Nick Bottom in Shakespeares „Mittsommernachtstraum“. Nach ihm hat Arno Schmidt sein Monumentalwerk genannt, das John E. Woods nun ins Englische übertragen hat. Man ahnt, dass ein adäquater Titel dabei die einfachste Übung war. Denn Arno Schmidt hat mit seinem Sprachlabyrinth ein nahezu unübersetzbares Wortgebirge hinterlassen. John E. Woods hat Thomas Mann und viele andere deutsche Autoren übersetzt. In „Druckfrisch“ spricht er über die literarischen Besonderheiten von Arno Schmidt, die man womöglich im Licht einer anderen Sprache besonders gut erkennt.
    In diesem Herbst erscheint zudem eine große Arno-Schmidt-Bildbiographie von Fanny Esterházy und Bernd Rauschenbach, in der viele bisher unbekannte Fotos und Dokumente den Lebensweg dieses eigenwilligen Autors schildern. Tipps vor dem Fest: Exklusiv in „Druckfrisch“ empfiehlt Michael Ondaatje „Die Buchhandlung“ von Penelope Fitzgerald. Und Denis Scheck legt den Zuschauern den großartigen Bildband „Angelus & Diabolus“ über Engel, Teufel und Dämonen in der christlichen Kunst nahe. Dazu – wie immer – im Schnelldurchgang: die meistverkauften Bücher der Deutschen und was von ihnen zu halten ist. Denis Scheck kommentiert die aktuelle „Spiegel“-Bestsellerliste (diesmal: Belletristik). (Text: ARD)
    Deutsche TV-PremiereSo 11.12.2016Das Erste
  • 30 Min.
    T. C. Boyle: Die Terranauten: Die Welt ist draußen, wir sind drinnen: Unter einer riesigen Glasglocke proben vier Männer und vier Frauen zwei Jahre lang das Überleben in einer künstlichen Natur. Das Experiment dient als Vorbereitung für eine Mars-Mission – doch für Boyle ist es vor allem ein soziales Experiment. Wie die Kandidaten es nicht erwarten können, wirklich „auserwählt“ zu werden, und wie dann nach und nach das Paradies zum Gefängnis wird – das schildert Boyle in seinem neuen, genialen Roman mit einer Mischung aus Ironie und Mitgefühl. Was erwartet die Menschheit von solchen Versuchen? Warum tun Menschen sich das an? Und warum platzen manche vor Neid, bloß weil sie nicht dabei sein dürfen? Ein grandioser Blick auf unsere selbstverliebte Event-Gesellschaft.
    Mathias Énard: Kompass: Die Zeichen der Zeit stehen auf Konfrontation zwischen Orient und Okzident – umso wichtiger sind Bücher wie dieses. In einer schlaflosen Nacht streifen die Gedanken eines Wiener Orientalisten durch die überreiche Geschichte der Beziehungen zwischen Morgenland und Abendland, zwischen Islam, Judentum und Christentum. Mathias Énards Werk ist eine Art Ideenroman, der den Lesern vor Augen führt, wie viel diese Kulturen miteinander verbindet, ja, dass man den Westen ohne den Orient gar nicht denken kann.
    Außerdem empfiehlt Denis Scheck Jonas Lüschers Roman „Kraft“: Ein deutscher Rhetorikprofessor versucht sein Glück im Silicon Valley. Dort hat ein Internet-Mogul einen Essay-Wettbewerb ausgeschrieben: eine Million Dollar für die beste Antwort auf die Frage, warum alles, was ist, gut ist – und wir es dennoch verbessern können. Der Schweizer Autor Jonas Lüscher hat einen bitter-komischen Roman über das Weltbild von Wirtschaftseliten und die Ideologie des ewigen Fortschritts geschrieben. Am Ende ahnt auch der deutsche Professor, dass sich die Welt nicht mit einer App retten lässt. Und – last but not least – kommentiert Denis Scheck die aktuelle „Spiegel“-Bestsellerliste (diesmal: Belletristik). (Text: ARD)
    Deutsche TV-PremiereSo 29.01.2017Das Erste
  • 30 Min.
    Josef H. Reichholf: Mein Leben für die Natur
    Dominique Manotti: Schwarzes Gold
    „Dies ist keine Autobiographie“, schreibt Reichholf, der mit diesem Buch nicht von seiner Vita, sondern von seinen Einsichten erzählen möchte. Aus der Ökologie, sagt er im Rückblick, sei längst eine Öko-Ideologie geworden, die einfach jede Veränderung verteufelt. Naturschutz sei heute oft so überreglementiert, dass einem die Freude an der Natur abhanden kommen kann. Reichholf widerspricht den übereifrigen Naturaposteln, deren Bewahrungswille verkennt, dass Evolution nun mal immer und überall Veränderung bedeutet. Die Beispiele, die Reichholf aus einem reichen Forscherleben beibringt, belegen das: von den Schmetterlingspuppen seiner Kindheit am Inn über abenteuerliche Nistplätze südamerikanischer Vögel bis hin zum Sozialverhalten der Höckerschwäne – immer zeigt sich die Natur viel erfindungsreicher, als wir es uns je vorstellen können. Lehrreich, verblüffend und wunderbar anschaulich geschrieben ist dieses Buch. Keine Lebensgeschichte, sondern die Geschichte des Lebens. Wer noch daran zweifelt, dass Krimis die besten Seismographen für die Ungerechtigkeit der Welt sind, der braucht nur ihre Bücher zu lesen. Dominique Manotti war 50, als sie ihren ersten Roman schrieb – aber da hatte sie die französische Gesellschaft schon als Historikerin und Gewerkschafterin durchleuchtet, da hatte sie genug gesehen von Korruption, Geheimdiensten, politischen Seilschaften und kriminellen Wirtschaftsbossen. Vielfach preisgekrönt sind ihre Werke, lakonisch und illusionslos ist ihr Stil. Ihr jüngster Krimi führt zurück in die 1970-er Jahre. Ölkrise, Drogenhandel, das Ende der legendären „French Connection“ – und mittendrin, in der runtergekommenen Hafenstadt Marseille, ein junger Kommissar. Er wühlt sich durch die Machenschaften der großen Ölkonzerne. Im Roman entfaltet sich das Panorama einer finsteren Welt, die schon alle Schatten der heutigen Globalisierung vorwegnimmt. Denis Scheck empfiehlt zudem „Tausendundeine Nacht – Das glückliche Ende“ von Claudia Ott. Dazu wie immer im Schnelldurchgang: die meistverkauften Bücher in Deutschland und was von ihnen zu halten ist. Denis Scheck kommentiert die aktuelle „Spiegel“-Bestsellerliste (diesmal: Sachbuch). (Text: 3sat)
    Deutsche TV-PremiereSo 26.02.2017Das Erste
  • 30 Min.
    Christoph Hein: „Trutz“ (Suhrkamp) Zwei Familien, zwei Söhne und die Macht der Erinnerung. Christoph Hein lässt einmal mehr durch das Leiden seiner Helden das 20. Jahrhundert lebendig werden. Er ist nicht weniger als der Jahrhundertversteher: Auch in seinem neuen großen Roman fächert Christoph Hein Biografien auf, um uns über Diktatur, Willkür und das Geworfensein in die Welt zu unterrichten. Rainer Trutz ist Schriftsteller, Waldemar Gejm ist Professor für Mathematik und Linguistik an der Lomonossow-Universität, der seit Jahren ein neues Forschungsgebiet entwickelt: das der Mnemotechnik, der Lehre von Ursprung und Funktion der Erinnerung. Beide werden samt ihrer Familien durch das politische System umgebracht.
    Nur ihre Söhne Maykl und Rem überleben und begegnen sich Jahrzehnte später … In seiner lakonisch-genauen Art erweist sich Christoph Hein als Chronist von Hoffnung und Enttäuschung, als berückender Berichterstatter aus einem vergangenen Jahrhundert, für dessen Erinnerungen gekämpft werden muss. Hanya Yanagihara: „Ein wenig Leben“ (Hanser Berlin) „Ein wenig Leben“ besitzt alle Eigenschaften, die es erlauben, von eindrücklicher, ja wuchtiger Literatur zu sprechen. Es ist eine Herausforderung für jeden Leser. Es ist ein fantastisches Buch. Denn wer dieser guten alten Zauberei des Lesens gern verfällt, in ein Buch gesogen zu werden und es tagelang nicht mehr weglegen zu können, der wird dieses Buch lieben. Im Mittelpunkt steht – ja, wie altmodisch – eine Freundschaft zwischen vier jungen Männern, die sich aus dem College kennen.
    Jude und JB, Willem und Malcolm machen ihren Weg in der Großstadt, zwischen Kunstszene und Architekturbüro, zwischen Geldnot und Familienbanden. Es wird viel gesprochen, es wird viel Biografie erzählt in diesem Buch, und dass die vier immer schneller um ein dunkles Geheimnis kreisen, trägt die Hauptspannung des Romans. Hanya Yanagihara hat ein Buch geschaffen, das zu den meistdiskutierten literarischen Werken der vergangenen Jahre in den USA gehört. Ein Roman, der zunächst ganz brav daher kommt. Doch Vorsicht: Er saugt dich ein und wirft dich wieder raus und nicht wenige, die ihn gelesen haben, sagen, er habe ihr Leben verändert. Denis Scheck empfiehlt: „Geständnisse“ von Kanae Minato Denis Scheck empfiehlt zudem den Roman „Geständnisse“ der jungen japanischen Autorin Kanae Minato (C. Bertelsmann).
    Der Psychothriller über einen Mord an einer Vierjährigen gehöre zum Subtilsten, was er seit langem gelesen habe, so Scheck. Musikalischer Liveact mit Christiane Rösinger Außerdem in der Sendung: ein musikalischer Liveact mit Christiane Rösinger. Das Buch der Musikerin und Schriftstellerin „Zukunft machen wir später: Meine Deutschstunden mit Geflüchteten“ erscheint bei Fischer. (Text: ARD)
    Deutsche TV-PremiereSo 19.03.2017Das Erste
  • 30 Min.
    Olga Grjasnowa: Gott ist nicht schüchtern Das ist der Roman der Stunde. Ein Buch über zwei junge Menschen aus Syrien, deren Leben durch Revolution, Bürgerkrieg und Flucht umgewälzt wird: Amal, die junge Schauspielerin, und Hammoudi, der angehende Arzt. Sie sind beide nicht sonderlich an Politik interessiert, aber danach fragt niemand, wenn ein Land im Chaos versinkt. Beider Wege trennen sich, ein Frachtschiff soll sie, ein Schlauchboot ihn nach Europa bringen – erst in Berlin sehen sich wieder. Und fangen – irgendwie – ein neues Leben an. Olga Grjasnowa, die mit einem Syrer verheiratet ist, hat eine erschütternde Fluchtgeschichte geschrieben, die uns mehr abverlangt als die Schlagzeilen aus der Zeitung.
    Als Hammoudi ins überladene Schlauchboot steigt, sagt ein kleiner Junge: „Weißt du, es ist nicht schlimm, wenn wir sterben, ich will nur nicht zurück.“ Kat Menschiks großartige Bilderwelt FAS-Leser kennen ihre Bilder aus dem Feuilleton und aus Fortsetzungscomics; aber auch für viele andere Literaturliebhaber ist die Berliner Illustratorin Kat Menschik inzwischen fast schon eine Institution. Mit ihrem prägnanten, klaren Stil hat sie zahlreiche Romane illustriert – oder gar ganze Klassikerausgaben als Graphic Novel gestaltet, darunter Kafkas „Landarzt“ und Shakespeares „Romeo und Julia“. Neu in diesem Frühjahr ist ihre Ausgabe von E.T.A. Hoffmanns düsterer Erzählung „Die Bergwerke zu Falun“. Ein großer Erfolg war und ist Menschiks „Der goldene Grubber – Von großen Momenten und kleinen Niederlagen im Gartenjahr“.
    Denis Scheck empfiehlt „Die drei Sonnen“ von Cixin Liu. Dieses Buch hat schon viele Preise und prominente Fans gewonnen: Barack Obama und Marc Zuckerberg haben es verschlungen. Und wer in diese Story einsteigt, will gar nicht mehr heraus. Cixin Lius Science-Fiction-Epos schlägt einen waghalsigen Bogen von der Chinesischen Kulturrevolution der Mao-Zeit bis hin zu einem fernen Exoplaneten, um den drei Sonnen kreisen. Dort leben die „Trisolarier“. Ihre Welt wird regelmäßig von interstellaren Katastrophen heimgesucht – also wandert sie aus, in Richtung einer kleinen, blauen Erdkugel … Ein faszinierendes Szenario und am Ende ein Blick auf die dunklen Seiten unserer eigenen Zivilisation. Und last not least kommentiert Denis Scheck die aktuelle „Spiegel“-Bestsellerliste (diesmal: Sachbuch). (Text: ARD)
    Deutsche TV-PremiereSo 07.05.2017Das Erste
  • 30 Min.
    Denis Scheck trifft den Journalisten Takis Würger, geboren 1985, der eine Zeit lang in Cambridge studierte und dort Mitglied in einem Boxclub war. Das befähigt ihn ganz offensichtlich, einen tollen Debütroman über die seltsamen Sitten der englischen Oberschicht zu schreiben. Und Scheck spricht mit Claudio Magris, geboren 1939, ehemals Professor für Deutsche Literatur in Triest, der nach zahlreichen ausgezeichneten Büchern nun eine faszinierende Geschichte des Bösen vorgelegt hat.
    Takis Würger: Der Club Es ist ein wüster Krimi, eine ziemlich verwegene Familienaufstellung, ein Sittenbild der englischen Oberschicht, eine kleine ethnologische Studie, eine Boxerstory und Liebesgeschichte, vor allem aber ein toller Roman: Takis Würger erzählt in seinem literarischen Debüt von Hans Stichler, einem Waisenjungen und Internatszögling, der überraschend ein Stipendium für die englische Eliteuniversität Cambridge bekommt. Aber warum? Und: Wer ist überhaupt dieser Hans Stichler? Ganz langsam nur erfährt der Leser, welch abgefeimter Plan das Leben dieses Jungen bestimmt.
    Es geht um ein verstörendes Geheimnis, um Rache, um Schuld und Sühne, auch um die großen Fragen des Lebens: Wie weit darf ich gehen? Was ist richtig, was ist falsch? Und welche Rolle spielt die Liebe dabei? Mit rasanter Direktheit, lässiger Eleganz und schnörkelloser Konsequenz erzählt Takis Würger die Geschichte von Hans Stichler als Lehrstück über das Alte im Neuen: ein Lesevergnügen auf der Höhe der Zeit. Claudio Magris: Verfahren eingestellt Eine aufgelassene Reisfabrik in Triest, die Risiera von San Sabba, wurde 1943 von der SS in das einzige Konzentrationslager Italiens umgebaut, einen Ort der Folter und des Mords. Daraus wird später, das erzählt dieser Roman, das „Kriegsmuseum zum Zwecke des Friedens“, der Obsession eines einzigen Mannes folgend.
    Das Museum brennt ab – und Luisa soll es rekonstruieren, die Reste sicherstellen, Notizen, Unterlagen, Dokumente, Fotos auswerten. So entfaltet sich ein grelles Panorama aus Tötungswerkzeugen, Biografien, merkwürdigen Begebenheiten, Reisen, Nachbarschaften, aus Schuld, Liebe und Verrat. Der Essayist, Wissenschaftler und Erzähler Magris präsentiert keinen reißerischen Plot, sondern einen magischen, irrlichternden Erzählkosmos, in dem die Höhen und Tiefen der menschlichen Existenz vermessen werden: von Triest aus, der Hafenstadt mit ihrer oft verwirrenden österreichisch-italienischen Geschichte. Als Germanistikprofessor ist Magris dabei präzis, unendlich belesen, umfassend gebildet, als Italiener aber auch temperamentvoll, sprunghaft, ohne Angst vor Pathos. Immer fesselnd ist seine Sprache, assoziativ, poetisch und voller Klang.
    Außerdem kommentiert Denis Scheck, wie immer, die aktuelle „Spiegel“-Bestsellerliste (diesmal: Sachbuch) und gibt eine ganz persönliche Empfehlung: J.R.R. Tolkiens „Beren und Luthien“. (Text: ARD)
    Deutsche TV-PremiereSo 02.07.2017Das Erste

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