Annette Hess („Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“): „Kein dogmatisches Schulfernsehen“

Die Autorin im Interview über die Serienadaption und Frauen im Filmbusiness

Rosanna Großmann – 19.02.2021, 17:00 Uhr

  • Seite
Christiane (Jana McKinnon) zeigt, dass Frauenfiguren nicht nur zwischen stark und schwach changieren können. Constantin Television Mike Kraus

fernsehserien.de: An der vierten und letzten Staffel der von Ihnen geschöpften Serie „Weissensee“ waren Sie nicht mehr beteiligt. Es war zu lesen, dass Sie sich ausgebootet gefühlt haben. Was steckte dahinter?

Annette Hess: In der Zusammenarbeit hat es bei der zweiten Staffel zwischendurch mal geknirscht. Nach der dritten Staffel habe ich dann gesagt, ich möchte jetzt nicht mehr weiterschreiben. Die wollten das Format jedoch trotzdem weiterentwickeln und deshalb gab es die vierte Staffel, die nach dem Mauerfall spielt. Und diese Zeit hat mich eben nicht interessiert.

Haben Sie sich als Frau im Filmgeschäft schon einmal bezüglich Ihrer Ideen weniger beachtet gefühlt?

Annette Hess: Ich kann mal ein Beispiel nennen: Ich habe kürzlich bei einer Produktion gearbeitet und habe mehr geleistet, als im Vertrag festgelegt war. Das hat sich einfach so ergeben, dass ich stärker involviert wurde. Ich musste also eine Nachforderung stellen – was schon immer blöd ist, wenn man die Arbeit bereits gemacht hat, obwohl es eine sehr faire Produktionsfirma ist. Dann habe ich lange überlegt, wie viel ich verlangen kann; habe denen eine Zahl genannt und sie haben zugestimmt. Daraufhin habe ich jedoch einen männlichen Kollegen getroffen, der ungefähr auf meinem Level ist in der Branche, und habe ihn gefragt, was er da verlangt hätte. Jetzt können Sie mal raten, wie viel höher der Betrag war, den er genannt hat?

Um die Hälfte höher?

Annette Hess: Dreimal höher. Und er hätte es vielleicht auch gekriegt, hätte sich nur ein bisschen drücken lassen. Das ist ein großes, auch selbstgemachtes Problem, dass Frauen immer ihr Licht unter den Scheffel stellen, ihren Wert nicht erkennen, dafür nicht einstehen.

Demnächst ist im ZDF der neue Dreiteiler „Ku’damm 63“ zu sehen, für den Sie erneut als Producerin verantwortlich sind. Was können die Fans in der Fortsetzung erwarten?

Annette Hess: Dieses Mal habe ich die Bücher nicht geschrieben, sondern als Creative Producerin unter anderem die Buchentwicklung begleitet. Tatsächlich ist die Handlung jetzt in den 60er Jahren angekommen. Das war eine andere, eine etwas freiere Zeit. Kennedy war in Berlin – man spürt den Zeitgeist auch in der Schöllack-Familie, die bricht wirklich auf in ihren Strukturen. Neue Probleme entstehen auch in den Beziehungen, die ja schon länger laufen. Ich finde, die Staffel ist besonders aufwühlend geworden. Ein bisschen erwachsener als die „56“, die einen Musicalplot hat: Das hässliche Entlein wird zum schönen Schwan, wenn man so will. Die „63“ ist eine herbere Erzählung. Alle Schauspieler:innen sind wieder dabei und laufen zu Höchstleistungen auf.

Hinter den Kulissen von „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ Constantin Television Mike Kraus

Ich habe gerade gehört, Sie sind Vertreterin der sprachlichen Betonung verschiedener Geschlechter.

Annette Hess: Ja, da fängt es ja schon an, dass man zu hören bekommt: „Wie redest du denn?“ Es ist wirklich wie das Lernen einer neuen Sprache; ich denke nicht immer daran, aber mir fällt es inzwischen mehr auf, wenn Leute nicht gendern. Und wenn ich das in Interviews manchmal korrigiere, heißt es auch: „Wir machen das in unserem Blatt nicht.“

Welche Ansprüche hatten Sie denn an sich und an das Drehbuch für „WKBZ“, und hatten Sie das Gefühl, Sie konnten diese umsetzen und zufrieden sein damit?

Annette Hess: Ich habe immer den Anspruch, lebendige, glaubwürdige Figuren zu erzählen, die einen berühren und für die man Empathie empfinden kann. Selbst, wenn sie unmoralische Dinge tun. Bei denen man nicht von außen auf ihr Verhalten guckt oder sie verurteilt. Ich habe beim Schreiben die Erfahrung gemacht – und das war jetzt auch eine neue Erfahrung mit meinen Co-Autor:innen – wenn wir berührt sind, wenn wir lachen oder weinen, überträgt sich das auch auf den Film. Bei Premieren im Kino habe ich erlebt, dass Momente, die mich beim Schreiben berührt haben, auch die Zuschauer:innen berühren. Ich versuche immer, schonungslos mit mir zu sein. Nicht oberflächlich zu erzählen, nicht auf Effekt, nicht auf Kalkül ausgelegt.

In sich selbst zu graben.

Annette Hess: Genau, die Emotionen richtig aus der Tiefe herauszuholen. Auch die unangenehmen. Ich finde, auch bei „Zoo“ sind ein paar Szenen drin, die sind wirklich kaum auszuhalten.

Das ist es aber, was wir auch wollen. Man möchte mitgerissen werden, man möchte fühlen. Vielen Dank!

Alle acht Folgen „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“ sind auf Amazon Prime Video verfügbar. In einem Interview mit dem Produzenten der Serie, Oliver Berben, sprachen wir über die Besetzung der Hauptrollen und über Inspirationen (fernsehserien.de berichtete).

zurück

Über die Autorin

Rosanna Großmann wurde schon früh zur Cineastin. Als Kind bettelte sie jahrelang darum, Filme wie „Jurassic Park“ oder „Tanz der Vampire“ sehen zu dürfen – die dann auch zu liebgewonnenen Dauerbrennern auf ihrem Fernseher wurden. In das Serienbusiness stieg sie erst später ein: Die ersten Serien, die die Wahlkölnerin mit Vorspann und Haaren verspeiste, waren „Star Trek – Next Generation“ und „Die Simpsons“. Seit 1999 schreibt sie jede Menge Zeug in einer wilden Mischung; seit 2020 auch Serienkritiken, Horror-Empfehlungen und Interviews für fernsehserien.de.

Lieblingsserien: Peaky Blinders – Gangs of Birmingham, Family Guy, Wir Kinder vom Bahnhof Zoo

Kommentare zu dieser Newsmeldung

  • am

    Gibt es keine Seite 2 oder geht sie nur bei mir nicht auf?

    weitere Meldungen