„Die Wege des Herrn“: Herausragender Lars Mikkelsen alleine reicht nicht – Review

Allzu vorhersehbare Serie des „Borgen“-Schöpfers um selbstgerechten Geistlichen

Marcus Kirzynowski
Rezension von Marcus Kirzynowski – 29.11.2018, 12:00 Uhr

Lars Mikkelsen als Johannes in „Die Wege des Herren“ – Bild: Studio Canal
Lars Mikkelsen als Johannes in „Die Wege des Herren“

Schon der Vorspann der dänischen Serie „Die Wege des Herrn“ (international unter dem Titel „Ride Upon the Storm“ bekannt) macht klar, dass hier die ganz großen Fragen des Lebens angesprochen werden sollen. Hände falten sich zum Gebet, Vogelschwärme durchpflügen den endlos scheinenden Himmel, Menschen schauen bedeutungsvoll in die Kamera, bevor Hauptdarsteller Lars Mikkelsen („The Team“, „House of Cards“) als Pfarrer Johannes Krogh den in der protestantischen Kirche Dänemarks üblichen weißen Priesterkragen anlegt. Leben und Tod, die Frage nach dem Sinn unserer Existenz und nicht zuletzt das Ringen mit dem Glauben an Gott: Das sind die Themen, die „Borgen – Gefährliche Seilschaften“-Schöpfer Adam Price in seiner neuen Serie auffächert.

Ebenfalls von Anfang an klar wird, dass er diesmal keinen sympathischen Helden des Alltags als zentrale Figur ausgewählt hat, wie es die aufrechte Politikerin Birgitte Nyborg in seiner internationalen Erfolgsserie war (auch sonst wirkt die Serie wie ein Gegenentwurf zum optimistischen „Borgen“). Dieser Johannes ist alles andere als das Ideal eines Geistlichen: Statt anderen Menschen zugewandt wirkt er egozentrisch, statt offen und tolerant eher verbohrt. Den „wahren“ Glauben zu vermitteln ist ihm wichtiger, als die kleinen Schwächen und Wünsche seiner Gemeindemitglieder zu akzeptieren und ihnen entsprechend seelsorgerisch zu begegnen. Von kirchlichen Reformen hält er nichts. Wenn eine Kirche in seinem Amtsbezirk als Propst geschlossen werden soll, wird er zum furiosen Kämpfer, mit seiner zwischen konservativ und reaktionär pendelnden Auslegung seiner Religion stößt er aber auch enge Mitarbeiter und eigene Familienmitglieder vor den Kopf. Den Ansprüchen an alle Anderen wird er selbst jedoch nicht im Geringsten gerecht, wenn es um sein eigenes Privatleben geht. So hat der verheiratete Mann eine Affäre mit einer Angestellten und serviert diese auf übelste Weise ab, nachdem ihm seine Ehefrau Elisabeth (Ann Eleonora Jørgensen aus „Italienisch für Anfänger“ und die Mutter des ermorderten Mädchens in der ersten Staffel von „Kommissarin Lund“) ein Ultimatum gestellt hat.

Dass dieser selbstgerechte Mann auch ein Leidender ist, merkt man ebenfalls schon früh, greift er doch bereits in der ersten Folge zu häufig zur Flasche. In der Gemeinde ist es ein mehr oder weniger offenes Geheimnis, dass der Pfarrer ein Quartalssäufer ist. Im Laufe der Auftaktfolge erleidet Johannes eine schwere persönliche Niederlage. Bei der bevorstehenden Wahl eines neuen Kopenhagener Bischofs fühlt er sich schon als sicherer Gewinner, ist er doch ein begnadeter Redner, der es versteht, Menschen mitzureißen und so der rasant an gesellschaftlicher Bedeutung verlierenden Kirche wieder Selbstvertrauen und Kampfgeist zu vermitteln. Kurz vor der Wahl ruiniert er jedoch während einer Diskussionsrunde seine Chancen durch erzkonservative Äußerungen bezüglich der Rolle der Frau in der Kirche, gewählt wird schließlich seine weibliche Gegenkandidatin. Es folgt das Ertränken seiner Wut und seines Selbstmitleids im Alkohol, was darin gipfelt, dass er sturzbetrunken den Trauergottesdienst für ein beliebtes Gemeindemitglied hält. Wenig subtil und ebenso vorhersehbar fällt der Pfarrer bei der anschließenden Beerdigung selbst ins offene Grab.

Auch beim gemeinsamen Abendessen predigt Johannes (Lars Mikkelsen, 2.v.l.) – Die Familienmitglieder v.l.: Christian (Simon Sears), Elisabeth (Ann Eleonora Jørgensen), Johannes, August (Morten Hee Andersen) und Emilie (Fanny Louise Bernth) beim gemeinsamen Abendessen
Subtilität ist leider ohnehin keine Stärke, die man der Serie „Die Wege des Herrn“ attestieren könnte. Versammeln sich schon in der Charakterisierung der Hauptfigur allerlei Klischees, so sind auch die anderen Familienmitglieder eher mit grobem Strich gezeichnet. Da ist die zwischen ehelicher Treue und ihrem Drang nach Selbstverwirklichung schwankende Gattin und da sind vor allem die zwei erwachsenen Söhne, die sich auf unterschiedliche Weise immer noch am übermächtigen Vater abarbeiten. Sehr unsympathisch kommt anfangs der Älteste rüber: Christian (Simon Sears) hat sein Theologiestudium abgebrochen und auf Wirtschaft umgesattelt. Gerade als er gemeinsam mit Freunden mit einem Start-Up-Unternehmen durchstarten will, fliegt auf, dass er bei seiner Abschlussarbeit abgekupfert hat. Daraufhin begibt er sich auf Sinnsuche während einer Trekkingtour durch den Himalaya. Interessanterweise gewinnt die Figur im Laufe dieser Reise tatsächlich an Profil, weil sie eine einigermaßen glaubwürdige innere Entwicklung durchmacht.

Christian (Simon Sears) wird von seinen Geschäftspartnern aus der Firma gedrängt.

Eher eindimensional bleibt hingegen der jüngere Bruder August (Morten Hee Andersen), der als „guter“ Sohn in die Fußstapfen des Vaters getreten ist und die lange Familientradition als Pfarrer fortsetzt. Für ihn wird ein Auslandseinsatz als Militärpfarrrer zum Wendepunkt, als er während eines Gefechts selbst zur Waffe greifen muss. Nach seiner Rückkehr in die Heimat beginnen sein Kampf gegen die traumatischen Erinnerungen und ein Teufelskreis aus Depressionen und Tablettenmissbrauch. Irgendwann verliert da auch die verständnisvollste Freundin (Fanny Louise Bernth als Emilie) die Geduld. Dieser Handlungsstrang ist am problematischsten. Ermöglicht er einerseits doch in Folge 2 Kampfszenen aus dem Nahen Osten, die zeigen, wozu dänische Serien inzwischen auch vom Budget her in der Lage sind, wirkt andererseits aber wie ein Fremdkörper zwischen den Erzählsträngen der anderen Figuren, die eher mit westlichen Durchschnittsproblemen beschäftigt sind.

Militärpfarrer August (Morten Hee Andersen) und seine Frau Emilie (Fanny Louise Bernth)
Man merkt schon: Eine leichte Unterhaltungsserie ist dies nicht gerade. Es fehlt allerdings auch der beiläufige, augenzwinkernde Witz, der in „Borgen“ selbst bei sich häufenden Problemen immer für einen Moment des Durchatmens sorgte. Hier ist hingegen alles bierernst und mit existentieller Schwere belegt. Dabei ist die Art, wie die Themen Glauben, Religion und Kirche abgehandelt werden, weder neu noch originell. Ingmar Bergman hat es schon vor vielen Jahrzehnten besser geschafft (der Vergleich liegt bei einer skandinavischen Serie um einen Pfarrer in der Krise nahe), das Leiden von Gottesdienern an Gott und ihren eigenen Zweifeln nachfühlbar zu machen. Viele Momente aus dem Leben der Geistlichen kommen einem auch aus einer anderen arte-Serie, dem französischen „Dein Wille geschehe“, bekannt vor, die insgesamt unspektakulärer, aber auch weniger klischeehaft erzählte. „Die Wege des Herrn“ ist, was Figurenbeziehungen und vorhersehbare Cliffhanger angeht, oftmals näher an einer Soap als an einer Qualitätsserie.

Dadurch geht viel von dem Potential verloren, dass die Serie durch ihr durchweg gutes Schauspielerensemble (Mikkelsen wurde immerhin für seine Rolle mit dem International Emmy ausgezeichnet, fernsehserien.de berichtete) und die bei dänischen Serien ohnehin selbstverständlichen handwerklichen Qualitäten mitbringt. Einen gewissen Sog kann man der Handlung nicht absprechen und dieser wird von Folge zu Folge eher stärker. Die Klasse von Adam Price’ vorheriger Serie erreichen Figuren, Dialoge und die Geschichten selbst aber leider nie. Entwarf er in „Borgen“ ein ebenso realistisches wie insgesamt dennoch positives Bild des politischen Systems, wirkt sein Porträt des innerkirchlichen Lebens übertrieben negativ, ohne wirklich kritisch zu sein. Die geschilderten Verfehlungen sind immer die Verfehlungen einzelner Menschen. Tatsächlich vorhandene, durchs System Kirche bedingte Missstände werden nicht thematisiert. Auch das macht die Serie zu einer vertanen Chance.

Dieser Text basiert auf Sichtung der ersten sechs Episoden der Serie „Die Wege des Herrn“.

Meine Wertung: 3/​5

Marcus Kirzynowski
© Alle Bilder: Arte/​Tine Harden

Arte strahlt die zehnteilige erste Staffel von „Die Wege des Herren“ ab dem 29. November 2019 in schneller Folge am Donnerstagabend aus – alle zehn Episoden binnen drei Wochen, a, 29. November und 6. Dezember je drei Folgen, am 13. Dezember dann die verbleibenden vier.

Über den Autor

Marcus Kirzynowski ist Düsseldorfer Journalist und Serienfreund; wuchs mit „Ein Colt für alle Fälle“, „Dallas“ und „L.A. Law“ auf; Traumarbeitgeber: Fisher & Sons, County General Notaufnahme; die Jobs auf dem Battlestar Galactica und im West Wing wären ihm hingegen zu stressig; Wunschwohnort: Cicely, Alaska. Schreibt über amerikanische und europäische TV-Serien sowie andere Kultur- und Medienthemen, u.a. für fernsehserien.de und sein eigenes Online-Magazin Fortsetzung.tv.

Lieblingsserien: Six Feet Under, Emergency Room, The West Wing

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