Mensch Gottschalk: Das bewegt Deutschland – Premiere der neuen RTL-Show – Review

Vier Stunden langes „stern TV“-Potpourri à la Gottschalk – von Glenn Riedmeier

Glenn Riedmeier
Rezension von Glenn Riedmeier – 06.06.2016, 00:35 Uhr

Thomas Gottschalk

Für die meisten Zuschauer ist Show-Dino Thomas Gottschalk immer noch „Mister Wetten dass“. Doch seitdem der Entertainer die inzwischen eingestellte ZDF-Sendung im Jahr 2011 zum letzten Mal präsentiert hat, ist viel passiert. Gottschalk ging zur Konkurrenz und wollte Anfang 2012 nach amerikanischem Vorbild eine tägliche Live-Sendung am ARD-Vorabend moderieren. Doch das Experiment „Gottschalk Live“ wurde nach sechs Monaten und mehreren gescheiterten Überarbeitungsversuchen schnell wieder beendet. Noch im selben Jahr wechselte Gottschalk überraschend zu RTL und saß gemeinsam mit seiner ehemaligen Komoderatorin Michelle Hunziker neben Dieter Bohlen in der Jury der umstrittenen Castingshow „Das Supertalent“. Aus früheren Plänen, für die ARD eine neue Musikshow namens „Good Vibrations“ zu präsentieren, wurde nichts mehr.

Doch auch beim „Supertalent“ hielt es Gottschalk nicht lange und er verließ die Sendung nach nur einer Staffel wieder. Seinem neuen Arbeitgeber RTL blieb er hingegen treu: Er lud zu „Back to School – Gottschalks großes Klassentreffen“, moderierte die Dokureihe „60 Jahre Rock & Pop“ und duelliert sich regelmäßig mit seinem Weggefährten Günther Jauch in „Die 2 – Gottschalk & Jauch gegen ALLE“. Darüber hinaus moderierte er die „30 Jahre RTL“-Geburtstagsshow und feierte auch seinen eigenen 65. Geburtstag mit einer Gala beim Kölner Sender. Der richtig große Erfolg wollte dem nimmermüden Show-Titan jedoch seit seinem „Wetten, dass..?“-Abschied nicht mehr gelingen.

Mit der neuen XXL-Liveshow „Mensch Gottschalk – Das bewegt Deutschland“ will er es noch einmal wissen. Für die Ko-Produktion von Spiegel TV und dctp wurde ihm eine äußerst großzügige Sendedauer von fast vier Stunden eingeräumt. Das schlägt sämtliche „Wetten, dass..?“-Ausgaben, in welchen Gottschalk ohnehin stets überzog.

„Es ist mal wieder Zeit für ehrliches Familienfernsehen“, sagte der Moderator im Vorfeld der Sendung. Im Studio A in Berlin-Adlershof begrüßt Gottschalk die rund 500 Zuschauer im Publikum vor Ort. Der Sendungsbeginn ist überraschend: Denn vor dem Vorspann sieht man, wie Gottschalk höchstpersönlich das Warmup übernimmt und sich über das übliche Vorgehen der Anheizer lustig macht. „Wichtig ist, dass ihr normal reagiert“, erläutert der Entertainer. „Du sieht schlau genug aus, um zu wissen, wann du klatschen sollst“, spricht er einen Zuschauer an. Ein sympathischer und unerwartet ehrlicher Einstieg. Das Studio entspricht erfreulicherweise nicht dem üblichen RTL-Einerlei, sondern ist in warmen gelb-braunen Farbtönen in Wohnzimmer-Atmosphäre gehalten.

Insgesamt 15 Themen, die auf Fragen und Bedürfnisse des Publikums eingehen sollten, werden in der Show beackert. „Es wird sich ziehen“, kündigte Gottschalk direkt zu Beginn an. Ähnlich wie in typischen Jahresrückblicken gestaltet sich die Bandbreite der Themen sehr umfangreich. Los geht es mit der Vorstellung des Durchschnittsdeutschen: In einer Wohnzimmer-Kulisse sitzt eine durchschnittsdeutsche Familie, die live den „Tatort“ im Ersten schaut. Gottschalk verrät daraufhin schon nach wenigen Minuten den Täter. Kurz darauf marschieren die Einlaufkinder der deutschen Fußball-Nationalelf ein und Gottschalk spricht mit ihnen über die bevorstehende Fußball-EM.

Während man zu Beginn der Show unweigerlich darauf wartet, dass Gottschalk zur ersten Wette überleitet, wird es kurz darauf ungewohnt: Das Unterhaltungs-Naturtalent spricht in seiner neuen Show auch viele ernste Themen an. „Ich möchte mich mit interessanten Gästen austauschen und das so ernsthaft wie notwendig und so unterhaltsam wie möglich“, meinte Gottschalk in einem Interview. Klingt fast danach, als wolle der Moderator eine neue Ära seines Fernsehschaffens einläuten. Mit dem Terrorexperten Peter Neumann, dem Fußballspieler Timo Hildebrand und dem Sportmoderator Matthias Opdenhövel spricht er angesichts der EM in Frankreich über die anhaltende Terrorangst in Europa.

Richtiges „stern TV“-Feeling kommt spätestens in dem Moment auf, als Dieter Tschetsche, Vorstandsvorsitzender der Daimler AG, das computergesteuerte „Auto der Zukunft“ vorstellt. Im weiteren Verlauf wechseln sich unterhaltsame Sendungsteile wie ein Auftritt des „Let’s Dance“-Gewinnerpaars und eine Zauber-Performance der Ehrlich Brothers ab mit ernsten Gesprächen über den Rechtsruck in Europa (mit Politiker Martin Schulz), die Flucht aus Syrien (mit der 18-jährigen Schwimmerin Yusra Mardini), aktuelle Behandlungsmethoden von Krebs (mit der stellvertretenden Leiterin der Berliner Charité und der Leukämie-Patientin Marisol) und über die aktuelle Flutkatastrophe mit Betroffenen. Einspielfilme und musikalische Auftritte von den Pet Shop Boys, Nena und Mark Forster sorgen für weitere Abwechslung.

In den vier Stunden, die wie eine kuriose Kombination aus einer überlangen „stern TV“-Ausgabe, „Gottschalk Live“ und „Markus Lanz“ wirken, wird einmal mehr deutlich: Gottschalk ist dann am besten, wenn er seine Showmaster-Qualitäten ausleben kann. Dies gelingt beispielsweise beim unterhaltsamen Frotzeln mit Nena. Sobald es jedoch in ernsthaftere Gefilde geht, muss sich Gottschalk erst in seine neue Rolle hineinfinden, da er schlichtweg kein gelernter Journalist wie Kollege Jauch ist. Stattdessen vertritt er in gewisserweise das Interesse der Zuschauer und stellt Fragen aus dem Bauch heraus – und das gelingt ihm zugegebenermaßen besser als in der Vergangenheit in seinen früheren Formaten „Na sowas!“, „Gottschalks Late Night“ und eben „Gottschalk Live“.

Ob der bei „Wetten, dass..?“ verunglückte Samuel Koch als abschließender Gesprächsgast die richtige Wahl war, erscheint zumindest fraglich. Gottschalk und Koch sind durch den tragischen Unfall im Jahr 2010 schicksalhaft miteinander verbunden. Dem inzwischen als Schauspieler tätigen Koch geht es mittlerweile den Umständen entsprechend gut. Doch wie sinnvoll ist es, diese Vergangenheit in einer neuen Sendung wieder in Erinnerung zu rufen? Zum Ende der Show erinnert „Mensch Gottschalk“ dann doch noch an „Wetten, dass..?“. In einer an die Saalwette angelehnten Zuschaueraktion wurden Hundebesitzer aufgerufen, in die Sendung zu kommen, wenn ihr vierbeiniger Freund ein besonderes Talent besitzt. So kamen schlussendlich noch die Tierfreunde auf ihre Kosten.

Insgesamt gestaltet sich die Premiere von „Mensch Gottschalk“ abwechslungsreich und stellt bewusst entschleunigtes Fernsehen für den Sonntagabend dar. Ein großer Pluspunkt ist die Tatsache, dass sich RTL getraut hat, die Sendung live zu senden – mittlerweile leider eine Seltenheit geworden. So begrüßt Gottschalk etwa pünktlich um 21:45 Uhr die Zuschauer, die gerade vom „Tatort“ rübergeschaltet haben und ruft mal eben bei Günther Jauch an, um zu fragen, ob er momentan RTL oder „Anne Will“ schaut. Die Übergänge von einem ernsten Thema zu einem lockeren waren teilweise holprig. Überhaupt dürfte der Unterhaltungsanteil durchaus etwas größer sein, während der Show eine Kürzung um eine Stunde gut tun würde. Wenn die Einschaltquoten stimmen, sollte eine Fortsetzung nur reine Formsache sein. Wie oft man solch eine Mammutshow allerdings unbedingt braucht und mit ausreichend relevanten Themen bestücken kann, ist eine andere Frage. Ach ja: Überzogen hat Gottschalk nicht, um Punkt 0 Uhr war Schluss. Das sollte allerdings auch reichen.

Glenn Riedmeier
© Alle Bilder: RTL/​Max Kohr

Über den Autor

Glenn Riedmeier ist Jahrgang ’85 und gehört zu der Generation, die in ihrer Kindheit am Wochenende früh aufgestanden ist, um stundenlang die Cartoonblöcke der Privatsender zu gucken. „Bim Bam Bino“, „Vampy“ und der „Li-La-Launebär“ waren ständige Begleiter zwischen den „Schlümpfen“, „Familie Feuerstein“ und „Bugs Bunny“. Die Leidenschaft für animierte Serien ist bis heute erhalten geblieben, zusätzlich begeistert er sich für Gameshows wie z.B. „Ruck Zuck“ oder „Kaum zu glauben!“. Auch für Realityshows wie den Klassiker „Big Brother“ hat er eine Ader, doch am meisten schlägt sein Herz für Comedyformate wie „Die Harald Schmidt Show“ und „PussyTerror TV“, hält diesbezüglich aber auch die Augen in Österreich, Großbritannien und den Vereinigten Staaten offen. Im Serienbereich begeistern ihn Sitcomklassiker wie „Eine schrecklich nette Familie“ und „Roseanne“, aber auch schräge Mysteryserien wie „Twin Peaks“ und „Orphan Black“. Seit Anfang 2013 ist er bei fernsehserien.de vorrangig für den nationalen Bereich zuständig und schreibt News und TV-Kritiken, führt Interviews und veröffentlicht Specials.

Lieblingsserien: Twin Peaks, Roseanne, Gargoyles – Auf den Schwingen der Gerechtigkeit

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