„Infiltration“: Apples Science-Fiction-Serie köchelt spannungstechnisch (noch) auf Sparflamme – Review

Menschen an unterschiedlichen Orten versuchen, Chaos nach mysteriösem Alien-Angriff zu bewältigen

Rezension von Christopher Diekhaus – 22.10.2021, 16:00 Uhr

Was kommt in der neuen Apple-Serie auf die Menschheit zu? – Bild: Apple TV+/Boat Rocker Studios
Was kommt in der neuen Apple-Serie auf die Menschheit zu?

Sollte es wirklich einmal zu einer Alien-Attacke auf die Erde kommen, müssten wir eigentlich gut gewappnet sein. Immerhin spielen Film und Fernsehen dieses Szenario in schöner Regelmäßigkeit durch, wobei die Bandbreite von krachendem Dauerspektakel à la „Independence Day“ bis zu eher intimen Untergangsgeschichten im Stile des Überraschungshits „A Quiet Place“ reicht. Dass außerirdischer Besuch unseren Planeten nicht mit feindlichen Absichten betritt, erzählen in unseren sehr dystopielastigen Zeiten nur noch wenige fiktionale Werke. Denis Villeneuves „Arrival“ ist ein prominentes Beispiel für eher utopische Science-Fiction und beweist vor allem eines: Sogar etwas vermeintlich Staubtrockenes wie die Linguistik kann für zwei Stunden fesselnde Unterhaltung sorgen. In „Infiltration“, der neuen zehnteiligen Eigenproduktion aus dem Hause Apple, geht das Auftauchen extraterrestrischer Wesen zwar gewaltsam vonstatten. Ähnlich wie in Villeneuves eher bedächtigem Drama verzichten die Serienschöpfer Simon Kinberg („Star Wars Rebels“) und David Weil („Solos“) in den ersten drei für diese Kritik gesichteten Episoden allerdings auf die großen Effektkaskaden und widmen sich stattdessen den Schicksalen unterschiedlicher Menschen an unterschiedlichen Orten der Welt.

Die Aliens in „Infiltration“, die wir in den Auftaktfolgen nur schemenhaft zu Gesicht bekommen, scheinen mit einer auf maximale Verwirrung ausgelegten Taktik zu operieren. Nicht an einem einzigen Punkt dringen sie in unseren Lebensraum ein, sondern überall rund um den Globus setzen sie Nadelstiche und lassen Chaos und Verwüstung ausbrechen. In den immer mal wieder eingefangenen Nachrichtenausschnitten und auf den Straßen wird eifrig über den Grund für die rätselhaften Vorkommnisse – Stromausfälle, Explosionen und andere Unannehmlichkeiten – diskutiert: Das ist wie am 11. September 2001, lautet die erste Bestandsaufnahme vieler Menschen. Außerirdische Eindringlinge hat zunächst keiner auf dem Schirm.

Einer der Schauplätze, die Kinberg und Weil aufmachen, ist eine Kleinstadt im US-Bundesstaat Oklahoma, in der Sheriff Jim Bell Tyson (Sam Neill) seinen letzten Arbeitstag begeht. Dabei wird er im Feld eines Farmers auf einen sandigen Krater aufmerksam, der dem erfahrenen Ermittler Fragen aufgibt. Dass ausgerechnet am Ende seiner 45-jährigen Laufbahn im Polizeidienst etwas Ungewöhnliches passiert, ist eine Drehbuchkonventionen, die man aus vielen Filmen und Serien kennt. Kurz vor dem Abtreten gilt es, sich noch einmal richtig zu beweisen. „Infiltration“ verpasst diesem Muster jedoch einen nicht unbedingt zu erwartenden Dreh.

Sheriff Jim Bell Tyson (Sam Neill) schaut sich den Krater im Kornfeld genauer an. Apple TV+

Zu den Hauptfiguren der Apple-Produktion gehört auch Aneesha Malik (Golshifteh Farahani), die mit ihrem Ehemann Ahmed (Firas Nassar) und ihren gemeinsamen Kindern Sarah (Tara Moayedi) und Luke (Azhy Robertson) auf Long Island wohnt. Eingeholt wird die Familie von der langsam anrollenden Konfusion, als in der Schule urplötzlich zahlreiche Jungen und Mädchen, darunter auch Sarah, parallel aus der Nase bluten. Ein Anzeichen für drohendes Unheil, das ebenfalls in der im September 2021 gestarteten Endzeitserie „Y: The Last Man“ zu sehen ist. Direkt betroffen von den Auswirkungen des extraterrestrischen Überfalls, den als solchen anfangs niemand wahrnimmt, sind außerdem die im japanischen Raumfahrtzentrum arbeitende Mitsuki Yamato (Shiori Kutsuna), der aus London stammende Außenseiter Caspar Morrow (Billy Barratt), der mit seiner Klasse während der Attacken einen Ausflug macht, und der Soldat Trevante Cole (Shamier Anderson), dessen Einheit in Afghanistan während eines Einsatzes böse überrascht wird.

Wie man es von den großen Streaming-Diensten mittlerweile gewohnt ist, präsentiert uns „Infiltration“ ein divers aufgestelltes Figurenpanorama. Der Ansatz, Personen aus verschiedenen Ländern und Kulturen im Umgang mit der eingangs schwer fassbaren Katastrophe zu beobachten, hat fraglos seinen Reiz. Nach drei Episoden lässt sich aber noch nicht absehen, ob und wie genau die fürs Erste parallel ablaufenden Handlungsstränge, von denen einer abzubrechen scheint, zusammengeführt werden. Unübersehbar ist allerdings sehr wohl, dass die Showrunner nicht an einem heroisch aufgeplusterten Actionfeuerwerk interessiert sind, sondern die kleinen und großen menschlichen Dramen in den Mittelpunkt stellen wollen. Auf allen Ebenen haben die Protagonisten vor dem Hintergrund des um sich greifenden Durcheinanders mit emotional schwierigen Situationen zu kämpfen.

Mitsuki Yamato (Shiori Kutsuna) verfolgt den Start der Rakete. Apple TV+

Sheriff Tyson etwa, den Sam Neill mit einer leicht Resignation versieht, wird kurz vor dem Absprung in den Ruhestand von handfesten Selbstzweifeln gepackt. Sein Leben habe bislang keine Bedeutung gehabt, äußert er und bittet daher in einem etwas überzeichnet wirkenden Augenblick darum, dass Gott ihm endlich ein Zeichen senden möge. Aneesha erfährt gerade jetzt, dass ihr Mann sie betrügt, was die Flucht der Familie erst recht zu einer Belastungsprobe macht. Mitsuki, deren Szenen stets mit melancholischer Musik unterlegt sind, muss nicht nur Abschied von ihrer heimlichen Geliebten Hinata (Rinko Kikuchi) nehmen, die zu einer längeren Mission ins All aufbricht. Kurz darauf wird sie auch noch mit dem Tod der Astronautin konfrontiert, dem die junge Frau schließlich auf den Grund gehen will.

Hier und da greift „Invasion“, ähnlich wie die Netflix-Space-Serie „Away“ ins Melodramatische aus. Zu einem rührseligen Brei verkommt das Geschehen jedoch nicht. Auffällig ist dagegen, dass es noch etwas mehr Bindung zu den Figuren braucht, um vollauf mitfiebern zu können. Die Spannungskurve geht in einzelnen Momenten nach oben, sackt aber immer wieder – auch wegen der Schauplatzwechsel – ab. Aus manchen Plotentwicklungen wie dem Unfall der Schulklasse, der eine an William Goldings „Herr der Fliegen“ erinnernde Gemengelage entstehen lässt, kann man sicherlich noch einiges an Saft pressen. Nach etwas weniger als einem Drittel der Gesamtlaufzeit fehlt der in kinoreife Bilder gekleideten Untergangsgeschichte allerdings noch die nötige Dringlichkeit.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten drei von insgesamt zehn Folgen der Serie „Infiltration“.

Meine Wertung: 3/​5

Die ersten drei Folgen der Serie „Infiltration“ sind ab dem 22. Oktober 2021 auf Apple TV+ verfügbar. Im wöchtenlichen Rhythmus erscheinen danach die restlichen sieben Episoden.

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