„Devs“: Faszinierend inszenierter Thriller um Mord, Paranoia und Quantentheorie – Review

Alex Garlands Miniserie ist idealer Serienstoff für die Quarantänezeit

Gian-Philip Andreas
Rezension von Gian-Philip Andreas – 01.04.2020, 17:30 Uhr

Lily (Sonoya Mizuno) ist in „Devs“ auf der Suche nach Antworten – Bild: hulu
Lily (Sonoya Mizuno) ist in „Devs“ auf der Suche nach Antworten

In Zeiten von Kontaktverbot und Ausgangssperre muten die Themen des Autors und Filmemachers Alex Garland längst nicht mehr wie ferne Sci-Fi an: Isolation und Social Distancing bestimmen die meisten seiner Stoffe, sei es im Roman „The Beach“, mit dem er bekannt wurde (und in dem es um abgeschieden lebende Hippie-Sekte geht), oder in seinen Drehbüchern zu „Sunshine“ (in dem eine Raumschiffbesatzung das Erlöschen der Sonne verhindern muss) und dem bereits in der Post-Apokalypse angesiedelten Zombiethriller „28 Tage später“. Auch in seinen eigenen Regiearbeiten, dem oscarprämierten Cyborg-Drama „Ex Machina“ sowie dem Quarantäne-Schocker „Auslöschung“ agieren die Protagonisten isoliert, jenseits der Gesellschaft. Inmitten der Corona-Krise wirkt all dies noch gespenstischer als ohnehin schon.

Was Garland umtreibt seit einigen Jahren, das sind philosophische Fragen einer Art, die sowieso kaum noch der Science-Fiction zugerechnet werden können. Bei ihm geht’s um das Verhältnis von Mensch und Menschkopie, also Künstlicher Intelligenz, wie in „Ex Machina“. Und es geht um die umstrittene Frage danach, ob der Mensch über einen freien Willen verfügt oder ob alles, was lebt, letztlich, naturwissenschaftlichen Gesetzen folgend, vorherbestimmt ist, „determiniert“.

Auch in „Devs“, Garlands erstem Serienformat, dessen acht Episoden derzeit im Wochentakt auf dem US-Streamingdienst Hulu veröffentlicht werden, ist von Determinismus die Rede: Ein Silicon-Valley-Tech-Guru setzt auf diesem Forschungsgebiet den neuesten Stand in Sachen Quanten-Computing ein. Wer in den ersten Folgen viel von „Qubits“ hört, diesen kleinsten, in zwei Zuständen messbaren Einheiten auf diesem noch sehr theoretischen Gebiet, oder über andere Fachwörter stolpert, sollte sich davon allerdings nicht abschrecken lassen: „Devs“ ist zuvorderst ein Mysterythriller, der mit gängigen Elementen des Paranoia-Krimis mindestens genauso jongliert, wie er die stylisheren, philosophischeren Varianten der Science-Fiction anzitiert, die zuletzt von Denis Villeneuve („Arrival“, „Blade Runner 2049“), James Gray („Ad Astra – Zu den Sternen“), Claire Denis („High Life“) oder eben Garland selbst vorgelegt worden sind.

Eigenwilliger Anblick über den Bürogebäuden von Amaya: Eine Kinderstatue. hulu

Der Tech-Guru, um den es in „Devs“ geht, heißt Forest – wie der Wald, in dem sein Firmengelände steht und in dessen Baumdickicht er immer wieder waidwund starrt. Gespielt wird Forest von Nick Offerman, den die meisten vor allem in komischen Rollen kennen dürften, der hier aber eine höchst ambivalente, ebenso gepeinigte wie furchteinflößende Figur abgibt: Mit langen Haaren und Zottelbart gibt er den Chef der Firma Amaya als Mixtur aus Alt-Hippie, Bond-Schurke und Amtsdirektor Ron Swanson, den er in der Comedy „Parks and Recreation“ verkörperte.

Amaya, in Garlands Erzählkonzeption offenbar so etwas wie Google oder Apple und mindestens so erfolgreich, unterhält ihr Firmengebäude in den Redwoods bei San Francisco. Neben dem Verwaltungsgebäude, in dem sich lauter hippe, junge Silicon-Valley-People aus der Start-up-Kultur tummeln, ragt eine vierzig Meter hohe Kinderstatue surreal aus den Wipfeln empor. Was es damit auf sich hat, wird bald deutlich: Forest hat seine Tochter (namens Amaya) verloren, seither lässt er in seiner Firma mit Quantencomputern an etwas forschen, das diesem Verlust irgendwie einen Sinn verleihen könnte ­- offenbar, denn worum es genau geht, bleib zunächst im Dunkeln.

Kernstück von Amaya ist jedenfalls die experimentelle Entwicklungsabteilung „Devs“, deren Büros sich in einer gülden schimmernden, tempelartigen Anlage befinden, noch ein Stückchen weiter im Wald verborgen, vakuumversiegelt und von einem Faradayschen Käfig umgeben. In dieses innerste Heiligtum wird der junge, russische Programmierer Sergei (Karl Glusman aus Gaspar Noés „Love“) in der Pilotepisode eingeladen. Sergei hatte zuvor mit seinem Team in einer Präsentation demonstriert, dass er mittels Quantencomputer die Bewegungen eines Fadenwurms um zehn Sekunden im Voraus berechnen kann. Forest, der während des Referats genüsslich rohe Spinatblätter in sich hineinstopft, und seine Assistentin Katie (undurchschaubar: Alison Pill, zuletzt auch in „Star Trek: Picard“ als Wissenschaftlerin unterwegs) bieten ihm daraufhin einen Job im geheimnisumwitterten „Devs“-Team an. Nachdem der junge Russe von Kenton, dem barschen Securitychef der Firma (Zach Grenier, „Good Wife“), gründlich durchleuchtet wurde, darf er den Devs-Tempel betreten, die Vakuumversiegelung mittels elektromagnetisch bewegter Glasaufzüge überqueren und sich „den Code“ anschauen. Dazu lässt man ihn vorsorglich allein.

Sergei (Karl Glusman, l.) mit Forest (Nick Offerman) vor dem Eingang zum Allerheiligsten, dem eigenen Gebäude der „Devs“-Abteilung hulu

Garland erzählt das sehr clever, denn uns Zuschauern bleibt verborgen, woran die Quantencomputertüftler basteln; es ist allein die zusehends ungläubigere, dann immer schockiertere Reaktion Sergeis und sein Ausruf „Das würde ALLES ändern!“, die uns klar macht: Das, was da in den Amaya-Devs gerade entwickelt wird, hätte weltumstürzlerische Konsequenzen, womöglich auch keine guten für den Großteil der Menschheit.

Sergei fotografiert den Code mit seiner Smartwatch, woraufhin Folgenschweres geschieht – man darf das verraten, denn erstens geschieht dies schon nach einer halben Stunde, zweitens kommt die Serie erst danach so richtig ins Rollen. Forest lässt Sergei durch Kenton (vermutlich) umbringen, fingiert die Geschichte anhand (vermutlich) gefälschter Überwachungsvideoaufnahmen so, als sei Sergei nach seiner ersten Devs-Schicht verschwunden, dann einen Tag später aufs Firmengelände zurückgekehrt, um sich dort via Selbstverbrennung umzubringen.

Forest (Nick Offerman, r.) versucht Lily (Sonoya Mizuno) nach Sergeis Selbstmord zu trösten und zu beschwichtigen. hulu

Dramaturgisch hat das für die Serie einen Figurenschwenk zur Folge – weg von Sergei, hin zu Lily Chan, fortan die eigentliche Protagonistin von „Devs“. Gespielt wird sie von der androgynen Ballettänzerin Sonoya Mizuno, die schon in mehreren Garland-Filmen mitwirkte und zuletzt als Wissenschaftlerin in „Maniac“ bekannt wurde. Lily ist gleichsam Sergeis Lebensgefährtin und Kollegin in einer anderen Abteilung bei Amaya, die in ihrem Schock und ihrer Trauer die offizielle Story nicht glauben will und auf eigene Faust nachzuforschen beginnt.

Hier startet der Paranoiathriller-Teil von „Devs“, mit geheimnisvollen, codegeschützten Smartphone-Apps, klandestinen Treffen im Schatten der Golden Gate Bridge (wie in Hitchcocks „Vertigo“), es geht zudem um Spionage und auch enttäuschte Liebe (eine Entdeckung als Lilys Ex-Freund Jamie: Jin Ha). Mizuno gelingt es dabei übrigens wunderbar, ihre geekige Programmiererinnenfigur an allen Lisbeth-Salander-Klischees vorbeizuspielen.

Weiterhin kreist das Geschehen aber natürlich auch um den „Code“, an dem Forest werkeln lässt. Einmal sieht man das altersmäßig wie ethnisch diverse Devs-Team um Stewart (Stephen McKinley Henderson, „Fences“) und den minderjährigen Lyndon (in einem interessanten Gender-Switch gespielt von Cailee Spaeny aus „Pacific Rim: Uprising“) dabei, wie sie sich quantenrechnend an den Zeitpunkt der Kreuzigung Christi zurückbewegen. In schwer verrauschtem Bild, aber immerhin. Was hat Forest vor? Zeitreisen? Alternative Realitäten? Den Determinismus austricksen? Nach den ersten beiden Episoden bleiben nur Mutmaßungen. Verdammt spannend aber ist es.

Kreisförmige Neonröhren als Beleuchtung der Waldwege auf dem Weg zur Devs-Abteilung verleihen Forest (Nick Offerman) überirdischen Anschein … hulu

Die Choräle, die Garland gern und ausgiebig über die Bilder legt, deuten die religiöse Ebene an, die er der Diskussion um Determinismus hier verpasst. Sie fügen sich bestens ein in ein ausgeklügeltes Soundkonzept, das von Anfang an mit starkem Sog in „Devs“ hineinzieht: Wie in vorigen Projekten arbeitete Garland mit „Portishead“-Musiker Geoff Barrow, Ben Salisbury und den Avantgarde-Musikern von The Insects zusammen, um die aus dumpfem Dröhnen, grellen Effekten und sakralen Tönen zusammengebaute Tonspur zu entwerfen; hinzu kommt der ungewöhnliche Einsatz von Fremdmusik, etwa, wenn der ruhige Song „Congregation“ der Band Low eine harte Kampfszene untermalt, der ansonsten jeder Sound abgesaugt wurde. Eingangs rätselt man zudem noch über die Darsteller, die mitunter fast wie in Watte gepackt wirken und sich seltsam zurückhalten, doch mit zunehmender Dauer wird dies als konzeptionelle Entscheidung deutlicher: Der ganzen Szenerie eignet etwas Irreales, Isoliertes an. Typisch Garland ist das. Auch in den anderen Gewerken (Kamera: Rob Hardy, Ausstattung: Mark Digby) greift er übrigens auf Kollegen zurück, mit denen er schon lange kollaboriert.

So fasziniert „Devs“ in den frühen Episoden vor allem durch seine Brüche, durch Elemente, die nicht wirklich zusammenpassen dürften, es aber durch die stilbewusste Inszenierung letztlich doch tun – ganz so wie der steinreiche Forest, der nach dem Tod der Tochter weiter allein in einem Familienhäuschen wohnt und zum Getriebenen seiner eigenen Erfindung zu werden droht. Die Erwartungshaltung, die die Serie durch ihr zentrales Geheimnis schon in der Pilotfolge aufbaut, ist natürlich gigantisch. Gut möglich also, dass die Auflösung (falls es eine gibt) daran nur scheitern kann. Davon abgesehen aber hat diese fantastisch aussehende und aufregend klingende Produktion zum Glück genug zu bieten, um selbst in diesem Fall als Ereignis bestehen zu können.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten beiden Episoden von „Devs“.

Meine Wertung: 4/​5

Die achtteilige Miniserie „Devs“ wird seit Anfang März 2020 auf dem amerikanischen Streamingdienst hulu unter dem Lable FX on hulu veröffentlicht. Eine deutsche Heimat ist noch nicht bekannt.

Über den Autor

Gian-Philip Andreas hat Kommunikationswissenschaft studiert und viel Zeit auf diversen Theaterbühnen verbracht. Seit 1997 schreibt er für Print und online vor allem über Film, Theater und Musik. Daneben arbeitet er als Sprecher (fürs Fernsehen) und freier Lektor (für Verlage). Für fernsehserien.de rezensiert er seit 2012 Serien. Die seiner Meinung nach beste jemals gedrehte Episode ist Twin Peaks S02E07 („Lonely Souls“) ­- gefolgt von The Sopranos S03E11 („Pine Barrens“), The Simpsons S08E23 („Homer’s Enemy“), Mad Men S04E07 („The Suitcase“), My So-Called Life S01E11 („Life of Brian“) und selbstredend Lindenstraße 507 („Laufpass“).

Lieblingsserien: Twin Peaks, Six Feet Under, Parks and Recreation

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