Jedes Jahr sterben in Deutschland mindestens 15.000 Menschen an Infektionen mit Keimen, die gegen Antibiotika resistent sind. Die Ärzte in den Intensivstationen der Krankenhäuser schlagen Alarm. Der Grund für die vielen Todesfälle: Die derzeit auf dem Markt vorhandenen Antibiotika werden mehr und mehr wirkungslos. Zum einen haben die Patienten selbst immer mehr Resistenzen, zum anderen sind kurzfristig keine neu entwickelten Antibiotika in Sicht, um die gefährlichen Keime zu bekämpfen. „45 Min“ macht sich auf die Suche, was dahintersteckt, warum plötzlich Antibiotika fehlen und was das für den Menschen bedeutet. Auf Deutschlands größter Intensivstation in Hamburg sterben fast täglich Menschen mit ungewöhnlichen Bakterien im Körper. Die Ärzte können dagegen trotz ausgefeilter Technik nicht helfen. Zudem lauert immer die Gefahr, dass sich die Keime von einem zum anderen Patienten übertragen. Längst ist es nicht mehr der bekannte Krankenhauskeim MRSA, den Ärzte fürchten, sondern Darmkeime, bei denen die Medikamente, die zur Verfügung stehen, versagen. Dominic Wichmann, Internist und einer der wenigen Infektiologen in Deutschland, ist Oberarzt auf der Hamburger Intensivstation. Er befürchtet, dass bald Patienten mit einfachen Infektionen betroffen sein könnten, wenn nicht neue Antibiotika auf den Markt kommen. Doch neuartige Antibiotika sind nicht in Sicht, da die Pharmaindustrie, darunter auch Bayer, bereits in den 1970er-Jahren
weitgehend aus der Antibiotika-Forschung ausgestiegen ist. Der Grund: Antibiotika werden in der Regel nur über einen relativ kurzen Zeitraum eingenommen. Aber die Entwicklung neuer Wirkstoffe ist sehr aufwendig. Medikamente gegen Herzerkrankungen beispielsweise, die ein Leben lang eingenommen werden müssen, rentieren sich weit mehr. Nur noch ein kleines Unternehmen in Wuppertal kümmert sich um die Entwicklung neuer antibiotischer Substanzen. Die Chefin, Helga Rübsamen-Schaeff, fordert Unterstützung vom Staat, damit mehr lebensrettende neue Antibiotika entwickelt werden können. Doch der Staat setzt eher darauf, dass weitere Resistenzen verhindert werden, damit die Antibiotika, die derzeit auf dem Markt sind, länger wirken. Viele Resistenzen entwickeln sich, wenn zu häufig Antibiotika gegeben werden. Deshalb rief das Gesundheitsministerium ein Fortbildungsprogramm für Klinikärzte ins Leben, um ihnen beizubringen, wie man Antibiotika sinnvoll einsetzt. Doch das Programm geht in die falsche Richtung. Denn 75 Prozent aller Antibiotika werden von den Hausärzten verschrieben, die meisten davon überflüssigerweise. So breiten sich die Resistenzen gegen die krank machenden Keime in der Bevölkerung immer weiter aus. Ein NDR Team um Autorin Antje Büll hat sich auf die Suche nach den Gründen gemacht, warum es in Deutschland zu wenig wirkungsvolle Antibiotika gibt, wie tief die Medizin dadurch bereits in die Krise geraten ist und welche Auswege es gibt. (Text: NDR)