„Outer Range“: Josh Brolin gibt schweigsamen Westernhelden in Amazon-Mysteryserie – Review

Gelungener Genremix mit starkem Ensemble

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 14.04.2022, 17:30 Uhr

„Outer Range“ – Bild: Amazon Studios
„Outer Range“

Royal Abbott (Josh Brolin) ist ein Mann, wie ihn zur Hochzeit des US-amerikanischen Kinowesterns John Wayne hätte spielen können: Er verliert nicht mehr Worte als unbedingt notwendig, macht die Dinge gerne mit sich alleine aus, strahlt schon äußerlich Autorität und Härte aus. Abbott gehört ein Stück Land in Wyoming, auf dem seine Familie seit Generationen Rinder züchtet. Mitten auf diesem Land macht er eines Tages eine beunruhigende Entdeckung.

Der Titel der neuen Amazon-Prime-Video-Eigenproduktion „Outer Range“ erinnert zunächst an den Begriff der Open Range – offenes Land, so weit das Auge reicht -, auch ein Titel eines Westernfilms mit Kevin Costner. Schnell wird aber klar, dass sich in dieser Landschaft auch Dinge abspielen, die out of range liegen, also außerhalb des Einflusses der Menschen, die hier leben. Was als fast klassischer Western beginnt, entwickelt sich bald zu einer Serie mit starkem Mysteryeinschlag, ohne die Westernelemente zu vernachlässigen.

Bei einem Ritt über sein Land stößt Abbott nämlich auf ein großes Loch, perfekt rund und anscheinend unendlich tief. Es strahlt zudem eine bedrohliche Atmosphäre aus. Als er seine Hand hinein hält, hat er eine Art Vision. Versuche, das Loch abzudecken, misslingen. Also reitet er wieder davon und verschweigt seine Entdeckung einfach. Doch bald häufen sich die seltsamen Ereignisse und das Loch scheint dabei immer eine Rolle zu spielen.Von dem Geheimnis weiß offenbar auch Autumn (Imogen Poots, neulich noch als Altenpflegerin in „The Father“ zu sehen), eine hippieeske Rucksacktouristin, die sich auf dem Land der Abbotts einrichtet. Eine nächtliche Begegnung mit Royal an dem Loch führt zum Cliffhanger der Auftaktfolge.

Kein Mann großer Worte: Royal Abbott (Josh Brolin) Amazon Studios

Abgesehen von dem mysteriösen Geschehen haben die Abbotts noch eine Reihe handfesterer Probleme. So sind sie in eine finanzielle Schieflage geraten, die Nachbarfamilie Tillerson will ihr Land übernehmen und dort nach Öl bohren. Und dann führt auch noch eine Schlägerei zwischen den Söhnen beider Familien zu einem Toten, der nun beseitigt werden muss – und ganz woanders wieder auftaucht. Zudem ist die Ehefrau von Royals Sohn Perry (Tom Pelphrey) seit neun Monaten spurlos verschwunden, was die Familie aus dem Gleichgewicht gebracht hat.

Die Ermittlungen im Fall des zunächst ebenfalls vermisst gemeldeten Trevor Tillerson übernimmt als amtierender Sheriff Joy Hawk (Tamara Podemski), die sich gerade auch um die offizielle Übernahme des Postens bewirbt (Sheriff ist in den USA bekanntlich ein Wahlamt). Als Frau und amerikanische Ureinwohnerin vereint sie gleich zwei Merkmale in sich, die vielen Wählern im konservativ geprägten Agrarstaat immer noch als Defizit gelten. Da hilft es ihrem Wahlkampf nicht unbedingt, dass sie sich zum ersten Mal in ihrer Karriere mit einem Mordfall beschäftigen muss. Hawk weiß sich aber durchaus zu behaupten.

Was weiß die geheimnisvolle Autumn (Imogen Poots)? Amazon Studios

Es ist ein interessantes Figurenensemble, das Brian Watkins für seinen Genremix zusammengestellt hat, teilweise weckt es sogar Erinnerungen an eine klassische Mysteryserie, die ebenfalls in einer Kleinstadt spielte: „Twin Peaks“. Nicht nur durch die Native Americans bei der Polizei, sondern auch durch die völlig übertrieben angelegte Rolle des Abbott-Rivalen Wayne Tillerson: Den Patriarchen spielt Will Patton („Falling Skies“) abwechselnd als bettlägerigen Alten am Sauerstoffgerät und als agilen Durchgeknallten. Auch die anderen Mitglieder der antagonistischen Familie sind ambivalent angelegt: Wenn die Stimmlage von Billy Tillerson (Noah Reid) auf der Beerdigung seines Bruders während des Vortrags von Peter Gabriels „Don’t Give Up“ immer mehr ins Falsett fällt, bekommt die ganze Szene plötzlich eine interessante, nicht offen angesprochene Queerness.

Wichtiger für die Gesamtwirkung als die nicht wahnsinnig originelle Story sind daneben zwei große Pluspunkte der Serie: zum einen das sehr gute Ensemble, zu dem neben dem großen Schweiger Brolin und der vielschichtig spielenden Poots etwa noch Ex-Indiefilmikone Lili Taylor („Six Feet Under“) als Royals Gattin Cecilia gehört. Und auch die noch unbekannteren Schauspieler wie Lewis Pullman als jüngerer Abbott-Sohn Rhett und Isabel Arraiza als dessen love interest Maria Olivares überzeugen.

Familie in Not: Cecilia (Lili Taylor), Royal und Perry Abbott (Tom Pelphrey) Amazon Studios

Zum anderen wartet „Outer Range“ mit grandiosen Panoramabildern der ebenso kargen wie faszinierenden Landschaften auf, die eine weitere Hauptrolle spielen. Wenn etwa die Figuren gebannt auf einen Felsen blicken, auf dem sich ein Symbol zeigt, fühlt man sich an Peter Weirs Inszenierung des Hanging Rock im Mysteryklassiker „Picknick am Valentinstag“ erinnert. Hier wie dort ist es die Natur selbst, die bedrohlich, nicht beherrschbar erscheint.

Leider werden die vielen positiven Aspekte der Serie durch die recht behäbige Erzählweise etwas ausgebremst. Dass oft nicht viel gesprochen wird, gehört irgendwie zum Westerngenre, aber ein wenig schneller könnte sich die Handlung manchmal schon von der Stelle bewegen. So zieht sich die Laufzeit der Folgen, die zudem stark zwischen 42 Minuten und etwas mehr als einer Stunde schwankt, doch stellenweise ziemlich. Alles in allem erwartet einen hier aber eine vielschichtige und stark inszenierte Genreserie, die vor allem Westernfans ohne Scheuklappen ansprechen sollte.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten vier Episoden von „Outer Range“.

Meine Wertung: 4/​5

„Outer Range“ startet am 15. April mit den ersten beiden Folgen bei Amazon Prime. Der Rest der achtteiligen ersten Staffel folgt jeweils freitags mit zwei Episoden.

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

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