2023, Folge 420–434

  • Folge 420 (45 Min.)
    Seit Russland die Ukraine überfallen hat und dieser Krieg in unserer Nachbarschaft in Europa stattfindet, beschäftigt Deutschland die Frage: Was folgt für uns daraus? Der Bundeskanzler hat eine Zeitenwende ausgerufen. Und er hat hinzugefügt: Kriegstreibern wie Putin Grenzen zu setzen, das setzt eigene Stärke voraus. Nur: Wie genau definiert sich die? Militärische Stärke jedenfalls hatte in Deutschland seit Ende des Kalten Krieges kontinuierlich an Bedeutung verloren – und sehr vielen Menschen hierzulande war das gleichgültig, auch dem Filmemacher Florian von Stetten. Er gehörte als junger Mann zu den vielen Bürgern der Bundesrepublik, die den Kriegsdienst verweigerten.
    Trotzdem wurde er erst einmal eingezogen, weil sein Anerkennungsverfahren sich hinzog. So fand er sich in einer Kaserne wieder und musste Tag für Tag erneut die Entscheidung treffen, den Befehl zu verweigern. Auch Olaf Scholz verweigerte den Kriegsdienst und demonstrierte in den 1980er Jahren gegen den NATO-Doppelbeschluss, die Grünen entstanden auch aus der Friedensbewegung. Diese Generation sitzt jetzt an den Schaltstellen der Macht. Viele Deutsche reiben sich seit der Zeitenwende die Augen: Nie wieder Krieg – ist das jetzt Schnee von gestern? Oder war das sehr lange einfach nur bequem, um sich nicht mit einem Ernstfall beschäftigen zu müssen? Bisher bestimmten die Erfahrungen des Zweiten Weltkriegs ganz wesentlich das Verhältnis der Deutschen zum Militär.
    Zurückhaltung war die Maxime, nicht so genau hinschauen das Ergebnis. „Freundliches Desinteresse“ hat es der ehemalige Bundespräsident Horst Köhler genannt. Und jetzt? Anhand seiner eigenen Biographie untersucht der Filmemacher Florian von Stetten das komplizierte Verhältnis der Deutschen zu ihrer Armee und konfrontiert Zuschauerinnen und Zuschauer mit der Frage: Wofür würden Sie eigentlich in den Krieg ziehen und jemanden töten? (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 03.07.2023NDR
  • Folge 421 (45 Min.)
    Für viele Fischer ist der Aal einer der letzten Brotfische. Stirbt der Aal aus, stirbt auch ein uraltes Handwerk aus. Politik und Fischereiwirtschaft versuchen, den Bestand der Aale und ihren Erwerbszweig mit Besatzaktionen zu retten. Jedes Jahr setzen sie Millionen Jungaale in Binnen- und Küstengewässern aus. Wissenschaftler und Naturschützer hingegen fordern ein Fangverbot und das Ende des Besatzes. Wer hat Recht? Und was hilft dem Aal, wirklich zu überleben? Aale gab es schon vor Millionen Jahren. Sie haben Kontinentalverschiebungen und Eiszeiten überlebt.
    Ob sie die Menschheit und das Industriezeitalter überleben, ist fraglich. Seit 2008 steht Anguilla anguilla, so der klangvolle Name des Europäischen Aals, auf der Roten Liste der Weltnaturschutzorganisation IUCN. Er gilt als vom Aussterben bedroht. Es ist die letzte Stufe der Gefährdungsskala, bevor eine Art völlig aus der Wildnis verschwindet. Für die wenigen an der Schlei noch verbliebenen Fischer ist der Aal im Sommer die letzte Rettung. Der Hering im Frühjahr war knapp. „Plötze, Barsch und Zander fangen wir gar nicht mehr“, sagt Jörn Ross, Eldermann der traditionsreichen Holmer Fischer aus Schleswig.
    Ein komplettes Fangverbot, wie es der Internationale Rat für Meeresforschung empfiehlt, würde für ihn und seinen Sohn Nils das Aus bedeuten. Schon jetzt gilt in den Küstengewässern eine Schonzeit von sechs Monaten. Von Mitte September bis Mitte März darf Ross in der Ostsee keinen Aal fischen. Doch Ross sieht die Fischer zu Unrecht am Pranger. „Wir sind es, die den Aal schützen und dafür sorgen, dass er uns erhalten bleibt.“ Ross engagiert sich wie viele Fischereibetriebe und Angelvereine beim Aalutsetten, norddeutsch für den Besatz mit Glasaalen, wie die jungen Aale heißen.
    Sie werden an der europäischen Küste, vor allem in Spanien und Frankreich, gefangen, zum Teil in Aquakultur vorgezogen oder direkt in deutschen Gewässern eingesetzt. Früher wanderten die Jungfische in großer Zahl von allein in norddeutsche Binnengewässer ein. Heute kommt nur noch ein Bruchteil auf natürlichem Weg dort an. Der Besatz soll das ausgleichen und den Fischern ihr Einkommen sichern. Aalutsetten sagen sie, ist Artenschutz.
    Das sehen Umweltverbände und die Wissenschaftler des Internationalen Rates für Meeresforschung, ICES, ganz anders. Der Meeresökologe Reinhold Hanel vom Thünen-Institut in Bremerhaven ist Mitglied des ICES. „Viele Glasaale und vorgestreckte Aale sterben während Fang, Transport, Hälterung und Mast“, erklärt er. Es gäbe keinen Hinweis darauf, dass der Besatz die Überlebenschancen des Aals erhöhe. Studien zeigen, so Hanel, dass seit den 1970er-Jahren immer weniger Aalnachwuchs in Europa ankommt, ein Rückgang zwischen 95 und 99 Prozent, je nach Küstenregion.
    Sein Fazit: ein Stopp von Aal- und Glasaalfischerei sei überfällig. Der Film zeigt norddeutsche Fischer und Angler beim Aalutsetten. Sie investieren viel Zeit und Geld in den Besatz, der zudem mit Steuergeldern gefördert wird. Begleitet werden die Maßnahmen durch ein europaweites Monitoring. Es soll klären, ob sich der Bestand erholt. Eine der Stationen liegt in Rostock. Das Filmteam begleitet die Biologen Malte Dorow und Jens Frankowski vom Fischereiinstitut des Landes Mecklenburg-Vorpommern bei ihren Untersuchungen.
    Laut Dorow erholt sich der Bestand in Mecklenburg-Vorpommern. Daraus könne man aber nicht schließen, dass es dem Europäischen Aal auch insgesamt besser geht. Vieles, was den Aal betrifft, liegt im Ungewissen. Sein Laichgrund ist die Sargassosee, ein Meeresgebiet im Nordatlantik, bis zu 7000 Meter tief. Von dort driften die Larven an die europäischen Küsten, wo sie sich zum Glasaal und später in den Binnengewässern zum Gelbaal entwickeln. Bis zu 30 Jahre lang bleibt der Aal an einem Ort, bevor er sich wieder auf die Reise in das Sargassomeer macht.
    Wie er navigiert, weiß niemand, und noch nie wurde ein Aal beim Laichen beobachtet. Unklar ist auch, warum der Bestand seit Jahrzehnten zurückgeht. Der Klimawandel, Umweltverschmutzung, Parasiten, Wehre, die den Weg durch die Flüsse versperren, es gibt vieles, was den Aal bedroht. Nicht zuletzt auch der Schmuggel von Glasaalen nach Asien. Der Export aus Europa ist verboten. Dennoch werden sie in chinesischen Aalfarmen großgezogen und weltweit vermarktet. Der Streit um den Aal, er fokussiert sich vor allem auf die Frage um ein Fangverbot.
    Dass auch andere Maßnahmen helfen könnten, kommt dabei zu kurz: etwa die Renaturierung seiner Lebensräume. Zumindest darin sind sich Naturschützer und Fischer einig. Wie das geht, zeigt ein Projekt an der Unteren Havel. Auf mehr als 23 Kilometern Länge wurden Ufersteine und -wallungen entfernt, Altarme angeschlossen, Deiche zurückgebaut und Auwälder gepflanzt. 1100 gefährdete oder vom Aussterben bedrohte Tier- und Pflanzenarten leben und vermehren sich mittlerweile hier, sagt Rocco Buchta vom Naturschutzbund NABU, der das Projekt leitet. Auch der Aal komme jetzt wieder häufiger vor. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 10.07.2023NDRDeutsche Online-PremiereFr 07.07.2023ARD Mediathek
  • Folge 422 (45 Min.)
    Kanus liegen bereit für eine Entdeckungstour auf der Mecklenburgischen Seenplatte. Doch deren Vermietern fehlen Nachwuchs und Personal.
    Urlaub im Norden Deutschlands ist beliebter denn je. Auch in diesem Sommer sind die Tourismusbetriebe ausgebucht. Nur fehlt es überall an Personal. Wie soll Urlaub für die Feriengäste ohne Servicekräfte in Hotels, Restaurants, auf Campingplätzen oder bei Bootsverleihern gelingen? In der einzigartigen Landschaft der Mecklenburgischen Seenplatte, wo im Jahr durchschnittlich 3,7 Millionen Menschen Urlaub machen, ist das Problem überall sichtbar. Restaurants schließen die Küche schon um 20:00 Uhr oder stellen gleich auf Selbstbedienung um. Gut laufende Betriebe werden geschlossen, trotz bester Buchungslage.
    Das Gutshaus von Simone Rattmann zum Beispiel. Sie musste es schließen, weil sie trotz guter Bezahlung keine Servicekräfte für die harte Saisonarbeit gewinnen konnte. Nun steht das hübsche Haus leer. Simone Rattmann hofft, dass sich wenigstens ein Käufer dafür findet. Der Tourismus ist die größte Einnahmequelle in der strukturschwachen Region. Aber auch Campingplatzbesitzer Uwe Fischer macht sich Sorgen um die Zukunft. Er ist skeptisch, ob er einmal Nachfolger findet, die seinen Naturcampingplatz Hexenwäldchen in Blankenförde weiterführen.
    Die Region sei einfach zu unattraktiv für junge Menschen, die Arbeit suchen. Zu wenig günstige Mietwohnungen, manche Saisonkräfte müssten im Wohnwagen leben, da ist sehr viel Natur und Ruhe, aber wenig Abwechslung. Uwe Fischer denkt über Angebote nach, die speziell junge Leute auch über die Saison hinaus ansprechen könnten. Aufgeben will er jedenfalls nicht. Im Vegan Resort in Neukalen versucht sich ein junges Team gerade an einem neuen Konzept für eine eng zugeschnittene Zielgruppe. Es wirbt mit Blockhütten für Familien, veganer Biokost und tariflicher Bezahlung für die Angestellten.
    Seinen Ursprung hat der Betrieb in Berlin. Ob das Konzept auch an der Mecklenburgischen Seenplatte aufgeht? Welche Lösungen finden Hotelbetreiber und Kanuverleiher, Campingplatzinhaber und Restaurantchefinnen, um den Erholungssuchenden trotzdem gerecht zu werden? Haben die Gäste Verständnis dafür, wenn sie im Lokal direkt am See in der Schlange an der Selbstbedienungstheke warten müssen? Oder der Campingplatz sie nicht mehr aufnehmen kann, obwohl doch eigentlich noch Platz wäre? Welche Ideen gibt es für die Zukunft? (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 28.08.2023NDR
  • Folge 423 (45 Min.)
    Schonungslos offen sprechen Menschen mit Schizophrenie in dieser Dokumentation über ihre Krankheit. „Wenn der Krankenwagen kommt, die Polizei kommt und man dann im Bett fixiert liegt, kriegt man mit, dass etwas nicht stimmt.“ Das erzählt Melanie über den Tag, an dem sie von der Polizei in der Stadt aufgegriffen wurde. Passanten hatten die Rettungskräfte gerufen, weil Melanie herumgeschrien und für die umstehenden Leute wirre Geschichten erzählt hatte. Doch in Melanies Kopf fand das Gegenteil statt. „Ich dachte, ich habe jetzt die Geheimnisse der Menschheit gelöst.
    Ich habe mich super gefühlt“, sagt die 36-Jährige. Melanie hatte an diesem Tag eine Psychose. Die Krankheit, unter der sie leidet, heißt Schizophrenie. Melanie ist verheiratet, Mutter von zwei Kindern und hatte einen guten Job. Die Diagnose Schizophrenie war ein Schock. Wie geht das Leben jetzt weiter? Der Film zeigt, mit welchen Herausforderungen Menschen konfrontiert sind, die an einer schizophrenen Störung leiden, und legt Schwachstellen des Gesundheitssystems in Deutschland offen.
    Statistisch gesehen erkrankt ein Prozent der Bevölkerung, also rund 800.000 Menschen, in Deutschland im Laufe des Lebens an Schizophrenie. Bei Menschen mit einer schizophrenen Störung ist die Informationsübertragung im Gehirn gestört. Dadurch nehmen die Betroffenen die Realität anders wahr. Viele fühlen sich verfolgt, hören Stimmen oder denken wie Melanie, sie allein hätten die Welt verstanden. Das kann zu Verhaltensweisen führen, die für Außenstehende befremdlich sind. „Der Begriff der Schizophrenie wurde lange Zeit als ein Schimpfwort benutzt“, sagt der Psychiater und Psychologe Arno Deister.
    „Diese psychiatrischen Erkrankungen sind immer noch etwas, was sehr in einer Nische stattfindet, mit dem viele Menschen möglichst nichts zu tun haben wollen.“ Die NDR Autorinnen Kira Gantner und Simone Horst porträtieren in ihrem Film eine Krankheit, die für viele immer noch mit Angst besetzt ist. Sie haben drei Menschen begleitet, die seit vielen Jahren mit der Diagnose Schizophrenie leben. Der Film zeigt, mit welchen Herausforderungen und Vorurteilen sie kämpfen müssen und wie sie es trotzdem schaffen, ein selbstbestimmtes Leben zu führen.
    Eine von ihnen ist Sophie. Als sie vor einigen Jahren die Diagnose Schizophrenie bekam, wurde ihr zur Frühverrentung geraten. Doch das kam für sie nicht infrage. „Ich glaube schon, dass Menschen mit psychischen Problemen und gerade auch mit Schizophrenie sehr oft abgestempelt werden. Du kannst nichts, du bist nichts.“ Sophie lässt sich nicht entmutigen. Mittlerweile arbeitet sie als Volontärin für eine Regionalzeitung.
    Die Diagnose Schizophrenie ist nicht nur für die Betroffenen eine Herausforderung, sondern auch für die Angehörigen. Elkes Sohn zeigte schon als Kind erste Symptome der Krankheit. In seiner Jugend verschlechtert sich sein Zustand. Immer wieder wird er in Kliniken eingewiesen. Doch es passiert, was leider sehr vielen mit der Diagnose Schizophrenie passiert: Es gibt nur wenige Angebote zur ambulanten weiteren Behandlung. Nach dem kurzfristigen Psychiatrieaufenthalt sind die Betroffenen und ihre Familien häufig auf sich allein gestellt.
    Es kommt zu Rückschlägen und nach kurzer Zeit zur erneuten Einweisung in die Klinik. Experten sprechen von der Drehtür-Psychiatrie. „Ich habe den Glauben verloren an dieses System“, sagt Elke. Mittlerweile geht es ihrem Sohn so schlecht, dass er langfristig in einer Einrichtung untergebracht werden musste. Psychiater Arno Deister hofft, dass schwere Verläufe wie dieser in Zukunft besser behandelt werden. „Die Gesellschaft muss die Verantwortung dafür übernehmen, diese Erkrankungen wirklich behandeln zu wollen und auch die Mittel dafür zur Verfügung zu stellen.“. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 11.09.2023NDR
    Deutsche TV-Premiere ursprünglich angekündigt für den 19.06.2023
  • Folge 424 (45 Min.)
    Mehr als fünf Millionen Muslimen leben in Deutschland. Doch in den etwa 2500 Moscheen finden sich viele der hier aufgewachsenen Gläubigen nicht wieder. Denn die meisten Imame sprechen schlecht Deutsch, wurden im Ausland ausgebildet und sind dort sozialisiert. Sie verstehen die junge Generation Muslime oft nicht. Deutschland braucht neue, deutsche Imame. Allerdings fehlte bisher eine praktische Ausbildung. Und wer soll sie für die neuen Imame bezahlen? „In Deutschland reden alle über den Islam, nur die Imame nicht. Und der Grund dafür ist, dass die meisten Imame aus dem Ausland kommen, der deutschen Sprache nicht mächtig sind, sich hier fremd fühlen und die Kultur nicht kennen“, sagt Bülent Uçar, Direktor des Islamkollegs Deutschland.
    Im Juni 2021 startet der erste Jahrgang des neu gegründeten Islamkollegs in Osnabrück. Das erste Mal in der Geschichte werden nun Imame in Deutschland ausschließlich in deutscher Sprache ausgebildet. Das Kolleg arbeitet unabhängig von islamischen Verbänden und wird vom Bundesinnenministerium und dem Land Niedersachsen finanziert: ein Meilenstein in der Geschichte der Muslime in Deutschland.
    Zwei Jahre lang lernen 18 Menschen unterschiedlicher Herkunft gemeinsam alles, um eine Gemeinde praktisch leiten zu können. Vier von ihnen sind Frauen, so wie die Oldenburgerin Elif Demirhan-Çoban: „Mir geht es nicht darum, dass ich als Vorbeter irgendwo arbeiten werde. Das ist nicht mein Ziel. Das überlasse ich den Männern. Aber als Imam arbeiten heißt ja nicht nur, als Vorbeter zu arbeiten, sondern wirklich Gemeindearbeit zu leisten: Koran rezitieren, Predigtlehre und Seelsorge. Das machen auch viele Frauen.“ Die muslimischen Absolventinnen und Absolventen sollen eine Lücke im System schließen: „Die jüngere Generation der muslimischen Menschen, die in Deutschland aufgewachsen ist, hat keinen Bezug mehr zu den alten Imamen“, so Uçar.
    Deshalb liege es im Interesse aller, dass in den Moscheen moderne, deutsche Imame arbeiten, sagt er. Muhamed Memedi ist als Kind aus Mazedonien nach Deutschland gekommen. Sein großes Vorbild ist sein Vater Shinasi, der seit den 1990er-Jahren als Imam eine mazedonische Gemeinde leitet. Davon kann er allerdings nicht leben, denn die kleine Bejtullah Moschee in Düsseldorf finanziert sich über Spenden.
    Hier Imam zu sein, bedeutet lediglich einen Minijob zu haben. „Wir haben jetzt durch die Ausbildung die Möglichkeit, einen Titel als Imam zu bekommen, der in Deutschland auch anerkannt ist. Aber wir wissen immer noch nicht, wie es in Zukunft ist: Wer wird uns einstellen?“, fragt Muhamed sich zu Beginn der Ausbildung. Wird sein Traum, als Vollzeit-Imam zu arbeiten am Ende in Erfüllung gehen? In Berlin arbeitet Ender Çetin unter anderem als Seelsorger in der Jugendstrafanstalt. Ihn treiben vor allem die Fragen junger Muslime um: „Es sollten eigentlich mehr Moscheen in den sozialen Netzwerken tätig sein, weil es die Gefahr gibt, dass gerade extreme Stimmen, extreme Sichtweisen Lücken sehen in den sozialen Medien und versuchen, diese zu füllen, indem sie auf TikTok, auf YouTube und auf Instagram Predigten halten.“ Er merke in der Kinder- und Jugendarbeit immer wieder, dass Prediger in sozialen Netzwerken Einfluss ausüben: „Da merken wir, dass wir viel mehr Arbeit brauchen.“ Die Autorinnen Carolin Fromm und Katrin Hafemann haben Elif, Ender und Muhamed für den Film zwei Jahre lang begleitet.
    Sie sind bei der Eröffnung des Islamkollegs dabei, im Unterricht, bei Prüfungen und Ausflügen. Zudem besuchen sie die drei zu Hause und zeigen, welchen Beitrag sie für die Gesellschaft leisten. Wer sind die neuen deutschen Imame und Religionsgelehrten? Was wird im Islamkolleg unterrichtet? Was entsteht aus dem ersten Jahrgang und was bringt die Ausbildung ihren Absolventen? Die „45 Min“-Dokumentation lässt jene zu Wort kommen, die in der Diskussion um Islam und Imame selten gehört werden: deutsche Muslime, die sich als Brückenbauer für die Gesellschaft einsetzen. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 25.09.2023NDRDeutsche Online-PremiereFr 22.09.2023ARD Mediathek
  • Folge 425 (45 Min.)
    Marco S. (rechts) und Siegmar R. aus Stretense vor dem Plan des Solarprojekts
    Trotz „Goldgräberstimmung“ in der Solarbranche: Bauern, Kommunen und Investoren kämpfen mit Konflikten. Obwohl in ganz Deutschland Investoren nach Freiflächen für neue Photovoltaikanlagen fahnden, tun sich vielerorts die Beteiligten mit den nötigen Entscheidungen schwer. Denn was den Ausbau der erneuerbaren Energien voranbringen soll, hat auch Schattenseiten. So verstärkt die Jagd auf mögliche Nutzflächen den Konkurrenzdruck auf Agrarflächen, treibt Pachtpreise nach oben und lässt fruchtbare Äcker und Wiesen unter dunklen Paneelen verschwinden.
    Auch im Norden sehen sich Landwirte, Landbesitzer und Kommunen vor der schwierigen Alternative: Sollen sie weiter Nahrungsmittel anbauen oder lieber auf sauberen Strom setzen? Die Reportage der NDR Autoren Simon Hoyme und Ute Jurkovics verfolgt, wie in zwei Gemeinden in Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern um diese Frage gestritten wird. Im holsteinischen Pronstorf nahe Lübeck will der Gutsbesitzer und Landwirt Caspar Graf zu Rantzau auf einem Teil seiner Felder Solarstrom erzeugen.
    Rund 90 Hektar würde er gerne mit Sonnenkollektoren versehen. Zwar ist auch der Gemeinderat mehrheitlich dafür. Doch ein Bürgerentscheid stoppte das Projekt. Vorerst. Der Graf setzt weiter auf seine Ausbaupläne und will mit den Einnahmen seinen Hof fit für die Zukunft machen. Vielen Bürgern der Gemeinde aber erscheint die geplante Anlage zu groß. Sie wollen kleinere Solarfelder durchsetzen und an den Erlösen beteiligt werden. Im 400-Seelen-Ort Stretense, einem Vorort der Stadt Anklam in Vorpommern, soll Ende des Jahres mit dem Bau eines gigantischen Solarparks begonnen werden, dem größten der Region.
    Noch wachsen auf der rund 300 Hektar großen Fläche Kartoffeln. Das Land gehört einem bayerischen Saatgutunternehmen. Auch der Investor, die Firma Anumar, stammt aus Bayern. Seit etwa drei Jahren wird um das Projekt gerungen. Mit Demonstrationen und Unterschriftensammlungen wehrten sich die Bewohner von Stretense gegen das Solarfeld an ihrem Ortseingang. Anklams Stadtrat hat das Projekt trotzdem beschlossen. Nun läuft das Genehmigungsverfahren.
    Die Befürworter argumentieren mit Gewerbesteuereinnahmen in Millionenhöhe und mit Klimaschutz. Die Stretenser wollen den Kartoffelanbau behalten und fühlen sich von Energieanlagen umzingelt. Denn in Dorfnähe gibt es bereits einen Windpark, einen Solarpark, ein kleineres Solarfeld ist zusätzlich geplant. Die Konflikte in Stretense und Pronstorf stehen symptomatisch für das, was sich derzeit in zahlreichen Gemeinden abspielt, ausgelöst auch von der Bundespolitik. So will die Bundesregierung das Ausbautempo für Photovoltaik bis 2026 auf 22 Gigawatt pro Jahr verdreifachen, um die Klimaziele bei zugleich steigendem Stromverbrauch zu erreichen.
    Die Anlagen sollen jeweils zur Hälfte auf Gebäude- und Freiflächen errichtet werden. Laut dem Braunschweiger Thünen-Institut werden dafür bis 2040 neben bereits versiegelten Flächen 280.000 Hektar Agrarland benötigt. Das entspricht 1,8 Prozent der derzeit landwirtschaftlich genutzten Fläche. Abhängig vom Wirkungsgrad der installierten Paneele kann sich der Flächenbedarf auf bis zu vier Prozent des Agrarlands erhöhen.
    Dabei liegt die Entscheidung, ob landwirtschaftlich genutzte Ländereien für die Solar-Ernte bebaut werden dürfen, bei den Gemeinden. Ehrenamtliche Kommunalpolitiker stehen dabei häufig finanzstarken Investoren mit großen Rechtsabteilungen gegenüber und müssen sich mit Gutachten und komplizierten Vertragswerken auseinandersetzen. Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Bündnis 90/​Die Grünen) sagt dazu in der NDR Dokumentation, er setze auf Beratung und Leitfäden. „Den Kommunen das jetzt wegzunehmen, wie es bei der Windplanung häufig passiert ist, erscheint mir bei Photovoltaik zu früh oder gar nicht richtig“, so Habeck.
    Am Ende lenkt der Film den Blick auf eine dritte Möglichkeit, der die Konflikte womöglich entschärfen könnte: Agri-Photovoltaik. Dabei werden Solarpaneele mit so viel Bodenabstand angelegt, dass darunter weiterhin Landwirtschaft möglich bleibt, von Mutterkuh- und Kälber- oder Geflügelhaltung bis zum Anbau von Obst, Gemüse, Wein oder Arzneipflanzen. In Deutschland steckt diese Technologie noch in den Kinderschuhen.
    Doch ein Versuchsfeld im brandenburgischen Rathenow demonstriert, was möglich ist. Unten grasen Kühe, scharren Hühner, wachsen Himbeeren, Kartoffeln oder Kohlrabi. Darüber wird Strom geerntet. Der Landwirt profitiert dabei sowohl von der Energieerzeugung als auch von den Erträgen seines Anbaus. Doch viele Bauern zögern, in Agri-Photovoltaik zu investieren und ihre Bewirtschaftung anzupassen. „Gefragt sind Ackerhelden, die sich zutrauen, Landwirtschaft und Energiewirtschaft zu kombinieren“, sagt Peter Schrum, Geschäftsführer der Betreiberfirma SUNfarming. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 02.10.2023NDRDeutsche Online-PremiereSa 30.09.2023ARD Mediathek
  • Folge 426 (45 Min.)
    Die Bahn ist eines der sichersten Verkehrsmittel weltweit. Gilt das auch noch für Deutschland? Bei deutschen Gleisanlagen klemmt es hinten und vorne. Sogar die Deutsche Bahn bekennt: Das Schienennetz ist veraltet und kaputt. Jetzt beginnen zwar umfangreiche Sanierungsarbeiten, die aber gleichen einer Operation am offenen Herzen. Kommen die Reparaturen viel zu spät? Ist Bahnfahren in Zukunft noch sicher? Interne Akten des Eisenbahnbundesamts Aufgrund des Unglücks in Burgrain beantragen im Juni 2022 ARD-Reporter beim Eisenbahnbundesamt Einsicht in interne Akten zu Sicherheitslücken bei der Deutschen Bahn.
    Nach mehreren Monaten erhalten sie rund 400 Dokumente. Darin: schwerwiegende Beanstandungen an der Gleisinfrastruktur aus dem gesamten Bundesgebiet. Das Amt hat in den vergangenen Jahren zahlreiche gefährliche Mängel dokumentiert – auch lebensgefährliche. Wie urteilt die Deutsche Bahn über den Zustand ihres Schienennetzes, wie der Bundesminister für Verkehr, Volker Wissing? Was haben sie für Lösungen, um den Zustand zu verbessern, die Sicherheit zu gewährleisten? Anonyme und ehemalige Bahnmitarbeiter Für diese Doku ist es gelungen mit mehreren aktuellen und ehemaligen Bahnmitarbeitern zu sprechen.
    Ein Lokführer erzählt, warum er sich im Führerstand oft nicht mehr sicher fühlt. Schon mehrfach habe er Angst gehabt, sein Zug könne entgleisen, so schlecht sei der Zustand der Strecke gewesen. Ein Anlagenverantwortlicher fühlt sich überlastet und fürchtet, dass Mängel übersehen werden könnten. Die Schäden werden nach seinen Schilderungen immer unübersichtlicher, außerdem fehle Personal, um alles noch im Griff zu behalten. Ein ehemaliger Bezirksleiter der Deutschen Bahn arbeitet mittlerweile in der Schweiz bei der Rhätischen Bahn und dort zeigt er, wie sich ein Schienennetz besser in Schuss halten lässt.
    Zugunglück in Burgrain Sophie ist 15 Jahre alt. Am 3. Juni 2022 saß die Schülerin im Unglückszug, der in Burgrain bei Garmisch-Partenkirchen aus noch ungeklärter Ursache entgleist ist. Fünf Menschen starben, darunter ein 13 Jahre alter Schüler, 68 Fahrgäste wurden verletzt. Der Film erzählt auch, wie Sophie und ihre Eltern den Unglückstag und das darauffolgende Jahr erlebt haben. Das Unglück hat Sophie körperlich nahezu unversehrt überlebt.
    Doch sie ist schwer traumatisiert und kann seither in keinen Zug mehr einsteigen. Mit Hilfe einer Therapie versucht sie, wieder mit der Bahn zu fahren. Von der Deutschen Bahn gab es für sie als Betroffene des Unglücks lange Zeit keine Hilfe. „Sicher Bahnfahren! – was muss sich ändern?“ geht auf Recherchereise über das deutsche Schienennetz. Schaut auf gefährliche Bahnübergänge, wo teilweise bis zu zwei Jahre auf neue Schrankenanlagen gewartet werden muss, sucht nach Ursachen für die unzähligen Langsamfahrstellen und fragt Experten: Wie bleibt Bahnfahren sicher? (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 09.10.2023NDR
  • Folge 427 (45 Min.)
    Eine spannende Recherche über Flüssigerdgas. Mit erschütternden Ergebnissen. Die Dokumentation bringt das Bild des angeblich „sauberen LNGs“ ins Wanken. Auf einer Reise durch die USA wird klar: Die Gewinnung von Flüssigerdgas führt zu radioaktiven Abfällen, vergifteten Flüssen und einer enormen Klimabelastung. Mithilfe einer speziellen Kamera wird der enorme Austritt von Methan sichtbar. Wissenschaftler warnen: Es wäre sogar klimafreundlicher, auf Kohle zu setzen, statt gefracktes Gas aus den USA zu importieren.
    Sind die milliardenschweren Investitionen in Flüssigerdgasterminals ein Irrweg? Knapp zehn Milliarden Euro hat der Deutsche Bundestag jetzt schon für den Ausbau einer LNG-Infrastruktur bereitgestellt. Immer wieder betont die Ampelregierung, dass ihr Klima und Naturschutz am Herzen liegt und sie alles tun will, um den Klimawandel aufzuhalten. Flüssigerdgas aus den USA, betont die Regierung, ist im Moment der beste Weg, um die Energienot zu überwinden. Die Realität sieht jedoch ganz anders aus. Die Recherche beginnt in Texas.
    Am Golf von Mexiko stehen die LNG Terminals, die das Gas zum Transport nach Europa auf minus 162 Grad herunterkühlen. Dieser Prozess ist so energiereich, dass ein Viertel der Gesamtenergie des Gases schon hier verloren geht. Auf dem Schiff muss dann noch weiter Gas abgelassen werden, um das restliche LNG zu kühlen. „In Deutschland kommen nur noch 50 bis 70 Prozent Prozent des Gases an“, kritisiert der international anerkannte Professor Robert Howarth von der Cornell University. Schon das allein ist alles andere als klimafreundlich.
    Doch es kommt noch schlimmer. Im Nordwesten von Texas befindet sich das Epizentrum der Gasindustrie. An unzähligen Bohrstellen wird hier Gas aus dem Boden gefrackt. Bei diesem Prozess entweichen ungeheure Mengen von Methan. Methan ist mindestens 25-mal klimaschädlicher als CO2 und für das menschliche Auge unsichtbar. Experten einer Umweltorganisation machen für das Fernsehteam diese Emissionen mit einer Spezialkamera sichtbar: Das Resultat ist erschütternd. Überall steigt Methan in die Luft.
    Das Gas, das laut Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern einer der größten Verursacher der globalen Erwärmung ist. Die Gas- und Ölindustrie ist in den USA mit enormen Rechten ausgestattet. So darf sogar auf dem Land der Navajos gefrackt werden. Mitglieder dieses Stammes erzählen, wie ihre heiligen Orte zerstört und ihr Wasser vergiftet wurde. Seitdem Europa LNG in enormen Mengen kauft, ist ein neuer „Goldrausch“ in Amerika entstanden, es wird gefrackt wie nie zuvor. Methan ist jedoch nur eine finstere Seite des LNG.
    Im Nordwesten der USA lernt das Team eine andere kennen: den radioaktiven Müll. Beim Fracking wird das Gas mithilfe von Wasser, Chemikalien und Sand aus dem Boden gespült. Dieses Wasser ist jedoch, wenn es wieder oben ankommt, hochgiftig. Denn die Gasvorkommen im Boden sind häufig mit von Natur aus radioaktiven Gesteinsschichten verbunden. Durch das Fracking werden radioaktive Mineralien ausgewaschen, nach oben gespült und machen Arbeiter wie Anwohner krank. Viele Fachleute halten den Handel mit flüssigem Gas für verantwortungslos: kein Energielieferant sei klimaschädlicher als LNG.
    Robert Howarth von der Cornell University empfiehlt Deutschland, die eigenen Gasvorkommen konventionell auszuschöpfen und im Zweifel sogar lieber auf Kohle zu setzen, bis man genug erneuerbare Energie erzeugen kann. Das wäre wesentlich klimaschonender als LNG zu importieren. Lieber Kohle statt LNG? Das Reportageteam fährt in die Altmark nach Sachsen-Anhalt. Hier lagert das vermutlich größte Gasvorkommen Deutschlands auf dem Festland.
    Schon zu Zeiten der DDR wurde hier gefördert. Noch vor 20 Jahren stammten 20 Prozent des in Gesamtdeutschland verbrauchten Gases aus heimischer Förderung. Inzwischen liegt die Selbstversorgungsquote gerade noch bei fünf Prozent. Neue Gasfelder wurden kaum mehr gesucht, schließlich wollte man weg vom Gas und bis zur Umrüstung der Wirtschaft auf alternative Energien war der Import von billigem Gas aus Russland die vermeintlich bessere Alternative. Und heute? Wäre eine Ausweitung der heimischen Produktion denkbar? Auch vor der friesischen Insel Borkum liegt Gas.
    Auf der niederländischen Seite soll es gefördert werden, doch die Inselbewohner wehren sich. Obwohl die meisten Menschen hier mit Gas heizen, sind fast alle gegen eine Förderung in ihrer Nähe. Flüssigerdgas aus den USA stand verhältnismäßig schnell zur Verfügung, um den großen Hunger nach Energie zu stillen. Die Umweltzerstörung, die die Förderung und der Transport verursachen, sind nicht auf den ersten Blick zu sehen. Deren Auswirkungen aber wird die Bevölkerung ebenfalls spüren. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 16.10.2023NDR
  • Folge 428 (45 Min.)
    Hohe Umfragewerte für die AfD, sinkendes Vertrauen in die Demokratie und eine Debatte über ostdeutsche Identität und die Fehler des Westens. Über den Osten Deutschlands wird gestritten, wieder einmal. Über 30 Jahre nach der Wiedervereinigung wird die Debatte gerade so intensiv und emotional geführt wie selten zuvor. Dies liegt zum einen an den jüngsten Wahlerfolgen der AfD auf kommunaler Ebene und den aktuellen Umfragewerten für die Partei in Sachsen, Thüringen und Brandenburg, wo im Jahr 2024 neue Landtage gewählt werden. Es hat aber auch damit zu tun, dass vermehrt ostdeutsche Stimmen zu hören sind, die in einem zornigen Ton den Westen, seinen Umgang mit dem Osten und eigene Diskriminierungserfahrungen anprangern.
    Der Zorn ist offenbar nicht nur dem Wunsch geschuldet, vom Westen gehört und besser verstanden zu werden. Er könnte auch Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins und einer ausgeprägten Ostidentität sein. ARD-Journalistin und Moderatorin Jessy Wellmer, im mecklenburgischen Güstrow geboren und aufgewachsen, begibt sich für diese Reportage auf eine Reise durch Deutschlands Osten, um die Ursprünge dieses gesteigerten Selbstbewusstseins, der vertieften Identität und des spürbaren Unmuts zu erforschen.
    Im Mittelpunkt steht die Frage, welche Auswirkungen diese Entwicklungen auf das Zusammenwachsen und Zusammenleben der beiden Teile Deutschlands haben. Auf der Suche nach Antworten spricht die Journalistin mit Menschen unterschiedlichen Alters und Hintergründen, prominent als auch weniger bekannt. Unter ihnen sind u.a. Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU), der Fußballtrainer Steffen Baumgart vom 1. FC Köln, Bestsellerautor Dirk Oschmann, die Indie-Pop-Band Blond aus Chemnitz, Jochen Wolff, langjähriger Chefredakteur der „SUPERillu“, und der Flugzeugtechniker Pierre Bartholomäus. Insgesamt liefert der (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 23.10.2023NDR
  • Folge 429 (45 Min.)
    Es ist der Moment, an dem eigentlich alles klar ist. Drei Tage nach den Landtagswahlen in Hessen und Bayern, am 8. Oktober 2023, im Büro von Sahra Wagenknecht: Behält sie ihr Mandat, wenn sie eine neue Partei gründet? „Natürlich“, sagt sie auf die Frage von Filmemacherin Birgit Wärnke. Viele hätten Die Linke ja ihretwegen gewählt. „Deswegen finde ich, dass ich auch alles moralische Recht habe, mein Mandat mitzunehmen. Also ich meine, ich bin Bundestagsabgeordnete, ich bin gewählt und selbstverständlich gebe ich das nicht zurück.“ Auf den Einwand, dass dann die Fraktion zerbreche, endet sie mit den Worten: „Vermutlich“.
    Dann gebe es verschiedene Gruppen. „Aber das ist dann nicht mehr mein Ding“. Birgit Wärnke hat für diese Dokumentation, eine Koproduktion von NDR und rbb, verschiedene Politikerinnen und Politiker der Partei knapp ein Jahr lang begleitet. Auf der einen Seite Sahra Wagenknecht (und auch ihren Ehemann und Mitgründer der Partei Oskar Lafontaine), auf der anderen ihre erbitterten Gegnerinnen und Gegner – Vertreter der sogenannten Progressiven Linken, etwa die ehemalige Sozialsenatorin aus Berlin Elke Breitenbach und ihren Ehemann, den ehemaligen Bundestagsabgeordneten Thomas Nord.
    Außerdem die Parteivorsitzende Janine Wissler sowie Gregor Gysi, der versucht hat, den Streit zu schlichten. Es ist ein toxischer Konflikt, der Die Linke seit Monaten quält und der mit der Pressekonferenz von Sahra Wagenknecht am 23. Oktober 2023 in eine wohl finale Eskalationsstufe geht: In der Bundespressekonferenz hat sie einen Verein zur Neugründung einer Partei vorgestellt – mit dem Namen BSW – Bündnis Sahra Wagenknecht.
    Und sie hat erklärt, dass sie aus der Partei Die Linke ausgetreten ist. Ihre neue Partei soll schon bei der Europawahl nächstes Jahr antreten. Wärnke zeichnet das Bild eines tiefen Zerwürfnisses und unüberbrückbarer Gegensätze, die selbst Urgestein Gregor Gysi nicht mehr kitten kann. Die Doku ist eine Chronik des Auseinanderfallens einer Partei. Elke Breitenbach und Thomas Nord hatten schon 2022 das Netzwerk Progressiver Linker gegründet.
    Auf diesem Gründungstreffen im Dezember forderten mehr als 100 Genossinnen und Genossen, dass Sahra Wagenknecht keine öffentliche Funktion für die Partei mehr ausüben solle, weil sie nicht mehr die Grundwerte und Beschlüsse der Partei vertrete. Sahra Wagenknecht und ihre Unterstützerinnen und Unterstützer kritisieren hingegen genau solche „progressiven“ Genossinnen und Genossen in ihrer Partei heftig, etwa als „Lifestyle-Linke“ und „Linksliberale“, die sich vor allem um Großstadtprobleme wie Genderfragen und Bioprodukte kümmern, aber die eigentlichen Interessen der Arbeiter, das Kernklientel der Linken, nicht mehr im Blick hätten.
    Das sei das Hauptproblem der Linken, so der ehemalige Parteivorsitzende und Ehemann von Sahra Wagenknecht Oskar Lafontaine. Lafontaine ist 2022 aus der Linken ausgetreten und attestiert seiner ehemaligen Partei und dem Vorstand, eine „falsche Politik“ zu betreiben. Lafontaine sieht wie Sahra Wagenknecht eine Leerstelle im politischen System, die Die Linke nicht mehr ausfülle. Für das Polit-Ehepaar Wagenknecht/​Lafontaine ist klar: Die schlechten Wahlergebnisse, der Mitgliederschwund und die miesen Umfragewerte der Partei sind Ausdruck des Versagens des Parteivorstandes und einer falschen Zielsetzung.
    Für Elke Breitenbach und Thomas Nord sind sie dagegen Ausdruck der andauernden innerparteilichen Querelen, des nicht erkennbaren Profils der Partei und der ständigen Drohung Wagenknechts, eine Konkurrenzpartei gründen zu wollen. Diese Drohung wird Sahra Wagenknecht nun in die Tat umsetzen. Der zerstörerische Streit wird damit aber sicher noch nicht zu Ende sein. Im Gegenteil. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 06.11.2023NDR
  • Folge 430 (45 Min.)
    Mehr als ein Viertel der Menschen, die in Deutschland leben, haben einen Migrationshintergrund. Kann es sein, dass viele von ihnen beim Arzt oder im Krankenhaus schlechter behandelt werden? Aufgrund von Vorurteilen, mit zum Teil lebensgefährlichen Folgen? Im Gesundheitswesen kursiert immer noch der Begriff „Morbus Mediterraneus“, der abwertend „aufgebauschtes Leiden bei Südländern“ beschreiben soll. Medizinisches Standardgerät funktioniert nicht zuverlässig auf dunkler Haut. Und viele Ärzte haben nie gelernt, dass manche Krankheiten bei Schwarzen anders zu diagnostizieren sind als bei Weißen. Die medizinische Norm, auch in den Lehrbüchern, ist nach wie vor der weiße, westeuropäische Patient.
    Fehldiagnosen und schwere Krankheitsverläufe können die Folgen sein. So war es bei Remziye T. aus Niedersachsen. Ihre entzündete Herzklappe blieb lange unerkannt, weil Ärzte ihre Schmerzen nicht ernst genug nahmen. Als endlich die richtige Diagnose vorlag, war es zu spät für eine medikamentöse Behandlung. Nun muss Remziye T. mit einer mechanischen Herzklappe leben, kann nicht mehr richtig gehen, darf nicht mehr arbeiten. Die NDR Dokumentation macht erfahrbar, wie gefährlich bewusster oder unbewusster Rassismus im Gesundheitswesen ist.
    Sie ist gestützt durch Ergebnisse der ersten repräsentativen Studie zum Thema in Deutschland, die am 7. November von der Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Lisa Paus (Bündnis 90/​Die Grünen) veröffentlicht wird. Bismark Ofori hat das NDR Team in seiner Praxis in Hannover drehen lassen. Der Schwarze Allgemeinmediziner hat viele Patientinnen und Patienten mit Migrationshintergrund. Sie erzählen ihm, dass sie in anderen Praxen nicht ernst genommen, zum Teil schroff abgewiesen wurden. In Oforis Behandlungszimmer zeigt sich: sorgfältig zu diagnostizieren und dabei Sprachbarrieren zu überwinden, kostet Zeit und Geld.
    Nicht das einzige Hindernis bei der Diagnostik. Da ist zum Beispiel das Pulsoximeter, ein Messgerät für den Sauerstoffgehalt im Blut, das bei dunkler Haut oft falsche Werte ermittelt. Doch im Medizinstudium wird dies nicht systematisch gelehrt. Bei den Recherchen stand das NDR Team immer wieder vor verschlossenen Türen. Die Auseinandersetzung mit Rassismus und seinen Folgen beginnt gerade erst im Gesundheitswesen. Doch viele Ärztinnen und Ärzte, Medizinstudierende, Hebammen und ein Medizinhistoriker haben auch Auskunft gegeben. Über ein Problem, das im schlimmsten Fall lebensgefährlich sein kann. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 13.11.2023NDRDeutsche Online-PremiereDi 07.11.2023ARD Mediathek
  • Folge 431 (45 Min.)
    Tierversuche sind für viele Menschen ein grausames, aber notwendiges Übel. Ohne Tests an Mäusen und Ratten gäbe es keinen medizinischen Fortschritt, argumentieren auch Forscherinnen und Forscher. Und so werden in Deutschland jedes Jahr an rund zwei Millionen Tieren Versuche durchgeführt. Darunter allen auch Hunde, was allerdings kaum bekannt ist. Warum ist das noch notwendig? Gibt es Alternativen, die Tierversuche ersetzen könnten? Und wie sieht so ein Laborhundeleben tatsächlich aus? Jedes Jahr werden allein in Deutschlands Laboren bis zu 3000 Hunde als Versuchstiere benutzt, manche sogar mehrfach. Es trifft vor allem eine Hunderasse: den Beagle.
    Diese Hunde gelten als gutmütig und wehren sich nicht, wenn man ihnen Schmerz zufügt. Das macht sie offenbar zum idealen Versuchstier. Wie so ein Hundeleben im Labor aussieht, ist eine Blackbox. Klar ist aber: nur ein kleiner Teil dieser Hunde verlässt lebend die Labore. Um diese Tiere kümmern sich Ehrenamtliche wie Ursel Schlitt. Sie übernimmt schon seit Jahren Beagle aus Laboren und vermittelt ihnen ein neues Zuhause. Aus welchen Tierversuchslaboren die Hunde kommen, darf sie aber nicht sagen. Und welche Versuche an ihnen gemacht wurden, weiß sie selbst nicht. „Es ist eine verschwiegene Szene“, sagt Schlitt. Auffällig sei aber, dass die Hunde große Ängste mitbringen, oft zu wenig fressen und manch unerklärliche Krankheit haben.
    Forscherinnen und Forscher entwickeln seit einiger Zeit Alternativmethoden zu Tierversuchen, die nicht nur den Hunden viele Qualen ersparen könnten. Warum werden sie noch nicht eingesetzt? Die beiden Autorinnen Caroline Walter und Katrin Kampling nähern sich in der „45 Min“-Dokumentation einem Bereich, in dem die Beteiligten nur ungern Einblicke in ihre Arbeit geben. Sie sprechen mit Gegnern und Befürwortern der Tierexperimente und versuchen zu ergründen, welche wissenschaftlichen und politischen Maßnahmen notwendig wären für einen Ausstieg aus dem Tierversuch. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 20.11.2023NDR
  • Folge 432 (45 Min.)
    Es ist ein besonderer Ort tief in Niedersachsen. Verborgen in einem Waldgebiet nahe der Ortschaft Unterlüß im Süden der Lüneburger Heide fertigt und testet Deutschlands größter Waffenhersteller Rheinmetall mit Hochdruck Kriegsgerät und Munition für die Ukraine. Für die Mitarbeiter eine neue Zeit, denn neben den neuen Produktionen hat sich auch der Blick auf ihre Arbeit seit Beginn des Ukraine-Krieges verändert: „Früher mussten wir uns hier den Weg zur Arbeit schon mal durch eine Demo bahnen und waren die Buhmänner“, erinnert sich ein Mitarbeiter.
    „Jetzt ist das, was wir machen, wichtiger geworden.“ Ein halbes Jahr lang erhielt NDR Reporter Klaus Scherer exklusiven Zugang sowohl in die Werkshallen als auch zum Schießplatz. Keinem Fernsehteam wurden bisher derart umfassende Einblicke ermöglicht. Zudem begleitet Scherer Konzernchef Armin Papperger an die Frankfurter Börse, als der Konzern im Frühjahr in den DAX aufsteigt, und zum vertraulichen Gespräch mit dem ukrainischen Botschafter in Berlin. In der Düsseldorfer Konzernzentrale stellt sich Papperger schließlich auch einem ausführlichen Interview, nicht nur über den Imagewandel des Konzerns seit dem Ukraine-Krieg, sondern auch zu Kritik am Rüstungskonzern, etwa wegen umstrittener Geschäfte mit Golfstaaten.
    Der Film beginnt mit einer Szene im August, als Mitarbeiter des Konzerns auf dem werkseigenen Schießplatz in Niedersachsen neue Flugabwehrmunition für die Ukraine testen, die hier binnen weniger Monate für den Gepard-Panzer neu konzipiert und angefertigt wurde. Im Kontrollraum bauen sich zu jeder Salve Datenkurven auf: Austrittsgeschwindigkeit bei Mündungsfeuer, Dauer der Leuchtspur, Schusszahl pro Minute.
    Es ist jene Munition, auf die Kiew sehnlichst wartet, um sich gegen russische Luftangriffe zu verteidigen. Das NDR Team hat den Aufbau der neuen Fertigungsstraße begleitet. Auch als Konzernchef Papperger hier jenseits der Öffentlichkeit einen hochrangigen Kunden empfängt, läuft die Kamera mit. Angereist ist der Verteidigungsminister Ungarns, der bald darauf in tarngefleckte Panzer steigt, selbst einen Kanonenschuss auslöst und sich schließlich per Nebelwerfer samt Fahrzeug in Tarnwolken hüllt.
    Detailreich erklärt Papperger ihm Panzermunition, Fahrzeuge und Drohnen, elektronisches Equipment für Grenadiere, die vernetzte Kriegführung der Zukunft. Der Mann, der den Konzern seit mehr als zehn Jahren führt, erscheint als überzeugender Verkäufer. Die zentrale Frage des Films richtet sich jedoch an die Mitarbeiter. Jahrzehntelang wurden sie öffentlich eher gemieden, wenn nicht von Kritikern beschimpft. Wie erleben sie die neue Wertschätzung? Wie prägt die Zeitenwende ihren Alltag? Verbinden die Beschäftigten ihre Arbeit mit den Kriegsszenen, die sie allabendlich in den Nachrichten sehen? Manche tun es, manche nicht.
    Über Anerkennung indes freuen sich alle. „Damit der Film möglich wurde, mussten wir nicht nur Geheimhaltungs- und Sicherheitsregeln beachten, sondern auch den Persönlichkeitsschutz von Werksmitarbeitern und Aktionären“, sagt Scherer zu den Drehbedingungen. „Umgekehrt legten wir Wert darauf, überall Fragen stellen zu können, auch spontan. Das hat funktioniert. (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 27.11.2023NDR
  • Folge 433 (45 Min.)
    Deutschlands größte Moorflächen liegen im Norden. Sie sind aber kaum noch zu erkennen, es grasen Kühe darauf, es wächst Getreide dort. Entwässerte Moore galten jahrzehntelang als großer landwirtschaftlicher Fortschritt. Heute weiß man: Wenn Sauerstoff an Torf dringt, setzt das große Mengen schädlicher Treibhausgase frei. In den nächsten Jahren sollen deshalb möglichst viele Moorflächen wiedervernässt werden. Ein gigantischer Umbruch für die Bauern, der vielen Angst macht. Kann das gelingen? Ein NDR Team hat in Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern und auch in Brandenburg recherchiert.
    Bei Heino Tietje zum Beispiel, er zog Ende der 1990er-Jahre aus Niedersachsen in die Uckermark und baute einen Milchviehbetrieb auf. Wenn nun das Wasser auf seinen Wiesen steigen sollte, könnten sie nicht wie bisher befahren und gemäht werden. Auch das Gras von nassen Wiesen, befürchtet er, hätte schlechtere Futterqualität. Anderswo machen sich Dorfbewohner Sorgen, dass nicht nur die Weideflächen an Wert verlieren, sondern dass sie in Zukunft, wenn das Wasser aus den Mooren nicht mehr abgepumpt würde, mit nassen Kellern zu kämpfen hätten. Im Auftrag der Länder beraten Wissenschaftler betroffene Bauern und Gemeinden, wie die Moorflächen weiterhin, aber klimafreundlich genutzt werden können.
    Ein Modellprojekt in Schleswig-Holstein zeigt, wie das gelingen kann. Landwirt Dag Frerichs bewirtschaftet dort Deutschlands größten Solarpark auf einem wiedervernässten Moor. Um die feuchten Wiesen zu mähen, nutzen er und sein Team besonders leichte, ferngesteuerte Maschinen, die den Boden nicht verdichten. Die Technik haben sie sich bei der Almbewirtschaftung abgeguckt. In Zukunft soll die geerntete Biomasse als Rohstoff genutzt werden. Ein Projekt mit Zukunft? (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 04.12.2023NDR
  • Folge 434 (45 Min.)
    Regionale Wertschöpfung im Kreis Vorpommern Greifswald: Landwirt Michael Kühling betreibt mit eigenem Biogas ein Nahwärmenetz.
    Benjamin Elsen führt einen Heizungsbetrieb in Moormerland (Ostfriesland) mit 20 Mitarbeitenden. Er sagt: „Ob ich jetzt für eine Gastherme 8500 Euro bezahle oder für eine Wärmepumpe 35.000 Euro zahle. Dreimal dürfen Sie raten, wofür sich die meisten Kunden aktuell noch entscheiden.“ Seit zwölf Jahren ist er am Markt und hat einen solchen Run auf Gasthermen noch nicht erlebt. Im Schnitt baut Elsens Team vier Gasanlagen pro Woche ein. Vor einem Jahr waren es ein bis zwei. Das war nicht der Plan der Ampelregierung, im Gegenteil. Das neue Gebäudeenergiegesetz sollte den Ausbau klimafreundlicher Technologie fördern.
    Nun herrscht Chaos allerorten. Wer trägt Schuld an dieser Entwicklung? Das Gebäudeenergiegesetz, umgangssprachlich auch Heizungsgesetz genannt, sollte eigentlich die allmähliche Abkehr von fossilen Brennstoffen fördern. Doch was im Gesetz drinsteht, darüber gerieten in den vergangenen Monaten vor allem die Ampelparteien Bündnis 90/​Die Grünen und die FDP immer wieder aneinander. Keine Einigkeit nach innen, Chaos nach außen. Die Folge: die Nachfrage nach klimafreundlichen Wärmepumpen ist mittlerweile eingebrochen.
    Auch die Firma Friedrich Detering stellte sich darauf ein, bestellte ausreichend Wärmepumpen. Doch ein Jahr später gibt es bei dem Fachgroßhändler in Emden mehr Wärmepumpen zu bestaunen als dem Unternehmen lieb ist. Mitarbeiter Stefan Dekker erklärt: „Durch die Debatte um das Gebäudeenergiegesetz ist sehr viel Verunsicherung entstanden, was die Nachfrage stark beeinträchtigt hat.“ Wie Dekker fragen sich jetzt viele in der Heizungsbranche: Werden sie ihre Geräte noch los und womit können sie zukünftig planen? Dabei ist die Wärmepumpe eine sinnvolle Lösung für klimafreundliches Heizen.
    Forscher der Universität Oxford konnten in einer aktuellen Studie zeigen, dass Wärmepumpen selbst bei extrem niedrigen Temperaturen mehr als doppelt so effizient sind wie Öl- oder Erdgasheizungen. Dennoch muss Energieberater Alexej Friedrich aus Hamburg bei seinen Terminen erst einmal Fakten schaffen bei verunsicherten Hausbesitzern. Hartnäckig hält sich die Aussage, Wärmepumpen eigenen sich nur im Neubau. Das Gegenteil zeigt der Besuch bei Familie Heymann. Sie wohnt in einem Haus, Baujahr 1961. „Mit der Wärmepumpe sind wir autark und müssen nicht mehr schauen, wann der Ölpreis am besten ist und dann schnell kaufen“, sagt Petra Heymann.
    Das sogenannte Heizungsgesetz ist auch eine riesige Herausforderung für die Kommunen. Je nach Einwohnerzahl müssen sie bis 2026 oder 2028 konkrete Pläne vorlegen, wie sie ihre Heizinfrastruktur klimaneutral umbauen wollen. „Natürlich kann man sich in Berlin vor die Kamera stellen und sagen, wir haben ein ganz tolles Gesetz gemacht. Aber da hinkommen müssen ganz andere. Ich bin massiv genervt von der Ignoranz gegenüber den Praktikern“, sagt Karsten Windmüller.
    Im Landkreis Vorpommern-Greifswald kümmert er sich um die Wärmeplanung eines gesamten Amtsbereichs, insgesamt sechs Gemeinden und eine Stadt. Zu wenig Personal und zu viel Bürokratie sind nur zwei Punkte, die der Verwaltungsmitarbeitende im Gespräch mit dem NDR aufzählt. Wie sollen die schon ohnehin überforderten Kommunen die Wärmewende stemmen? Mit Olaf Hoffjann, Professor für Kommunikationswissenschaft, zeichnet der Film nach, wie in den Medien der Eindruck vom „Heizchaos“ entstehen konnte.
    Welche Folgen das Hin und Her der Politik und die teils unsachliche Berichterstattung hat, zeigt die Dokumentation aus der Reihe „45 Min“ im Gespräch mit Verbrauchern, Handwerkern und Kommunen in Norddeutschland. Wo die einen nur noch mit dem Kopf schütteln und nicht wissen, wie sie die neuen Regularien umsetzen sollen, nehmen andere die Wärmewende notgedrungen selbst in die Hand. Die Autorinnen Anja Kollruß und Anni Brück sprechen mit Beteiligten über die zentralen Fragen: Was ist auf dem Weg zum Gebäudeenergiegesetz falsch gelaufen? Kommt Deutschland jetzt endlich weg von Öl und Gas? Und wie wird in Zukunft geheizt? (Text: NDR)
    Deutsche TV-PremiereMo 11.12.2023NDRDeutsche Online-PremiereFr 08.12.2023ARD Mediathek

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