Manfred Losch lebte jahrelang sehr gut mit seinem Medikament, einem Blutverdünner. Es war gut verträglich, machte ihm keine Probleme. Dann verschrieb ihm sein Internist ein neues Medikament, diesmal vom Bayer-Konzern. Der 74-jährige Manfred Losch bekam davon Hautausschlag, schlechte Nierenwerte und Nasenbluten. Auf Anraten seiner Hausärztin Manja Dannenberg setzte er das neue Medikament sofort ab. Seitdem ist alles wieder in Ordnung. Was Manfred Losch nicht wusste: das Bayer-Präparat ist bis zu 18-mal teurer als sein vorheriges Medikament. Neue Arzneimittel, so Kritiker, würden oft mit aller Macht von den Pharmaunternehmen auf den Markt gedrückt. Ein Beispiel: Anästhesisten-Kongress Anfang September auf Sylt. Mehr als 1.000 Ärzte werden schon am Eingang zum Kongress von einem wuchtigen Infostand des Bayer-Konzerns mit Werbegeschenken empfangen. Kugelschreiber, Taschen, Schreibblöcke alles mit dem Namensaufdruck des Medikamentes versehen, das häufiger verschrieben werden soll. Viele Ärzte greifen bei den Geschenken zu. „Man darf die Wirkung dieser Werbekampagnen nicht unterschätzen“, warnt Prof. Arnold Ganser, Chefarzt der Onkologie an der Medizinischen Hochschule Hannover. Er selbst hatte sich früher von Pharmaunternehmen zu solchen Kongressen einladen lassen, bis er merkte, dass ein perfides System dahintersteckt. Heute engagiert sich Ganser in der
pharmakritischen Mediziner-Organisation MEZIS und Pharmavertreter haben auf seiner Station keinen Zutritt mehr. Konzerne lassen sich ihre Kampagnen viel kosten: So sind die Marketingetats oft dreimal höher als die für Investitionen in die Forschung. Zudem erhielten Ärzte, die neue Medikamente verschreiben würden, mitunter für die Beobachtung der Wirkung dieses Mittels bis zu 600 Euro pro Patient. „Allein dafür, dass sie einen von der Industrie erstellten, völlig nutzlosen Beobachtungsbogen ausfüllen“, moniert Prof. Wolf-Dieter Ludwig, Vorsitzender der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft. 2012 hat der Bundesgerichtshof entschieden, dass Kassenärzte, die zum Beispiel Geld als Gegenleistung für die Verschreibung von Arzneimitteln nehmen, sich nicht der Bestechung strafbar machen. Grund: Kassenärzte seien keine Amtsträger wie Beamte oder angestellte Ärzte von Universitätskliniken, insofern greife hier das Strafgesetzbuch nicht. Der BGH verweist auf den Gesetzgeber, entsprechende Regelungen zu schaffen. „45 Min“ zeigt, wie Ärzte auf Kongressen beeinflusst werden, schildert am Beispiel von Patienten die mitunter gesundheitsgefährdenden Folgen bei der Verschreibung neuer Medikamente, spricht mit Staatsanwälten, niedergelassenen Ärzten und der AOK. Nur die Vertreter der Pharmaindustrie waren bis zum Redaktionsschluss nicht bereit, vor der Kamera Auskunft zu geben. (Text: NDR)