„Normal People“: Kultbuch-Verfilmung brilliert als Lovestory des Jahres – Review

Sally-Rooney-Adaption gelingt beeindruckend intensiv und emotional fordernd

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 25.05.2020, 18:00 Uhr

„Normal People“ – Marianne (Daisy Edgar-Jones) und Connell (Paul Mescal) – Bild: BBC three
„Normal People“ – Marianne (Daisy Edgar-Jones) und Connell (Paul Mescal)

Das allgemeingültigste Thema in Literatur, Film und Fernsehen ist natürlich: die Liebe. Und obgleich man meinen könnte, dazu habe es in den letzten 125 Jahren audiovisueller Mediengeschichte nun wirklich in ausreichender Menge Filme und Serien gegeben, wird immer wieder Nachschub produziert. Gut so! Schließlich wachsen zu jeder Zeit neue junge Leute heran, für die die Liebe als größtes Glück und schlimmste Katastrophe erstmals aktuell ist, und zeitgleich werden früher mal junge Leute beständig älter, was zwangsläufig einen einen abgeklärteren, milderen, nüchterneren Blick auf frühere romantischere Überschwänge mit sich bringt.

Inmitten der vielen Soaps oder Rom-Coms und schicksalssatten Liebesmelodramen, die seit jeher die Spielpläne im dornrosigen Griff haben, kommt allerdings eine Seite des Genres regelmäßig zu kurz: der schonungslose, ehrliche Blick aufs Thema, Produktionen also, die etwas so Altbekanntes wie das Sich-Verlieben, den Kampf ums Verliebt-Bleiben und um die Möglichkeiten oder Bedingungen einer auch dauerhaft gelingenden Liebesbeziehung wirklich und kompromisslos ernstnehmen. Die neue BBC- und Hulu-Serie „Normal People“ ist nun so ein rarer Fall, in dem ein solches Vorhaben beispielhaft glückt – noch dazu an einem filmisch sonst nicht allzu präsenten Schauplatz: Irland.

„Normal People“ ist die Verfilmung eines nicht nur dort und in Großbritannien viel gefeierten und preisgekrönten Romans von Sally Rooney. Auf den ersten Blick sind Endzwanzigerin Rooney und ihr Buch typische Beispiele der Millennial-Kultur, und wahrscheinlich gibt es kaum einen Vertreter der um 1990 herum geborenen Digital Natives aus der „Generation Y“, der den 2018 erschienenen Roman noch nicht in die Finger bekommen hat. Doch „Normal People“ ist nicht bloß ein weiterer Young-Adult-Schmöker für die beschauliche Abendlektüre vor dem letzten Insta-Update: Der Roman erzählt zwar von der Liebe, aber zugleich auch davon, dass selbst die feurigste, innigste, leidenschaftlichste Liebe allein eben noch keine hinreichende Voraussetzung für eine glückliche Beziehung ist.

Bei Connell (Paul Mescal) und Marianne (Daisy Edgar-Jones) schwingt immer Melancholie mit. BBC three

Die zwölf etwa halbstündigen Episoden, an deren Konzeption Rooney eng beteiligt war, folgen dem Roman ziemlich getreulich, vor allem in der sehr engen Konzentration auf die beiden Liebenden, um die es geht und deren Anziehungs- und Abstoßungsbewegungen die Geschichte über mehrere Jahre hinweg folgt. Die ersten drei Episoden spielen noch zur Highschool-Zeit in der (nordwest-)irischen Provinz Sligo. Connell Waldron (Paul Mescal) ist ein populärer Rugbyspieler, athletisch und an der Schule umschwärmt, zugleich aber durchaus introvertiert und viel zu intelligent für seine tumben Kumpels, die den Tellerrand nicht einmal sehen, über den sie hinausblicken könnten. Marianne Sheridan (Daisy Edgar-Jones) hingegen ist eine Eigenbrötlerin, unglaublich hübsch zwar, aber unangepasst und widerständlerisch, von den meisten Mitschülern wird sie deshalb verspottet und gemobbt. Dass es zwischen Connell und Marianne funkt, wird rasch deutlich, doch die Lage der Dinge ist kompliziert, denn auch die Klassenfrage kommt ins Spiel. Connell und Marianne haben beide keinen Vater mehr, existieren aber in komplett verschiedenen sozialen Sphären: Connells Mutter Lorraine (Sarah Greene aus „Dublin Murders“) geht bei Mariannes Mutter Denise, einer verwitweten und emotional erstarrten Anwältin, putzen. Über dieses Arbeitsverhältnis sind Connells Alleinerziehendenhaushalt und Mariannes reiche Familie (mit Zweitvilla in Italien!) direkt miteinander verbunden, der soziale Unterschied liegt fortan wie ein Wackerstein auf der aufkeimenden Romanze.

Connell und Marianne kommen zusammen, doch schon vor dem Schulabschluss folgt das erste Zerwürfnis. Um bei seinen Kumpels nicht an Credibility zu verlieren, hält er die Beziehung zur renitenten Marianne geheim, geht sogar mit einem populäreren Mädchen zum Schulball. Aus reiferer Perspektive kann man, wie bei allen Teen- und Twen-Romanzen, über solche vermeintlich banalen Dramen natürlich schmunzeln – allerdings darf man nie so unfair sein zu vergessen, dass solcherlei Umstände zu dieser Zeit im Leben gewichtiger sein können als alles andere. Und genau so, als quasi lebenswichtig, werden sie in der Serie auch behandelt. Für Ironie ist kein Platz in „Normal People“.

Connell (Paul Mescal), ein aufstrebender Literat. BBC three

Ab der vierten Folge spielt die Serie dann am Trinity College in der irischen Hauptstadt Dublin, knapp drei Autostunden von Sligo entfernt. Dort landen sowohl Connell als auch Marianne unabhängig voneinander – doch die Verhältnisse haben sich umgekehrt: Der einst populäre Schüler kommt in Dublin kaum klar, Marianne hingegen ist aufgeblüht und steht im Zentrum des Campus-Interesses, von ebenso smarten und meist wohlhabenden Freunden umgeben. Als Connell sie wiedersieht, hat Marianne längst einen neuen Freund (Sebastian de Souza, „Die Medici“). Und doch wird sie wieder mit Connell zusammenkommen – und sich wieder von ihm trennen, ohne dass dies bereits das Ende der Geschichte wäre. Es wird um Depressionen gehen, um enttäuschte Hoffnungen, um die Unvereinbarkeit von Lebens- und Liebeswegen, sogar um masochistische Sexualvorlieben als mögliche Bewältigungsstrategie nach Gewalterfahrungen. Es gibt neue Partner und dann ein Finale, das zugleich einen Aufbruch verheißt und unendlich niederschmetternd ist. Nein, eine Rom-Com ist „Normal People“ wirklich nicht.

Dass sich die Serie nie ins Seichte verirrt, liegt erstens an den beiden absolut herausragenden irischen Hauptdarstellern: Daisy Edgar-Jones (Marianne) spielte neulich in „Krieg der Welten“ an der Seite von Gabriel Byrne, für Theaterschauspieler Paul Mescal (Connell) ist dies sogar der allererste Fernsehjob. Das beträchtliche emotionale Pensum, das ihnen hier abverlangt wird, meistern sie, obgleich zumindest für die Highschool-Szenen eigentlich erkennbar zu alt, mühelos – und vor allem in ihren gemeinsamen Szenen mit einer flammenden Intensität, die das Publikum magnetisch an den Bildschirm fesselt. Zweitens gelingt es sowohl der adaptierenden Autorin Alice Birch („Lady Macbeth“) als auch den kinoerfahrenen Regisseuren Lenny Abrahamson (oscarnominiert für „Raum“) und Hettie Macdonald („Die erste Liebe“) staunenswert gut, das Erzähltempo des Romans in die Serienform zu übertragen: Wir sehen mal Statusbeschreibungen aus dem Leben einer (Nicht-)Beziehung, mal geht es direkt an die entscheidenden Wendepunkte im Leben der beiden Liebenden. Die plötzlichen Schwarzblenden, die das Geschehen immer wieder an neuralgischen Punkten trennen, wirken bald wie Ohrfeigen: Sind schon wieder Monate, Jahre gar, vergangen? Haben sich die Liebenden aus den Augen verloren? Nach Belieben wird im Leben von Connell und Marianne vorwärtsgesprungen, mit einer kühnen, fast gnadenlosen Auktorialität, die an die legendären Filme von Wong Kar-wai erinnert. Deutlich wird dadurch das unbarmherzige Voranschreiten der Zeit – und die zwangsläufige Kurzfristigkeit aller Momente des Glücks, die das Leben für jene bereithält, die sie überhaupt zu erkennen in der Lage sind.

Perfekt ist „Normal People“ übrigens nicht. Viele Nebenfiguren etwa wirken entweder blass oder (wie Mariannes zeitweiliger Schnösel-Boyfriend Jamie), fast karikaturesk überzeichnet, auch dürften manche die psychologisierenden Untertöne (Connells Minderwertigkeitskomplex, Mariannes Selbsthass) als allzu unterkomplex einstufen – vor allem, wenn dabei Pappkameraden wie Mariannes plakativ böser Bruder Alan (Frank Blake aus „The Frankenstein Chronicles“) oder ihr verstorbener, mutmaßlich gewalttätiger Vater ins Spiel kommen. Am problematischsten ist wohl, dass das immer wieder angesprochene außergewöhnliche Talent der beiden Protagonisten bloße Behauptung bleibt. Connell etwa, eingeführt als Football-Jock, wird beständig als aufstrebender Literat beschrieben, der die dollsten Stipendien gewinnt: Einen Einblick in das, was er da macht, bekommt man zu keiner Sekunde. Das sind Wermutstropfen, die die Serie vielleicht auch bewusst in Kauf nimmt zugunsten des absoluten Fokus auf ihre zentrale Liebesbeziehung – und als solche gehört „Normal People“ fraglos zum Besten, das das Genre in den letzten Jahren hervorgebracht hat.

BBC three

Abschließend noch ein Wort zum Sex. Der gehört zu jeder leidenschaftlichen Liebe dazu – und wird in „Normal People“ immer wieder freizügig und intensiv in Szene gesetzt. Im katholischen Irland hat das zu Debatten gesorgt. Gut ablesbar ist daran die relative Ungewöhnlichkeit sexuell freizügiger Darstellungen heutzutage – gemessen an den schamhaften Abblend-Dramaturgien der meisten Netflix- und aller Disney-Produktionen unserer Tage und verglichen mit Produktionen etwa der Siebziger bis Neunziger. Der Unsicherheit im Gefolge der #metoo-Bewegung setzt „Normal People“ die Erkenntnis entgegen, dass situationsbezogene Erotik, ohne pornografische Plattheiten, nach wie vor möglich sein kann (und muss). Um die Intensität der sexuellen Erfüllung, die Connell und Marianne miteinander finden, in angemessener Explizitheit zeigen zu können, wurde eine sogenannte Intimitäts-Koordinatorin zu Rate gezogen, die sowohl darüber wachte, dass die full frontal nudity ausschließlich dramaturgisch sinnvoll eingesetzt wurde, als auch dafür Sorge trug, dass sich die Darsteller in der Drehsituation jederzeit unbedrängt fühlten. Das Ergebnis überzeugt: „Normal People“ ist nicht nur eine der herzzerreißendsten Love Storys der letzten Jahre, sondern auch ein Paradebeispiel dafür, wie Erotik dargestellt werden kann, ohne sensationalistisch zu werden oder, im Gegenteil, einem prüden Zeitgeist zu folgen, der sich rein gar nichts mehr traut.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der kompletten Miniserie „Normal People“.

Meine Wertung: 4/​5

„Normal People“ ist ein Ko-Produktion von hulu und BBC three und wurde in beiden Ländern Ende April komplett veröffentlicht. Für Deutschland hat sich der Streaminganbieter Starzplay die Rechte gesichert und plant eine Veröffentlichung für den „Sommer 2020“.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • (geb. 1967) am

    In "Krieg der Welten" hat Sie mir sau gut gefallen!! Leider war die Serie ja nur eine wieder mal Mini - Serie!

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