„Zarah – Wilde Jahre“: Wohltuend andere Geschichts-Serie bringt frischen Wind zum ZDF – Review

Geschichte einer Journalistin ist Schritt in die richtige Richtung

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 06.09.2017, 17:00 Uhr

Claudia Eisinger ist „Zarah“ – Bild: ZDF/Jules Esick
Claudia Eisinger ist „Zarah“

Zarah Wolf (Claudia Eisinger) ist eine Frau, die sofort auffällt. Nicht nur wegen ihrer knallroten Haare, sondern vor allem wegen der Art ihres Auftretens: Äußerst selbstbewusst, zielstrebig und sehr forsch stürmt sie zu Beginn ihren neuen Arbeitsplatz, die Redaktion der auflagestarken Illustrierten „Relevant“. Wir befinden uns im Hamburg des Jahres 1973, die wichtigen Positionen in den deutschen Medien sind noch fast ausnahmslos von Männern besetzt und nicht nur die sind ein solches Auftreten von einer jungen Frau nicht gewohnt. So macht sich Zarah, die von Verleger Frederik Olsen (Uwe Preuss) als stellvertretende Chefredakteurin eingestellt wurde, um mehr weibliche Leser an das Blatt zu binden, von Anfang an keine Freunde unter ihren neuen Kollegen. Die Redaktion ist ein altmodischer Männerclub, bestehend aus lauter Alphamännchen, die sich alle viel zu ernst nehmen, weil sie Nixon interviewen oder mit Rolf Dieter Brinkmann um die Häuser ziehen dürfen. In der Mittagspause sitzen sie in einem Hamburger Traditionslokal zusammen und diskutieren beim Korn das Weltgeschehen und die Rolle, die sie selbst als „vierte Gewalt“ darin spielen. Und dann kommt da diese junge Frau daher, eine bekannte linke Buchautorin und feministische Aktivistin, und will erst mal das komplette Blatt (das inhaltlich an die damalige Konkret, von der Bedeutung her aber eher an den Stern erinnert) umbauen.

Von diesem cultural clash erzählt die neue ZDF-Primetimeserie „Zarah – Wilde Jahre“, mit der der Mainzer Sender einen weiteren späten Versuch unternimmt, an längst etablierte Erzählstandards im internationalen Fernsehen anzuknüpfen. Recht clever ist dabei die Wahl des Erzählzeitraums – nicht nur, weil der durchschnittliche ZDF-Zuschauer in den frühen 70ern gerade seine beste Zeit gehabt haben dürfte. Der Sender folgt damit auch einem Retro-Trend, den AMC mit seiner wegweisenden Serie „Mad Men“ losgetreten hat (auch wenn die in den 60ern spielte). Bezieht man sich noch einmal auf die unglücklich formulierte Interview-Aussage des ZDF-Programmchefs Norbert Himmler, die Bastian Pastewka-Serie „Morgen hör ich auf“ solle das „deutsche ‚Breaking Bad‘„ werden, dann ist „Zarah – Wilde Jahre“ nun wohl das „deutsche Mad Men“ – auch wenn Hamburg natürlich nicht New York ist und hier alles ein paar Nummern kleiner ausfällt. Aber die gesellschaftlichen Kämpfe, die nicht nur junge Frauen zu jener Zeit austragen mussten, waren dies- und jenseits des Atlantiks die gleichen. Und nicht nur thematisch und erzählerisch, sondern auch in der Optik und teilweise sogar bis in einzelne Charakterzeichnungen und Beziehungskonstellationen (etwa die zwischen dem Verleger und der attraktiven Chefsekretärin) erinnert die Serie schon sehr an das Vorbild um Don Draper & Co. Die andere Referenz ist „Good Girls Revolt“, jene nach einer Staffel wieder eingestellte Amazon-Produktion über die Rebellion der weiblichen Mitarbeiterinnen einer US-Zeitschrift in den 70ern. Aus dieser haben die „Zarah“-Autoren für die erste Folge sogar eine Szene fast eins zu eins entlehnt: den Versuch einer engagierten Feministin, bei einem lockeren Zusammensein unter Frauen ihre Geschlechtsgenossinnen mittels Spiegel zur Selbsterkundung ihrer Vaginas zu ermutigen.

Die „Relevant“-Redaktion. V.l.n.r.: Wolfgang Schaffelgerber (Jörn Hentschel), Elke Beermann (Sarina Radomski), Jenny Olsen (Svenja Jung), Rudolf Mensing (Martin Horn), Georg Hartwig (Ole Puppe), Tom Balkow (Leon Ullrich), Brigitte Jansen (Theresa Underberg), Karin Simonis (Milena Dreißig).

Protagonistin Zarah Wolf dient einerseits als Identifikationsfigur für die ZuschauerInnen, als „starke“ und moderne Frau, auf deren Seite man von Anfang an steht. Andererseits kann sie auch ziemlich nerven, überschreitet ihre Selbstgewissheit doch des Öfteren mal die Grenze zur Selbstgefälligkeit. Name und Äußeres dieser Figur sind vielleicht etwas zu generisch geraten, erinnern doch sowohl der Vorname als auch die rote Mähne an die Heldin der Kinderserie „Die rote Zora“, mit der nicht nur das Autorenpaar Eva und Volker A. Zahn aufgewachsen sein dürfte. Auch die anderen Hauptfiguren sind leider nicht frei von Stereotypen: der ältere Verleger, der durch seinen Wohlstand junge Mitarbeiterinnen anzieht; der Wein, Weib und anderen Vergnügungen zu stark zugeneigte Kulturredakteur; das Mauerblümchen, das die Frauen- und Lebensartthemen betreut. Immer wieder werden diese Klischees aber auch durchbrochen, etwa, wenn sich herausstellt, dass der zunächst kühl wirkende Chefredakteur Hans-Peter Kerckow (Torben Liebrecht) in seinem Büro die Schildkröten versorgt, die seinem verstorbenen Sohn gehört haben.

Zarah selbst setzt sich bei ihrem neuen Job ständig in die Nesseln: Gleich in der ersten Folge respektive bei der ersten Ausgabe des Wochenmagazins, an der sie mitarbeitet, tauscht sie eigenmächtig das Titelfoto aus. Statt des ursprünglich geplanten, eindeutig sexistischen Motivs, bei dem zwei barbusige Mädels auf Knien einen männlichen Rockstar anhimmeln, schafft es der Jim-Morrison-Verschnitt nun mit selbst entblößtem Hintern und phallischem Gitarrenhals aufs Cover – was gleich einen handfesten Skandal auslöst. Solche Twists sind nicht nur witzig, sondern entlarven auch gelungen die Bigotterie, die damals noch (mehr als heute) in der westdeutschen Gesellschaft herrschte.
Olsen (Uwe Preuss, r.) will die unbequeme Zarah (Claudia Eisinger, l.) nach ihrem Alleingang in Sachen Titelbild loswerden.

Die Kehrseite auf Drehbuchebene ist, dass Zarah Wolf einfach ständig so handelt, wie es keine nur halbwegs seriöse Journalistin in der Realität tun würde. So fährt sie in der zweiten Episode selbst den Bus, mit dem ihre frauenbewegten Freundinnen eine Abtreibungsreise in die Niederlande organisieren – über die Zarah wiederum für „Relevant“ berichten soll. Man muss nicht mit Hans-Joachim Friedrichs Diktum konform gehen, ein Journalist dürfe sich „“mit keiner Sache gemein machen, auch nicht mit einer guten“, um zu erkennen, dass sie damit sämtliche Berufsregeln verletzt. Momente wie dieser sind nicht die einzigen, in denen man den Eindruck hat, die Zahns hätten etwas zu dick aufgetragen. So muss Zarah natürlich auch noch einen Nazi-Vater haben und eine Jugendfreundin, die mit der RAF untergetaucht ist. An anderen Stellen wirkt die angebliche Topjournalistin dann wieder unglaubwürdig naiv, wenn sie im Gegensatz zum Zuschauer nicht sofort merkt, dass ihre Mutter (Imogen Kogge) an Krebs erkrankt ist – trotz deren Perücke und Krankenhausaufenthalt.
Es gibt also so einiges, was man an den Drehbüchern der Serie bemängeln könnte. Schwerer wiegt allerdings, dass die ersten Folgen insgesamt sehr unterhaltsam anzusehen sind. Die Storys haben Biss, die Dialoge Witz und alle Schauspieler machen ihre Sache ausgesprochen gut. Insbesondere Claudia Eisinger trägt die Handlung als Hauptdarstellerin problemlos, während in den männlichen Nebenrollen viele altgediente TV-Schauspieler ihr Handwerk praktizieren, deren Gesichter man irgendwoher kennt, deren Namen aber nicht. Inszenatorisch ist „Zarah“ relativ unauffällig (Regie: Richard Huber), sieht man einmal von den regelmäßig eingestreuten Montagen aus zeitgenössischem Originalmaterial ab. Optisch wirkt die Serie aber frischer als die durchschnittliche ZDF-Serie. Positiv hervorheben muss man auch noch den Soundtrack mit bekannten Popsongs: So kommentieren etwa gleich in der Auftaktfolge die Rolling Stones mehrfach mit passend ausgewählten Liedern das Geschehen und die Gefühlslagen der Heldin.
„Mein Bauch gehört mir“ – Zarah Wolf (Claudia Eisinger) setzt sich gegen die Demonstranten durch.

Mehr noch als „Morgen hör’ ich auf“ ist „Zarah“ vor allem auch ein positives Signal an jüngere Serienfans, deren Sehgewohnheiten durch die modernen Qualitätsserien aus vorwiegend amerikanischer Produktion geprägt sind. Das hier ist doch mal etwas wohltuend Anderes als die typischen deutschen Krimi- und Familienserien, die der Sender sonst so abnudelt: ein wichtiger und insgesamt positiver Schritt in die richtige Richtung, wenn auch im Grunde mit 15 Jahren Verspätung. Könnte doch noch was werden mit dem ZDF und dem modernen seriellen Erzählen.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten drei Episoden der „Zarah – Wilde Jahre“.

Meine Wertung: 3,5/​5


Marcus Kirzynowski
© Alle Bilder: ZDF


Die Serie „Zarah – Wilde Jahre“ feiert ab dem 7. September 2017 um 21:00 Uhr beim ZDF ihre Fernsehpremiere – die weiteren fünf Folgen werden am 21. und 28. September, am 12., 19. und 26. Oktober, jeweils um 21:00 Uhr ausgestrahlt. Die ersten drei Episoden sind aktuell bereits in der Mediathek des ZDF online.

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    Ähem, hier doch eher wohlwollend kritisiert, hat der DLF einen ziemlichen Verriss veröffentlicht. :-D Ich tendiere aber dazu mir die Serie nicht anzutun, weil es eine deutsche Produktion ist und da habe ich aus entsprechender Erfahrung derbe Vorurteile entwickelt. Wir haben es einfach nicht drauf.

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