„Before“: Billy Crystal taumelt durch aufdringliche Mystery-Mär – Review

Kinderpsychiater entdeckt Verbindung zwischen toter Ehefrau und neuem Patienten

Christopher Diekhaus
Rezension von Christopher Diekhaus – 25.10.2024, 05:00 Uhr

Immer wieder sieht Eli Adler (Billy Crystal) seine tote Ehefrau Lynn (Judith Light) – Bild: Apple TV+
Immer wieder sieht Eli Adler (Billy Crystal) seine tote Ehefrau Lynn (Judith Light)

Mit anspruchsvoller therapeutischer Arbeit kennt er sich aus. Bereits in Harold Ramis’ „Reine Nervensache“ kümmerte sich „Harry und Sally“-Star Billy Crystal um einen von Robert De Niro gespielten Mafiaboss mit unerwarteten Ängsten und Sorgen. Genau das richtige Material für den Komödienexperten, der in den 1980er-Jahren mit einem eigenen Stand-up-Programm durch die Lande tourte. Einen Psychiater gibt Crystal nun auch in der zehnteiligen Apple-Serie „Before“, die ihn allerdings in ungewohnt düstere Gefilde führt. Obwohl man sich darüber freuen will, den seit geraumer Zeit nur noch selten vor der Kamera auftauchenden US-Darsteller in einer Hauptrolle zu sehen, macht es einem der Psycho-Mystery-Stoff verdammt schwer. Lautes Geklapper ist den Machern rund um Schöpferin Sarah Thorp („Damien“) leider wichtiger als eine präzise Figurenzeichnung und ein subtiler Spannungsaufbau.

Grundsätzlich ist nichts dagegen einzuwenden, Zuschauer unvermittelt in eine Geschichte hineinzuwerfen und sie gleich atmosphärisch „abzuholen“. Im Falle von „Before“ drängt sich aber schon nach zehn Minuten der Eindruck auf, dass es nur wenig Raum für Zwischentöne gibt. Thriller- und Gruselstandards werden derart fleißig abgearbeitet, dass man am liebsten eine Checkliste anlegen möchte. Schauriger Albtraum, unheimliches Kind, verstörende Zeichnungen, Gestammel in einer fremden Sprache, ein gegen die Fensterscheibe klatschender Vogel – all diese sattsam vertrauten Elemente und viele mehr packen die Verantwortlichen in ihre Auftaktfolge, die nicht gerade auf eine virtuose Inszenierung des Schreckens hoffen lässt.

Eli (Billy Crystal, r.) versucht, an Noah (Jacobi Jupe) heranzukommen. Apple TV+

Inmitten des bedrohlichen Budenzaubers steht Crystals Eli Adler, ein Kinderpsychiater, der nach dem Selbstmord seiner krebskranken Gattin Lynn (Judith Light) eigentlich seinen Job an den Nagel hängen will. Der komplizierte Fall des achtjährige Noah (Jacobi Jupe) nimmt ihn jedoch schnell gefangen. Vor allem deshalb, weil der Junge noch vor der therapeutischen Übernahme in Elis Haus auftauchte und sich sehr schnell merkwürdige Verbindungen zu der verstorbenen Ehefrau auftun. Wie hängt der kleine Patient, der nach einem Angriff auf einen Mitschüler eingewiesen wird, mit Lynn zusammen? Wovor fürchtet er sich dermaßen, dass er wiederholt Zusammenbrüche erleidet? Und was genau will er dem Arzt mitteilen?

Filme oder Serien um Psychiater und ihre junge Patienten zu stricken, kann sehr ergiebig sein, wie M. Night Shyamalans Überraschungsblockbuster „The Sixth Sense“ Ende der 1990er-Jahre bewiesen hat. Auch die Apple-Produktion „Before“ hat durchaus ihren Reiz. Auf welche Weise gehen Menschen mit Trauer um? Was machen Schuldgefühle mit uns? Und wo gibt es für Therapeuten klare Grenzen? Diese Fragen erwachsen aus der Auseinandersetzung zwischen Eli und Noah. Besonders das immer übergriffigere Verhalten Adlers gibt der Story eine gewisse Würze. Geht es dem Arzt ernsthaft um den Jungen, seine Genesung? Oder ist er vielmehr darauf aus, Licht in seine eigene Vergangenheit zu bringen, sich selbst von einer Last zu befreien? Verwunderlich ist es dabei schon, wie lange Eli trotz fragwürdiger Behandlungsmethoden Zugang zu seinem offenbar schwer traumatisierten Patienten bekommt. Mit der Glaubwürdigkeit nimmt es die Serie hier nicht so genau.

Den Tod seiner Frau hat Eli bislang nicht verwunden. Das machen unter anderem Gespräche mit einer Kollegin recht plakativ deutlich. Er verdrängt den Verlust, entzieht sich Rückfragen zu seinem Befinden und ist aus erzählerischer Hinsicht sicherlich kein zuverlässiger Protagonist, sondern eine Figur, die Wirklichkeit und Einbildung immer schlechter auseinanderhalten kann. Sein Leben gleiche zunehmend einem Gemälde des Surrealisten Salvador Dali, merkt der bei jeder sich bietenden Gelegenheit auf die Kraft der Wissenschaft pochende und das Übernatürliche ablehnende Psychiater an einer Stelle vielsagend an. Soll man ihm nun die Daumen drücken, hoffen, dass er schnellstmöglich wieder die Kurve kriegt? Oder muss man nicht doch misstrauisch sein, weil sich hinter der Fassade des schmächtigen weißhaarigen Mannes Abgründe verbergen könnten? Mit ominösen Anschuldigungen spart sein junger Schützling jedenfalls nicht.

Was bereitet Noah (Jacobi Jupe) solche Furcht? Apple TV+

Billy Crystal gibt sich alle Mühe, diesen Eli Adler spannend anzulegen. Und auch Jacobi Jupe macht seine Sache gut, füllt den keineswegs leichten Part des verstörten Kindes mehr als zufriedenstellend aus. Permanent tritt ihr schauspielerischer Einsatz aber hinter generischen Horrormechanismen zurück. Von der Tonspur kommen unentwegt schiefe Klänge. Ständig brechen Albträume in das Geschehen ein. Fortlaufend taucht die tote Lynn vor den Augen ihres Mannes auf. Regelmäßig verschwimmen die Bilder, sind Geräusche übersteigert zu hören. Und andauernd wird das für die Handlung zentrale Element Wasser bedeutungsschwanger in Szene gesetzt. Überreizung nennt man das, was Showrunnerin Sarah Thorp und die Regisseure Adam Bernstein („Silo“), Jet Wilkinson („The Old Man“), David Petrarca („Tom Clancy’s Jack Ryan“) und Emmanuel Osei-Kuffour Jr. („Gänsehaut um Mitternacht“) in den ersten sieben Episoden betreiben. Hinzu kommt die Neigung, manche Dinge doppelt und dreifach zu erklären, sie so zu visualisieren, dass sie auch die letzte Schnarchnase verstanden hat. Erinnerungsvermögen und Kombinationsgabe scheinen die Macher den Zuschauern nur bedingt zuzutrauen.

Die überschaubare Folgenlänge – oft sind es nicht viel mehr als 30 Minuten – und der an Wendungen alles andere als arme Plot-Verlauf lassen das Interesse zwar nie völlig in den Keller rauschen. Brennende Neugier entfacht der Austausch zwischen Therapeut und Kind aber genauso wenig. Gut möglich, dass am Ende eine verblüffende Auflösung auf uns wartet. Höchstwahrscheinlich lässt die Serie bis dahin aber nicht von ihrer Alles-ist-so-verdammt-gruselig-Taktik ab.

Dieser Text basiert auf der Sichtung der ersten sieben von insgesamt zehn Folgen der Serie „Before“.

Meine Wertung: 2,5/​5

Die ersten beiden Folgen der Serie „Before“ sind ab dem 25. Oktober bei Apple TV+ verfügbar. Die restlichen Episoden erscheinen dann im wöchentlichen Rhythmus.

Über den Autor

Christopher Diekhaus, Jahrgang 1985, erlebte seine TV-Sozialisation in den 1990er-Jahren. Seine echte Liebe für den Flimmerkasten entbrannte allerdings erst gegen Ende der Schulzeit. Nach seinem Studium landete er zunächst in einer Film- und Fernsehproduktionsfirma. Seit 2013 schreibt Christopher als Freiberufler Film- und Serienkritiken. Das Portal fernsehserien.de unterstützt er seit Ende 2019. Im Meer der Veröffentlichungen die Perlen zu entdecken – diese Aussicht spornt ihn immer wieder an. Insgeheim hofft er, irgendwann eines seiner in der Schublade liegenden Drehbücher zu verkaufen. Bis er den Oscar in Händen hält, sichtet und rezensiert er aber weiter fleißig die neuesten Serien.

Lieblingsserien: Devs, Lass es, Larry!, Severance

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