„The One“: Netflix-SF-Drama um die perfekte Dating-App bleibt mau – Review

Romanadaption mit faszinierender Grundidee und lauer Umsetzung

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 16.03.2021, 10:00 Uhr

„The One“ – Bild: Netflix
„The One“

Eigentlich sind Hannah und Mark Bailey (Lois Chimimba und Eric Kofi-Abrefa) ein glückliches Ehepaar. Sie wirken immer noch verliebt, wie sie neckend miteinander umgehen, und haben keine besonderen Probleme. Bis auf Misstrauen – das sich aber nicht auf tatsächliche oder vermeintliche Seitensprünge bezieht, sondern nur auf eine potentielle größere Liebe. Hannah hat nämlich heimlich die App The One an ihrem Gatten ausprobiert, die verspricht, mittels DNA-Abgleichs den perfekten Partner für jede Person zu finden: beidseitiges Verlieben garantiert. Ohne Marks Wissen nimmt sie daraufhin Kontakt zu der Frau auf, die angeblich das perfekte Match für ihn ist. Auch wenn er immer wieder beteuert, Hannah zu lieben und kein Interesse an einer anderen Beziehung zu haben.

Vergiftete zwischenmenschliche Beziehungen durch neuartige digitale Apps: Das ist also das große Thema von „The One – Finde dein perfektes Match“, der achtteiligen britischen Serienadaption des gleichnamigen Romans von John Marrs. Wobei die fiktive Anwendung durch ihre wissenschaftliche Methode noch mehr Ärger für bereits bestehende Ehen und Liebesbeziehungen verspricht als herkömmliche Partnerbörsen oder Sexapps. Denn durch das Versprechen, jeder und jede könne auf diese Weise den Menschen finden, der tasächlich für ihn oder sie bestimmt ist, werden selbst Leute verführt, die eigentlich gar nicht auf Partnersuche sind.

Im Mittelpunkt der Netflix-Serie steht allerdings die Gründerin und Chefin der Firma hinter der App, die Genetikerin Rebecca Webb (Hannah Ware, „Boss“). Sie erleben wir auf zwei verschiedenen Zeitebenen: Während der Entwicklung des Matchingverfahrens, auf dem später die Anwendung basiert, lebt sie noch in bescheidenen Verhältnissen zusammen mit ihrem Kollegen und Freund Ben (Amir El-Masry), einem Informatiker. Dritter im Bunde ist ein weiterer Genetiker, James Whiting (Dimitri Leonidas). Die Drei arbeiten nicht nur gemeinsam an ihrer Entwicklung, sondern sind auch privat unzertrennlich. Einige Zeit später ist Rebecca durch den weltweiten Erfolg der App zur berühmten Businessfrau geworden, deren zahlreiche Untergebene sie weitgehend von der Außenwelt abschirmen, und die im weißen Hosenanzug von Vortrag zu Vortrag gefahren wird. James ist nicht mehr an ihrer Seite und Ben gilt sogar als vermisst. Die Handlung kommt in Gang, als dessen Leiche gefunden wird. Schnell wird klar, dass Rebecca irgendetwas mit seinem mysteriösen Verschwinden zu tun haben muss.

Ermitteln im Fall des toten Ben: Kate (Zoë Tapper) mit ihrem Kollegen Nick (Gregg Chills) Netflix

Zu den ermittelnden Beamten der Mordkommission gehört die junge Kate Saunders (Zoë Tapper), die aber auch privat mit The One beschäftigt ist: Auch sie hat nämlich über die App ihren „Lebensmenschen“ gesucht, zur Überraschung einer Freundin ist es eine Frau: die Spanierin Sophia (Jana Pérez). Während die Beiden wegen ihrer weit entfernten Wohnorte zunächst nur via Webcam miteinander sprechen können, zeigt sich, dass das Versprechen des Tech-Unternehmens kein leeres ist: Die Frauen, die sich nie begegnet sind, erleben von Anfang an eine große Vertrautheit, verstehen sich blind und es knistert zugleich heftig. Doch leider geht auch diese Beziehung nicht so idyllisch weiter …

Es sind also mehrere private, berufliche und kriminalistische Handlungsstränge, die Drehbuchautor Howard Overman („Merlin – Die neuen Abenteuer“, „Misfits“) auf Basis der Romanvorlage miteinander verknüpft, noch dazu mit ständigen Rückblicken. Das klingt aber leider erzählerisch anspruchsvoller, als es letztlich ist. Die Parabel von der reichen, mächtigen und berühmten Businessfrau, die scheinbar alles im Griff hat, dann aber von einem dunklen Geheimnis in ihrer Vergangenheit eingeholt wird, ist ein leidlich ausgeschöpftes Serienmotiv. Die wesentlich interessanteren Aspekte, die mit der App zusammenhängen, werden eher zweitrangig behandelt. Dabei wären gerade die negativen Effekte, die ein solches digitales Glücksversprechen auf die Gesellschaft hätte, ein Thema, mit dem sich locker eine ganze Serie füllen ließe – siehe auch Dave Eggers’ Roman „The Circle“. Warum braucht es also immer wieder solche Krimielemente inklusive Mordverdacht und Ermittlerduo?

Ganz oben angekommen: Firmenchefin Rebecca Webb (Hannah Ware) bei einem ihrer Auftritte Netflix

Hinzu kommt, dass der Tonfall zu konventionell bleibt, um sich von anderen Dramaserien mit Science-Fiction-Hintergrund abzuheben. Mit der antitypischen „Superhelden“-Serie „Misfits“ um jugendliche Straftäter mit übernatürlichen Kräften schuf Overman vor etwa einem Jahrzehnt eine höchst originelle Dramedy, die zumindest in den ersten beiden Staffeln vor hemmungslosen Dialogen und abstrusen Einfällen schier übersprudelte. Dagegen wirken die Auftaktfolgen seiner neuen Serie fast so altbacken wie eine Primetime-Soap. Das liegt am Drehbuch, nicht an Hauptdarstellerin Ware, die mit jenem Genre durch ihre Rolle in „Betrayal“ auch schon Erfahrungen sammelte. Sie überzeugt durchaus als nicht eindeutig positiv oder negativ besetzte Figur, die zudem zwischen den beiden Zeitebenen einen ziemlichen charakterlichen Wandel durchgemacht haben muss. Überhaupt sind es die Schauspielerinnen, die in „The One“ glänzen, neben Ware auch Tapper und Chimimba, während ihre männlichen Kollegen eher blass bleiben.

Insgesamt bleiben die ersten Folgen also trotz der faszinierenden Grundidee zu sehr im Mittelmaß hängen. Sollte sich dies in den weiteren Episoden nicht noch deutlich verbessern, wäre „The One“ ein weiterer Vertreter dieser typischen Netflix-Dramaserien, die ganz nett, aber nichts wirklich Besonderes sind. Kann man gucken, hat aber auch nichts verpasst, wenn man es sein lässt.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von „The One“.

Meine Wertung: 3/​5

Die komplette erste Staffel ist bei Netflix verfügbar.

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

Kommentare zu dieser Newsmeldung

    weitere Meldungen