75 Jahre ARD: „Tagesschau“ und politische Sendungen halten Stellung

Langer Weg liegt zwischen „Fernseh-Filmbericht“, „Tagesthemen“ und App

Stefan Genrich
Stefan Genrich – 12.07.2025, 09:00 Uhr

Informationsangebote der ARD im Wandel der Zeit – mit „Tagesthemen“, Dreharbeiten 1955, Podcast „11KM“, Nachrichtensprecherin Dagmar Berghoff, „Rudis Tagesshow“ und Gebärdendolmetscherin der „Tagesschau“ – Bild: NDR, Fornax, NDR / BR / Christian Spielmann, NDR / Gita Mundry, RB, PHOENIX
Informationsangebote der ARD im Wandel der Zeit – mit „Tagesthemen“, Dreharbeiten 1955, Podcast „11KM“, Nachrichtensprecherin Dagmar Berghoff, „Rudis Tagesshow“ und Gebärdendolmetscherin der „Tagesschau“

NWDR startet Regelbetrieb nach Stalins Geburtstag

Die nachgewiesene Existenz der „Tagesschau“ rüttelte demnach am Anspruch von Vertretern der DDR, erstmals TV-Nachrichten in Deutschland verbreitet zu haben. In der Tat blickte die „Aktuelle Kamera“ täglich in die Welt – erstmals zum Geburtstag des sowjetischen Diktators Josef Stalin am 21. Dezember 1952, als das Öffentliche Versuchsprogramm des Fernsehzentrums Berlin startete. Aber das ist eine andere Geschichte … Obwohl der NWDR seinen täglichen Regelbetrieb am 25. Dezember begann, behielten die westdeutschen Nachrichten ihren gemütlichen Rhythmus und hinkten somit der „Aktuellen Kamera“ hinterher.

RTL-Chef Helmut Thoma bewundert „Tagesschau“ als Ritual

Die ARD übernahm die „Tagesschau“ im November 1954 für ihr neues Gemeinschaftsprogramm. Ab Oktober 1956 landete die „Tagesschau“ an jedem Werktag auf den Bildschirmen. Bis März 1959 waren ausschließlich Kurzfilme zu sehen. Immerhin besorgten Partner der Eurovision und Nachrichtenagenturen frische Zutaten für die zunehmend aktuellen und wichtigen Beiträge. Ferner trat jetzt ein Nachrichtensprecher vor das Publikum. Vor allem Karl-Heinz Köpcke erlangte eine Glaubwürdigkeit wie ein Heiliger. Seit September 1961 durfte die „Tagesschau“ die Sonntagsruhe stören. Endlich hatte sie die stabile Form entwickelt, die von Journalisten bis heute gefüllt wird: Die Nachrichten wurden ruhig nach festen Regeln vorgetragen. Fotos, Grafiken, Kartenausschnitte und Filmschnipsel verdeutlichten den Sinn. Der frühere RTL-Chef Helmut Thoma bewunderte einst das allabendliche Ritual und empfahl der ARD, die Nachrichten auf Latein zwischen brennenden Kerzen zu verlesen.

Generationskonflikte brechen auf

Nichtsdestotrotz erregte die „Tagesschau“ immer wieder die Fernsehnation. Die Redaktion berichtete intensiv über den Auschwitzprozess zwischen 1963 und meinem Geburtsjahr 1965. Diese Darstellungen motivierten Jugendliche, nach Nationalsozialismus zu fragen. Hoppla, das Fernsehen boykottierte die gewohnte Verdrängung! Generationskonflikte brachen auf, als die „Tagesschau“ über die Studentenbewegung informierte. Vollends wackelte der Hausfrieden durch die entsetzlichen Aufnahmen aus dem Vietnamkrieg. Die TV-Gemeinde sah bewegende Reportagen von US-Korrespondent Gerd Ruge, wie 1968 Bürgerrechtler Martin Luther King und im selben Jahr Präsidentschaftskandidat Robert F. Kennedy ermordet wurden.

Kalter Krieg und Friedensbewegung beschäftigen jüngere Zuschauer

Meine dokumentarische Erinnerung setzte 1973 mit komischen Bildern ein, auf denen Pferde einen VW Bulli in der „Tagesschau“ zogen. Aus unerfindlichen Gründen lachten meine Eltern nicht über die autofreien Sonntage. Daher wehte mir eine leichte Ahnung der damaligen Ölkrise entgegen. Im Wohnzimmer war 1977 zu erleben, dass Terroristen den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer als Geisel nahmen und Verbündete ein vollbesetztes Flugzeug entführten. Via „Tagesschau“ hielten die Prozesse gegen die RAF-Anführer und ihre Selbstmorde die Westdeutschen jeden Alters in Atem. Mithilfe der Nachrichten staunten meine Mitschüler und ich seit 1980 über die Partei der Grünen. Kalter Krieg, Friedensbewegung und die Regierung von Helmut Kohl beschäftigten jüngere Zuschauer politischer Sendungen. Der Mauerfall und die Wiedervereinigung erwischten uns kalt: Die DDR hatte die Studenten der Bundesrepublik nur am Rande interessiert – entgegen den Vorzeichen im Fernsehen. Trotz dieser Faulheit im Westen hatten die meisten DDR-Bürger eher der „Tagesschau“ als der „Aktuellen Kamera“ vertraut, wie ich längst wusste.

Frauen dürfen Nachrichten vorlesen

Mir gefällt die Kontinuität in der „Tagesschau“. Reformen im Studio und bei der Technik sind mir weiterhin willkommen. Inhaltlich hoffe ich auf stärkere Sensibilität für die Trennung zwischen Bericht und Kommentar. Andererseits akzeptiere ich, dass komplizierte Zusammenhänge in einer komplizierten Welt eingeordnet werden müssen. Nebenbei empfehle ich politischen Sendungen, von den Nachrichten für Kinder zu lernen: „logo!“ im KiKA setzt auf einfache und verständliche Sprache. Nicht zuletzt hätten Frauen eher am Nachrichtenpult Platz nehmen sollen. Dagmar Berghoff trat 1976 als erste Sprecherin der „Tagesschau“ an. Ihr flogen die Herzen der älteren Herrschaften zu, während das jüngere Publikum keinen Wirbel um eine Nachrichtensprecherin machte.

Kritik und Zuversicht führen in Zukunft

Keine Milde oder gar mehr Raum im TV-Programm verdienen wirklichkeitsfremde Überzeugungen. Jedoch wo ziehen Redakteure die Grenzen, um berechtigte Interessen und unbequeme Argumente zu berücksichtigen? Trotz solcher Zweifel fühle ich mich gut aufgehoben bei den ARD-Sendungen über Politik und Gesellschaft. Allerdings hocke ich selten gegen 20 Uhr vor dem Fernseher, um die „Tagesschau“ zu erwarten. Mehrmals täglich sichte ich die App auf dem Smartphone. Gerne rufe ich die „Tagesthemen“ in der Mediathek auf. In diesen schwierigen Zeiten baue ich auf das Engagement der kompetenten Journalisten in der ARD. Die wertvollen Infos reichen von Donald Trump über Naturkatastrophen und Maskenaffäre bis hin zum Ukraine-Krieg. Ob sämtliche Details stimmen, lässt sich immer noch diskutieren.

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Über den Autor

Seit 2016 hat Stefan Genrich Websites entwickelt und an einer Hochschule unterrichtet. Vor einer siebenjährigen Pause bei fernsehserien.de würdigte er das weihnachtliche TV-Programm im United Kingdom: Sein Herz schlägt für britisches Fernsehen. Daher verfolgt er jeden Cliffhanger von „Doctor Who“. Der Journalist kritisiert nebenberuflich Serien. Ihn ärgern Mängel bei ARD und ZDF – oder er genießt „Tagesthemen“ sowie „Nord bei Nordwest“. Frühe Begegnungen mit „Disco“ und „Raumschiff Enterprise“ haben Spuren hinterlassen. Später scheiterte Stefan beim Versuch, die Frisur von „MacGyver“ zu kopieren. Wegen „Star Trek: Strange New Worlds“ und „1923“ mag er Paramount+.

Lieblingsserien: Frasier, Raumpatrouille, Star Trek – Deep Space Nine

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am via tvforen.de

    wie "Tagesschau" und "Tagesthemen" bis heute gut informieren. DER WAR GUT ! BITTE NOCH MEHR WITZE !

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